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Archiv "Versichertenausweis technische Neuerung oder politisches Instrument?: Frage des möglichen Nutzens und möglicher Gefahren bisher nicht offen und ausreichend diskutiert" (09.09.1976)

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Bericht und Meinung

73. Jahrgang / Heft 37 9. September 1976 Postverlagsort Köln

Redaktion:

Dieselstraße 2 Postfach 40 04 30 5000 Köln 40 (Lövenich) Ruf: (0 22 34) 70 11 -1 Fernschreiber 8 89 168

Verlag und Anzeigenabteilung:

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Ärztliche Mitteilungen

Herausgeber: Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung

Versichertenausweis technische Neuerung

oder politisches Instrument?

Frage des möglichen Nutzens und möglicher Gefahren bisher nicht offen und ausreichend diskutiert

Der Ersatz des Krankenscheins durch einen Versichertenausweis kann, wenn man wirklich nur die Änderung eines verwaltungstech- nischen Verfahrens will, wohl kaum als „Reformvorhaben" in der Gesundheitsversorgung unserer Bevölkerung bezeichnet werden.

Um so mehr wundert es, daß dieses Thema zur Zeit so hochgespielt wird. Liegt das an der von Journalisten vielfach so genannten

„Sauregurkenzeit" oder handelt es sich um ein gesteuertes Wahl- kampfthema, mit dem die Liste sozialpolitischer Errungenschaften dieser Legislaturperiode angereichert werden soll?

Selten haben sich so viel politische Prominenz und sozialpolitisch Sachkundige bei einer — wie es doch zunächst scheint — rein ver- fahrenstechnischen Maßnahme zu Wort gemeldet wie im vorlie- genden Fall. Liest man über die Vorzüge nach, die der Versicher- tenausweis gegenüber dem bisherigen Krankenschein nach Mei- nung von Bundesregierung und anderen Sachverständigen für alle Beteiligten haben soll, so kann man sich des Eindrucks nicht er- wehren, daß möglicherweise doch diejenigen recht haben, die hin- ter der geplanten Einführung eines solchen Versichertenausweises mehr als nur den Versuch der Rationalisierung eines verwaltungs- technischen Ablaufs sehen.

Ungeachtet der Tatsache, daß gesicherte Aussagen darüber noch nicht möglich sind, da ein entsprechend groß angelegter Feld- versuch bekanntlich erst im Planungsstadium ist, wird der Versichertenausweis schon heute mit vielen Lorbeeren bedacht.

So solle er beispielsweise dahin führen, „daß der riesige Verwal- tungsaufwand mit dem Krankenschein fortfällt". Eine Formulierung, wie „die Einführung der EDV anstelle der bisherigen Zettelwirt- schaft" ist in diesem Zusammenhang sicherlich als „griffige" Aus- sage gedacht.

Es wird weiterhin behauptet, eine solche Verwaltungsvereinfachung der vorliegenden Abrechnungssysteme werde eine so notwendig

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Die Information:

Bericht und Meinung Versichertenausweis

gewünschte Kostenersparnis im Ge- sundheitswesen bringen, und da- für sind bereits erstaunliche Zah- len genannt worden. Die Plastik- karte soll aber auch dazu führen - und dies ist im Zusammenhang mit dem Wunsch nach Kosten- ersparnis von besonderem Infor- mationswert -, allen Versicherten den unbegrenzten Zugang zu All- gemein- und Fachärzten in einem Quartal zu ermöglichen.

Von anderer Seite hört man, der Ausweis müsse allerdings so ge- staltet werden, "daß er zur Grund- lage einer überschaubaren Abrech- nung aller Leistungen der Versi- cherten wird; nur so wären Kon- trollmöglichkeiten und Rationalisie- rungserfolge denkbar".

Man sollte es nicht versäumen, all diese Aussagen sehr sorgsam zu lesen!

Die Idee, einen Versichertenaus- weis einzuführen, kommt, so ver- lautet von seiten des Bundesar- beitsministeriums, nicht aus die- sem Hause, sondern von der Sach- verständigenkommission zur Wei- terentwicklung der sozialen Kran- kenversicherung. Die Überlegun- gen hierzu liegen schon etwa vier Jahre zurück; nur hatte eine da- mals eingesetzte Projektgruppe festgestellt, daß es für einen ma- schinenablesbaren Ausweis mit Umdruckfunktion kein geeignetes Gerät auf dem Markt gebe.

Diese Lücke scheint nunmehr ausgefüllt, da die Firma Mannes- mann-Datenverarbeitung nach mehreren Jahren technischer Ent- wicklung ein Gerät vorstellte, das bei dem geplanten Modellversuch im Bereich Rendsburg/Eckernförde (Schleswig-Holstein) erprobt wer- den soll. Das leichteste Modell ei- nes transportablen Umdruckers wiegt derzeit 700 g. Schon dies zeigt, daß die technische Entwick- lung offenbar doch noch nicht voll abgeschlossen ist, denn einen sol- chen - 700 g schweren! - Um- drucker müßte der Arzt bei seinen Hausbesuchen ja ständig bei sich haben.

