Tierärztliche Hochschule Hannover
Epidemiologische Untersuchungen zur Verwendung der tierärztlichen Befundung am Schlachthof als tierorientierte Tierschutzkriterien zur Beurteilung der
Tiergesundheit und des Tierwohls der Tiere in Schweinemastbeständen
INAUGURAL – DISSERTATION zur Erlangung des Grades einer Doktorin
der Veterinärmedizin
- Doctor medicinae veterinariae - ( Dr. med. vet. )
vorgelegt von Stefanie Maria Rieper
(geb. Haller) aus Lahr
Hannover 2013
Wissenschaftliche Betreuung: Univ.-Prof. Dr. Thomas Blaha
Außenstelle für Epidemiologie, Bakum
1. Gutachter: Univ.-Prof. Dr. Thomas Blaha 2. Gutachter: Univ.-Prof. Dr. Lothar Kreienbrock
Tag der mündlichen Prüfung: 15.10.2013
„Unser Kopf ist rund, damit das Denken die Richtung wechseln kann.“
(Francis Picabia)
Inhaltsverzeichnis
1 EINLEITUNG ... 11
2 LITERATUR ... 12
2.1 Rechtliche Rahmenbedingungen der Schlachttier- und Fleischuntersuchung ... 12
2.1.1 Das „EU-Hygienepaket“ ... 12
2.1.2 Die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 ... 13
2.1.3 Die Verordnung (EG) Nr. 852/2004 ... 13
2.1.4 Die Verordnung (EG) Nr. 853/2004 ... 14
2.1.5 Die Verordnung (EG) Nr. 854/2004 ... 14
2.2 Die Bedeutung der Befunderhebung während der Schlachttier- und Fleischuntersuchung ... 16
2.3 Die „traditionelle“ Schlachttier-und Fleischuntersuchung ... 17
2.4 Die Erfassung der Schlachtbefunde ... 19
2.5 Die risikoorientierte Schlachttier- und Fleischuntersuchung ... 21
2.5.1 Einführung der risikoorientierten Schlachttier- und Fleischuntersuchung ... 24
2.6 Auswertung von Befunddaten und Rückmeldung an den Herkunftsbetrieb ... 25
2.7 Einschätzung der Tiergesundheit, des Tierschutzes und der Lebensmittelsicherheit ... 26
2.7.1 Der Herden-Gesundheits-Score ... 27
2.7.2 Tierorientierte Tierschutzkriterien ... 28
2.8 Begriffsbestimmungen Tierschutz und Wohlbefinden ... 29
2.8.1 Die „fünf Freiheiten“ ... 29
2.8.2 Wohlbefinden / Animal Welfare ... 29
2.8.3 Gesundheit... 30
2.8.4 Schmerzen, Leiden und Schäden ... 31
2.8.5 Tiergerechtheit ... 32
2.8.6 Die Beurteilung der Tiergerechtheit ... 33
2.9 Rechtliche Grundlagen zum Tierschutz ... 35
2.9.1 Der Wandel des Tierschutzes in Deutschland ... 35
2.9.2 Grundgesetz ... 35
2.9.3 Tierschutzgesetz ... 36
2.9.4 Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung ... 36
2.9.5 Richtlinie 98/58/EG des Rates vom 20. Juli 1998 ... 37
2.9.6 Richtlinie 2008/120/EG des Rates vom 18. Dezember 2008 ... 38
2.9.7 Die Tierschutzstrategie der Europäischen Union ... 39
2.10 Animal Welfare Quality® ... 41
2.11 Amtliche Tierschutzkontrollen ... 44
2.11.1 Die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 ... 44
2.11.2 Cross Compliance ... 44
3 MATERIAL UND METHODEN ... 47
3.1 Der Studienschlachthof ... 47
3.1.1 Amtliche Veterinäraufsicht ... 47
3.1.2 Anlieferung der Mastschweine ... 47
3.1.3 Informationen zur Lebensmittelkette ... 48
3.2 Schlachttieruntersuchung ... 48
3.3 Fleischuntersuchung ... 51
3.3.1 Ablauf der Fleischuntersuchung ... 51
3.3.2 Erfassung der Organbefunde ... 53
3.3.3 Vorläufig und endgültig beschlagnahmte Tiere ... 55
3.3.4 Bakteriologische Untersuchung ... 55
3.3.5 Erfassung von Teilschäden ... 56
3.3.6 Auswertung der Schlachtbefunde ... 56
3.3.7 Tierschutzrelevante Befunde der Schlachttieruntersuchung ... 56
3.3.8 Untauglichkeitsrate ... 57
3.3.9 Teilschädenrate ... 57
3.4 Tiergesundheits-/Tierschutz-Index ... 58
3.4.1 Formular „Erweiterte Befundung“ ... 60
3.5 Betriebsdaten ausgewählter Zulieferbetriebe ... 61
3.6 Datenerfassung und Datenanalyse ... 61
4 ERGEBNISSE ... 62
4.1 Die ausgewählten Mastbetriebe ... 62
4.1.1 Erzeugergemeinschaften ... 63
4.1.2 Liefergröße und Anzahl der Liefertage ... 63
4.1.3 QS-Status ... 67
4.1.4 Der Salmonellenstatus ... 67
4.2 Ergebnisse der Schlachttieruntersuchung ... 69
4.2.1 Gesamtergebnisse ... 69
4.2.2 Ergebnisse der einzelnen Zulieferbetriebe ... 71
4.3 Ergebnisse der Fleischuntersuchung ... 75
4.3.1 Gesamtergebnisse ... 75
4.3.2 Ergebnisse der einzelnen Zulieferbetriebe ... 78
4.4 Tiergesundheits-/Tierschutz-Index ... 87
4.4.1 Schlachttieruntersuchung... 87
4.4.2 Pleuritis ... 89
4.4.3 Pneumonie ... 90
4.4.4 Pericarditis ... 92
4.4.5 Teilschäden... 93
4.4.6 Der „Tiergesundheits-/Tierschutz-Index (TTI)“ ... 95
4.4.7 Erweiterte Befundung ... 99
4.5 Betriebsleistungsdaten ...103
4.5.1 Mastendgewicht ...103
4.5.2 Verluste ...104
4.5.3 Tageszunahme ...106
4.5.4 Futterverwertung ...107
4.5.5 Vergleich der Tiergesundheits-/Tierschutz-Indices mit den
Betriebsleistungsdaten ...109
4.5.6 Vergleich der Befunddaten der einzelnen Erzeugergemeinschaften, der BIO-Betriebe und der Betriebe ohne EZG-Zugehörigkeit...113
5 DISKUSSION ...114
5.1 Die ausgewählten Mastbetriebe ...114
5.2 Die Schlachttieruntersuchung ...115
5.3 Die Fleischuntersuchung ...116
5.3.1 Die Erfassung der Organbefunde ...116
5.3.2 Vergleich der Organbefunde früherer Publikationen ...117
5.3.3 Bewertung der Organbefunde ...118
5.4 Tiergesundheits-/Tierschutz-Index ...120
5.4.1 Erweiterte Befunderfassung ...121
5.5 Betriebsleistungsdaten ...124
5.5.1 Vergleich der Tiergesundheits-/Tierschutz-Indices mit den Betriebsleistungsdaten ...126
5.5.2 Vorschlag für die Verwendung des Tiergesundheits-/Tierschutz- Index für eine risikoorientierte Überwachung ...127
6 SCHLUSSFOLGERUNGEN ...129
7 ZUSAMMENFASSUNG ...131
8 SUMMARY ...134
9 LITERATURÜBERSICHT ...136
10 ANHANG ...154
10.1 Abkürzungsverzeichnis ...154
10.2 Abbildungsverzeichnis ...157
10.3 Tabellenverzeichnis...159
1 Einleitung
Die Erwartungen der Gesellschaft hinsichtlich einer tiergerechten Haltung der Nutztiere, die der Produktion von Lebensmitteln dienen, sind in den letzten Jahren auffallend gestiegen.
Bereits im März 2007 wurde eine Eurobarometer-Umfrage zur Einstellung gegenüber dem Tierschutz veröffentlicht, die von der Europäischen Kommission in Auftrag gegeben wurde (EUROPÄISCHE KOMMISSION 2007 a). Diese Erhebung zeigt, dass der Tierschutz bei den EU-Bürgern einen hohen Stellenwert einnimmt. Die Produktion von tierischen Lebensmitteln nach hohen Tierschutzstandards wird von den Verbrauchern in der Regel mit Qualität und gesundheitlicher Unbedenklichkeit assoziiert.
Die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 fordert außer der kettenorientierten Optimierung der Lebensmittelsicherheit auch die kontinuierliche Verbesserung der Tiergesundheit und des Tierschutzes im Zuge der Prozessoptimierung (ANONYM 2002). Durch diesen Paradigmenwechsel und die hohen Erwartungen der Verbraucher hat die amtstierärztliche Überwachung der Herkunftsbetriebe eines Schlachthofes wesentlich an Bedeutung gewonnen (BLAHA und MEEMKEN 2011).
Die Verordnung (EG) Nr. 882/2004 vom 29. April 2004 schreibt regelmäßige risikoorientierte amtliche Kontrollen vor, auch zur Überprüfung des Tierschutzes (ANONYM 2004 d).
Durch die Anwendung tierbezogener Tierschutzkriterien, die den tatsächlichen Zustand der Tiere wiedergeben, kann man, zusammen mit der Beurteilung des Haltungssystems, besser einschätzen, ob ein Tierbestand tiergerecht gehalten wird.
Diese Indikatoren, am Schlachtband erfasst und im Sinne der Tierschutzqualität aggregiert, können zum Teil „am Schreibtisch“, das heißt, ohne den Tierbestand in Augenschein zu nehmen, bewertet werden, und lassen eine Einteilung der Betriebe in Tierschutz-Risikoklassen zu. Somit kann die amtliche Überwachung zielgerichtet auf tierschutzauffällige Betriebe konzentriert werden (BLAHA und RICHTER 2011).
