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Archiv "Umgang mit schweren Behandlungsverläufen: Strukturierte Hilfe in der Not" (23.12.2013)

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A 2474 Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 110

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Heft 51–52

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23. Dezember 2013

UMGANG MIT SCHWEREN BEHANDLUNGSVERLÄUFEN

Strukturierte Hilfe in der Not

Die Fachgesellschaft und der Berufsverband der Anästhesisten

veröffentlichen Empfehlungen zum Umgang mit belastenden Verläufen.

W

ohl jeder Arzt erinnert sich an eine furchtbare Situation in seinem Berufsleben, die ihn psy- chisch so stark mitgenommen hat, dass er sich selbst hätte krank- schreiben müssen, um sein inneres Gleichgewicht wiederzufinden: das schlimm zugerichtete Unfallopfer, dem nicht mehr zu helfen war; die junge Mutter, deren Tumor einfach immer weiter wucherte; der betagte Patient, zu dem man über viele Jah- re eine persönliche Beziehung auf- gebaut hat und der nun plötzlich an Herzversagen gestorben ist.

Doch welche Ärztin, welcher Arzt zieht sich in einer solchen Si- tuation selbst aus dem Verkehr?

Oder spricht mit einem Kollegen über die persönliche Betroffenheit bei schicksalhaften Behandlungs- verläufen? Das ist doch unprofes- sionell, ein Zeichen von Schwäche und womöglich das Karriereende, so die Gedanken der Betroffenen.

Und was sollen die Kollegen den- ken? Dann der Gedanke, der über allem schwebt: Habe ich mir per- sönlich etwas vorzuwerfen? Habe ich einen Fehler gemacht? Kann ich haftbar gemacht werden? Die oberste juristische Regel in solchen Fällen lautet doch „Schweigen ist Gold“ – da ist es bestimmt besser, den Mund zu halten.

„Ärztliche Behandlung kann aus der Natur der Sache folgend mit keiner Erfolgsgarantie verbunden sein“, betonen jetzt die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) und der Berufsverband der Anästhesis- ten (BDA) im Vorwort zu ihren be- merkenswerten Empfehlungen zum

„Umgang mit schweren Behand- lungskomplikationen und belasten- den Verläufen“*. Trotz aller Bemü-

hungen drohten stets objektiv un- vermeidliche planwidrige Behand- lungsverläufe, Komplikationen oder das schicksalhafte Verfehlen von Be- handlungszielen. Auch könnten vom Arzt erzeugte oder gar durch Be- handlungsfehler verursachte Kom- plikationen nie sicher ausgeschlos- sen werden: „Die Auseinanderset- zung mit Behandlungszwischenfäl- len findet aber viel zu oft allein und im Stillen statt“, postulieren DGAI und BDA in ihren in der Zeitschrift

„Anästhesiologie und Intensivmedi- zin“ veröffentlichten Empfehlungen.

Schlimmstenfalls drohten schwere Konsequenzen: Depression/Burn- out, soziale Isolation, Suizid. Zudem erhöhe sich die Wahrscheinlichkeit erneuter Behandlungszwischenfälle.

Die ärztlichen Kollegen sind gefordert

Unmittelbar nach einem tödlichen Behandlungsverlauf oder gravie- renden Komplikationen sollte der betroffene Arzt zunächst den Ober- arzt/Chefarzt involvieren und den Fall (auch als Gedächtnisproto- koll) gut dokumentieren, empfeh- len DGAI und BDA. Alsdann sei schnell eine erste interdisziplinäre Falldiskussion zu veranlassen. Da-

nach gelte: reden, reden, reden.

Denn je häufiger der Arzt den Fall oder die resultierende Belastung im beruflichen und privaten Umfeld kommuniziere, desto leichter falle die Verarbeitung. Zu beachten ist hier allerdings, dass am Behand- lungsgeschehen beteiligte Ärzte von der Staatsanwaltschaft als Zeu- gen geladen werden könnten. Für nicht direkt Beteiligte gilt das weni- ger. Betroffene Ärzte, die nach ein bis zwei Wochen immer noch

„Flash backs“ von dem Vorfall ha- ben, unter Alpträumen und Schlaf- losigkeit leiden oder insgesamt kaum noch Arbeits- und Lebens- freude empfinden, sollten sich den Empfehlungen zufolge professio- nelle Hilfe holen. In dieser Behand- lungssituation gilt dann natürlich auch die ärztliche Schweigepflicht.

Die ärztlichen Kollegen seien in einer solchen kritischen Situation gefordert, dem betroffenen Arzt Ge- sprächsbereitschaft zu signalisieren und – „soweit aus juristischer Sicht möglich“ – Vertraulichkeit zuzusi- chern, empfehlen DGAI und BDA.

„Erfahrungsgemäß hilft das kolle- giale Fachgespräch dem Betroffe- nen oft mehr als das private Ge- spräch mit medizinischen Laien“,

Ziehen Sie sich nicht zurück, sondern suchen Sie das Gespräch.

Involvieren Sie sofort den Oberarzt/Chefarzt.

Führen Sie das erste Gespräch mit Angehöri- gen nie am Telefon.

Führen Sie Gespräche mit Angehörigen mög- lichst immer im interdisziplinären Team.

Erwirken Sie schnell eine erste interdisziplinä- re Nachbesprechung.

Berücksichtigen Sie, dass Sie vorerst nicht verkehrstüchtig sind.

Dokumentieren Sie den Fall gut.

Erwägen Sie, eine angemessene Auszeit zu nehmen.

Versuchen Sie, eigene Ressourcen zur Stress- reduktion zu aktivieren.

Suchen Sie bei Zeichen von Burn-out, Depres- sion, Angstzuständen, posttraumatischer Belas- tungsstörung professionelle Hilfe.

