• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Postmenopausale Therapie mit und ohne Hormone: Was in der Praxis heute zählt" (20.08.2012)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Postmenopausale Therapie mit und ohne Hormone: Was in der Praxis heute zählt" (20.08.2012)"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

POSTMENOPAUSALE THERAPIE MIT UND OHNE HORMONE

Was in der Praxis heute zählt

Die „Women‘s Health Initiative“-Studie löste 2002 eine Diskussion über Nutzen und Risiken der Hormontherapie aus und führte letztlich zu einem Paradigmenwechsel. Eine Bilanz aus heutiger Sicht

Z

ehn Jahre nach Veröffentli- chung der Daten der größten randomisierten Studie, die je zur peri- und postmenopausalen Hor- montherapie (HT) durchgeführt wurde (Women’s Health Initiative, WHI), und heftigem Streit zwi- schen Befürwortern und Gegnern ist eine Erkenntnis unumstritten:

Die HT ist zwar eine wirksame Behandlungsoption für Frauen, die stark unter vasomotorischen Be- schwerden leiden, aber keine geeig- nete Methode zur Prävention.

Rückblick: Im Rahmen der WHI waren 16 608 Frauen zwi- schen 50 und 79 Jahren in den Stu- dienarm mit kombinierter Estrogen- Gestagen-Therapie (0,625 mg/d konjugierte equine Estrogene und 2,5 mg/d Medroxyprogesteronace- tat) aufgenommen worden (1). Die primären Endpunkte der Studie wa- ren Morbidität und Mortalität kar- diovaskulärer Ereignisse sowie Brustkrebs. 2002 wurde die Studie nach 5,2 Jahren Laufzeit, geplant waren 8,5 Jahre, wegen der über- wiegend schädlichen Auswirkun- gen der Therapie abgebrochen.

Der andere Studienarm, in dem 10 739 hysterektomierte Frauen zwischen 50 und 79 Jahren mit einer Estrogenmonotherapie mit 0,625 mg/d konjugierten equinen Estrogenen behandelt worden wa- ren, wurde nach 6,8 Jahren (geplant waren 8,5 Jahre) hauptsächlich wegen erhöhten Schlaganfallrisikos abgebrochen; die Ergebnisse wur- den 2006 (2) publiziert.

Die Folgen: Das damals gefes- tigt scheinende Wissen über die HT geriet vollständig ins Wanken, viele Patientinnen waren verunsichert.

Laut Arzneimittelreport 2004 (6), 2005 (7) und 2009 der Gmünder Er- satzkasse (8) sank die Zahl der ver- kauften Packungen Presomen com-

positum (das am häufigsten verord- nete Präparat mit konjugierten Estrogenen) von 2 100 000 im Jahre 2000 schrittweise auf 303 000 im Jahr 2008 – das entspricht 14 Pro- zent des Ausgangwerts, was einem Markteinbruch gleichkommt.

Es gab und gibt immer noch Kritik an der Methodik der WHI- Studie. Ein Einwand bezieht sich darauf, dass die verwendeten Hormonpräparationen (0,625 mg/d konjugierte Estrogene, 2,5 mg/d Medroxyprogesteronacetat) nicht übertragbar seien auf europäische Verhältnisse, wo häufiger Estradiol und deren veresterte Abkömmlinge gegeben werden.

Es wird zudem bemängelt, dass die WHI-Frauen mit durchschnitt- lich 65 Jahren zu alt gewesen seien und nicht zu den Verordnungsge- pflogenheiten in Deutschland pass- ten. Dieses Argument geht an der Intention der Studie vorbei: Denn es war nicht Untersuchungsgegen- stand der WHI, die Wirksamkeit von Hormonen gegen Wechseljahr- beschwerden zu prüfen. Jüngere Frauen wurden vor der Aufnahme in die Studie sogar eigens darauf hingewiesen, dass die Teilnahme für sie von Nachteil sein könnte.

Denn bei Randomisierung in die Kontrollgruppe würde ihnen eine effektive Therapie der Wechseljahr- beschwerden vorenthalten.