Die vorliegende Arbeit reiht sich ein in die Bemühungen, tierorientierte
Tierschutzkriterien gemäß der Ergebnisse des EU-Forschungsprojektes Animal Welfare Quality® (WELFARE QUALITY 2009 b) zu entwickeln und anzuwenden.
Es soll ein praktikabler Vorschlag unterbreitet werden, wie die risikoorientierte Tierschutzüberwachung von Tierbeständen durch die zuständige Veterinärbehörde mit den zur Verfügung stehenden Ergebnissen der amtlichen Schlachttier- und Fleischuntersuchung effizienter gestaltet werden kann.
2 Literatur
2.1 Rechtliche Rahmenbedingungen der Schlachttier- und Fleischuntersuchung
2.1.1 Das „EU-Hygienepaket“
Das „Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit“ der EUROPÄISCHEN KOMMISSION (2000) mit dem darin enthaltenen Vorschlag, einen kohärenten und transparenten Verbund von Regelungen für die Lebensmittelsicherheit zu schaffen, wurde in einer Reihe von EU-Verordnungen, dem sogenannten „EU-Hygienepaket“, umgesetzt.
Das aktuelle Futtermittel- und Lebensmittelrecht der EU, das „Hygienepaket“ wurde am 30. April 2004 verabschiedet und ist am 1. Januar 2006 nach einer 18-monatigen Übergangszeit in Kraft getreten.
Da der Erlass der Vorschriften als EU-Verordnungen erfolgte, die in den
Mitgliedstaaten unmittelbar gelten, wurde das Futtermittel- und Lebensmittelrecht in der EU fast vollständig harmonisiert. Das „Hygienepaket“ basiert auf einem
risikoorientierten, umfassenden und integrierten Ansatz, der die gesamte
Lebensmittel- und Futtermittelkette („from farm to table“) umfasst (HARTIG 2006).
Auf der Grundlage der „Basisverordnung“ VO (EG) Nr. 178/2002 (ANONYM 2002) und den für die amtliche Schlachttier- und Fleischuntersuchung von Schweinen relevanten Verordnungen (EG) Nr. 852/2004 (ANONYM 2004 a), 853/2004 (ANONYM 2004 b) und 854/2004 (ANONYM 2004 c) wurde ein neues Lebensmittelsicherheitskonzept erstellt (BLAHA 2008 a).
2.1.2 Die Verordnung (EG) Nr. 178/2002
Die „Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittel- rechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit“ wurde am 28. Januar 2002 erlassen (ANONYM 2002).
Sie enthält allgemeine Grundsätze für Lebensmittel und Futtermittel im Allgemeinen und für die Lebensmittel- und Futtermittelsicherheit im Besonderen auf
gemeinschaftlicher und einzelstaatlicher Ebene.
Außerdem wird die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit durch diese Verordnung errichtet.
Sie gilt für alle Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen von Lebensmitteln und Futtermitteln, jedoch nicht für die Primärproduktion für den privaten häuslichen Gebrauch.
Die in dieser „Basis-Verordnung“ geforderte Prozessoptimierung verlangt eine kontinuierliche Verbesserung der Tiergesundheit und des Tierschutzes, für die sämtliche an der Produktionskette beteiligten Lebensmittelunternehmer nun die
„primäre Verantwortung“ tragen (BLAHA und MEEMKEN 2011).
2.1.3 Die Verordnung (EG) Nr. 852/2004
Das Europäische Parlament und der Rat der Europäischen Union erließen am 29.
April 2004 die „Verordnung (EG) Nr. 852/2004 über Lebensmittelhygiene“ (ANONYM 2004 a).
Die Gewährleistung eines hohen Verbraucherschutzniveaus wird in den
Erwägungsgründen der Verordnung als Hauptziel des Lebensmittelrechts genannt.
Laut Kapitel I „Allgemeine Bestimmungen“ Artikel I „Geltungsbereich“ enthält diese Verordnung allgemeine Lebensmittelhygienevorschriften.
Die Sicherheit der Lebensmittel muss auf allen Stufen der Lebensmittelkette, einschließlich der Primärproduktion, gewährleistet sein, wobei die Hauptverant- wortung beim Lebensmittelunternehmer liegt.
Alle Produktions-, Verarbeitungs- und Vertriebsstufen und die Ausfuhren fallen in den Geltungsbereich der Verordnung.
Artikel 5 „Gefahrenanalyse und kritische Kontrollpunkte“ regelt die Verpflichtung der Lebensmittelunternehmer, Verfahren einzurichten, durchzuführen und
aufrechtzuerhalten, die auf den HACCP-Grundsätzen beruhen.
Kapitel III beinhaltet „Leitlinien für eine gute Verfahrenspraxis“.
Anhang I „Primärproduktion“ enthält in Teil A „Allgemeine Hygienevorschriften für die Primärproduktion und damit zusammenhängende Vorgänge“ und in Teil B
„Allgemeine Hygienevorschriften für alle Lebensmittelunternehmer (ausgenommen Unternehmen, für die Anhang I gilt)“.
2.1.4 Die Verordnung (EG) Nr. 853/2004
In der Verordnung (EG) Nr. 853/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 sind spezifische Hygienevorschriften für Lebensmittel tierischen Ursprungs vorgegeben (ANONYM 2004 b).
Die Verordnung bildet die allgemeine Grundlage für die hygienische Herstellung von Lebensmitteln tierischen Ursprungs.
Vorschriften wurden erlassen, um mikrobiologische und chemische Gefahren, die von Lebensmitteln tierischen Ursprungs ausgehen können, zu vermeiden.
Der Rückverfolgbarkeit von Lebensmitteln wird dabei eine sehr große Bedeutung bei der Gewährleistung der Lebensmittelsicherheit beigemessen.
Anhang II enthält „Vorschriften für mehrere Erzeugnisse tierischen Ursprungs“. Darin regelt Abschnitt I die „Identitätskennzeichnung“, in Abschnitt II wird der „Zweck der HACCP-Verfahren“ erläutert und Abschnitt III befasst sich mit den „Informationen zur Lebensmittelkette“. Schlachthofbetreiber müssen für alle Tiere, die in den
Schlachthof verbracht worden sind, die Informationen zur Lebensmittelkette einholen, entgegennehmen, prüfen und den Informationen entsprechend handeln.
Anhang III Abschnitt I Kapitel I enthält Vorschriften zur „Beförderung von lebenden Tieren zum Schlachthof“, Kapitel II „Vorschriften für Schlachthöfe“ für als Haustiere gehaltene Huftiere und Kapitel III regelt die „Schlachthygiene“.
2.1.5 Die Verordnung (EG) Nr. 854/2004
Die Verordnung (EG) Nr. 854/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 enthält die „besonderen Verfahrensvorschriften für die amtliche Überwachung von zum menschlichen Verzehr bestimmten Erzeugnissen tierischen Ursprungs“ (ANONYM 2004 c).
In den Erwägungsgründen der Verordnung wird auf die Wichtigkeit der amtlichen Überwachung von Erzeugnissen tierischen Ursprungs für den Schutz der Gesundheit
der Bevölkerung, für den Schutz der Tiergesundheit und für das Wohlbefinden der Tiere hingewiesen. Die Art und der Umfang der Überwachung soll risikoorientiert durchgeführt werden. Die Einhaltung der Hygienevorschriften durch die
Lebensmittelunternehmer soll amtlich überwacht und die Eigenkontrollen der Unternehmen überprüft werden.
In Kapitel I werden „Allgemeine Bestimmungen“ wie der „Geltungsbereich“ und
„Begriffsbestimmungen“ erläutert.
In Anhang I „Frischfleisch“ werden in Abschnitt I Kapitel I und II die Überprüfungs- und Inspektionsaufgaben des amtlichen Tierarztes dargelegt.
Die Inspektionsaufgaben beinhalten die Prüfung und Analyse der Informationen zur Lebensmittelkette, die Durchführung der Schlachttieruntersuchung, die Überprüfung des Wohlbefindens der Tiere und die Durchführung der Fleischuntersuchung.
Alle Tiere müssen innerhalb von 24 Stunden nach Ankunft im Schlachtbetrieb und innerhalb von 24 Stunden vor der Schlachtung einer Schlachttieruntersuchung durch einen amtlichen Tierarzt unterzogen werden, mit Ausnahme der in Absatz 4
(Notschlachtung) und Absatz 5 (Schlachttieruntersuchung im Herkunftsbetrieb) vorgesehenen Fälle. Dabei liegt das Augenmerk der Schlachttieruntersuchung insbesondere auf der Einhaltung der Tierschutzvorschriften und der Kontrolle, ob sich die Tiere in einem Zustand befinden, der die Gesundheit von Mensch und Tier beeinträchtigen könnte. Um das Wohlbefinden der Tiere zu sichern, muss durch einen amtlichen Tierarzt überprüft werden, ob die Vorschriften über den Schutz von Tieren zum Zeitpunkt der Schlachtung und beim Transport eingehalten werden.
Die Fleischuntersuchung der Schlachtkörper und der dazugehörigen Nebenprodukte der Schlachtung soll unmittelbar nach der Schlachtung durchgeführt werden, wobei alle äußeren Oberflächen zu begutachten sind. In Anhang I Abschnitt IV Kapitel IV Buchstabe B Nr. 1 ist das Verfahren der amtlichen Fleischuntersuchung für
Hausschweine beschrieben.
Wenn Mastschweine seit dem Absetzen in kontrollierter Haltung in integrierten Produktionssystemen gehalten wurden, kann die zuständige Behörde auf der Grundlage epidemiologischer oder anderer Betriebsdaten entscheiden, dass in einigen oder allen Untersuchungsschritten eine Besichtigung der Schlachttierkörper und der Nebenprodukte ausreicht (Anh. I, Abschn. IV, Kap. IV, Buchst. B, Nr. 2).
