DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Kinder- und Jugendpsychiatriesollte die kinder- und jugend- psychiatrische Einrichtung jedoch über ein eigenes, möglichst abge- trenntes Gebäude verfügen.
Gewarnt werden muß vor übermä- ßig großen wie auch vor allzu klei- nen Einrichtungen. Erstere brin- gen die Gefahr mit sich, daß die Klinik unüberschaubar wird, letz- tere, daß eine Reihe von notwen- digen diagnostischen und thera- peutischen Maßnahmen schon aus Kosten- und personellen Gründen nicht durchführbar ist. In jedem Bundesland sollten sowohl größere Einrichtungen (mit dem gesamten Spektrum kinder- und jugendpsychiatrischer Möglich- keiten) bestehen, aber auch eine Reihe kleinerer Einrichtungen mit gemeindenahem Schwerpunkt.
Man muß allerdings in jedem Land auch die historische Entwicklung berücksichtigen und sollte sich davor hüten, gut funktionierende Einrichtungen aufzulösen, um an deren Stelle Miniabteilungen an- zusiedeln, die nicht einmal das diagnostische, geschweige denn das umfangreiche therapeutische Spektrum einer modernen Kin- der- und Jugendpsychiatrie anbie- ten können. Allerdings gibt es im ambulanten Bereich zahlreiche Möglichkeiten für eine effektive Arbeit, die an vielen Stellen noch nicht hinreichend genutzt sind.
Nach einer jüngst erstellten Über- sicht der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie existieren zur Zeit im Bundesge- biet rund 70 kinder- und jugend- psychiatrische Institutionen.
5. Kinder- und Jugendpsychiatrie und Nachbardisziplinen
Entsprechend ihrer Herkunft hat die Kinder- und Jugendpsychia- trie sowohl zur Pädiatrie als auch zur Erwachsenenpsychiatrie sehr enge Verbindungen (5). In den letzten Jahren haben Pädiaterwie auch Kinder- und Jugendpsychia- ter die gemeinsamen Aufgaben zunehmend entdeckt, und es ist eine erfreuliche Kooperation in Gang gekommen. Gemeinsame
Aufgaben liegen auf verschiede- nen Gebieten: Im Mittelpunkt steht die große Zahl seelisch kran- ker und behinderter Kinder, kin- derneurologische Erkrankungen und ihre Spätfolgen, die gemein- samen Aufgaben in der Aus- und Weiterbildung, einschließlich der Psychotherapie, gemeinsame Weiterbildungsaufgaben für Kin- derkrankenschwestern, Sonder-, Heil- und Sozialpädagogen usw.
Die vielen klinischen Aufgaben lassen sich am besten durch ei- nen gut funktionierenden Konsi- liardienst lösen, der vielerorts be- reits seit langer Zeit existiert.
Schließlich gibt es zahlreiche ge- meinsame Aufgaben, . die den rechtlichen Bereich berühren:
Kindesmißhandlung, Pflegschaf- ten, Adoptionswesen, Jugend- und Familienrecht, sind Bereiche, die sowohl den Pädiater als auch den Kinderpsychiater eng berüh- ren und oft Fragen aufwerfen, die am besten gemeinsam gelöst wer- den können.
Die Berührungspunkte mit der Er- wachsenenpsychiatrie ergeben sich heute am häufigsten in zwei wichtigen Bereichen: Einmal geht es um psychisch kranke Eltern, deren Kinder die Kinder- und Ju- gendpsychiatrie zu behandeln hat, zum anderen ist die Adoles- zenz ein Aufgabengebiet, das beide Disziplinen beschäftigt.
Schließlich ist auch hier der recht- liche Bereich ein Betätigungsfeld, in dem sich die beiden Fachdis- ziplinen ergänzen und gegensei- tig Anregungen vermitteln kön- nen. Die an vielen Stellen tradi- tionsreiche und gute Zusammen- arbeit zwischen Kinder- und Ju- gendpsychiatern und Erwachse- nenpsychiatern wurde gerade in den letzten Jahren durch gemein- same Kongresse und Symposien vertieft.
Literatur
(1) Henderson, A. S.; Krupinski, J.; Stoller, A.:
Epidemiological aspects of adolescent psych- iatry. In: Howells J. C. (ed.), Modern perspec- tives in adolescent psychiatry. Oliver & Boyd, Edinburgh (1971) — (2) Krupinski, J., et al.
(1974) zit. in (1) Henderson, A. S., et al. — (3) Remschmidt, H., Schmidt, M. H.: Multiaxia- les Klassifikationsschema für psychiatrische Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter nach Butter, Shaffer und Sturge. Huber, Bern, Stuttgart, Wien (1977) — (4) Remschmidt, H.:
Zur kinder- und jugendpsychiatrischen Weiter- bildung in Europa. Ergebnisse einer Umfrage.
Z. Kinder-Jugendpsychiatrie 7 (1979) 382-397
— (5) Remschmidt, H.: Entwicklungstenden- zen der Kinder- und Jugendpsychiatrie, Mo- natsschr. Kinderheilkd. 131 (1983) 559-565 — (6) Rutter, M.; Graham, P. J.; Chadwick, 0. 0.;
Jule, W.: Adolescent turmoil: fact of fiction.
Child Psychol. Psychiatry 17 (1976) 35 — (7) Schmidt, M. H.: Kinder- und jugendpsych- iatrisches Wissen im Medizinstudium — eine Bestandsaufnahme nach Verabschiedung des Gegenstandskatalogs für den zweiten Ab- schnitt der ärztlichen Prüfung. Z. Kinder-Ju- gendpsychiatr. 7 (1979) 232-248
Anschrift des Verfassers:
Professor Dr. med. Dr. phil.
Helmut Remschmidt Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der
Philipps-Universität Marburg Hans-Sachs-Straße 6
3550 Marburg/Lahn
NOTIZ
Zu dem Zeitschriftenreferat
„Psychiatrische Erkrankungen und Kontraktionsanomalien der Speiseröhre" in Heft 21 vom 25. 5.
1984, Seite 1697 der Ausgabe A, hat uns Professor Dr. Gerd Tar- now, 3578 Schwalmstadt 1 — Trey- sa, auf eine Erklärung aufmerk- sam gemacht, die wir den Lesern nicht vorenthalten möchten:
„Bei den ,Untersuchungen um festzustellen, ob irgendeine Asso- ziation zwischen psychiatrischen
Erkrankungen und Motilitätsstö- rungen des Ösophagus bestand', wäre es meines Erachtens durch- aus denkbar, daß die Assoziation in diesen Fällen durch die Thera- pie der psychiatrischen Erkran- kung gegeben ist, daß es sich bei den beobachteten Phänomenen also um Therapienebeneffekte handeln könnte. Ich verweise da- zu auf Beobachtungen, die wir 1956 in der Nervenklinik Frankfurt/
Main gemacht haben und die als Tarnow-Kulenkampffsches Syn- drom bezeichnet werden." MWR 2486 (50) Heft 35 vom 29. August 1984 81. Jahrgang Ausgabe A