Das primäre Ziel der WHI war es festzustellen, ob eine langfristige Hormoneinnahme die kardiovasku- läre Gesundheit von Frauen verbes- sern könnte. Deshalb war es sinnvoll, ältere Frauen in die Studie einzu- schleusen, da das Risiko für Herzin- farkte mit dem Alter steigt und Ef- fekte deswegen gerade in der Gruppe der älteren Frauen gut nachweisbar gewesen wären. Aller Kritik zum Trotz: Die WHI-Studie hat mit hand-

festen Beweisen das Wissen über die peri- und postmenopausale Hormon- therapie revolutioniert und zu einer neuen S3-Leitlinie geführt. Ergänzt durch neuere Erkenntnisse von 2009 bis 2012 ist sie die Basis für die The- rapieplanung in der Praxis.

Behandlung peri- und postme- nopausaler Beschwerden: Ob vaso- motorische Beschwerden der Wech- seljahre behandelt werden müssen, ist eine subjektive und autonome Entscheidung der Frauen. Hierfür brauchen sie evidenzbasierte Infor- mationen zur HT und zu Alternati- ven, mit denen sie ihre Beschwerden beeinflussen können. Patientinnen sollten wissen, dass eine HT sehr wirksam ist und vasomotorische Be- schwerden in 75 Prozent der Fälle lindert oder sogar aufhebt. Sie sollten aber auch wissen, dass die Patientin- nen der Placebogruppe eines syste- matischen Cochrane Reviews (11) zu 58 Prozent eine Verbesserung der Beschwerden angaben.

Das bedeutet: Für Frauen mit ho- hem Leidensdruck ist die HT die wirksamste Behandlung. Für alle anderen mag es sich lohnen, ein- fach abzuwarten oder Veränderun- gen einzuleiten, die das Wohlbefin- den verbessern (Bewegung, gesun- de Kost, psychische Ausgeglichen- heit). Lebensstilveränderungen sind grundsätzlich wichtig – zumal die HT keine Dauerlösung ist.

Hormontherapie: Eine HT kann oral mit Tabletten durchgeführt wer-

(2)

den oder transdermal mit Pflastern oder Gel. Sie soll so kurz und so niedrig dosiert wie möglich gege- ben werden. Eine niedrige Dosis von 1 mg Estradiol oral pro Tag, 0,25 mg Estradiol pro Pflaster zwei- mal die Woche oder 1 mg pro Dosis Gel pro Tag sind meist ausreichend.

Oft hilft bereits eine ultraniedrige Dosis – die Hälfte der angegebenen Dosis oder weniger. Es gibt keine so niedrig dosierten Präparationen, so dass Tabletten geteilt werden müs- sen. Bei den Pflastern lassen sich nur die Matrixpflaster halbieren. Am einfachsten ist es, die Geldosis zu halbieren. Bei Frauen, deren Gebär- mutter nicht entfernt wurde, müssen im Fall einer Estrogentherapie auch Gestagene verabreicht werden.

Alternativen: Naturheilkundli- che Verfahren sind meist ohne evi- denzbasierten Wirkungsnachweis.

Aber manche Methoden können als Medium der Lebensstilveränderun- gen genommen werden, zum Bei- spiel die Homöopathie oder die Traditionelle Chinesische Medizin, insbesondere wenn gleichzeitig Körperübungen (zum Beispiel Qi- gong) und Ernährungsumstellungen praktiziert werden.

Die Wirksamkeit von Medika- menten oder Nahrungsmittelergän- zungen, die Phytoestrogene enthal- ten (Sojaprodukte, Isoflavone, Ge- nistein et cetera), ist ebenso wenig erwiesen wie deren Arzneimittel - sicherheit. Das schließt nicht aus,

dass manche Frauen eine Sym - ptomverbesserung angeben und sich mit pflanzlichen Mitteln wie Cimicifuga besser fühlen. Es gibt Einzelfallbeschreibungen von Le- berschädigungen, die bisher nicht so eindeutig kausal zuzuordnen sind, dass Cimicifuga als Phytothe- rapeutikum vom Markt genommen wurde. Aber die Hinweise sollten Grund genug dafür sein, den Wirk- stoff nicht prophylaktisch, nicht zu lange und – bei Symptomfreiheit – nicht durchgängig einzunehmen.