Die Zahl des Beschaupersonals muss der Geschwindigkeit der Schlachtlinie angepasst sein, so dass eine ordnungsgemäße Untersuchung möglich ist.
Abschnitt II befasst sich mit den Maßnahmen im Anschluss an die Kontrollen. Dazu gehört die Mitteilung von Untersuchungsbefunden durch den amtlichen Tierarzt, der die Befunde aufzuzeichnen und zu bewerten hat.
Im Gegensatz zur herkömmlichen „Endproduktkontrolle, besitzt die Verordnung (EG) Nr. 854/2004 laut FRIES (2006) nun „Produktionslinien“-Charakter.
Die amtliche Überwachungsbehörde ist, insbesondere durch diese Verordnung, zur
Überwachung und Verbesserung der Tiergesundheit und des Tierschutzes in den Schlachtbetrieben verpflichtet (BLAHA und MEEMKEN 2011).
BLAHA und MEEMKEN (2012) fassen die „Kernforderungen der EU-Verordnungen“
folgendermaßen zusammen:
• Austausch von „Lebensmittelketteninformationen“
• Bewertung der „Lebensmittelketteninformationen“
• Untersuchung nach dem jeweiligen Risikoprofil der Bestände
• Steigerung der Lebensmittelsicherheit durch gezielte Untersuchungen
• Rückmeldung der Befunde an den Landwirt und den Hoftierarzt
• Optimierung der Tiergesundheit anhand von Befunden
• Verbesserung des Tierschutzes durch eine optimierte Tiergesundheit
2.2 Die Bedeutung der Befunderhebung während der Schlachttier- und Fleischuntersuchung
Durch die quantitative Erfassung der pathologisch-anatomischen Veränderungen an den Schlachtkörpern und den Organen im Rahmen der amtlichen
Fleischuntersuchung lässt sich die Gesundheit eines Schweinebestandes messen (AALUND et al. 1976, BLAHA und NEUBRAND 1994, BLAHA und BLAHA 1995, HOISCHEN-TAUBNER et al. 2011 b). Die Schlachtbefunde dienen als „objektives Maß“ für die Krankheiten, die ein Tier in seinem Leben durchgemacht hat (BLAHA und NEUBRAND 1994).
AALUND et al. (1976) stellten in ihren Untersuchungen fest, dass die anhand von Schlachtbefunden ermittelte Prävalenz von Lungenveränderungen mit dem
Haltungsmanagement und weiteren Faktoren verknüpft ist.
Auch BÄCKSTRÖM und BREMER (1978) untersuchten den Einfluss der
Umweltfaktoren eines Mastbetriebes auf die Gesundheit der Mastschweine. Sie stellten bei steigender Herdengröße eine höhere Inzidenz von Pleuritiden und
Pneumonien fest. In geschlossenen Haltungssystemen mit eigener Ferkelproduktion ergaben die Untersuchungen ein geringeres Auftreten von Lungenentzündungen und bei der Stallbelegung im Rein-Raus-Verfahren zeigte sich eine geringere Inzidenz von Pleuritiden und Pneumonien.
MÄHLMANN (1996) prüfte im Rahmen seiner Dissertation den „Informationsgehalt von Organbefunden von Schlachtschweinen für epidemiologische Erhebungen über den Gesundheitsstatus von Mastschweinebeständen“. Er sieht in der
Befunderfassung am Schlachtband, verbunden mit der Rückmeldung der Befunde an den Zulieferbetrieb, ein geeignetes und notwendiges Mittel, um die Tiergesundheit
einer Herde zu überwachen. Der Landwirt ist dadurch in der Lage, subklinische gesundheitliche Beeinträchtigungen in seiner Herde zu erkennen und in
Zusammenarbeit mit dem Tierarzt Maßnahmen zur Verbesserung einzuleiten.
DAHMS et al. (1999) führten 1996 eine Studie an ca. 22000 Schlachtschweinen durch, in der sie messbare Zusammenhänge zwischen den Mastbedingungen und den pathomorphologischen Befunden an den Schlachttierkörpern untersuchten. Ihre Auswertungen zeigten Zusammenhänge zwischen der Bodenbeschaffenheit eines Mastbetriebes und dem Auftreten von Liegebeulen und zwischen dem Feststellen einer fehlenden Desinfektion der Ställe mit der Häufigkeit des Befundes
„Lungenentzündung“.
FUNKE (2009) und DE VRIES (2010) kamen in Untersuchungen in der Schweiz zu dem Ergebnis, dass sich ein Zusammenhang zwischen den Schlachtbefunden und dem auf den Herkunftsbetrieben erhobenen Gesundheitszustand, der
Betriebscharakteristika und dem Haltungsmanagement feststellen lässt.
SCHUMANN (2009) untersuchte, ob sich bei Mastschweinen, die aus
unterschiedlichen Managementsystemen stammen, Unterschiede im Ergebnis der amtlichen Fleischuntersuchung zeigen.
KÖFER et al. (2001) sehen in der Erfassung krankheitsbedingter Organbefunde ein wichtiges Element bei der Entwicklung von integrierten
Qualitätsmanagementsystemen.
2.3 Die „traditionelle“ Schlachttier-und Fleischuntersuchung
Die Hauptaufgabe der traditionellen Untersuchung ist es, für kranke Tiere im
Rahmen der amtlichen Schlachttieruntersuchung ein Schlachtverbot auszusprechen und sichtbare Mängel in der Fleischuntersuchung zu entfernen, indem
Schlachtkörper oder Organe untauglich für den menschlichen Verzehr beurteilt werden. Es handelt sich um eine „klassische Endproduktkontrolle“ die davon abhängig ist, ob die Mängel erkennbar sind. (HATHAWAY und RICHARDS 1993, BLAHA et al. 2007). Die traditionelle „Stück-für-Stück-Untersuchung" umfasst die pathomorphologische Untersuchung der Tierkörper und der Organe durch
Inspektion, Palpation und Inzision bestimmter Körperteile und Lymphknoten (DAHMS et al. 1999).
KLEIN et al. (2009) erstellten eine Übersicht über einen vollständigen Untersuchungsgang bei Hausschweinen, wie er bei der amtlichen
Fleischuntersuchung laut VO (EG) Nr. 854/2004 Anhang I Abschnitt IV Kapitel IV Buchstabe B Nummer 1 vorgeschrieben ist (ANONYM 2004 c).
Tab. 1: Untersuchungsgang für Hausschweine (nach KLEIN et al. 2009) Körperregion A P I Hinweise zur Fleischuntersuchung
Kopf x
Rachen x
Maul x
Zunge x
Schlund x
Unterkiefer-Lnn. x x x Brustfell x
Bauchfell x
Zwerchfell x
Nieren x v
Nieren-Lnn. v
Genitalien x außer Penis, wenn bereits entfernt
Nabelgegend x x v
bei jungen Tieren
Gelenke x x v
Gesäuge x
Gesäuge-Lnn. x x Inzision nur bei Sauen
Speiseröhre x
Luftröhre x x Öffnen der Luftröhre und der
Hauptluftröhrenäste durch Längsschnitt; Quereinschnitt im hinteren Drittel der Lunge durch die Hauptluftröhrenäste; Anschnitte nicht
erforderlich, wenn Lunge vom Verzehr ausgeschlossen wird Hauptluftröhrenäste x x
Lunge x x x
Lungenwurzel-Lnn. x Mittelfell-Lnn. x
Herzbeutel x Längsschnitt zur Öffnung der Kammern und Durchtrennung der Scheidewand
Herz x x
Leber x x
Leber-Lnn. x x
Bauchspeicheldrüsen-
Lnn. x x
Magen-Darm-Trakt x
Magengegend-Lnn. x x v Mesenterium x
Mesenterial-Lnn. x x v
Milz x v
Legende: A = Adspektion, P = Palpation, I = Inzision, x = immer erforderlich, v = bei Verdacht erforderlich
2.4 Die Erfassung der Schlachtbefunde
Um eine einheitliche Befunderfassung für die Vergleichbarkeit von Schlachtbefunden zu ermöglichen, wurde an der Außenstelle für Epidemiologie der Tierärztlichen Hochschule Hannover ein „Befundschlüssel für die Erhebung von pathologisch- anatomischen Organveränderungen beim Schlachtschwein“ entwickelt (BLAHA 1993). Durch diesen Befundschlüssel lassen sich die erhobenen Befunde systematisieren.
Tab. 2: Befundschlüssel für die Erhebung von pathologisch-anatomischen Organveränderungen beim einzelnen Schlachtschwein (nach BLAHA 1993)
Veränderung Symbol Ausdehnung
Pneumonie
geringgradig Pn 1 < 10 %
mittelgradig Pn 2 11 – 30 %
hochgradig Pn 3 > 30 %
Pleuritis
geringgradig Pl 1 < 5-Markstück-groß
mittelgradig Pl 2 5-Markstück- bis handflächengroß
hochgradig Pl 3 > handflächengroß
Pericarditis Pc ja
Milkspots
geringgradig L 1 Leber „ausputzen“
hochgradig L 2 Leber verwerfen
Im Anschluss kann eine Auswertung der erhobenen Befunde mithilfe des Bewertungsschlüssels nach BLAHA (1994) erfolgen.
Da die Tierleistung nach BLAHA und BLAHA (1995) durch mittel- und hochgradige Lungenveränderungen stärker negativ beeinflusst wird als durch Pleuritiden und Pericarditiden, werden für die Veränderungen an der Lunge in diesem
Bewertungsschlüssel höhere Punktzahlen vergeben.
