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Archiv "Neuere Aspekte der Ernährung mit Muttermilch" (08.03.1979)

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Neuere Aspekte

der Ernährung mit Muttermilch

Eberhard Schmidt

Aus der Kinderklinik B der Universitätskinderklinik Düsseldorf (Direktor: Professor Dr. med. Eberhard Schmidt)

1. Einleitung

Jahrzehntelang ist in der westlichen Weit - ausgenommen Italien, Spa- nien und Griechenland- die Ernäh- rung des Säuglings mit Muttermilch rückläufig gewesen. ln den letzten Jahren jedoch häufen sich Angaben über ein Wiederaufleben der Stillbe- reitschaft

Vorteile der Ernährung mit Mutter- milch, besonders aber Umweltbe- dingungen, welche den Stillerfolg fördern, sollten deshalb auch für den praktischen Arzt, der wieder mehr mit der Beratung der stillen- den Mutter befaßt sein wird, aufge- griffen werden.

2. Speziesspezifität, Stillen als Instinkt· und Lernverhalten Spezieseigene Milch ist in der Evo- lution der Säugetiere ein entschei- dender Weg zu~ Arterhaltung; im Nährstoffgehalt ist sie auf den Stoff- wechsel des Nachwuchses einge- stellt, Immunfaktoren berücksichti- gen die potentiellen Auseinander- setzungen mit pathogenen Erregern aus der spezifischen Umwelt und die Dauer der Laktation, die Frequenz der täglichen Mahlzeiten ist den Ma- turitätsverhältnissen der jeweiligen Art angepaßt.

Während Ernährung mit arteigener Milch bei vielen Tierarten ein reines Instinktverhalten darstellt, ist ihr Gelingen bei höheren Säugetieren auch vom Sozialverhalten anderer Herdentiere abhängig - sie ist hier also zusätzlich ein Lernprozeß (4).

Der Mensch hat seit einigen Jahr- zehnten versucht, als erste Spezies seinen Nachwuchs ohne arteigene Nahrung aufzuziehen. Die Langzeit- prognose dieses Großversuches in der westlichen Weit bleibt abzu- warten.

Sein Übergreifen auf die dritte Weit, in der künstliche Säuglingsernäh- rung auch heute noch Krankheit und Tod der Säuglinge bedeutet, und die zunehmende Erkenntnis der moder- nen Wissenschaft, daß Muttermilch in vielen ihrer Auswirkungen un- nachahmbar ist und bleiben wird, machen die sich abzeichnende Ten- denzwende in der Stillbereitschaft begrüßenswert.

Stillen muß aber erst wieder als Lernprozeß für die Mutter erkannt werden. Stillvorbilder in der Fami- lie, Stillaufklärung in Schule und Schwangerschaftsvorsorge sind sel- ten geworden.

Flasche füttern kann jeder, Stillen muß in vielen Fällen geduldig erlernt werden, sowohl von der Mutter als auch von ihrem Kind.

3. Einmaligkeit der Muttermilch und ihre

klinischen Auswirkungen Die unnachah mbaren Faktoren der Muttermilchernährung betreffen das Kind und seine Mutter gleicherma- ßen. Für den Pädiater stehen ernäh- rungsphysiologische und immuno- logische Vorteile für den Säugling im Vordergrund. Innerhalb der ein- zelnen Nährstoff-Fraktionen sind sie eng miteinander verknüpft.

Muttermilchernährung bedeu- tet Gesundheitsprophylaxe für den Säugling. Die Spezifität der Muttermilch im Hinblick auf Stoffwechselfunktionen und Reifung in der Postnatal- zeit sowie auf Infektions- schutz gegenüber den spezifi- schen Keimen der Umwelt des Säuglings ist in neueren Ar- beiten immer deutlicher auf- gedeckt worden. Inzwischen ist auch offensichtlich, daß Muttermilch in vielen Punkten unnachahmbar bleiben wird. Gerade in der Stillberatung spielt aber auch die Frage nach dem hohen Pestizidge- halt der Muttermilch und der

Mammakarzinomprophylaxe durch Stillen eine praktische Rolle. Für den Arzt ist die Pro- pagierung des Stillens nur möglich, wenn er auch die Stillphysiologie berücksich- tigt. Um ihr gerecht zu wer- den, sind eine Reihe von prak- tischen Problemen in geburts- hilflichen Kliniken, Kinderkli- niken und in der ärztlichen

Praxis zu berücksichtigen.