Auffallend ist, dass seit 2002 im- mer mehr Frauen Antidepressiva einnehmen, seit 2004 steigen die Verordnungszahlen sogar in be- trächtlichem Ausmaß (8). Es sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass eine Therapie mit Antidepres- siva kein Ersatz für eine HT ist.

Potenzieller Nutzen und Schaden der Hormontherapie Auch vor der Veröffentlichung der WHI-Studie 2002 gab es keine Da- ten, die den breiten Einsatz der HT – wie er in den 1990er Jahren aus

„präventiven“ Gründen praktiziert wurde – gerechtfertigt hätten (12).

In der S3-Leitlinie sind die absolu- ten und relativen Risiken und die NNT (number needed to treat) be- ziehungsweise NNH (number need - ed to harm) aufgeführt (www.leit linien.de/mdb/downloads/dggg/hor montherapie-menopause-kurz.pdf).

Einige wichtige Ergebnisse werden

hier kommentiert und um neue Studien ergänzt.

Koronare Herzerkrankungen:

Die WHI zeigte, dass Frauen, die eine kombinierte Estrogen-Gesta- gen-Therapie bekommen hatten, ein erhöhtes Risiko für koronare Herzerkrankungen aufwiesen (39 statt 33 von 10 000 Frauen; RR 1,26; 95-%-KI 1,00–1,54). Die NNT beträgt 1 667. Im Verlauf der dreijährigen medikamentenfreien Nachbeobachtungszeit fiel das Ri- siko wieder ab auf RR 0,99 (95-%-KI 0,72–1,34).

2007 analysierte die Forscher- gruppe (13) das kardiovaskuläre Risiko bei Frauen in Abhängigkeit vom Alter und vom Abstand zum Menopausenalter. Die Frauen, die zeitnah zur Menopause mit der HT begonnen hatten, hatten ein gerin- geres Risiko als die Frauen, die erst später die HT angesetzt hatten:

39 von 3 608 Frauen (RR 0,76;

95-%-KI 0,50–1,16) versus 51 von 3 529 Frauen (RR 1,10; 95-%-KI 0,84–1,45). Die Ergebnisse waren aber weder in den Gruppen noch zwischen den Gruppen signifikant.

Ältere Frauen zwischen 70 bis 79 Jahren hatten ein sehr hohes Risiko:

27 von 197 Frauen in der Hormon- gruppe versus sechs von 196 in der Placebogruppe (RR 5,08; 95-%-KI 2,08–12,40). Die NNT liegt bei die- sen Frauen bei 9,1 – das heißt, wenn neun Frauen behandelt wer- den, muss eine von ihnen mit einem kardiovaskulären Ereignis rechnen.

Unklar ist, ob eine alleinige Estrogentherapie sich ebenfalls nachteilig auf das kardiovaskuläre Risiko auswirkt. Es ist numerisch erniedrigt, aber nicht signifikant (49 statt 54 Ereignisse auf 10 000 Frau- en (RR 0,91; 95-%-KI 0,75–1,12).

Thrombose/Embolie: Ein er- höhtes Risiko für Thromboembo- lien ist für die kombinierte Estro- gen-Gestagen-Therapie nachgewie- sen. In der S3-Leitlinie sind 35 statt 17 Ereignisse auf 10 000 Frauen pro Jahr (RR 2,06; 95-%-KI 1,57–2,70; NNT 588) angegeben.

Nach der dreijährigen therapiefrei- en Nachbeobachtungszeit ist das Risiko wieder in den Normbereich abgefallen (13). Das passt zu der Beobachtung, dass die höchste Er-

Foto: IAN HOOTON SPL Agentur Focu

M E D I Z I N R E P O R T

(3)

eignisrate in den ersten zwei Be- handlungsjahren besteht. Das hatte 1998 auch die HERS-Studie für die Frauen gezeigt, die eine kardiovas- kuläre Vorerkrankung hatten (5).

Die Estrogenmonotherapie deu- tet auf ein leicht erhöhtes Risiko hin, kann aber keine Signifikanz feststellen: 21 statt 15 Ereignisse auf 10 000 Frauen pro Jahr (RR 1,47; 95-%-KI 0,87–2,47).