Tab. 3: Bewertungsschlüssel für die Nutzung der Organveränderungshäufigkeit pro Bestand als Indikator der Bestandsgesundheit (nach BLAHA 1994)
Pn 2 + Pn 3 Punkte Pl 2 + Pl 3 Punkte Pc Punkte
< 1 % 0 < 1 % 0 < 1 % 0
1 – 10 % 2 1 – 10 % 1 1 – 5 % 1
11 – 30 % 4 11 – 30 % 2 6 – 10 % 2
31 – 55 % 6 31 – 50 % 3 11 – 15 % 3
> 50 % 8 > 50 % 4 > 15 % 4
Legende: Pn 2 + Pn 3 = mittel- und hochgradige Lungenveränderungen Pl 2 + Pl 3 = mittel- und hochgradige Pleuritiden
Pc = Pericarditis
Die durch den Bewertungsschlüssel ermittelten „Bestandsgesundheitspunkte“ eines Schweinebestandes von 0 bis 16 können den Klassen der nachfolgenden Tabelle zugeordnet werden. Somit kann die Tiergesundheit eines Bestandes verbal bewertet werden.
Tab. 4: Klassenbildung der „Bestandsgesundheitspunkte“ zur verbalen Bewertung der Tiergesundheit (nach BLAHA und BLAHA 1995)
Punktzahl eines Bestandes Tiergesundheit eines Bestandes
0 – 3 Punkte sehr gut
4 – 6 Punkte gut
7 – 9 Punkte mäßig
10 – 12 Punkte schlecht
13 – 16 Punkte sehr schlecht
HOISCHEN-TAUBNER et al. (2011 a) führten Untersuchungen zur Wiederholbarkeit der Schlachthofbefundung durch. Um die Validität der Schlachtdaten und deren Akzeptanz für die Anwendung in der „betrieblichen Schwachstellenanalyse“ zu verbessern, empfehlen die Autoren, die Varianz der Befundungen kontinuierlich auszuwerten und an die amtlichen Tierärzte und Fachassistenten rückzumelden.
Variationen in der Befunderfassung könnten dadurch reduziert werden und es könnten problem- und zielorientierte Schulungen in der Anwendung der
Befundkategorien erfolgen.
SCHÖNING et al. (2009) entwickelten eine Lernsoftware, in welcher die häufigsten Schlachtbefunde der amtlichen Fleischuntersuchung beim Schwein
zusammengefasst und systematisiert wurden. Das System kann sowohl für die
elektronische Datenerfassung als auch für die handschriftliche Erfassung der Schlachtbefunde im Schlachtbetrieb herangezogen werden.
2.5 Die risikoorientierte Schlachttier- und Fleischuntersuchung
Die „traditionelle“ Fleischuntersuchung wird schon seit längerer Zeit kritisch in Frage gestellt, da jedes Tier unabhängig vom Risiko der bestandsweisen
Veränderungshäufigkeiten untersucht wird, die Gefahr der Kreuzkontamination durch Durchtasten und Anschneiden der Lymphknoten gegeben ist und die nicht sichtbaren Risiken der Lebensmittelsicherheit durch die herkömmliche Untersuchung nicht erkennbar sind (SNIDERS et al. 1989, HATHAWAY und RICHARDS 1993, BLAHA et al. 2007). Als weiteren Kritikpunkt führen BLAHA und MEEMKEN (2012) an, dass durch einen unzureichenden Informationsaustausch zwischen den Beteiligten der Lebensmittelkette keine Verbesserung in der Lebensmittelsicherheit erreicht werden kann. In den genannten Aspekten sehen sie die Beweggründe für die Erstellung eines neuen Lebensmittelkonzeptes.
Dieses neue Konzept hat das Ziel, durch die risikoorientierten Untersuchungen eine Steigerung der Lebensmittelsicherheit und der Tiergesundheit zu erreichen. Zudem bewirkt das Zunehmen der Tiergesundheit auch eine Verbesserung des Tierschutzes (MEEMKEN et al. 2009, BLAHA und MEEMKEN 2012).
Die Verordnung (EG) Nr. 854/2004 ermöglicht in Anhang I Abschnitt IV Kapitel IV eine visuelle Fleischuntersuchung (ANONYM 2004 c). Voraussetzung dafür ist, dass die Mastschweine nach dem Absetzen unter kontrollierten Haltungsbedingungen und in integrierten Produktionssystemen gehalten wurden (LANGKABEL 2009). In der Verordnung (EG) Nr. 1244/2007 sind die Bedingungen, unter denen eine visuelle Fleischuntersuchung erfolgen kann, definiert (ANONYM 2007).
HARBERS et al. (1992) führten in den Niederlanden Untersuchungen zur visuellen Fleischuntersuchung durch. Sie verglichen die visuelle mit der traditionellen
Fleischuntersuchung und einer erweiterten traditionellen Fleischuntersuchung, bei der pro Schwein mehr Untersuchungszeit zur Verfügung stand. Zwischen der Genauigkeit und der Trefferquote der visuellen und der traditionellen
Fleischuntersuchung konnten keine signifikanten Unterschiede für die meisten Befunde festgestellt werden.
MOUSING et al. (1997) sprechen sich für eine visuelle Fleischuntersuchung aus, da sie in einer dänischen Studie zu dem Ergebnis kamen, dass sich die Gefahr der Kreuzkontamination bei der Fleischuntersuchung durch den Verzicht auf das Anschneiden, Durchtasten und das manuelle Drehen der Schlachttierkörper
erheblich reduzieren lässt. Da für die Durchführung der visuellen
Fleischuntersuchung nach Ansicht der Autoren weniger amtliches Beschaupersonal benötigt wird, könnte stattdessen mehr in die Hygieneüberwachung und in
Risikobewertungsstrategien investiert werden.
Das Wesentliche der risikoorientierten Schlachttier- und Fleischuntersuchung ist jedoch nicht die visuelle Fleischuntersuchung, sondern das Einbeziehen der
Informationen aus den der Schlachtung vorgelagerten Produktionsstufen. Nicht die visuellen Untersuchungen, sondern die „Lebensmittelketteninformationen", d.h.
Informationen zur Fütterung, zur Tiergesundheit, zum Tierarzneimitteleinsatz und zu den vorangegangenen Ergebnissen der Schlachttieruntersuchung, stehen an erster Stelle (BLAHA 2008 b). Es handelt sich um ein „stufenübergreifendes System“, um eine „auf den Prinzipien der Qualitätssicherung basierende Prozesskontrolle und Prozessoptimierung“ (BLAHA et al. 2007). Risikoorientiert bedeutet, flexibel auf auftretende Gefahren für die Lebensmittelsicherheit zu reagieren (BLAHA 2008 b).
Die risikoorientierte Schlachttier- und Fleischuntersuchung ermöglicht eine gezielte Intensivierung der Untersuchung bei Tieren aus „schlechten" Beständen. So kann z.B. bei Beständen mit vielen Teilschäden gezielt nach Abszessen gesucht werden (BLAHA und MEEMKEN 2012). Die Einsparung von amtlichem Beschaupersonal an der Schlachtlinie ist kein vorrangiges Ziel der risikoorientierten Schlachttier- und Fleischuntersuchung (MEEMKEN et al. 2009).
Die risikoorientierte Fleischuntersuchung dient nicht nur der Verbesserung der
Lebensmittelsicherheit und der Tiergesundheit. Sie ist außerdem von großem Nutzen für die Tierschutzüberwachung von Schweinemastbetrieben, indem
tierschutzrelevante Schlachtbefunde erfasst, bewertet und an die Herkunftsbetriebe rückgemeldet werden. Durch die Erstellung eines Risikoprofils für einen
Schlachtbetrieb, können tierorientierte Tierschutzkriterien für diesen Betrieb festgelegt werden, die im Rahmen der amtlichen Fleischuntersuchung für die
einzelnen Zulieferbetriebe erhoben werden können (BLAHA und MEEMKEN 2011).
Auf diesem Wege können Bestände, für die ein gehäuftes Auftreten von diesen Befunden registriert wird, durch die zuständige Veterinärbehörde gezielt kontrolliert werden (BLAHA und RICHTER 2011).
Um ein effektives, flexibles und nachhaltiges Lebensmittelsicherheitssystem zu erschaffen, muss eine quantitative Risikoeinschätzung erfolgen, da weder die
traditionelle noch die visuelle Fleischuntersuchung alleine ausreichend Informationen liefert (BERENDS et al. 1993). Wenn kein ausgiebiger Rückfluss von wichtigen Daten erfolgt, können die Entscheidungen, die bei der Fleischuntersuchung getroffen werden, nur wenig oder überhaupt keinen Einfluss auf die Prozesskontrolle haben.
Die Idealsituation wäre, dass ein Fleischuntersuchungssystem dazu geeignet ist, sich an die verschiedenen Umstände in den verschiedenen Regionen Europas
anzupassen (BERENDS et al. 1993).
SNIJDERS et al. (1989) halten das Sammeln von Informationen und die Rückmeldung von Daten vom Betrieb zum Schlachthaus für unerlässlich und sprechen sich für eine Vorauswahl der Tiere durch den Mäster aus, der die
Verantwortung für die gesundheitliche Unbedenklichkeit und für die Qualität trägt.
Zu diesem Ergebnis kamen die Autoren im Rahmen einer holländischen Feldstudie, die als „Integrierte Qualitätskontrolle" (Integrated Quality Control) bezeichnet wurde.
Ziel der IQC-Studie war es, herauszufinden, welche Daten aus dem Erzeugerbetrieb geeignet sein könnten, die Fleischuntersuchung zu verbessern und welche
Schlachtbefunde die Fleischuntersuchung aussagekräftiger machen würden. Ein weiteres Ziel war es, dem Erzeuger durch Rückmeldung der Daten die Möglichkeit zu geben, seine Tierhaltung zu verbessern. Um die Verwendbarkeit der
Mästerinformationen für die Fleischuntersuchung zu untersuchen, wurden die Lieferpartien von 70 Mastbetrieben von einer „Qualitätsinformationskarte“ zum Schlachtbetrieb begleitet. Auf diesen Karten mussten fünf Fragen zum
Gesundheitszustand der Schweine während der Mastperiode, zu den verwendeten Arzneimitteln und zu der Einhaltung von Wartezeiten bei den verwendeten
Arzneimitteln beantwortet werden (SNIJDERS et al. 1989, HARBERS et al. 1992).
