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ie Behandlung von Nikotinabhän- gigkeit spielt in der hausärztlichen Versorgung eine eher untergeord- nete Rolle. Mehr als 25 Prozent aller Raucher werden in der Allgemeinarzt- praxis nicht als Zigarettenkonsumenten erkannt. Nur jeder zweite Raucher wird vom Arzt auf eine Rauchentwöhnung angesprochen, und nur bei jedem zehn- ten wurde ein Therapieversuch unter- nommen. „Ein ernüchterndes Ergeb- nis“, sagte Prof. Dr. phil. Hans-Ulrich Wittchen bei einer Veranstaltung von GlaxoSmithKline in Berlin.Wittchen ist Leiter des Instituts für Klinische Psychologie und Psychothera- pie an der Technischen Universität Dres- den (TU). Er stellte die weltweit größte Hausarzt-Studie SINACS (Smoking and Nicotine Dependence Awareness und Screening) zum Thema Nikotinabhän- gigkeit vor. Hier sollte untersucht wer- den, wie viele Patienten von Hausärzten rauchen und welche Entwöhnungsme- thoden bevorzugt werden. Für die Un- tersuchung mit dem Titel „Raucherent- wöhnung beim Allgemeinarzt – An- spruch und Wirklichkeit“ wurden im Frühjahr dieses Jahres in 813 Hausarzt- Praxen an 28 707 Patienten Fragebögen zu Rauchgewohnheiten verteilt.
Demnach gab rund ein Drittel der Patienten an, niemals geraucht zu ha- ben. Etwa 29 Prozent der Befragten wiesen sich als Raucher aus, 22 Prozent von ihnen rauchten gelegentlich, die Übrigen regelmäßig mindestens eine Zigarette täglich. Etwa 16 Prozent der Männer und 12 Prozent der Frauen in der Allgemeinarztpraxis weisen ein kli- nisch bedeutsames Abhängigkeitssyn- drom nach DSM-IV, dem Diagnosesy- stem der American Psychiatric Associa- tion, auf. Jeder zweite Hausarzt sah bei Patienten eine geringe Aufgeschlossen-
heit zur Raucherentwöhnung. Zu den bevorzugten Interventionen der Ärzte zählten Beratung und Motivierung (52 Prozent) und eine medikamentöse The- rapie (24 Prozent).
Bei abhängigen Rauchern „ist die Be- reitschaft zum Aufhören sehr hoch“, be- richtete Diplom-Psychologin Eva Hoch, wissenschaftliche Mitarbeiterin der In- stitutsambulanz und Tagesklinik für Psy- chotherapie der TU Dresden. Kritisch beurteilt sie die Patientensicht zur Rau- cherentwöhnung: „Aufhören ja – aber nicht sofort“, ist eine häufige Reaktion.
„Die meisten Befragten hatten bereits öfter versucht, mit dem Rauchen auf- zuhören – 40 Prozent aus gesundheitli- chen Gründe und 25 Prozent wegen der hohen Kosten.“ Als Ursache für das Scheitern gab nahezu die Hälfte der Be- fragten an, „es einfach nicht geschafft zu haben“. Rund 24 Prozent nannten eine
„starke Verführung in der Freizeit“.
Wenig Zeit und Honorar
Etablierte Entwöhnungsmethoden oder Nikotinersatz wurden von den Patien- ten selten ausprobiert.Verordnen Ärzte jedoch ein Medikament zur Raucher- entwöhnung, dann bevorzugen 77 Pro- zent Bupropion, heißt es in der Studie.
Was hindert die Ärzte, mehr Raucher- entwöhnungsprogramme anzubieten oder Patienten auf ihren Nikotinkon- sum anzusprechen? Einige Aussagen:
„zu wenig Zeit im Praxisalltag“ und
„das Problem einer adäquaten Hono- rierung“. Eine weitere Barriere ist die fehlende Fortbildung. Nur jeder zweite Arzt nahm an einer entsprechenden Schulung teil, und nur zehn Prozent be- suchten Fortbildungen mit praktischen
Übungen. Susanne Lenze
P O L I T I K
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A602 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 107. März 2003