Viele Fachleute hoffen, dass das Thrombose/Embolie-Risiko durch eine transdermale HT nicht so un- günstig beeinflusst wird. Transder- male Estrogene haben durch Ver- meidung der Leberpassage einen geringeren Einfluss auf die Ge - rinnungsparameter. Eine kleine Fallkontrollstudie (ESTHER [14]) zeigte kein erhöhtes Thrombose/

Embolie-Risiko. Valide Studien, die diese Hypothesen beweisen kön- nen, stehen noch aus.

Schlaganfall: Die WHI-Studie zeigt, dass das Risiko für einen ischämischen Schlaganfall durch die HT ansteigt, was nicht in dem Maß erwartet worden war. Nach der S3-Leitlinie muss mit 44 statt 32 ischämischer Insulte auf 10 000 Frauen pro Jahr unter Estrogenmo- notherapie gerechnet werden (RR 1,39; 95-%-KI 1,00–1,77), unter Estrogen-Gestagen-Therapie mit 26 statt 18 (RR 1,44; 95-%-KI 1,09–1,90).

Die Subgruppenanalyse (13) weist gerade für die Gruppe der jüngeren Frauen, die bis zu zehn Jahre nach der Menopause mit der HT begonnen haben, das größte Ri-

siko und Signifikanz auf: 41 von 3 608 Frauen mit HT versus 23 von 3 529 Frauen mit Placebo erlei- den einen Schlaganfall (RR 1,77;

95-%-KI 1,05–2,98). Es lassen sich also genau die Frauen als Risiko- gruppe identifizieren, die hypo - thetisch ein geringeres Risiko für koronare Herzerkrankungen hätten.

Zur Vermeidung von Schlagan- fällen als auch von Thromboembo- lien wird viel Hoffnung auf die transdermale Applikation gesetzt.

Aber die Datenlage dazu ist nicht valide. Es gibt vage Hinweise auf eine Dosisabhängigkeit. Möglicher- weise gibt es „Confounder“ zwi- schen der Applikationsart und der Dosis insofern, als die Blutspiegel bei transdermaler Gabe niedriger sind als bei oraler Aufnahme. Eine große Fallkontrollstudie aus Groß- britannien (15) mit 15 710 Schlag- anfallpatientinnen und 59 958 Kon- trollen zeigte eine klare Dosisab- hängigkeit. Dabei war das Schlag- anfallrisiko statistisch am höchsten bei oraler Gabe ab 0,625 mg equi- nem Estrogen oder 2 mg Estradiol (RR 1,48; 95-%-KI 1,16–1,90); bei transdermaler Applikation über 50 Mikrogramm (RR 1,89; 95-%- KI 1,15–1,42). Im Niedrigdosisbereich ist die transdermale Applikation möglicherweise von Vorteil.

Brustkrebs: Wie der S3-Leitli- nie zu entnehmen ist, erhöht eine kombinierte Estrogen-Gestagen- Hormontherapie das Risiko, an Brustkrebs zu erkranken von 30 auf 38 von 10 000 Frauen pro Jahr (RR 1,26; 95-%-KI 1,00–1,59). Das be-

deutet, es müssen 1 245 Frauen be- handelt werden, um einen zusätzli- chen Brustkrebs zu verzeichnen.

Nach Publikation der WHI-Stu- die wurde in verschiedenen Län- dern (zum Beispiel USA, Kanada, Deutschland) parallel zu gesunke- nen Hormonverordnungszahlen ein Abfall der Brustkrebshäufigkeit be- obachtet (16). Ein kausaler Zusam- menhang kann aus dieser Beobach- tung allein nicht hergestellt werden.

Im Oktober 2010 zeigte eine neue Auswertung der WHI-Studie nicht nur eine Zunahme der Häufig- keit von Brustkrebs, sondern auch der Brustkrebsmortalität (17). Der Beobachtungszeitraum, das heißt Interventions- und Postinterventi- onsphase, betrug inzwischen durch- schnittlich elf Jahre. Es waren noch 12 788 Probandinnen in der Nach- beobachtungsgruppe, also 83 Pro- zent der Ausgangsgruppe.

