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icht als plötzliche Naturkatastro- phe brach die Vogelgrippe über Deutschland herein, sondern sie rückte langsam – quasi mit Vorankündi- gung – näher. Obwohl es bereits im Herbst als wahrscheinlich galt, dass die Tierseuche mit dem Vogelzug im Früh- jahr auch Deutschland erreichen würde, zeigten sich die sonst als durchorgani- siert geltenden deutschen Behörden schlecht gerüstet. Nur sehr schleppend und wenig koordiniert liefen die Schutz- maßnahmen gegen ein Ausbreiten der Vogelgrippe in Mecklenburg-Vorpom- mern an. „Das war jetzt nur der Vor- geschmack. Alle Bundesländer müssensich auf die Tierseuche einstellen“, meint Prof. Dr. med. Christoph Fuchs, Hauptgeschäftsführer der Bundesärzte- kammer (BÄK). Er appelliert an die Länder, auch ihrer Verantwortung für die medizinische Versorgung der Bevöl- kerung in einem möglichen Pandemie- fall in vollem Umfang nachzukommen.
Auf einer Krisenkonferenz am 23. Fe- bruar in Berlin beschlossen die Landes- gesundheitsminister, die Vorräte an an- tiviralen Medikamenten aufzustocken, um im Ernstfall 20 Prozent der Bevölke- rung versorgen zu können.
Vorbereiten auf eine Influenzapande- mie sollten sich nach Ansicht von Fuchs
auch Deutschlands Ärztinnen und Ärz- te. „Wir können nicht so lange warten, bis es so weit ist, sondern müssen jetzt über Katastrophensituationen nachden- ken, Pandemiepläne erstellen und den Dialog mit anderen Beteiligten suchen“, betont Fuchs.
Ein Grund zur Panik ist jedoch auch gegenwärtig nicht gegeben. Mit dem Vo- gelgrippevirus H5N1 infizieren sich Menschen nur, wenn sie durch engen Kontakt mit erkrankten Tieren große Vi- rusmengen aufnehmen. Eine Mensch- zu-Mensch-Übertragung ist bislang nicht erfolgt; das Risiko einer Mutation des Virus ist noch relativ gering. „Dann allerdings würden die Versorgungsstruk- turen drohen zusammenzubrechen“, ist Fuchs überzeugt. Darauf müssten die Ärzte eingestellt sein. Fragen, welche diagnostischen Maßnahmen nötig sind, wie die Betreuung in Krankenhaus und Praxis organisiert werden soll und wel- che therapeutischen Möglichkeiten es gibt, müssten im Vorfeld durchdacht werden. „Auf die Landesbehörden muss Druck ausgeübt werden, endlich Pläne zu erstellen“, fordert Fuchs.
Die Bundesärztekammer hat des- halb eine Arbeitsgruppe der Influenza- pandemie-Beauftragten der Landesärz- tekammern eingerichtet. Bei der Ar- beitssitzung der Gruppe am 21. Februar präsentierte Leiterin Dr. med. Anne- gret Schoeller die Ergebnisse einer Um- frage zum Stand der Vorbereitungen auf eine Influenzapandemie unter den Landesärztekammern. Danach hat sich in nahezu allen Kammern bereits eine Pandemie-Arbeitsgruppe konstituiert.
Garantiert sei zumeist auch eine unmit- telbare Erreichbarkeit der Ansprech- partner auf regionaler Ebene. Verwir- rung herrscht in den Ländern jedoch noch hinsichtlich der Definition, wann tatsächlich eine Pandemie ausgebro- chen ist. Nur in vier Bundesländern ha- ben die zuständigen Landesgesund- heitsbehörden die medizinischen Maß- nahmen, die im Ernstfall ergriffen wer- den sollen, konkret geregelt und Pande- miepläne vorbereitet. Notfallpläne im Hinblick auf Schwerpunktpraxen und Versorgungsstützpunkte müssen noch in vielen Ländern installiert werden.
Empfehlungen zum Schutz des Kran- kenhaus- und Praxispersonals laufen erst an. Dr. med. Eva Richter-Kuhlmann P O L I T I K
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A582 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 10⏐⏐10. März 2006
Vogelgrippe
Zeitvorteil kaum genutzt
Die Bundesärztekammer appelliert an die Bundesländer, besser für den Pandemiefall vorzusorgen. Auch den Ärzten empfiehlt sie eine rechtzeitige Vorbereitung.
DÄ: Die Umfrage zum Stand der Vorbereitungen auf eine Influenzapandemie zeigt Unterschiede zwischen den Landesärztekammern. Sind Sie mit den bisherigen Aktivitäten zufrieden?
Schoeller:Nein, und des- halb haben wir auf unserer jüngsten Sitzung auch weitere Maßnahmen verabredet. Es kommt auf die Landesärzte- kammern die wichtige Aufgabe zu, gegenüber den Landesge- sundheitsbehörden darauf hin- zuwirken, das ärztliche Exper- tenwissen vermehrt in die Vor- bereitungen auf den Pandemie- fall einzubeziehen und tragfähi- ge Beratungsstrukturen für Ärz- tinnen und Ärzte aufzubauen.
DÄ: Wie soll das weitere Vorgehen der Landesärztekam- mern organisiert werden?
Schoeller: Ich halte es primär für erforderlich, dass wir für Ärztinnen und Ärzte und ihr Personal, aber auch für Patien-
tinnen und Patienten Informati- onsmaterialien erarbeiten und zur Verfügung stellen. Es müs- sen auch Abstimmungen mit dem Robert Koch-Institut im Sinne einer abgestimmten „Ri- sikokommunikation“ erfolgen.
Meines Erachtens ist Aufklärung der beste Weg gegen Verunsi- cherung. Solche Informations- materialien dürfen nicht mit der heißen Nadel gestrickt werden.
Sie müssen sorgfältig vorberei- tet werden, ihre Erarbeitung
darf dennoch nicht zu viel Zeit erfordern.
DÄ:Eng arbeitet die BÄK in den Fragen rund um die Vogelgrippe bereits mit der Kassenärztlichen Bundesverei- nigung zusammen. Sind weite- re Kooperationen geplant?
Schoeller: Ja, wir sind in Unterarbeitsgruppen des Robert Koch-Instituts tätig, mit der Bundesvereinigung der Apotheker in Kontakt und ein- bezogen in die Diskussion mit den zuständigen Bund-Länder- Vertretern.
DÄ:Würden Sie ein bundes- einheitliches Handeln bezüglich des Infektions- und Katastro- phenschutzes befürworten?
Schoeller:Angesichts der mangelhaften Bund-Länder- Kooperation in Mecklenburg- Vorpommern halte ich es tatsächlich für erforderlich, dass ein stärker bundeseinheit- lich ausgerichtetes Handeln
angestrebt wird. )
Nachgefragt
Dr. med. Annegret Schoeller, Leiterin der Arbeitsgruppe Influenzapandemie der BÄK
Foto:privat