SCHMIDT (2008) untersuchte die Aussagefähigkeit von
Lebensmittelketteninformationen aus Schweinemastbetrieben für die risikoorientierte Fleischuntersuchung. Dazu wurden Schlachtschweine auf dem Herkunftsbetrieb klinisch untersucht und die Ergebnisse in einem Formblatt erfasst. Nach der Schlachtung wurden die Behandlungs- und Betriebsdaten den jeweiligen Schlachtbefunden zugeordnet und ausgewertet.
WINDHAUS (2008) stellte in einer Studie fest, dass eine „Standarderklärung“ keine ausreichenden Informationen für die Entscheidungsfindung für die risikoorientierte Fleischuntersuchung liefert. Ein risikoorientierter Ansatz erfordert stattdessen die Entwicklung eines Informationssystems mit Angaben zu den tatsächlichen
Mortalitätsraten, den erfassten Organbefunden und den verabreichten Arzneimitteln.
Hierfür werden „verlässliche Daten aus dem Mastdurchgang“ benötigt, die in
Verbindung mit den Befunden der amtlichen Schlachttier- und Fleischuntersuchung ausgewertet werden können. Dabei ist zu beachten, dass die unterschiedlichen Voraussetzungen der einzelnen Schlachtbetriebe „standortspezifische Systeme zur Risikobewertung“ erfordern. Der Landwirt muss „als Kettenglied zu einer
kettenübergreifenden, durchgängigen Qualitätssicherung“ beitragen.
FRETTLÖH (2012) untersuchte in einer Studie die Möglichkeit, in einem mittelständischen Schlachthof die risikoorientierte Schlachttier- und Fleischuntersuchung einzuführen.
HILLER (2012) führte Untersuchungen zur „Entwicklung, Erprobung und Bewertung eines Konzeptes für die Einführung einer die Lebensmittelsicherheit verbessernden risikoorientierten Schlachttier- und Fleischuntersuchung“ durch.
2.5.1 Einführung der risikoorientierten Schlachttier- und Fleischuntersuchung
Im Januar 2001 wurde mit der Gründung des internationalen Vereins GIQS
(Grenzüberschreitende Integrierte Qualitätssicherung) ein deutsch-niederländisches Projekt zur Weiterentwicklung von Qualitäts- und Gesundheitsmanagement-
Systemen in der Schweinefleischerzeugung gestartet. Die Arbeitsgruppe 4 hatte die Aufgabe, einen „Vorschlag für die Einführung einer risikoorientierten Schlachttier- und Fleischuntersuchung“ zu erarbeiten und den „Ansatz für die Verbesserung von Verbraucher- und Tierschutz im Bestand und in der Schlachtung“ zu nutzen
(ANONYM 2012 a). Im Rahmen der Arbeitsgruppe 4 führte SCHRUFF (2004)
Untersuchungen zur „Entwicklung eines Entscheidungsmodells für die Zulassung von Mastschweinen zur Schlachtung im Rahmen der risikoorientierten
Fleischuntersuchung“ durch. Anhand dieses Entscheidungsmodells können Lebensmittelketteninformationen in einem EDV-System erfasst, strukturiert und mithilfe eines Ampelsystems dargestellt werden. Somit kann eine Risikoeinschätzung der Lieferpartien erfolgen und bei der Entscheidung, ob bei einer Schlachtpartie die traditionelle oder die visuelle Fleischuntersuchung durchgeführt werden soll,
behilflich sein. Auf dem von SCHRUFF (2004) entwickelten „Entscheidungsmodell“
aufbauend, untersuchte MEEMKEN (2006) zwei verschiedene „Bewertungssysteme für Lebensmittelketteninformationen zur Nutzung im Rahmen der risikoorientierten Schlachttier- und Fleischuntersuchung von Schlachtschweinen“. Da weder die Kriterien und Grenzwerte des Bewertungssystems von SCHRUFF (2004) noch die des Entwurfes zur AVV Lebensmittelhygiene (Stand 07.10.2005) für die Zulassung von Schlachtschweinen für die visuelle Fleischuntersuchung für eine befriedigende Risikobewertung von Lieferpartien ausreichten, wurde eine Optimierung der
Bewertungskriterien vorgeschlagen. Aus diesem Grund wurde in der Arbeitsgruppe 4 eine Kombination aus der prozentualen Mortalität der Mastgruppe und dem
„Tierbehandlungsindex“, zur Verbesserung der Einschätzung der Tiergesundheit erarbeitet. MEEMKEN (2006) stellte fest, dass es unabdingbar ist, vor der Einführung der risikoorientierten Schlachttier- und Fleischuntersuchung alle an der
Datenerhebung Beteiligten einzuweisen und zu schulen. Die Autorin schlägt vor, mit der zuständigen Veterinärbehörde ein standortbezogenes Bewertungssystem
auszuarbeiten, welches ständig überprüft und angepasst werden sollte.
Eine allgemeingültige Einschätzung der für die Lebensmittelsicherheit in Frage kommenden Risiken ist aufgrund mehrerer Faktoren, wie z.B. dem Vorliegen unterschiedlicher Produktionssysteme, Haltungsbedingungen nicht sinnvoll. Jeder Schlachtbetrieb stellt eine „spezifische Schweinefleischproduktionskette“ dar mit individuell auftretenden Risiken (BLAHA et al. 2007, WINDHAUS 2008).
2.6 Auswertung von Befunddaten und Rückmeldung an den Herkunftsbetrieb
Werden die Ergebnisse der Schlacht- und Fleischuntersuchung der einzelnen Bestände kumuliert, so bietet sich durch die kontinuierliche Rückmeldung der Befunde an die Landwirte und die betreuenden Tierärzte die Möglichkeit, die
Tierhaltung und die Tiergesundheit zu verbessern. Dabei muss der Landwirt über die Möglichkeit verfügen, seine Befunde mit denen der anderen Lieferbetriebe desselben Schlachtbetriebs zu vergleichen, dazu sind z.B. „Hitlisten“ sehr hilfreich (BLAHA et al.
2007, BLAHA 2008 a).
Anhand der ermittelten Schlachtbefunde können drei Gruppen gebildet werden (BLAHA et al. 2007, BLAHA 2008 a):
- Bestände mit wiederholt unter dem Durchschnitt liegenden Häufigkeiten von Schlachtbefunden
- Bestände mit wiederholt um den Durchschnitt liegenden Häufigkeiten von Schlachtbefunden
- Bestände mit wiederholt über dem Durchschnitt liegenden Häufigkeiten von Schlachtbefunden.
Die nicht nur einmalige, sondern kontinuierliche Identifizierung der „schlechtesten“
Zulieferbetriebe der jeweiligen Schlachtbetriebe führt zu einer stetigen Zunahme der Tiergesundheit und des Tierschutzes. Werden durch diese Vorgehensweise nun die Betriebe mit den höchsten Befundraten identifiziert, so können diese amtlich zum Ergreifen von Verbesserungsmaßnahmen aufgefordert werden. Werden in Folge keine Verbesserungen festgestellt, was man durch das weitere kontinuierliche Erfassen der Befunde nachvollziehen kann, kann eine Überprüfung durch die lokale Veterinärbehörde erfolgen (BLAHA und MEEMKEN 2011). Durch eine kontinuierliche Erfassung der Befunde pro Herkunftsbestand können „tagesfertig aktualisierte
Benchmarkings“ erstellt werden, die nach Bedarf für einzelne Schlachtbefunde, Zulieferbetriebe, Mastgruppen, Erzeugergemeinschaften und auch für einen
„semiquantitativ generalisierten Tierschutzindex“ Verwendung finden können.
Entscheidend für das Funktionieren der „Benchmarking-Vorgehensweise“ ist eine gute Zusammenarbeit zwischen den amtlichen Tierärzten und dem
Schlachtunternehmen, eine gute „public-private partnership“ (BLAHA und MEEMKEN 2011). Dieses Vorgehen kann jeweils nur für die Zulieferbetriebe eines Schlachthofes angewendet werden, da jeder Schlachtbetrieb eine eigene Verfahrensweise bei der Erfassung der Schlachtbefunde hat (FÖRSTER 1996, WINDHAUS 2008, BLAHA und MEEMKEN 2011). Auch VOGT (1996) stellte in einer Studie über die
„Vergleichbarkeit von Organbefunden am Schlachthof“ fest, dass sich die Ergebnisse verschiedener Schlachtbetriebe unterscheiden. Er sieht die Unterschiede in der
individuellen regionalen Bestandsgesundheit des jeweiligen Einzugsgebietes begründet.
BÖCKEL (2008) überprüfte, ob sich die Tiergesundheit von Schweinebeständen quantitativ durch die Erfassung der Organbefunde, der angewendeten antimikrobiell wirksamen Substanzen und der Mortalitätsrate des Betriebes und durch die
Befragung des Betriebspersonals bestimmen lässt. Sie kam zu dem Ergebnis, dass sich die quantitative Bewertung der Gesundheit als Benchmarkingtool für die
tierärztliche Bestandsbetreuung eignet.
DICKHAUS (2010) führte „Epidemiologische Untersuchungen zur semiquantitativen Kategorisierung der Tiergesundheit in Schweinemastbetrieben“ durch.
Nach mehrmaliger klinischer Untersuchung von 60 Schweinemastgruppen wurden
„Punktzahlen für die klinische Untersuchung“ vergeben, die anschließend mit dem Herden-Gesundheits-Score der jeweiligen Gruppe verglichen wurden.
2.7 Einschätzung der Tiergesundheit, des Tierschutzes und der Lebensmittelsicherheit
Die Beurteilung der Tiergesundheit eines Schweinebestandes kann durch direkte und indirekte Parameter erfolgen. Die Erfassung der direkten Parameter verlangt jedoch mehrmalige Messungen während der gesamten Mastperiode, die zudem von dem subjektiven Eindruck des Untersuchers abhängig sind (MEEMKEN et al. 2009).