Protein

Selbst wenn das Verhältnis von Ca- sein zu Molkenprotein in künstlicher Säuglingsmilchnahrung den Ver- hältnissen in der Muttermilch ange- paßt wird, bleiben große biologische Unterschiede zwischen den Prote- inen beider Milchen bestehen (2).

~ Reife Muttermilch ist eiweißarm (0,9 g/100 ml). Etwa 20 Prozent des früher auf 1,2 g/100 ml angenomme- nen Proteinanteils sind Non-Prote- in-Stickstoffverbindungen, über de- ren biologische Bedeutung wenig bekannt ist. Niemand würde sich trauen, künstliche Säuglingsmilch- nahrungen mit einem derart niedri- gen Eiweißgehalt anzubieten.

~ Muttermilch ist reich an Polyami- nen, die in Kuhmilch kaum vorkom- men und die im Tierversuch eiweiß- sparend wirken. I>

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 10 vom 8. März 1979 639

(2)

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Ernährung mit Muttermilch

..,.. Muttermilchprotein ist frei von Betalaktoglobulin, jener Protein- fraktion, die in Kuhmilch die höchste allergene Wirkung besitzt.

..,.. Muttermilchprotein enthält

[> Laktoferrin, ein eisenbindendes

Protein, welches in der Lage ist, Bakterien das für ihr Wachstum wichtige Eisen zu entziehen und da- mit bakteriostatisch zu wirken. Es kommt in Kuhmilch kaum vor.

[> Lysozym, einen unspezifischen

Abwehrstoff gegen Bakterien.

[> Komplementfaktoren (C3 , C4, C'3)

und

[> spezifische Immunglobuline, ins-

besondere sekretorisches lgA (s. unten).

Diese Aufzählung erhebt keinen An- spruch auf Vollständigkeit. Die hier erwähnten Besonderheiten sind praktisch nicht nachahmbar.

Klinische Auswirkungen für den Säugling: Niedrige renale Molenlast (siehe unten), Schutz vor Amino- säurenimbalanzen, spezifischer und unspezifischer immunologischer Schutz (siehe unten) gegenüber In- fektionen und nutritiv-allergischen Erkrankungen.

Fett

Muttermilchfett wird schon vom jun- gen Säugling bis zu 90 Prozent aus- genutzt. Die hohe Resorptionsrate ist selbst bei Imitation der Fettsäu- renzusammensetzung des Mutter- milchfeHes in künstlicher Säug- lingsmilchnahrung kaum zu errei-

chen. Muttermilchfett

..,.. enthält mehr als 150 verschiede- ne Fettsäuren, von denen nur ein kleiner Teil nach Ursprung und bio- logischer Wirkung bekannt ist, ..,.. kann nur in bezug auf etwa ein Dutzend der in ihm enthaltenen Fett- säuren auch in künstlicher Säug- lingsmilchnahrung imitiert werden, ..,.. weist eine besondere Struktur der Triglyzeride auf, die für die über-

legene Resorption des Muttermilch- fettes verantwortlich ist,

..,.. enthält im Vergleich zu Kuh- milchfeH ein Vielfaches an der für den Säugling essentiellen Linolsäu-

re. Ihr kommt, zumindest im Tierver-

such, ein fördernder Einfluß auf die

Aktivierung der Immunabwehr zu. Sie könnte damit bei Infektionen ei- ne wichtige Ergänzung zur überwie- genden Leihimmunität des jungen Säuglings darstellen,

..,.. eine gallensalzabhängige Lipase der Muttermilch, die in Kuhmilch fehlt, fördert die Hydrolyse von Tri- glyzeriden und Vitamin A.

Klinische Auswirkungen: Hohe Aus- nutzung des Frauenmilchfettes und gute Linolsäureversorgung.

Diese Fakten sind jedoch in gewis- sem Maße auch in künstlichen Säuglingsmilchnahrungen nachzu- ahmen.