In der Placebogruppe wurden 293 Brustkrebsfälle registriert (0,34 Prozent pro Jahr), in der Hor- mongruppe 385 Fälle (0,42 Prozent pro Jahr; RR 1,25; 95-%-KI 1,07–1,46). Eine gewisse Häufig- keitszunahme war als Nachwirkung der 4,5-jährigen HT erwartet wor- den. Bezüglich Histologie und Grading bestand zwischen beiden Gruppen kein Unterschied, aber in der Hormongruppe waren häufiger die Lymphknoten befallen (in 81 Fällen (23,7 Prozent) statt in 43 Fällen (16,2 Prozent; RR 1,78;

95-%-KI 1,23–2,58).

Die Sterblichkeit an Brustkrebs war unter HT höher: 25 (0,03 Pro- zent) Todesfälle an Brustkrebs pro Jahr statt zwölf (0,01 Prozent; RR 1,96; 95-%-KI 1,00–4,04). Auch die Gesamtsterblichkeit war gestiegen:

51 (0,05 Prozent) Todesfälle pro Jahr aus allen Gründen, nachdem eine Brustkrebsdiagnose gestellt worden war im Vergleich zu 31 (0,03 Prozent) in der Placebogruppe (RR 1,57; 95-%-KI 1,01–2,48).

Die Ergebnisse aus der Nachbe- obachtungszeit sind beunruhigend.

Denn sowohl die Brustkrebshäufig- keitskurven als auch die Brust- krebsmortalitätskurven der Inter- ventions- und Kontrollgruppe drif- ten umso mehr auseinander, je län- ger das Follow-up andauert. Das GRAFIK

Immer mehr Frauen verzichten auf Hormonpräparate

Anteil der Frauen zwischen 45 und 65 Jahren, die Hormonpräparate eingenommen haben

Grafik/Quelle: Gesundheitsreport der Techniker-Krankenkasse 2011

(4)

ganze Ausmaß der Auswirkungen von HT ist also womöglich bisher noch gar nicht erfasst worden. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass bereits kurzfristige Behandlungen langfristig mit einem größeren Brustkrebsrisiko verbunden sind, als bisher angenommen wurde.

Auch die Million Women Study (Kasten) aus Großbritannien (18) brachte kürzlich neue Ergebnisse.

Im Auswertungszeitraum von 7,2 Jahren wurden 15 759 Brustkrebs- fälle festgestellt; davon 7 107 bei Frauen, die Hormone einnahmen (RR 1,68; 95-%-KI 1,64–1,72), 6 127 bei hormonnaiven Patientin- nen (RR 1,0; 95-%-KI 0,97–1,03) und 2 525 (RR 1,08; 95-%-KI 1,04–1,12) bei Frauen, die früher Hormone eingenommen, aber spä- ter abgesetzt hatten. Auffällig war, dass das Brustkrebsrisiko größer war bei den Frauen, die während der Perimenopause oder früh nach der Menopause (< 5 Jahre) mit der Hormontherapie begonnen hatten:

RR = 2,04, (95-%-KI 1,95–2,14) bei frühem Einnahmebeginn, RR = 1,53 (95-%-KI 0,42–0,45) bei spätem Einnahmebeginn. Bei den 50- bis 59-jährigen Frauen ohne Hormontherapie stieg das altersbe- dingte Brustkrebsrisiko jährlich um 0,3 Prozent (95-%-KI 0,29–0,31).

Bei den Hormonanwenderinnen, die innerhalb von fünf Jahren nach der Menopause mit der Therapie begon- nen hatten, stieg das Risiko um 0,61 Prozent (95-%-KI 0,59–0,64).

Beide Studien bestätigen auch, dass eine kombinierte Estrogen- Gestagen-Therapie riskanter ist als eine Estrogenmonotherapie. In der WHI-Studie wurden sieben Mammakarzinome weniger gefun- den als in der Kontrollgruppe – al- lerdings ohne statistische Signifi- kanz (RR = 0,77; 95-%-KI 0,59–1,01).

Demenz: Die WHI-Studie zeigte entgegen den Erwartungen, dass ei- ne HT die kognitiven Fähigkeiten von Frauen nicht verbessert, sondern sogar verschlechtert. Das Risiko, an Demenz zu erkranken, ist für Frauen über 65 Jahre, die Hormone einneh- men, signifikant erhöht. Ein Coch - rane Review (19) von 2008 kann weder für eine kombinierte noch für eine alleinige Estrogentherapie ei-

nen positiven Effekt auf kognitive Funktionen feststellen. Im Gegen- teil: Nach einem Jahr Estrogenthe - rapie beziehungsweise nach drei Jahren Estrogen/Gestagen-Therapie sind negative Effekte nachweisbar.