Hinzu kommt, dass direkte Parameter, wie z.B. Husten oder Durchfall kaum quantifizierbar, und damit schlecht vergleichbar sind (BLAHA 2008 b).
Die indirekten Parameter hingegen können „einmalig am Ende der Mastperiode anhand einer semiquantitativen Bestimmung erhoben werden“ (MEEMKEN et al.
2009). BLAHA (2010 a) unterteilt die zu erfassenden Daten in prospektive und retrospektive.
Zu den prospektiven, vorhandenen Daten zählt er die Mortalität (in %) und die
Morbidität, wie z.B. den Arzneimittelverbrauch und die Häufigkeit von Erkrankungen.
Zu den retrospektiven Daten gehören die erhobenen Befunde der
Schlachttieruntersuchung, die amtlichen Beanstandungen und die Organbefunde in der Fleischuntersuchung. Diese Daten lassen sich leicht erfassen.
Zur Beurteilung der Tiergesundheit, des Tierschutzes und der Lebensmittelsicherheit eignen sich nach BLAHA et al. (2011) mehrere „Messinstrumente:
- der Herden-Gesundheits-Index (BLAHA et al. 2006),
- die Erfassung tierorientierter Tierschutzkriterien (BLAHA 2010 a) und - die „Multiserologie“ mit Fleischsaft (MEEMKEN et al. 2009).
2.7.1 Der Herden-Gesundheits-Score
Der Herden-Gesundheits-Score (HGS) setzt sich aus vier indirekten Parametern zusammen (BLAHA et al. 2006, MEEMKEN et al. 2009, DICKHAUS 2010):
- Mortalität - Mastdauer
- Tierbehandlungsindex (TBI)
- Schlachtbefunde und amtliche Beanstandungen.
Die Mortalitätsrate gibt den prozentualen Anteil der verendeten und euthanasierten Tiere einer Mastgruppe an (MEEMKEN et al. 2009). Durch die Erfassung der
Mastdauer in Tagen kann indirekt auf die Tiergesundheit geschlossen werden, denn je kürzer eine Mastperiode verlief, desto gesünder waren die Tiere während der Mast, da sie durch bessere tägliche Zunahmen schneller das Schlachtgewicht erreicht haben (MEEMKEN et al. 2009).
Anhand des Tierbehandlungsindex lassen sich sehr hohe Antibiotika-Anwendungen in einem Schweinemastbetrieb erkennen. Somit können indirekt Rückschlüsse auf die Morbidität einer Mastgruppe gezogen werden (BLAHA 2008 b, BLAHA und MEEMKEN 2012), denn der TBI basiert auf der epidemiologischen Annahme, dass Tiere, die oft antibiotisch behandelt werden mussten, weniger gesund waren, als Tiere, die nicht oder nur vereinzelt behandelt werden mussten (BLAHA 2008 b).
Der Tierbehandlungsindex lässt sich berechnen, indem man die Anzahl der
antibiotisch behandelten Tiere mit der Anzahl der Behandlungstage multipliziert und anschließend durch die Gesamtzahl der Tiere in der Mastgruppe dividiert (BLAHA und MEEMKEN 2012).
Da die Leberbefunde nicht mikrobiell zu beeinflussen sind, empfiehlt BÖCKEL (2008), diese nicht mit in die Bewertung einfließen zu lassen, wenn der
Tierbehandlungsindex mit den Organbefunden in Zusammenhang gebracht werden soll, da sonst ein falsches Bild der Organgesundheit entstehen könnte.
Jeder Einzelkomponente des HGS können Werte von 0 bis 3 zugewiesen werden, somit kann der HGS-Wert zwischen 0 und 12 liegen. Anhand des HGS-Wertes kann dann eine Aussage über die Tiergesundheit getroffen werden, wobei ein niedriger Wert für eine gute Gesundheit, ein hoher Wert für das Vorliegen einer schlechten Tiergesundheit spricht (MEEMKEN et al. 2009).
2.7.2 Tierorientierte Tierschutzkriterien
Bei der amtlichen Schlachttier- und Fleischuntersuchung lassen sich
„bestandsbezogene tierschutzrelevante Befunde bei Schlachtschweinen“ erheben, die zu tierorientierten Tierschutzindikatoren führen (BLAHA und MEEMKEN 2011).
Die Erfassung folgender Befunde wurde von den Autoren vorgeschlagen:
1) Prozentuale Befunde eines Herkunftsbestandes fortlaufend kumuliert, die bei der amtlichen Lebendbeschau (Entladerampe) erhoben werden können
- Anteil von Tieren mit Lahmheiten (aus dem Bestand oder beim Transport) - Anteil von Tieren mit Verletzungen (aus dem Bestand oder beim Transport) - Anteil von Tieren mit Kreislaufproblemen (Nottötung an der Rampe)
- Anteil von Tieren mit schwerwiegenden Anzeichen von Rangkämpfen - Anteil von Tieren mit extremer Untergewichtigkeit
- Anteil von hochgradig verschmutzten Tieren
2) Prozentuale Befunde eines Herkunftsbestandes fortlaufend kumuliert, die bei der amtlichen Fleischuntersuchung (Schlacht- und Trimmband) erhoben werden können - Anteil von Schlachtkörpern, die krankheitsbedingt untauglich geworden sind
- Anteil von Schlachtkörpern mit krankheitsbedingten Teilschäden
- Anteil von Schlachtkörpern mit einer mittel- oder hochgradigen Pneumonie - Anteil von Schlachtkörpern mit einer mittel- oder hochgradigen Pleuritis - Anteil von Schlachtkörpern mit nekrotisierten Schwänzen
- Anteil von Schlachtkörpern mit Abszessen
- Anteil von Schlachtkörpern mit schwerwiegenden Anzeichen für Rangkämpfe Die Erfassung dieser Befunde kann an jedem Schlachtbetrieb erfolgen. Steht keine computergestützte Erfassung zur Verfügung, lassen sich diese Daten auch „per Hand“ zum Beispiel mit Hilfe von Strichlisten dokumentieren (BLAHA und MEEMKEN 2011).
In der Verwendung von tierbezogenen Tierschutzkriterien sehen BLAHA und RICHTER (2011) eine kostenneutrale Effizienzsteigerung der amtlichen risikoorientierten Überwachung, denn mithilfe dieser Indikatoren können
Schweinemastbetriebe, die ein erhöhtes Risiko von Tierschutzdefiziten vermuten lassen, identifiziert werden. So kann die amtliche Überwachung zielgerichtet auf verdächtige Bestände konzentriert werden.
2.8 Begriffsbestimmungen Tierschutz und Wohlbefinden
2.8.1 Die „fünf Freiheiten“
1965 veröffentlichte die britische Regierung den „Report of the Technical Committee to Enquire into the Welfare of Animals kept under Intensive Livestock Husbandry Systems“der nach dem Vorsitzenden des Komitees kurz „Brambell Report“ genannt wurde. Dieser Report beschreibt die „fünf Freiheiten“ über die ein Nutztier verfügen sollte. Es sollte die Möglichkeit haben, aufzustehen, sich hinzulegen, sich zu drehen, sich selbst zu pflegen und seine Gliedmaßen auszustrecken.
Diese Freiheiten wurden 1997 von dem Farm Animal Welfare Council folgendermaßen konkretisiert (FARM ANIMAL WELFARE COUNCIL 2009):
Frei sein von Hunger und Durst (durch Zugang zu frischem Trinkwasser und gesunder Nahrung),
Frei sein von Unbehagen (angemessenes Lebensumfeld mit Unterstand und bequemem Liegeplatz),
Frei sein von Schmerzen, Verletzungen und Krankheiten (Verhütung bzw. schnelle Behandlung),
Frei sein zum Ausleben normaler Verhaltensweisen (ausreichendes Platzangebot, angemessene Funktionsbereiche und sozialer Kontakt zu Artgenossen),
Frei sein von Angst und Leiden (Haltungsbedingungen und Behandlungen, die Leiden vermeiden).
Diese Freiheiten beschreiben Idealzustände für einen akzeptablen Tierschutz (FARM ANIMAL WELFARE COUNCIL 2009).
Sie bilden die Grundlage der EU-Politik und werden weltweit als Definition des idealen Tierschutzes akzeptiert (EUROPÄISCHE KOMMISSION 2007 b).
2.8.2 Wohlbefinden / Animal Welfare
LORZ und METZGER (1999) verstehen unter Wohlbefinden den „Zustand
körperlicher und seelischer Harmonie des Tieres in sich und mit der Umwelt“, das Freisein von Schmerzen und Leiden ist dafür Voraussetzung, reicht alleine aber nicht aus.
Kennzeichen des Wohlbefindens sind die Gesundheit und ein normales Verhalten
des Tieres (LORZ und METZGER 1999), wobei man unter Normalverhalten
„diejenigen Verhaltensabläufe“ versteht, „die von der Mehrheit (95 %) der Tiere einer Art, Rasse, Geschlechts- und Altersgruppe unter natürlichen oder naturnahen
Haltungsbedingungen gezeigt werden“ (POLLMANN und TSCHANZ 2006).
DÜPJAN et al. (2011) zählen zum Wohlbefinden des Tieres die „Vermeidung von negativem Stress und Leiden sowie die Förderung positiver Emotionen“.
BROOM (1991) definiert „welfare“ als Zustand eines Tieres im Hinblick auf die Bewältigung seiner Umweltbedingungen, denen es ausgesetzt ist.
Zu dieser Definition merkt KNIERIM (2002) an, dass zwar das englische „welfare“
dem deutschen Begriff „Wohlbefinden“ nicht genau entspricht, dass jedoch das
„Wohlbefinden“ ein wichtiger Anteil des „welfare“ ist.
In diesem Sinne definiert KNIERIM (2002) das Wohlbefinden als „das Erleben des Ausmaßes der Auseinandersetzungsfähigkeit mit der Umwelt.“
FRASER (2003) nennt drei Ansätze zur Definition von „Animal Welfare“.