Sicherlich haben insbesondere die Ausweitung des Leistungsrechts in der gesetzlichen Krankenversiche- rung und die Weiterentwicklung in der Medizin mehr Verwaltungsar- beit durch eine Vielzahl neuer For- mulare gebracht. Das bedeutet für den niedergelassenen Arzt und auch für die Krankenkasse zusätz- liche Arbeitsbelastung. Wenn man hier vereinfachen will, um Arzt und Krankenkasse zu entlasten, ist das sicher eine gute Sache. Zunächst einmal sollte in dieser Frage je- doch der Modellversuch abgewar- tet werden, der ja erst erweisen muß, ob ein Versichertenausweis tatsächlich zu weniger Verwal- tungsarbeit führt als der Kranken- schein.

Nicht minder wertvoll indes sind sicherlich Überlegungen, ob nicht das eine oder andere Formular doch abgeschafft, vereinfacht oder ob es mit anderen zusammenge- faSt werden könnte.

Von den Befürwortern des Versi- chertenausweises wird mit Hilfe der Statistik die Notwendigkeit der Rationalisierung drastisch be- schrieben. Rund eine Milliarde Be- lege verschiedenster Art, davon etwa 225 Millionen Krankenschei- ne, sind jährlich zu bearbeiten.

~ Zweifellos eindrucksvolleZahlen;

nur: wie sieht es aus, wenn dieses Volumen zentralisiert bewältigt werden muß und nicht wie bisher dezentralisiert und damit über- schaubar für diejenigen, die hier die Arbeit zu erbringen haben?

Keine Anhaltspunkte

für kostensparende Wirkung

~ Auch nach eingehenden Überle- gungen bleibt immer noch unklar, warum die Einführung eines Versi- chertenausweises kostensparende Wirkungen haben soll. Sieht man von den sogenannten Anlaufkosten ab - es ist in diesem Zusammen- hang einmal ein Betrag von 500 Millionen DM genannt worden -, so hätte die weitere Erleichterung für die Versicherten, während ei-

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nes Quartals den Arzt zu wechseln, mit Sicherheit keinen kostendämp- fenden Effekt. Die freie Arztwahl und die Freizügigkeit für den Versi- cherten ist zwar ein wichtiger Be- standteil unseres Systems; sie soll- te jedoch nicht von einzelnen zum Nachteil der Versichertengemein- schaft ausgenutzt werden. Die Frei- heit des Patienten ist auch dadurch nicht bedroht, daß es eine Schwel- le für diejenigen zu überwinden gibt, die den Arzt nur aus dem Grunde wechseln möchten, weil dieser nicht voll auf ihre Wünsche eingegangen ist und sie es daher einmal bei einem anderen versu- chen wollen.

Die VergeBlichkeit des Menschen ist nicht kalkulierbar. Nur 50 Pro- zent der Patienten legen heute den Krankenschein bereits beim ersten Besuch vor. Die anderen schicken ihn per Post oder bringen ihn beim zweiten oder beim dritten Besuch mit. Warum sollte dies nicht auch mit dem Versichertenausweis ge- schehen? Nur käme der Arzt dann in große Schwierigkeiten, weil es ihm unmöglich wäre, rechtzeitig - beispielsweise bei Verschreibun- gen oder Überweisungen - die notwendigen Patientendaten (Num- mern!) festzuhalten. Verschicken läßt sich der Ausweis auch nicht, denn der Patient soll ihn ja ständig - auch zu Hause bei Hausbesu- chen des Arztes - parat halten.

Es gibt eine Reihe von Kranken- kassen, die eine große Versicher- tenfluktuation aufweisen. Bei vielen Ortskrankenkassen in Industriebe- zirken ändert sich einmal pro Jahr nahezu der gesamte Mitgliederbe- stand. Falls diese Kassen den Ver- sichertenausweis von ihren jeweils ausscheidenden Mitgliedern nicht zurückfordern können, gäbe es bald Bürger mit zwei oder mehr Ausweisen. Es scheint notwendig, sich auch über diese Organisations- fragen Gedanken zu machen. Mög- licherweise lassen sie sich lösen.

Mit Sicherheit aber wird der Kas- senwechsel wesentlich teurer als bisher, denn die technisch sehr aufwendigen, aus haltbarem Plastik

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hergestellten, mit Umdruckprägun- gen und maschinell lesbaren Co- dierzeilen ausgerüsteten Versicher- tenausweise kosten ein mehrfa- ches gegenüber dem schlichten Krankenschein aus Papier.

