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Archiv "Rentenversicherung: Kein Schweizer Exportschlager" (07.11.2003)

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A2920 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 457. November 2003

KOMMENTAR

D

ie „Bürgerversicherung“ wird zurzeit lebhaft diskutiert. Von den Grünen, die sie zum Pro- gramm erheben, bis zu Horst Seehofer (CSU), von den SPD-Linken um An- drea Nahles bis zu den SPD-Rechten des Seeheimer Kreises. Der Gordische Knoten der Gesundheitsreform, den Regierung, Parlament und Interessen- gruppen kunstvoll geschürzt und die sich zugleich in ihm verheddert haben, soll mit einer einzigen Maßnahme gelöst werden.

Auch in der Rentendebatte wird die Bürgerversicherung diskutiert.Was vie- len Ärzten nicht bewusst ist: Die Bürgerversicherung könnte das Aus für die berufsständischen Versorgungswerke bedeuten. Eine Grundrente für alle und jeden lässt keinen Raum für eigenständige Versorgungsformen. Dabei fehlte selten ein Hinweis auf die Schweiz, die das angebliche Modell bereits praktiziert. Solidarische Umver- teilung von Reich zu Arm bildet das Fundament, starke kapitalgedeckte Säu- len stützen die Schweizer Alterssiche- rung gegen die Unbilden der Demo- graphie. Das Schweizer System scheint für jeden das Gewünschte zu bieten.

Ein Blick über die Grenzen zeigt je- doch:Auch die Schweiz plagen Sorgen, die Alterung der Gesellschaft treibt die Beitragssätze der umlagefinanzier- ten Alters- und Hinterlassenen-Versi- cherung (AHV) und Invalidenver- sicherung nach oben. Die obligato- rische betriebliche Vorsorge hat Ren- diteprobleme. Zudem gibt es Pro- bleme mit der Altersarmut, die in Deutschland so gut wie unbekannt ist.

Die Mindestrenten der AHV errei- chen oft kaum existenzsicherndes Ni- veau, steuerfinanzierte Ergänzungslei- stungen – als Provisorium gedacht – fungieren dauerhaft als bedarfsgeprüf- te Grundsicherung im Alter.

Unbegrenzte Beiträge zahlen in der Schweiz nur Einkommensmillionäre, nicht erwerbstätige Vermögensmil- lionäre hingegen zahlen Beiträge nur bis zu einer Obergrenze. Ein Vermögen von einer Million Schweizer Franken

führt zum Beispiel zu einem Jahres- beitrag von 1 919 Franken. Hinzu kommt, dass die Großverdiener unter den Schweizern Kompensationsmög- lichkeiten in der berufsbezogenen und privaten Vorsorge haben. Beitragsauf- wand für diese kapitalgedeckten Syste- me kann steuerlich geltend gemacht werden; in der privaten Vorsorge, in der der Steuerabzug gedeckelt ist, sind dies immerhin noch mehr als 6 000 Franken.

In der Vorsorge können Gehälter bis knapp 76 000 Franken, für Spitzenver- diener im Bereich der so genannten überobligatorischen Vorsorge sogar

noch darüber, versichert und die Beiträ- ge abgesetzt werden. Auch ist die Schweiz ein Land mit vergleichsweise niedrigen Steuersätzen. Die Schweizer Krankenversicherung wird über Kopf- pauschalen finanziert; sie kennt außer dem versicherungstypischen Risiko- ausgleich keine Umverteilung.

Vor diesem Hintergrund werden die erheblichen Umverteilungselemente der Schweizer Rentenversicherung verständlich: Ein Einkommen von 12 660 Franken jährlich führt zu einer Rente von 1 055 Franken monatlich, eines von 75 960 Franken oder mehr jedoch nur zu einer Rente von 2 110 Franken – die Mindestrente ist somit dreimal (oder mehr) so beitragspro- duktiv wie die Höchstrente. Gut ver- dienende Paare zahlen noch mehr drauf: Ihre Renten sind bei 150 Pro- zent der Höchstrente gedeckelt.

Betrachtet man jedoch die Vertei- lungswirkungen des Gesamtsystems, fällt seine Bevorzugung der Mittel- schichten auf. Während Geringverdie- ner wenig oder gar nicht von den kapi- talgedeckten Säulen profitieren und die Besserverdienenden von der AHV

erheblich belastet werden, sind es die mittleren Einkommen, die am besten

„wegkommen“.

Dies steht in krassem Gegensatz zu Deutschland, wo diese Einkommens- gruppen die „Zahlmeister“ des Sozial- staates sind. Es erklärt sich auch, war- um die Schweizer Bürger ihr Renten- system mit großer Zustimmung tragen:

In ihm haben sie die Umverteilungs- komponenten ihres Sozialstaates kon- zentriert. Die für Deutschland von der Politik etablierten typischen „Ver- schiebebahnhöfe“, deren Intranspa- renz die deutsche Sozialversicherung soviel Zustimmung gekostet hat, gibt es so gut wie nicht.

Ein Grund könnte sein, dass in der Schweiz auch die Sozialgesetz- gebung dem plebiszitären Ent- scheidungsvorbehalt des Volkes unterliegt. Kosten und Nutzen werden abgewogen, und dann ent- scheidet die Mehrheit, deren Inter- essen den Ausschlag geben. Die einzelnen Subsysteme sind in ihren Umverteilungswirkungen aufeinander abgestimmt: die Alterssicherung soli- darisch, die Krankenversicherung indi- viduell, die Besteuerung leistungs- fördernd. Im Ergebnis ist sowohl die Wochen- als auch die Lebensarbeitszeit länger als in Deutschland.

In Deutschland hingegen verteilen alle Subsysteme um, am wenigsten al- lerdings die Rentenversicherung. Dar- um tritt in diesem System auch am deutlichsten zutage, warum eine Aus- dehnung auf alle Wohnbürger die So- zialkassen nicht sanieren kann – neue Einzahler generieren neue Ansprüche.

Doch auch in der Krankenversiche- rung mit ihrem Sachleistungsprinzip gilt, dass neue Mitglieder auch krank werden. Der Glaube an eine „gerech- tere“ Verteilung der Lasten gründet in Wahrheit nicht auf neuen Versicher- ten. Er zielt auf mehr Umverteilung zulasten von Leistungsträgern. Hierfür müssen diesen jedoch die Alternativen genommen werden. Dies ist die wahre Ratio der Bürgerversicherung. Mit dem Schweizer „Vorbild“ hat das nichts zu tun. Stefan Strunk

Rentenversicherung

Kein Schweizer

Exportschlager

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