Nachuntersuchungen in der WHIMS-Studie (Women’s Health Initiative Memory Study; [20]) gin- gen der Frage nach, ob die kogniti- ven Einschränkungen durch subkli- nische zerebrale Ischämien verur- sacht sein könnten, da die HT das Risiko für ischämische Insulte er- höht. Es ließen sich aber im MRT nicht mehr Durch blutungs stö run - gen nachweisen als in der Place - bogruppe. Stattdessen waren be- stimmte Hirnareale bei den Frauen, die Hormone eingenommen hatten, kleiner als bei den Frauen der Kon- trollgruppe (21). Der Unterschied war in der Hippocampusregion sig- nifikant, während das gesamte Hirnvolumen knapp das Signifi- kanzniveau verfehlte. Die Volu- menreduktion im Hippocampus war assoziiert mit kognitiver Beein- trächtigung. Die Verän derungen traten gleichermaßen bei Estrogen- und Estrogen-Gestagen-Therapie bei Frauen über 65 Jahre auf. Sie waren ausgeprägter bei den Frauen, die bereits vor Beginn der HT ko- gnitiv beeinträchtigt waren.

Sonstige Erkrankungen: Die S3-Leitlinie weist zudem darauf hin, dass sich Hormone ungünstig auf das Risiko für Gallenwegser- krankungen (vornehmlich orale

Estrogene) und für Ovarialkarzino- me auswirken. Eine große Kohor- tenstudie (22) aus dem USA bestä- tigt diesen Zusammenhang.

Aktuelle Studien zeigen darüber hinaus, dass eine kombinierte Estrogen-Gestagen-Therapie, nicht aber eine Estrogenmonotherapie (23) die Sterblichkeit an Lungen- krebs erhöht (24).

Positive Assoziationen: Eine HT wirkt sich günstig auf das Risi- ko aus, an Frakturen, kolorektalem Karzinom und rezidivierenden Harnwegsinfekten zu erkranken.

Der positive Effekt auf die Frak- turrate verliert sich allerdings weni- ge Jahre nach dem Absetzen.

Fazit: Die WHI-Studie hat mit handfesten Beweisen das Wissen über die peri- und postmenopausale Hormontherapie revolutioniert. Die Daten sind valide genug, um einer HT aus rein präventiven Gründen eine eindeutige Absage zu erteilen.

Bei langfristiger Einnahme über- wiegen die Nachteile die Vorteile, bei einer kombinierten Estrogen- Gestagen-Behandlung noch mehr als bei einer Estrogenmonotherapie.

Das war im Jahre 2002 beziehungs- weise 2005 der Grund dafür, die WHI-Studie abzubrechen, und das sollte heute für die behandelnden Ärztinnen und Ärzte Grund genug dafür sein, nach weniger riskanten Präventionsstrategien zu suchen.

Dr. med. Maria J. Beckermann

@

Literatur im Internet:

www.aerzteblatt.de/lit3312 Umfangreiches Datenmaterial steht im Allgemei-

nen nur aus Beobachtungsstudien zur Verfügung, zum Beispiel aus der Million Women Study (MWS). Die MWS ist eine Kohortenstudie mit ei- ner Teilnehmerinnenzahl von 1 129 025 Frauen, die im Rahmen des Mammographiescreening- Programms in Großbritannien in die Studie aufge- nommen wurden (3). Die sogenannte Kranken- schwestern-Studie (Nurses Health Study; NHS) wurde als Fallkontrollstudie konzipiert (4). Beob- achtungsstudien haben ein größeres Verzerrungs- risiko als randomisierte Studien. Deswegen sind die Ergebnisse von Beobachtungsstudien immer nur Hypothesen. Der Beweis, dass ursächliche Zusammenhänge zwischen der Intervention und

dem Ergebnis bestehen, kann nur durch randomi- sierte Doppelblindstudien erbracht werden.