Kohlenhydrate

Muttermilch enthält an Kohlenhy- draten etwa 7 bis 8 g/1 00 ml. Entge- gen früheren Vorstellungen ..,.. sind 20 Prozent der Kohlenhy- dratfraktion Oligosaccharide, die in Kuhmilch kaum vorkommen. Soweit bisher bekannt, spielen sie eine Rol- le als Wachstumsfaktoren für den Laktobazillus bifidus, als unspezifi- sche Hemmfaktoren gegenüber ln- fluenzaviren sowie als Hemmfakto- ren für das Wachstum von Escheri- chia coli,

..,.. Laktose aus Muttermilch wird langsamer gespalten als Laktose aus Kuhmilch. Dadurch entsteht im unteren Darmabschnitt ein azido- philes, kalifeindliches Milieu, ..,.. die langsame Spaltung der Lak- tose bedingt aber auch niedrige postprandiale Glukosekurven und eine geringere Beanspruchung des Insulinhaushaltes beim gestillten im Vergleich zum künstlich ernährten Säugling.

640 Heft 10 vom 8. März 1979

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Klinische Auswirkungen: Die Oligo- saccharide greifen im Sinne der Ver- minderung des Angehens von Kali- infektionen in die Ökologie des Dar- mes ein. Niedrige Glukose- und ln- sulinkurven lassen Auswirkungen auf das Appetitverhalten und die Sättigungskontrolle des Säuglings zunächst nur vermuten.

Mineralien

Der Mineralgehalt der Muttermilch vo·n 0,2 g/100 ml ist in künstlicher Säuglingsmilchnahrung nur unter hohem technischen Aufwand zu rea- lisieren.

..,.. Die Resorption bestimmter Mine- ralien, so zum Beispiel Eisen aus Muttermilch ist der Resorption aus Kuhmilch überlegen.

..,.. Für Zink ist ein spezifischer re- sorptionsfördernder Ligand gefu n- den worden, der in Kuhmilch nicht vorkommt.

Klinische Auswirkungen: Niedriger Mineralgehalt, zusammen mit Pro- teinarmut, bedingen niedrige Mo- lenlast und damit Schonung der rei- fenden Ausscheidungsfunktionen der Nieren. Gestillte Kinder haben hohe Wasserreserven, wenn sie mit extrarenalen Wasserverlusten (Fie- ber, Durchfall) konfrontiert werden.

Eisenmangelanämien sind bei ge- stillten Kindern seltener als bei künstlich ernährten. Die als Zinkre- sorptionsstörung identifizierte Acro- dermatitis enteropathica kommt bei Muttermilchernährung nicht vor.

Immunologische Gesichtspunkte Seit der Entdeckung der unbehin- derten Passage spezifischer mütter- licher Antikörper, insbesondere des sekretorischen lgA aus der Mutter- milch durch den Magen in den ge- samten Darm des Säuglings, sind die immunologischen Vorteile der Mutterm i I ehernäh ru ng wieder ver- mehrt beachtet worden. Hohe Kon- zentrationen von sekretorischem lgA im Kolostrum (20 - 50 mg/ml) gehen mit steigender Sekretions-

(3)

menge reifer Muttermilch bis auf 0,3 mg/ml zurück. Die tägliche Zufuhr von sekretorischem lgA beim vollge-

stillten Säugling liegt bei ca. 250

mg/Tag.

..,.. Die Antikörperaktivität der Mut- termilch betrifft die potentiellen pa- thogenen Bakterien und Viren der Säuglingszeit aus der mütterlichen Umwelt, besonders Enterobakterien.

Enteretoxine können inaktiviert werden.

..,.. Antigenverwandtschaften schüt- zen auch vor Keimen, mit denen die Mutter nie zuvor Kontakt hatte.

..,.. Gemeinsam mit Makrophagen können lgA-Antikörper nutritive All- ergene vor der Absorption bewahren und sie eliminieren (3).

Muttermilch, vor allem Kolostrum, ist reich an Leukozyten. 90 Prozent dieser Zellen sind Makrophagen mit der Fähigkeit zur Phagozytose. Die Lymphozyten der Muttermilch sind etwa zur HälfteT-Zellen. Sie produ- zieren

..,.. Immunglobuline

..,.. antivirales Interferon und können ..,.. zelluläre Abwehrreaktionen von der Mutter auf das Kind übertragen. Klinische Auswirkungen: Gestillte Kinder weisen geringere Anfälligkeit gegenüber Infektionen auf. Dies gilt nicht nur für banale respiratorische oder enterale Infekte. Gestillte Kin- der sind weitgehend gegen

..,.. enterepathogene Kaliinfektionen ..,.. Sepsis und bakterielle Meningitis ..,.. Enterocolitis haemorrhagica ..,.. Salmonellen und Shigellen-ln- fektionen

..,.. primär abszierende Pneumonien geschützt (3).

