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Archiv "Jutta Neumann" (15.03.1979)

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Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen Gabriele Wohmann

Nun, zu niedrig ist er ganz entschie- den nicht.

Womöglich schon ein wenig zu hoch, fragte Hubert. Er zog sich an, vor Wissensdurst vergaß er den Pa-

ravent und stopfte sein Hemd von Angesicht zu Angesicht mit Dr.

Schliemann in die Hose. Es war ihm unbehaglich, plötzlich mit einem Blutdruck zu leben, der nicht in schlaffer lauer Infarktferne unter dem Normalwert lag. Lieber ruhig ein bißchen ohnmacht- und schwin- delbedroht ein als demnächst violetthäutig hitzig rotgeädert auf- platzend. Sie können das nicht wis- sen, sagte er, ich meine, daß ich fast gewöhnt bin an zu niedrigen Blut- druck, daß ich mich also eine Spur verunsichert fühle mit diesem Er- gebnis.

Ich verlange nicht Schönheit, er- kannte Hubert und glaubte kurz dar- an, das war lebenslänglich mein Irr- tum. Nützlichkeit, Sachverstand, und Geduld: welche Tugenden. Und ein Perlenkettchen, des frühen, auf- opferungsvoll unausgeschlafenen Morgens angelegt, kleiner Hinweis auf ein Selbst, wie genügsam das genügt!

Dr. Schliemann wurde hinter dem Schreibtisch wieder zur Fiktion ei-

ner nicht unter allen Umständen sehr kurzbeinigen Frau.

Sie stöbern wohl gern ein bißchen in medizinischen Nachschlagewerken herum, da lieg ich sicher richtig, Herr Frey?

(Der hier wiedergegebene Auszug ist dem Roman „Frühherbst in Badenwei- ler" von Gabriele Wohmann entnommen;

Luchterhand Verlag, Darmstadt, 1978, 265 Seiten, in Leinen gebunden 28 DM.)

Arzt - und Poet dazu

Es handelt sich um einen Idealwert,

sagte Dr. Schliemann.

Jutta Neumann

Basta oder etwas von ähnlichem Aussagecharakter schien sie nur mit Not zu unterdrücken. Die Gutmütig- keit der Boxerhunde ist schließlich nur eine menschliche Interpretation.

Sie ist nichts als eine Schlußfolge- rung aus einer unwandelbaren Phy- siognomie. Hubert spürte, daß er nur mit einem satirischen Zerrbild seiner Bewußtseinslage die Gewogenheit der Frau zurückgewinnen konnte. Er mußte sie zum Lachen bringen. Bei Ärzten erreichte man das mittels Sarkasmen, mit kaltschnäuzigen Ka- rikaturen.

Ich nehme an, daß ich von nun an zum Apoplektiker neigen werde, sagte er und lachte als erster. Aber nicht als einziger. Sie lachte tatsäch- lich auch. Er hatte den program- mierten Reflex ausgelöst. Ein sym- pathischer Mensch, das war sie doch entschieden. Reaktionsfähig.

Nicht ohne Humor. Warum studieren nicht viel mehr Frauen Medizin.

Wenn sie als Medizinerinnen auftre- ten, hat man so ganz und gar nichts gegen ihre Selbständigkeit und das ganze zeitraubende Verwirklichen.

Wie therapeutisch wirkt dann ihre leichte Verachtung. Wie gut es tut, sich ein wenig verspotten zu lassen.

Alles flößt ein großes Vertrauen ein.

Jutta Neumann ist Ophthalmologin und derzeit im Psychologischen In- stitut des TÜV Essen angestellt. Sie ist Jahrgang 21, gebürtige West- preußin, in Danzig aufgewachsen, lebte nach der Flucht in Tübingen, wo sie das Staatsexamen ablegte.

Von 1948 bis 1974 lebte sie in der DDR (Halle, Ostberlin, Oelsnitz/

Vogtland, Aschersleben). Nach 1974 war sie eineinhalb Jahre ohne Tätig- keit. In dieser Zeit entstanden Ge- dichte „Elegien", „in denen ich die tödliche Isolation aufzeigen wollte, unter der ich lange stand. — Inzwi- schen... auch ganz andere Sachen geschrieben ... " Deutlich drückt sich dies aus in:

Immer am Rande postiert, aufgabenbeschwert,

Nie . . . in die Mitte gerückt von lie- bender Hand, von Konventionen bestimmt, unglücklich machend,

da überfordernd, vergeblich lodernd wie eine Flamme

bis zum Erlöschen.

Niemand meint den andern wirklich!

Nur . . . sich selbst!

Spiegelung ist hübsch eine Zeit- lang ..

Als ich bei Tagesanbruch aufbrach, ahnte ich nichts

von den Dolchstößen, den Foltern die mich treffen würden

im Alltag

bis für den Abend... gar nichts mehr blieb.

So bleib ich verhaftet

im Provisorischen, Vorläufigen, nicht Gemeinten!

Setze mich fest

in kleinen Geschäftigkeiten ohne Spielraum und Lust

zerpflücke leicht Flüchtiges im Ansatz komme nie mehr... davon!

Wenn man diese schwermütigen Verse liest, möchte man der Autorin die Hand hinhalten: „Erzähle mir mehr von dem, was Du erlebt hast."

Und man ist froh zu erfahren, daß diese seelische Bedrückung inzwi- schen überwunden ist. Aber man möchte auch am Froheren (das ja schwerer auszusprechen ist) teilha- ben.

Die Adresse von Dr. med. Jutta Neu- mann lautet: Gärtnerstraße 41, 4300 Essen

Edith Engelke

760 Heft 11 vom 15. März 1979 DEUTSCHES ARZTEBL ATT

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