Eine große randomisierte Studie ist die HERS- Studie, die die Vor- und Nachteile einer Hormon- therapie bei Frauen mit kardiovaskulären Vorer- krankungen untersuchte (5). Die Ergebnisse wur- den 1998 veröffentlicht. Sie stimmen in vielen Endpunkten mit den Ergebnissen der WHI-Studie überein, sind aber nicht übertragbar auf durch- schnittlich gesunde Frauen. Vor allem sind die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität, die in beiden Studien der primäre Endpunkt war, nicht miteinander vergleichbar, weil die teilnehmenden Frauen ein unterschiedliches Ausgangsrisiko für Herzerkrankungen hatten.

WEITERE STUDIEN ZUR HORMONTHERAPIE

M E D I Z I N R E P O R T

(5)

LITERATURVERZEICHNIS HEFT 33–34/2012, ZU:

POSTMENOPAUSALE THERAPIE MIT UND OHNE HORMONE

Was in der Praxis heute zählt

Die Veröffentlichung der „Womens Health Initiative“-Studie im Juli 2002 löste eine jahrelange Diskussion über Nutzen und Risiken der Hormontherapie aus und führte letztlich zu einem Paradigmenwechsel. Eine Bilanz aus heutiger Sicht.

LITERATUR

1. Writing Group for the Womens’s Health Initiative Randomized Controlled Trial W.

Risks and Benefits of Estrogen Plus Pro- gestin in Healthy Postmenopausal Wo- men. JAMA 2002; 288: 321–33.

2. Hsia J, Langer R, Manson J, Kuller L, Johnson K, Hendrix S, et al.: Conjugated Eqine Estrogens and Coronary Heart Disease. Arch Intern Med 2006; 166:

357–65.

3. Million Women Study Collaborators: Breast cancer and hormone-replacement therapy in the Million Women Study. Lancet 2003;

362: 419–27.

4. Colditz GA: The Nurses’ Health Study: Fin- dings during 10 years of follow-up of a cohort of U.S. women. Current Problems in Obstetrics and Gynecology Fertility 1990; 13: 129–74.

5. Hulley S, Grady D, Bush T, Furberg C, Her- rington D, Riggs B, et al.: Randomized trial of estrogen and progestin for secondary prevention of coronary heart disease in postmenopausal women. JAMA 1998;

280: 605.

6. Glaeske G, Jahnsen K: Arzneimittelreport.

In: Gmünder Ersatzkasse (GEK); 2004.

7. Glaeske G, Jahnsen K: Arzneimittelreport.

In: Gmünder Ersatzkasse (GEK); 2005.

8. Glaeske G, Schicktanz C: Barmer GEK Arz- neimittelreport 2009. In: Barmer GEK Schwäbisch Gmünd; 2009.

9. Schumann C, Beckermann M, Bodel- schwingh Fv, Dorsch V, Lehmann C, Möller I, et al.: Es hat an nichts gefehlt – Wech- seljahre 2010 in der psychosomatischen Praxis. Frauenarzt 2011; 52.

10. Glaeske G, Schicktanz C. Barmer GEK Arz- neimittelreport 2010. Barmer GEK Schwä- bisch Gmünd; 2010.

11. MacLennan A, Broadbent JL, Lester S, Morre V: Oral oestrogen and combined oestrogen/progestogen therapy versus placebo for hot flushes. The Cochrane Da- tabase of Systematic Reviews 2004 (Re- view 2004 Issue 4 John Wiley & Sons, Ltd Chichester UK).

12. Beckermann M: Evaluation epidemiologi- scher Studien zur Östrogen-Gestagen- Hormontherapie. Schweiz Med Forum 2001; 1: 65–93.

13. Rossouw J, Prentice R, Manson J, Wu L, Barad D, Barnabei V, et al.: Postmenopau- sal hormone therapy and risk of cardio- vascular disease by age and years since menopause. JAMA 2007; 297: 1465–77.

14. Canonico M, Oger E, Plu-Bureau G, Co- nard J, Meyer G, Lévesque H, et al.: Hor- mone therapy and venous thromboembo- lism among postmenopausal women: im- pact of the route of estrogen ademinstrati- on and progestogens: the ESTHER study.

Circulation 2007; 115: 840–5.