Kinder aus Allergikerfamilien sollten zunächst ausschließlich gestillt wer-

den. Dies ist nicht nur durch die Zu-

fuhr arteigenen Proteins, sondern auch durch die Fähigkeit zur Elimi- nation nutritiver Allergene be- gründet.

Stillreflexe

Kind

Suchen~

Saugen Schlucken

Mutter

Milchsekretion (Prolactin) Warzenerektion

t

"Let-Down" (Oxytocin)

Darstellung 1: Neonatale und maternale Stillreflexe und ihre Interaktionen. Die zentrale Bedeutung des Saugaktes für die Laktation ist deutlich. Umstritten bleibt. ob Oxytocin direkt einen Anstieg des Prolaktinspiegels bewirken kann

4. Der Pestizidgehalt der Muttermilch

Muttermilch ist um ein Vielfaches reicher an Pestiziden als künstliche Säuglingsmilchnahrungen. Sie wer- den aus dem Fettgewebe der Mutter mobilisiert und in die Milch abgege- ben. Der hohe Pestizidgehalt der Muttermilch wird von verantwortli- chen Gremien in vielen Ländern der Weit beobachtet. Nirgendwo haben sich bisher schädliche Auswirkun- gen auf die Gesundheit gestillter Säuglinge gezeigt. Es ist damit zu rechnen, daß der Pestizidgehalt der Muttermilch im Verlauf der nächsten Jahrzehnte allmählich absinken wird.

5. Stillen und

mütterliche Gesundheit

Die Auswirkungen des Stillens auf die rasche Rückbildung der Gebär- organe nach der Geburt ist bekannt.

Das Wissen um die Bedeutung des hohen Prolaktinspiegels ist lücken- haft. Seine antikonzeptionelle Wir- kung ist bei den hier üblichen Still- gewohnheiten nicht zuverlässig. Vieles spricht dafür, daß Stillen die Gefährdung, vor der Menopause an Mammakarzinom zu erkranken, auf bis zu ein Drittel herabsetzt. Die un- mittelbare Kausalität hat sich bisher nicht beweisen lassen. Verschiede- ne Faktoren wie frühe erste Schwan- gerschaft und die Dauer der Stillzeit sind wichtige Einflußgrößen. Der

stillunschlüssigen Mutter gegen- über sollte die Mammakarzinompro- phylaxe nicht als Stillargument auf- gedrängt werden, da Krebsangst kein Stillmotiv sein darf.

6. Psychephysiologie des StilJens

Laktogene~e und Laktation beruhen auf einer Vielfalt hormoneller Syner- gismen. Diese werden ganz wesent- lich durch die Interaktionen zwi- schen Mutter und Kind, vor allem durch den Saugakt gesteuert. Im Mittelpunkt des Interesses stehen die Stil/reflexe. Kindliche und müt- terliche Reflexe sind auf das engste miteinander verknüpft.

Kindliche Stil/reflexe: Suchreflex, Saugreflex und Schluckreflex be- ginnen sich bereits ab der 17. Fetal- woche zu entwickeln. Als Teil der psychomotorischen Reifung sind sie zwischen 32. und 36. Gestationswo- che voll ausgeprägt. Der Saugreflex erreicht beim reifen, nicht durch mütterliche Allgemeinnarkose be- einträchtigten Neugeborenen be- reits 30 Minuten nach der Geburt einen ersten Höhepunkt.

Schon hier sei betont, daß das Sau- gen an der Warze den wichtigsten Anreiz zur Laktogenese darstellt (vgl. Darstellung 1).

Maternale Reflexe: Drei maternale Reflexe sind mit dem Saugen des Kindes verbunden.

t>

DEUTSCHES ARZTEBLATT Heft 10 vom 8. März 1979 641

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin

Ernährung mit Muttermilch

~ Milchsekretionsreflex (Prolactin- reflex): Die Sekretion von Prolactin, dem Schlüsselhormon für die Lakto- genese, wird am stärksten durch den Saugreiz stimuliert. Zwischen Intensität des Saugreizes, Höhe des Prolactinspiegels und Milchmenge gibt es quantitative Beziehungen (4).