Der „Affective States“-Ansatz (DUNCAN 1993), sieht die Verstärkung der positiven Gefühle und die Verminderung der negativen Gefühle des Tieres als die wichtigsten Punkte zum Erreichen von Tierwohl.
Die Leistungsfähigkeit und Produktivität des Tieres sind der wichtigste Aspekt des
„Biological Functioning“-Ansatzes (MCGLONE 1993).
Der „Natural Living“-Ansatz (KILEY-WORTHINGTON 1989) beschreibt die
Wichtigkeit für die Tiere, ihre angeborenen Verhaltensweisen ausleben zu können.
Für einen guten Tierschutz ist nicht nur die Gesundheit eines Tieres
ausschlaggebend, sondern auch dessen Wohlbefinden (FARM ANIMAL WELFARE COUNCIL 2009).
In diesem Sinne wird auch im „Codex Veterinarius“ der Tierärztlichen Vereinigung für Tierschutz e.V. darauf hingewiesen, dass „neben der Freiheit von Schmerzen und Leiden auch der in § 1 (TSchG) geforderte Anspruch der Tiere auf Wohlbefinden gewährleistet werden muss“ (BLAHA und STÄHR 2009).
DÜPJAN et al. (2011) führten verhaltensphysiologische Studien zur Feststellung des Wohlbefindens von Hausschweinen durch.
2.8.3 Gesundheit
„Die Gesundheit ist ein Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlergehens und nicht nur das Fehlen von Krankheit oder Gebrechen.“, so definiert die WORLD HEALTH ORGANIZATION (2006) die Gesundheit.
Auch für die Tiere wurde diese Definition mittlerweile übernommen, denn „das Wohlbefinden und ein möglichst ungestörtes arteigenes Verhalten“ ist aus der
Tiergesundheit nicht mehr wegzudenken (BLAHA 2005).
BLAHA (2005) merkt an, das „Tiergesundheit (insbesondere das von Herden und Beständen) kein qualitatives Ja-Nein, sondern ein quantitatives Mehr-oder-Weniger- Phänomen ist“.
Dabei sind die Haltung, die Art der Fütterung, die Betriebsführung und das Auftreten von Infektionen die wichtigsten Faktoren, die die Gesundheit und auch die Leistung von Schweinen zunehmend beeinflussen (WALDMANN 2003).
2.8.4 Schmerzen, Leiden und Schäden
Im Jahr 1979 veröffentlichte die „International Association for the Study of Pain“
folgende Definition von Schmerz:
„Schmerz ist ein unangenehmes Sinnes- und Gefühlserlebnis, das mit aktueller oder potentieller Gewebsschädigung verknüpft ist oder mit Begriffen einer solchen
beschrieben wird“ (INTERNATIONAL ASSOCIATION FOR THE STUDY OF PAIN 2012).
Eine unmittelbare Quantifizierung von Schmerzen und Leiden bei Tieren ist
naturwissenschaftlich nicht möglich, darum muss eine indirekte Bewertung anhand von Indikatoren aus den Bereichen der Gesundheit, des Verhaltens und der
Physiologie erfolgen (HOY 2004).
LORZ und METZGER (1999) definieren Leiden als „alle vom Begriff des Schmerzes nicht erfassten Beeinträchtigungen im Wohlbefinden, die über Unbehagen
hinausgehen und eine nicht unwesentliche Zeitspanne fortdauern“.
Nach POLLMANN und TSCHANZ (2006) tritt Leiden auf, wenn ein Tier nicht in der Lage ist, mit seinem arttypischen Verhalten seine Bedürfnisse zu befriedigen, seinen Bedarf zu decken und Schäden zu vermeiden. Zeigt ein Tier über eine längere Zeit ein abweichendes Verhalten, weist dieses auf Leiden hin.
Weicht der Zustand eines Tieres von seinem gewöhnlichen Zustand zum
Schlechteren ab und geht nicht bald vorüber, so bezeichnet man dies nach LORZ und METZGER (1999) als Schaden. Dabei kann es sich um körperliche oder seelische Abweichungen handeln.
Gelingt einem Tier die Anpassung an seine Lebensumstände nicht und zieht dies Schmerzen, Leiden und Schäden für das Tier mit sich, so spricht man von
„tierschutzrelevanten Mängeln“ (BLAHA und RICHTER 2011).
2.8.5 Tiergerechtheit
Ob ein Tier in seiner Umwelt keine Schmerzen, Leiden oder Schäden erleiden muss und ob sein Wohlbefinden gesichert ist, wird mit dem Begriff Tiergerechtheit
beschrieben (KNIERIM 2002). Tiergerecht sind Haltungsbedingungen nach SUNDRUM (1998) dann, „wenn sie den spezifischen Eigenschaften der in ihnen lebenden Tiere Rechnung tragen, indem die körperlichen Funktionen nicht
beeinträchtigt, die Anpassungsfähigkeit der Tiere nicht überfordert und essentielle Verhaltensmuster der Tiere nicht so eingeschränkt und verändert werden, daß dadurch Schmerzen, Leiden oder Schäden am Tier entstehen“.
In der Tierschutzdiskussion wird noch häufig eine „artgerechte“ Haltung der Tiere gefordert (RICHTER 2006).Ein Haltungsverfahren soll jedoch nicht der „Art“ eines Tieres gerecht werden, sondern den Bedürfnissen des jeweiligen Haustiers
entsprechen, darum empfiehlt ROJAHN (1984), den Begriff „artgerecht“ zur Beschreibung des Wohlbefindens von Nutztieren in Stallhaltungen zu vermeiden.
Auch RICHTER (2006) rät von der Verwendung des Begriffes „artgerecht“ in diesem Zusammenhang ab. ROJAHN (1984) schlägt stattdessen den Gebrauch des
Begriffes „tiergerechte Haltung“ vor, der die Haltung, Pflege und Unterbringung von Tieren beschreibt.
Die Besatzdichte, die Größe der Mastgruppe, die Beschaffenheit des Bodens, die klimatischen Bedingungen im Stall, die zur Verfügung stehenden Liege- und Fressplätze und die Versorgung sind wichtige Faktoren eines Haltungssystems (IBEN und SAMBRAUS 2002).
BLAHA (2010 b) stellt fest, dass in der Gesellschaft häufig noch angenommen wird, dass kleine Tierhaltungen „automatisch“ tiergerechter sind als große Tierhaltungen, auch den traditionellen Tierhaltungsformen wird im Gegensatz zu modernen
Mastbetrieben mehr „Tierfreundlichkeit“ zugesprochen (BLAHA und RICHTER 2011).
Die Autoren vertreten die Meinung, dass moderne Tierhaltungssysteme bei
professioneller Tierbetreuung tiergerechter sind als traditionelle Haltungssysteme.
In diesem Sinne hat die Forderung der Basisverordnung VO (EG) 178/2002, tierschutzrelevante Veränderungen beim Nutztier zu erfassen, gezeigt, dass „aus vielen alternativen, als tierschutzgerecht angesehenen Haltungen sehr gesunde Tiere stammen, aber aus nicht wenigen solcher Haltungen kommen auch sehr oft schwer erkrankt gewesene Tiere“. Dem „Faktor Mensch“ muss beim
Tierhaltungsmanagement und bei der Tierbetreuung mehr Wichtigkeit beigemessen werden (BLAHA und MEEMKEN 2009).So kann den Tieren durch eine gute
Betreuung in einer weniger tierschutzgerechten Haltung das Leben trotzdem „frei von Leiden und Schmerzen“ ermöglicht werden und umgekehrt kann eine sehr
tierschutzgerechte Haltung durch eine unsachgemäße Betreuung Leiden und Schmerzen bei den Tieren verursachen (BLAHA und MEEMKEN 2009, BLAHA und RICHTER 2011).
2.8.6 Die Beurteilung der Tiergerechtheit
Die Tiergerechtheit einer Haltung wird durch Einschätzen des Risikos, ob ein Tier Wohlbefinden, Schmerzen, Leiden oder Schäden in seiner Umgebung erfährt, beurteilt (KNIERIM 2002), dazu lassen sich negative und positive Indikatoren heranziehen (KNIERIM 1998).
Anhand des Tierverhaltens und der Mortalitäts-, Gesundheits- und Leistungsdaten kann die Tiergerechtheit entsprechend dem von TSCHANZ (1986) entwickelten Bedarfsdeckungs- und Schadenvermeidungskonzept eingeschätzt werden (HOY 2004).
Dieses Konzept von TSCHANZ (1986) beinhaltet, dass jedes Tier in der Lage sein soll, sich so zu verhalten, dass es Stoffe, Reize und Strukturen seiner Umgebung nutzen kann oder – falls diese schädlich sind – sich ihnen auch fernhalten kann.
TROXLER (2007) sieht in der Bewertung des Tierverhaltens den wichtigsten Aspekt zur Beurteilung eines Haltungssystems.
In einem Haltungssystem, welches im Prinzip akzeptabel ist, in dem jedoch keine kompetente, gewissenhafte Betreuung der Tiere stattfindet, kann das Wohlbefinden der Tiere nicht ausreichend sichergestellt werden. Darum ist der Umgang mit den Tieren und die Schulung und Überwachung des richtigen Umgangs von großer Wichtigkeit (FARM ANIMAL WELFARE COUNCIL 2009). In diesem Sinne merkt BLAHA (2010 a) an, dass bei der Einschätzung der Tiergerechtheit unbedingt die Betreuung der Tiere mitberücksichtigt werden muss.
Der Maßstab für die Bewertung der Tiergerechtheit ist letztendlich, wie es dem Tier selbst ergeht und wie sein tatsächlicher Zustand ist (KNIERIM 2002, BLAHA und RICHTER 2011).