15. Renoux C, Dell’aniello S, Garbe E, Suissa S: Transdermal and oral hormone replace- ment therapy and the risk of stroke: a nested case-control study. BMJ 2010;

340(c2519); doi: 10.1136/bmj.c2519.

16. Siegmund-Schultze N, Zylka-Menhorn V, Leinmüller R, Meyer R: Hormontherapie und Brustkrebs – Ein Blick auf die aktuelle Datenlage. Dtsch Arztebl 2008; 105(6):

260–6.

17. Chlebowski R, Anderson G, Gass M: Estro- gen plus Progestin and Breast Cancer In- cidence and Mortality in Postmenopausal Women. JAMA 2010; 304: 1684–92.

18. Beral V, Reeves G, Bull D, Green J: Breast Cancer Risk in Relation to the Interval Bet- ween Menopause and Starting Hormone Therapy. JNCI, Oxford Journals, 2011;

103.

19. Lethaby A, Hogervorst E, Richards M, Ye- sufu A, Yaffe K: Hormone replacement therapy for cognitive function in postme- nopausal women. Cochrane Database of Systemativ Reviews 2008;1(CD003122).

20. Coker L, Hohan P, Bryan N, Kuller L, Mar- golis K, Bettermann K, et al.: Postmeno- pausal hormone therapy and subclinical cerebrovascular disease: the WHIMS-MRI Study. Neurology 2009; 72: 125–34.

21. Resnick S, Espeland M, Jaramillo S, Hirsch C, Stefanick M, Murray A, et al.:

Postmenopausal hormone therapy and re- gional brain volumes: the WHIMS-MRI- Study. Neurology 2009; 72: 135–42.

22. Canchola A, Chang E, Bernstein L, Largent J, Reynolds P, Deapen D, et al.: Body size and the risk of ovarian cancer by hormone therapy use in the California Teachsers Study Cohort. Cancer Cause Control 2010; 12: 2241–8.

23. Chlebowski R, Anderson G, Manson J, Schwartz A, Wakelee H, Gass M, et al.:Lung Cancer Among Postmenopausal Women Treated With Estrogen Alone in the Women’s Health Initiative Randomized Controlled Trial. JNCI J Natl Cancer Inst 2010; 102: 1413–21.

24. Chlebowski R, Schwartz A, Wakelee H, An- derson G, Stefanick M, Manson J, et al.:

Oestrogen plus progestin and lung cancer in postmenopausal women (Women’s He- alth Initiative trial): a post-hoc analysis of a randomized controlled trial. Lancet 2009; 374: 1245–51.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Dem Verfahren liegt die Beobachtung zu- grunde, daß sich an Krebszellen mit einer hohen Dichte an Rezeptoren für epidermale Wachstums- faktoren (EGRF) viele Antikörper anheften und

Sonderdrucke des Fortbildungsbeitrages über das praktische Vor- gehen bei der Hyposensibilisierung und über Maßnahmen der Aller- gen-Karenz können angefordert werden bei der

Im Tierversuch hat sich gezeigt, daß die Denitrierung von Isosor- bid-5-Mononitrat im Vergleich mit Isosorbid-Dinitrat viel langsa- mer verläuft und nur einen Bruchteil

Sehr wohl waren bei diesem Termin aber einige Frauen von Rekto- ren und neben dem Gastgeber des Emp- fanges, Bürgermeister Stillgi, auch noch der Grazer Kulturstadtrat Strobl

lerdings sind solche Über- legungen für den Patienten vor einem operativen Ein- griff in der Regel wenig tröstlich.. Viele reagieren auf die Bedrohung ihrer leiblichen

Dagegen hat sich die Vorstellung nicht immer verwirklichen lassen, durch FrequenzanhebunQ eine Herzinsuffizienz zu bessern oder nach Schrittmacherimplantation eine

Dabei setzten sie zu 84 Prozent Medi- kamente ein, doch nur rund 65 Prozent der Patienten erhielten auch eine Be- ratung, zwölf Prozent eine Psychothe- rapie.. B estseller“ unter den

Für die Therapie von Typ-2-Diabetikern ob mit Insulin oder mit oralen Antidiabetika ist Folgendes entscheidend: «Beim Typ 2 kommt das Insulin verzögert, das heisst zu spät und immer