Zahlreiche Berichte belegen die

Möglichkeit, auch ohne vorausge-

gangene Schwangerschaft allein durch Saugreiz eine Laktation aus- lösen zu können (Relaktation, Adop- tivlaktation, "survival Laktation").

Der Prolactinreflex befähigt die Brustdrüse innerhalb von 2 bis 3 Stunden wieder stillbereit zu sein. Er stellt einen wichtigen Regulations- faktor für die "Bedarfsfütterung"

dar. Die Einführung von Flaschen- mahlzeiten oder Schnullern entzieht der Mutter die Saugintensität ih- res Kindes und gefährdet den Still- erfolg.

~ Warzenerektionsreflex: Die Erek- tion der Warze durch die Saugbe- mühungen des Kindes macht sie protraktil für das Auspressen der Milchgänge und unterstützt den Stillerfolg vor allem bei flachen oder gar leicht invertierten Brustwarzen.

~ Milchsekretionsreflex, Oxytocin- reflex, "Let-Down-Reflex": Dieser neuroendokrine Reflex ist in hohem Maße psychosomatisch beeinfluß- bar. Der Saugreiz stimuliert die Me- chanorezeptoren der Warze und in- duziert Impulse im Hypothalamus.

Oxytocin wird vom Hypophysenhin- terlappen in den Blutstrom abgege- ben und erzeugt unter anderem Kontraktionen der myoepithelialen Korbzellen um die Alveolen der Milchdrüse. Milch wird so in die ter- minalen Milchgänge ausgedrückt, wo sie abgesaugt werden kann. Der Oxytocinreflex ist in hohem Ma- ße durch psychologische Faktoren beeinflußbar. Bei manchen Müttern genügt der Anblick oder ein Ge- räusch ihres Kindes, um ihn auszu- lö~en. Er kann durch psychischen StreB blockiert werden. Wahrschein- lich bewirkt die streBbedingte Aus-

schüttung von Adrenalin eine Vaso- konstriktion in der Milchdrüse und vermindert den Zustrom von Oxy- tocin.

Unter den Streßfaktoren, die den Stillerfolg blockieren können, sind Trennung von Mutter und Kind nach der Geburt, rigide Fütterungsregeln, fehlende Unterstützung und der vie- len Müttern auferlegte Zwang, früh- zeitig zum Arbeitsplatz zurückkeh- ren zu müssen, besonders im Auge zu behalten.

Die Lokalisation der neurohormo- nellen Steuerungsmechanismen des Stillens im Bereich von Hypothala- mus - Hypophyse - Nebenniere ei- nerseits und ihre Abhängigkeit von der Saugaktivität des Säuglings und damit von einer störungsfreien Inter- aktion zwischen Mutter und Kind an- dererseits, machen verständlich, warum psychologische Faktoren in hohem Maße über Stillerfolg oder Stillversagen entscheiden, ja je nach Betrachtungsweise als primär er- achtet werden.

An dieser Stelle muß ausdrücklich betont werden, daß ein enger Kon- takt zwischen Mutter und Kind auch ohne Stillen entstehen kann. Es gibt keine Untersuchungen, die diese Feststellung widerlegen.

Die Tatsache, daß die Nutzung der

"sensiblen Phase" der Mutter un-

mittelbar nach der Geburt (5) den Stillerfolg günstig beeinflußt, schließt gleichwertig intensiven Kontakt zwischen Mutter und Kind bei künstlicher Ernährung jedoch nicht aus.

7. Praktische Konsequenzen

Stillerfolg stellt sich meist dann ein,

wenn den Fakten der Stillphysiolo- gie Rechnung getragen wird. So ist zu verstehen,

~ daß frühes Anlegen unmittelbar nach der Geburt und

~ kontinuierlicher Mutter-Kind- Kontakt in den ersten Lebenstagen (Rooming-in)

642 Heft 10 vom 8. März 1979 DEUTSCHES ARZTEBLATT

nach zahlreichen Berichten fast au- tomatisch die Stillfrequenz anstei- gen lassen. Durch diese Maßnah- men wird auch dem eingangs er- wähnten "Lernprozeß Stillen" Raum gegeben. Mutter und Kind lernen sich gegenseitig kennen.

So lernt die Mutter den Eigen- rhythmus des Kindes und sein Sätti- gungsverhalten, das Kind kann of- fenbar nach wenigen Tagen für sei- ne Mutter spezifische Sinnesein- drücke wahrnehmen und sich nach ihnen orientieren (4).