Verwaltungsvereinfachung nicht das wichtigste Ziel?

Je mehr zum Versichertenausweis gesagt wird, desto stärker verdich- tet sich der Eindruck, daß die be- hauptete Verwaltungsvereinfa-

schinell geführten Bestand der Ausweise und bringt somit einen ersten Schritt zu einer Zentralisie- rung von Versichertendaten in ei- ner Sozialversicherungsdatei.

..,.. Die Frage des möglichen Nut- zens und möglicher Gefahren die- ser sehr weitgehenden Planungen sind bislang keineswegs offen und ausreichend diskutiert.

Der ganze Komplex von Datenhäu- fung und Datenaustausch ist un- heimlich. Die "zentrale Daten-

<01234123456789012005121>

Jüngst in Bonn der Presse vorgestellt: der geplante "Versi- chertenauswels"

aus steifem Plastikmaterial mit Umdruck- prägungen und maschinell lesbaren Codier- zeilen {hier

<1121412J4J67891121tJ121>

VERSICHERTENAUSWEIS

YGII IZIILA

Al RABIIIIORIII 72 2171 UltiBURI ADIC G _ LZYIR

chung hier nur ein Ziel neben an- deren ist, und möglicherweise nicht das wichtigste. Der Versi- chertenausweis soll nach Meinung der Verantwortlichen auch die Möglichkeiten bieten, medizinische Leistungsdaten der Patienten, spä- ter auch Diagnosen personenbezo- gen zu erfassen und mit Daten aus der Rentenversicherung und der Arbeitsverwaltung innerhalb der Träger der sozialen Sicherung zusammenzuführen.

Der Versichertenausweis hat also nicht nur als Träger von Patienten- namen, Adressen und Krankenkas- sen zu dienen, sondern als Daten- träger, mit dessen Hilfe es möglich

werden kann, alle Daten der Versi- cherten auf Knopfdruck verfügbar zu machen. Dabei erscheint die einheitliche Versichertennummer als Voraussetzung für einen ma-

121456 A ...

gültig bis

als Muster etwa in Originalgröße wiedergegeben)

bank", auf der alles elektronisch registriert wird, läßt den freiheitlich denkenden Bürger um seinen per- sönlichen Intimbereich bangen. Wer weiß schon, was bereits heute alles elektronisch registriert ist!

!> Der Rechtsausschuß des Deut-

schen Bundestages hat am 25. Mai 1976 in einer Stellungnahme zum Entwurf des Datenschutzgesetzes festgestellt, daß die Entwicklung, Einführung und Verwendung von Numerierungssystemen, die eine einheitliche Numerierung der Be- völkerung ermöglichen (Personen-

kennzeichen), unzulässig seien.

..,.. Auch der Versichertenausweis muß im Zusammenhang mit sol- chen ernsten Überlegungen gese- hen werden. Das scheint der Zen- tralpunkt in der Diskussion um die- se Sache zu sein. DÄ/W-S

Die Information:

Bericht und Meinung

DIE GLOSSE

Kosten der

Koste· ntransparenz

Zu den vielen kursierenden Zau- berformeln, mit denen von Wissen- den und Unwissenden die Diskus- sion um die Gesundung der vom Kostenfieber geschüttelten Kran- kenversicherung überschwemmt wird, gehört ein offenbar schon durch seine Verwendung magisch wirkendes Wort: Die Kostentrans- parenz.

Diese Formel wurde wieder einmal geboren, als jüngst bei der Vor- stellung des geplanten "Versicher- tenausweises" vor der Bonner Presse aus dem Teilnehmerkreis schlicht die Frage nach dem Sinn des Ganzen gestellt wurde. Dabei ging es nicht etwa um den "mo- dernen Krankenschein", um das so handliche, gefällige Aussehen des Plastikkarten-Ausweises mit der - offenbar gewollten - Ähnlich- keit zur American-Express- und Diners-Club-Karte. Es ging auch nicht um die Frage der Karten- kosten, zu der man lesen und hö- ren konnte, das neue Plastikver- fahren sei in etwa genauso teuer wie die bisherige Ausgabe von Krankenscheinen, - vorausgesetzt, die Inanspruchnahme der Ärzte durch die Patienten steige nicht strunghaft in die Höhe. Es ging vielmehr darum, wozu die immens teure Maschinenlesbarkeit des Ausweises und seiner Formular- umdrucke eigentlich dienen soll, einschließlich der vom Arbeitsmini- sterium nachdrücklich empfohlenen maschinenlesbaren Eintragungen aller Leistungsdaten und möglichst auch aller sonstigen Daten in die über eine Miliarde Belege pro Jahr allein in der kassenärztlichen Ver- sorgung:

..,.. Jede Spritze, jeder Verband, je- des Medikament soll diesen Vor- stellungen zufolge zukünftig perso-

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