BROOM (1991) und KNIERIM (2002) weisen darauf hin, dass es sich bei dem
Einschätzen der Tiergerechtheit nur um ein Vergleichen handelt, ohne eine Aussage darüber treffen zu können, was akzeptabel ist.
BARTUSSEK (1995) entwickelte in Österreich den „TGI 35-L für Mastschweine“ um die Tiergerechtheit eines Haltungssystems einzuschätzen und vergleichbar zu machen. Zur Ermittlung des TGI in diesem Bewertungssystem werden für die fünf Kriterien Bewegungsmöglichkeit, Sozialkontakt, Bodenbeschaffenheit, Klima und Betreuungsintensität Punkte vergeben und zu einer Gesamtpunktzahl von maximal 35, der TGI-Zahl addiert.
Die ursprüngliche TGI-Fassung wurde durch eine Arbeitsgruppe, der der Autor angehörte, und aus der 1991 die Gesellschaft für ökologische Tierhaltung (GÖT) hervorging, weiterentwickelt. Der Tiergerechtheits-Index wurde durch eine
differenziertere Begutachtung und Bewertung der einzelnen Kriterien ergänzt, so dass nun zwei TGI-35-Versionen existieren, eine Kurzfassung für Rinder und Schweine und, eine Langfassung für Rinder, Kälber, Schweine und Legehennen (BARTUSSEK 1997).
Die GÖT veröffentlichte 1994 den TGI 200/1994 (SUNDRUM et al. 1994), eine veränderte Version des Tiergerechtheitsindex für Rinder, Kälber, Schweine und Legehennen. Bei diesem TGI sind die Bewertungsbereiche vorwiegend ethologisch- hygienisch ausgerichtet, im Gegensatz zu dem verfahrens- und bautechnischen Schwerpunkt des TGI 35.
Der Arbeitsausschuss „Tierhaltung und Tierschutz“ der Deutschen Gesellschaft für Züchtungskunde erstellte ein Konzept der Kritischen Kontrollpunkte, um die
Tiergerechtheit von Haltungsverfahren zu messen (VON BORELL et al. 2002).
Dieses enthält objektiv messbare Kriterien und Grenzwerte für die Bereiche Tierschutz, Tiergesundheit und Management.
Anstelle der ausschließlichen Bewertung der Haltungsbedingungen, dem
sogenannten „Zollstocktierschutz“ geht die Entwicklung hin zu einem „tierorientierten“
Tierschutz (BLAHA und MEEMKEN 2009, BLAHA 2010 a). Der
„haltungssystemorientierte", „input-messende“ Tierschutz wandelt sich zu einem
„outputmessenden“ bzw. einem „tierorientierten“ Tierschutz, bei dem die Beurteilung des tatsächlichen Zustandes und der Lebensqualität der Tiere im Mittelpunkt steht.
BLAHA (2010 a) beschreibt die „Output-Messung“ als eine „vom Haltungssystem unabhängige Erfassung von Parametern der Tiergesundheit und des Tierverhaltens, um nicht nur den zu erwartenden, sondern auch den tatsächlichen Grad des
Tierwohlergehens abschätzen zu können“.
2.9 Rechtliche Grundlagen zum Tierschutz
2.9.1 Der Wandel des Tierschutzes in Deutschland
Der Tierschutz in Deutschland wandelt sich nach LUY (2005) von einem
„pathozentrischen“ über ein „anthropozentrisches“ Konzept hin zu einem „ethischen“
Tierschutz.
Zwischen 1872 und 1933 wurde bestraft, wer nach § 360 Nr. 13 des
Reichsstrafgesetzbuchs durch das Quälen oder Misshandeln von Tieren öffentlich Ärgernis erregte (LUY 2005, SAMBRAUS 2008). Da bei diesem Konzept das menschliche Interesse beim Schutz von Tieren im Mittelpunkt steht, bezeichnet LUY (2005) es als „anthropozentrisch“.
Mit dem Reichstierschutzgesetz, dass 1933 in Kraft trat, wandelte sich das Konzept in einen „pathozentrischen“ Tierschutz. Das Tier sollte um seiner selbst willen geschützt werden. Dieses Gesetz schützte „nur das Wohlbefinden des Tieres, nicht sein Leben“(LUY 2005). Der Aspekt der angemessenen Tierhaltung wurde noch nicht erwähnt (SAMBRAUS 2008).
Mit dem ersten bundesdeutschen Tierschutzgesetz von 1972 kam der Wechsel zum
„ethischenTierschutz“. „Das Verbot, Tiere zu töten, wenn kein aus gesellschaftlicher Sicht rechtfertigender Grund dafür vorliegt, selbst wenn es absolut leidensfrei
geschehen würde“, drückt diesen Wandel aus(LUY 2005).
2.9.2 Grundgesetz
Am 26. Juli 2002 wurde in der Vollversammlung des Bundestages beschlossen, den Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern (ANONYM 2012 b). Der betreffende Artikel 20 a lautet:
„Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“
Dass der Tierschutz als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen wurde, ist laut BLAHA und MEEMKEN (2009) das Resultat der häufigen gesellschaftlichen Debatten über die Frage, wie Nutztiere, die der Lebensmittelgewinnung dienen, gehalten werden.
2.9.3 Tierschutzgesetz
Am 24. Juli 1972 wurde das heute in Deutschland geltende Tierschutzgesetz
verkündet und am 18. Juni 2006 neugefasst. Es erfuhr mehrere Änderungen, zuletzt am 9. Dezember 2010 (ANONYM 2006).
Der Grundsatz des Tierschutzgesetzes wird in § 1 erläutert: „Zweck dieses Gesetzes ist es, aus der Verantwortung des Menschen für das Tier als Mitgeschöpf dessen Leben und Wohlbefinden zu schützen“.
Die Kernaussage des Tierschutzgesetzes lautet:
„Niemand darf einem Tier ohne vernünftigen Grund Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen“.
Das Tierschutzgesetz ist in dreizehn Abschnitte unterteilt.
Der § 2 des zweiten Abschnittes befasst sich mit der Ernährung, Pflege und verhaltensgerechten Unterbringung von Tieren.
BLAHA (2011) bezeichnet das Tierschutzgesetz als „eines der besten der Welt“, weist jedoch darauf hin, dass trotzdem viele Tierschutzdefizite bestehen. Das Verhaltensrepertoire der Tiere wird nicht berücksichtigt und hinsichtlich des
Tierwohls ist das Tierschutzgesetz zu sehr auslegbar. Er schlägt eine Änderung des Tierschutzgesetzes in ein „Tierwohlgesetz“ vor, in dem den „ressourcenorientierten Kriterien tierorientierte Kriterien“ zugeordnet werden müssen (BLAHA 2012).
2.9.4 Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung
Die „Verordnung zum Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere
und anderer zur Erzeugung tierischer Produkte gehaltener Tiere bei ihrer Haltung“
(Tierschutz-Nutztierhaltungsverordnung) vom 25. Oktober 2001 erfuhr am 22. August 2006 eine Neufassung und wurde zuletzt am 1. Oktober 2009 geändert (ANONYM 2001). Sie dient der Umsetzung mehrerer Richtlinien wie z.B. der Richtlinie 98/58/EG des Rates vom 20. Juli 1998 über den Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere und der Richtlinie 91/630/EWG des Rates vom 19. November 1991 über
Mindestanforderungen für den Schutz von Schweinen.
Diese Verordnung bezieht sich auf das Halten von Nutztieren zu Erwerbszwecken, wobei z.B. die vorübergehende Unterbringung von Tieren während Ausstellungen ausgenommen ist.
In Abschnitt 1 enthält sie allgemeine Anforderungen an die Haltungseinrichtungen, an die Überwachung und an die Fütterung und Pflege.
Die Haltungseinrichtungen müssen so beschaffen sein, dass eine Verletzung oder sonstige Gesundheitsgefährdung der Tiere so sicher wie möglich ausgeschlossen wird. Den Tieren muss ausreichend Schutz vor widrigen Witterungseinflüssen geboten werden. Durch die Fütterungs- und Tränkeinrichtungen müssen jedem Tier Zugang zu ausreichender Menge an Futter und Wasser ermöglicht werden.
Verunreinigungen des Futters und des Wassers, sowie Auseinandersetzungen zwischen den Tieren müssen auf ein Mindestmaß begrenzt werden.
In den Abschnitten 2 bis 6 wird auf das Halten von Kälbern, Legehennen, Masthühnern, Schweinen und Pelztieren im Einzelnen eingegangen.
Für die Schweine, die in die fünf Kategorien eingeteilt wurden, - Saugferkel
- Absatzferkel
- Jungsauen und Sauen
- Zuchtläufer und Mastschweine - Eber
sind in Abschnitt 5 jeweils spezielle Anforderungen an die Haltung festgelegt.
2.9.5 Richtlinie 98/58/EG des Rates vom 20. Juli 1998 über den Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere
Bei der Richtlinie 98/58/EG des Rates vom 20. Juli 1998 handelt es sich um ein Europäisches Übereinkommen zum Schutz von Tieren in landwirtschaftlichen Tierhaltungen, das von allen Mitgliedsstaaten ratifiziert wurde (ANONYM 1998). In dieser Richtlinie sind Mindestnormen für den Schutz landwirtschaftlicher Nutztiere festgelegt.
Im Anhang befinden sich allgemeine Vorschriften zur Haltung landwirtschaftlicher Nutztiere, unter anderem über
- das Personal für die Tierpflege - die Kontrolle der Tiere
- die geeignete Beleuchtung
- die ordnungsgemäße Versorgung kranker oder verletzter Tiere
- die Aufzeichnung über alle medizinischen Behandlungen und über die bei jeder Kontrolle vorgefundenen toten Tiere
- die Bewegungsfreiheit
- das Material von Unterkünften
- die Luftzirkulation, den Staubgehalt der Luft, die Temperatur, die relative Luftfeuchtigkeit und die Gaskonzentration
- die Inspektion von automatischen oder mechanischen Anlagen und Geräten - das Füttern und Tränken.