Zwischen beiden existiert offenbar eine Reihe von Signalen, über die erst wenig bekannt ist.

Im Bereich der Klinik bringt die Be- rücksichtigung dieser Fakten viele Probleme:

~ Frühes Anlegen im Kreißsaal er- fordert eine ruhige Umgebung und geschickte Hebammen.

~ "Rooming-in" ist personalinten-

siv! Mütter zu lehren ist zeitaufwen- diger, als Säuglinge selbst mit ge- übter Hand zu wickeln und zu füt- tern.

~ Das gesamte medizinische Per- sonal muß einheitlich geschult sein, damit die Mutter vor kontroversen Ratschlägen geschützt ist

~ Stillzeiten sollten Ruhezeiten für Mutter und Kind sein.

~ Ständiges Wiegen vor und nach der Brustmahlzeit ist überflüssig. Es verängstigt viele Mütter und bindet sie in eine starre Fütterschematik ein.

Hier sind vor allem Ängste der be- treuenden Schwestern zu überwin- den. Morgendliche Gewichtskon- trollen reichen aus.

mit künstlicher zum Nachfüttern Zimmer der Mutter

~ Die Flasche Säuglingsmilch sollte nicht im bereitstehen.

~ Ausführliche und ermunternde Stillberatung ist wesentlich.

t>

(5)

Cimetidin (Tagamet9 bei akuter Magenblutung

Der Histamin-H 2-Rezeptor-Antago- nist Cimetidin hat sich nicht nur bei der Behandlung des peptischen Ul- kus bewährt, sondern kann offen- sichtlich auch erfolgreich bei der akuten Magenblutung eingesetzt werden. 34 Patienten mit einer en- doskopisch gesicherten Blutung aus einem chronischen Ulkus (16) bezie- hungsweise einem Streßulkus (18) wurden mit Cimetidin intravenös be- handelt. Die Blutung konnte bei 88 Prozent der Ulkuspatienten (14/16) und bei 13 der 18 Streßulkuspatien- ten (72 Prozent) zum Sistieren ge- bracht werden. Eine Rezidivblutung trat in keinem Fall auf. Zur Vermei- dung einer postoperativen Streßul- kusblutung sollte Cimetidin sogar prophylaktisch eingesetzt werden. R

Bubrick, M. P.; Wetherille, R. E.; Onstad, G. R.;

Andersen, R. C.; Hitchcock, C. R.: Control of acute gastroduodenal hemorrhage with Cimetidine, Surgery 84 (1978) 510-518. Depart- ment of Surgery, Hennepin County Medical Center, 701 Park Ave., Minneapolis, MN 55415

Szintigraphischer Nachweis

der Abstoßung

transplantierter Nieren

99"Tc-markiertes Schwefelkolloid wird vornehmlich zur Szintigraphie der Leber und der Milz verwendet, da das Kolloid von den RES-Zellen phagozytiert wird. Unter physiologi- schen Bedingungen stellen sich die Nieren nicht dar, da die Phagozyto- sekapazität gering ist. Bei Patienten mit transplantierten Nieren gilt die- ses nur solange, wie keine Absto- ßungserscheinungen auftreten. In Verlaufsuntersuchungen wie auch bei Einzelbeobachtungen konnte gezeigt werden, daß bei akuter oder chronischer Abstoßungsreaktion schon frühzeitig eine pathologische Einspeicherung von 99mTc-Schwe- felkolloid auftritt. Die vorliegenden pathologischen Veränderungen sind noch nicht völlig geklärt, es wird zur Zeit monozytäre Infiltration und/

oder Kolloidadsorption an Fibrinab-

lagerungen diskutiert. Die Untersu- chung nierentransplantierter Patien- ten mit 99"'Tc - Schwefelkolloid bietet sich daher als empfindlicher Para- meter zur Verlaufskontrolle des Transplantates an. Mhs

Kim, Y. C.; Massari, B. U.; Brown, M. L.; Thrall, J. H.; Chang, B.; Keyes, J. W.: Clinical Signifi- cance of 99mTechnetium Sulfur Colloid Ac- cumulation in Renal Transplant Patients, Radiology 124 (1977) 745-748, J. H. Thrall, Divi- sion of Nuclear Medicine; University of Michi- gan, Medical Center Ann Arbor, Mich., 48109 USA - Joseph, K., Mahlstedt, J., Schaar- schmidt, W. D., Lange, H.: Abnormale 99mTc- Schwefelkolloid-Verteilung nach Nierentrans- plantation, NucCompact 8 (1977) 16-19; K. Jo- seph, Poliklinik für Nuklearmedizin, Bahn- hofstr. 7,3550 Marburg/Lahn