Suchen Sie das Gespräch (mit einem mög- lichst stabilen Gegenüber und in einer geschütz- ten Umgebung).

EMPFEHLUNGEN FÜR BETROFFENE

*veröffentlicht in: Anästh Intensivmed 2013; 54:

490–4

T H E M E N D E R Z E I T

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A 2476 Deutsches Ärzteblatt

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23. Dezember 2013 hat Prof. Dr. med. Hinnerk Wulf,

Sprecher der DGAI-Kommission

„Berufliche Belastung“ beobachtet (Interview). Das Bedürfnis, den dramatischen Behandlungsverlauf im Nachhinein zu verstehen und ei- gene Fehler möglichst auszuschlie- ßen, sei immer groß.

Am meisten Raum im „psycho- sozialen (emotionalen) Notfallkof- fer“ nehmen die Empfehlungen für Vorgesetzte ein – das zeigt deren große Bedeutung für die Arbeits- und Fehlerkultur in einer Klinik.

Nach einem tragischen Ereignis sollte sofort der Vorgesetzte die Be- troffenen über mögliche physische, kognitive, emotionale und verhal- tensspezifische Symptome infor- mieren, empfehlen DGAI und BDA. Die Betroffenen sollten dann nicht unbedingt nach Hause ge- schickt, sondern außerhalb des OP, der Intensivstation und des Notarzt- wagens eingesetzt werden. Grund- sätzlich sei es ratsam, standardisiert zu jedem Behandlungszwischenfall eine Mortalitäts- und Morbiditäts- konferenz vorzusehen. Denn wenn nach einem tödlichen Verlauf, bei dem ein Behandlungsfehler im Raum stehe, ausnahmsweise eine solche Maßnahme ergriffen werde, bekomme dies leicht einen „Tribu- nalcharakter“. Sinnvoll sei es auch, institutionalisierte niederschwellige Anlaufstellen zu etablieren, an die sich Ärzte im Krisenfall wenden

können.

Jens Flintrop

„Es gibt mitunter Situationen,

Herr Professor Wulf, Sie haben Empfeh- lungen verfasst zum Umgang mit Mit- arbeitern, die wegen eines Fehlers oder einer belastenden Situation in eine Krise geraten sind. Warum?

Wulf: Dieses Thema hat mich schon mein ganzes Berufsleben be- gleitet. Ich bin als junger Notarzt am ersten Einsatztag zur Leiche ei- nes 16-jährigen Mädchens gerufen worden. Es war nach einem Sexual- delikt erwürgt worden. Dieser An- blick ging mir zunächst nicht aus dem Kopf; ich habe nächtelang da- von geträumt. Das Bild kam immer wieder hoch. Es war eine Situation, in der ich gedacht habe: Wenn dies noch mehrere Wochen so weiter- geht, beeinträchtigt dich das auch in deinem Beruf. Durch Gespräche mit der Familie und mit Freunden habe ich das auffangen können. Es hat sich nicht weiter verfestigt.

Aber es war eine Situation, in der ich ansatzweise gespürt habe, wie man in eine Krise geraten kann.

Das hat bis heute nachgewirkt?

Wulf: Es gab eine Reihe ähnlicher Ereignisse, mit denen ich im Laufe

meines Berufslebens zu tun oder zu kämpfen hatte. Als ich mehr Verant- wortung für andere Mitarbeiter übernahm, habe ich mich rückbli- ckend daran erinnert und bin zu der Überzeugung gelangt, dass man mehr Sensibilität für dieses Pro- blem wecken und das Ganze etwas systematischer angehen müsste. Es gibt mitunter Situationen, die einem nahegehen, die einen sehr beschäf- tigen und vielleicht auch beschädi- gen; es geht dann auch um Fragen der Schuld bei Behandlungsfehlern.

Sie sind bei Kollegen auf offene Ohren gestoßen. Es ist ja ein gemeinsames Papier zustande gekommen.

Wulf: Das ist etwas, was jeder, der lange genug in der Medizin tätig gewesen ist, einmal erlebt. Es muss nicht immer mit juristischen Impli- kationen verbunden sein, sondern es kann auch der tödliche Verlauf sein, der schicksalhaft ist, aber ei- nen trotzdem sehr stark mitnimmt – weil man die Person kannte oder sie genau das gleiche Alter wie man selbst hatte oder dies eine beson- ders tragische Konstellation war.

INTERVIEW

mit Prof. Dr. med. Hinnerk Wulf, Universitätsklinikum Gießen und Marburg

Ein Gespräch mit dem Direktor der Klinik für Anästhesie und Intensivtherapie in Marburg darüber, welche Folgen belastende Situationen für Ärzte haben können und wie man mit einem standardisierten Vorgehen eingreifen kann.

Beteiligen Sie sich nicht an Schuldzuwei- sungen, Ausgrenzungen oder Mobbing.

Schreiten Sie ein, falls es im Team dennoch dazu kommt.

Signalisieren Sie aktiv Gesprächsbereit- schaft, wenn Sie sich selbst stabil genug dafür fühlen.

Sichern Sie, soweit möglich, Vertraulichkeit zu.

Sprechen Sie sowohl über fachliche als auch über emotionale Aspekte.

Seien Sie wachsam für Symptome der Be- lastungsstörung bei Ihren Kollegen.

Überwinden Sie Rückzug und Kommunikati- onsverweigerung Ihres Gegenübers.

Schicken Sie den Betroffenen nicht unbe- dingt nach Hause, sondern setzen ihn außer- halb des OP im Haus ein.

Bei länger anhaltender Problematik schlagen Sie eine psychologische bezie- hungsweise psychosomatische Fachbehand- lung vor.

EMPFEHLUNGEN FÜR KOLLEGEN

T H E M E N D E R Z E I T

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