Assoziation

Hepatitis-B-Antigen und Leberzellkarzinom

Die Assoziation zwischen dem He- patitis-B-Virus und dem primären Leberzellkarzinom in Afrika und Asien ist in umfangreichen Studien belegt. Bei 80 Patienten mit primä- rem Leberkarzinom wurde jetzt nach Hepatitis-B-Markern in Griechen- land gesucht, als Vergleichsgruppe dienten 160 Patienten gleichen Al- ters und Geschlechts sowie 40 Pa- tienten mit Lebermetastasen. HB,Ag oder anti-HB c ohne anti-HB s als Hin- weis auf eine aktive Hepatitis-B-In- fektion fanden sich 10,4mal häufiger bei den Patienten mit Leberzellkarzi- nom. Patienten ohne Marker oder anti-HB s-positive Patienten wiesen ein niedriges Karzinomrisiko auf. Ei- ne aktive Infektion fand sich bei 67 Prozent der Karzinompatienten mit gleichzeitig bestehender Leberzir- rhose, aber nur bei 26 Prozent der Karzinompatienten ohne Leberzir- rhose. Aus den Untersuchungen geht hervor, daß auch in Europa offenbar ein enger Zusammenhang zwischen einer Hepatitis-B-Infektion mit chro- nischer Verlaufsform und dem pri- mären Leberzellkarzinom besteht. R

Trichopoulos, D., Tabor, E., Gerety, R. J., Xi- rouchaki, E., Sparros, L., Munoz, N., Linsell, C.

A.: Hepatitis B and primary hepatocellular car- cinoma in a European population, Lancet II (1978) 1217-1219, Hepatitis Branch, Bureau of Biologics, 8800 Rockville Pike, Bethesda, My, 20014

Es sollte beachtet werden, daß auch die Einstellung der Väter wichtig für den Stillerfolg ist (1).

Daß Kinderkliniken stillenden Müt- tern einen ruhigen Raum und Zeit gewähren, ist eine Selbstverständ- lichkeit. Auf die besonderen Proble- me der Verwendung von Mutter- milch in der Ernährung des Frühge- borenen kann hier nicht eingegan- gen werden.

Für den praktizierenden Arzt, bei dem stillende Mütter im Rahmen der Nachsorge oder der pädiatrischen Früherkennung wieder vermehrt er- scheinen dürften, wird die Beschäf- tigung mit dem Stillen wieder zur Aufgabe werden.

Über die mannigfachen Ursachen der Stillabbrüche, deren Maximum zwischen der Entlassung aus der Klinik und der sechsten Woche post partum liegen, ist über Vermutun- gen hinaus bisher nur wenig be- kannt.

Mit dem Wiederaufleben der Stillbe- reitschaft sollte mehr Information verfügbar werden, die auch dem praktizierenden Arzt Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Behandlung an die Hand geben kann.

Literatur

(1) de Chatau, P.; Holmberg, H.; Jakobsson, K.;

Winberg, J.: Developmental Med. and Child, Neurol. 19 (1977) 575 - (2) Hambraeus, The Ped. Clinics of North Amer. 24 (1977) 17-36 - (3) Hanson, L. A.; Winberg, J.: Arch. Dis. Child 47 (1972) 845 - (4) Jelliffe, D. B.; Jelliffe, E. F.

P.: Human Milk in the Modern World, Oxford University Press, Oxford, New York, Toronto - (5) Klaus, M. H.; Kennel, J. H.: Maternal - Infant Bonding, The C. V. Mosby Company, Saint Louis 1976 - (6) Svenningsen, N. W.; Lindquist, B.; Meeuwisse, G.: Nutrition and Homeostasis with Special Reference to Kidney Function, Proc. XIII, Internat. Congr. Pediatr. II 509 (1971)

Weitere Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Professor Dr. med.

Eberhard Schmidt Kinderklinik B

der Universität Düsseldorf Moorenstraße 5

4000 Düsseldorf 1

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 10 vom 8. März 1979 643

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