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Archiv "Intestinale Mikrobiota: Ein „Ökosystem“ mit Potenzial" (22.02.2013)

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A 320 Deutsches Ärzteblatt

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22. Februar 2013

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ehr als 1 000 verschiedene Bakterienspezies siedeln in den Tiefen des menschlichen Dick- darms – ein eigener Mikrokosmos, der zehnmal mehr Zellen und 150-mal mehr Gene in den Körper bringt als der Mensch besitzt. Lange Zeit war nicht klar, welche Funktio- nen die Darmbakterien haben. Heute ist ihre Bedeutung für die Gesund- heit unbestritten: „Die intestinale Mikrobiota trägt zur Entwick- lung und zum Erhalt des Darmimmunsystems bei, hilft bei der Ab- wehr von Pathogenen und Toxinen und unter- stützt die Verdauung durch die Erweiterung der enzymatischen Kapazität“, sagte Prof. Dr. med. Ste- phan C. Bischoff, Direktor des Instituts für Ernährungsmedizin der Universität Hohenheim.

Bacteroideskeime fördern die Biotin-Biosynthese

Dank neuer Analysetechnologien sind die Eckdaten der Darmmikro- biota heute bekannt. Ein Großteil der bakteriellen Gene kommt in jedem menschlichen Darm vor (Kernmikrobiom). Zusätzlich gibt es einen variablen Teil, der be- stimmte Enterotypen prägt. Je nach dominierender Bakteriengattung lassen sich die Menschen in drei Gruppen einteilen. Jede hat un - terschiedliche Fähigkeiten: Herr- schen Keime der Gattung Bacte- roides vor, ist zum Beispiel die Biotin-Biosynthese besonders ef- fektiv. Dominiert die Gattung Pre- votella, profitiert die Thiamin- Biosynthese. Und Menschen mit einem großen Anteil der Gattung Ruminococcus besitzen eine En- zymmaschinerie, die zur Häm- Biosynthese beiträgt.

ein Effekt, der etwa zehn Prozent der täglichen Energieaufnahme aus- macht“, erklärte Bischoff.

Zwar stammen die meisten Er- kenntnisse zu diesem Bereich aus Tierexperimenten, doch weisen auch die wenigen bislang existie- renden Humanstudien in diese Richtung. Erhielten Normalgewich- tige eine hochkalorische Diät, ver- änderte sich die Darmmikrobiota relativ schnell: Der Anteil der Fir- micutes stieg, der der Bacteroidetes sank um 20 Prozent. Dies führte zu einer erhöhten Energiegewinnung und einem Kaloriengewinn von im- merhin 150 Kilokalorien pro Tag.

Bei Adipositas ist nicht nur die Mikrobiota anders, auch die Darm- barriere ist gestört. Eine gesunde Darmbarriere sorgt dafür, dass die Darmwand Nährstoffe und Flüssig- keit passieren lässt, Bakterien und Toxine aber abwehrt.

Strukturelle Basis der

Darmbarriere

sind die Epithelzellen der Darm- wand. „Tight junctions“ verkitten die Epithelzellen miteinander und verhindern damit den Durchtritt bakterieller Produkte, sogenannter Endotoxine. Wie es zu einer Stö- rung der Darmbarriere kommt, ist nicht endgültig klar. Vermutlich spielen Nahrungsfaktoren eine Rol- le, ebenso wie Infektionen und To- xine. Kolonisieren vermehrt patho- gene Keime das Darmlumen, setzt dies eine Kaskade in Gang, die gra- vierende Folgen hat. Die Tight junctions werden durchlässiger für Endotoxine und lösen eine subklini- sche Entzündung aus. Infolge des- sen setzen Immunzellen Transmit- ter frei, die das Leck in den Tight

M E D I Z I N R E P O R T

INTE

STINA

LE MIKROBIOTA

Ein „Ökosystem“ mit Potenzial

Es gibt immer mehr Hinweise darauf, dass Mikroorganismen im Darm lokale und systemische Erkrankungen modulieren können.

Studien mit großen Patientenzahlen aber fehlen noch.

„Vielleicht bewirkt dies eine bes- sere Sauerstofftransportkapazität“, meinte Bischoff. Während solche Überlegungen noch Spekulation sind, stehen andere Beobachtungen bereits auf festerem Boden: Man weiß, dass bestimmte Krankheiten mit einer veränderten Zusammen- setzung der Mikrobiota einherge- hen. Dazu gehören gastrointestinale Erkrankungen wie infektiöse Diar- rhöen, Morbus Crohn, Colitis ulce-

rosa und das Reizdarmsyndrom, aber auch extraintestinale Krank- heiten wie das metabolische Syn- drom oder Adipositas.

So offenbarten Sequenzierungs- studien ausgeprägte Unterschiede in der Mikrobiota bei Adipösen und Schlanken. Bei Normalgewichtigen dominiert die Gattung der Bacteroi- detes, bei Adipösen die der Firmicu- tes. Eine derartige Verschiebung der Hauptstämme wirkt sich unmittel- bar auf den Energiestoffwechsel aus. „Das Mikrobiom von Adipösen produziert mehr Enzyme, die unver- dauliche Kohlenhydrate wie Zellu- lose spalten können. Damit holen sie mehr Energie aus der Nahrung –

Foto: mauritius-images

Ruminokokken sind Darmbakterien, die sich bei einem hohen Anteil mehrfach ungesättigter Fette in der Nahrung gut vermehren. Offenbar sind die Bakterien mit einer Enzymma- schinerie assoziiert, die zur Synthese des Häms beiträgt.

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22. Februar 2013 A 321 junctions weiter vergrößern. Die

Konsequenzen beschränken sich nicht auf eine Entzündung im Darmbereich, sondern führen auch zu vermehrter Fetteinlagerung, einer Fettleber und gestörten Insulinsensi- tivität. Durch diese Prozesse ebnet eine gestörte Darmbarriere der Ent- stehung von Adipositas, Bluthoch- druck, einer Fettstoffwechselstö- rung und Insulinresistenz den Weg, also dem metabolischen Syndrom.

Die Effekte von Probiotika sind dosisabhängig

Theoretisch ist der Einsatz von so- genannten Probiotika bei Adiposi- tas denkbar, um die Zusammen - setzung und damit auch die Funk - tion der Darmmikrobiota gezielt zu beeinflussen. Probiotika sind laut Definition der Weltgesund- heitsorganisation lebende Mikroor- ganismen, die einen positiven Ge- sundheitseffekt haben, wenn sie in genügender Menge zugeführt wer- den. Ihre Effekte sind dosisab - hängig und stammspezifisch. Meis- tens kommen Bifidobakterien oder Lakto bazillen zum Einsatz. Sie för- dern und stabilisieren eine gesunde Darmflora und haben sich bei vier Indikationen etabliert: zur Präven - tion antibiotikaassoziierter Diar - rhöen und nekrotisierender Entero- kolitis und zur Therapie der akuten Gastroenteritis und des Reizdarm- syndroms.

Das Reizdarmsyndrom ist eine funktionelle Krankheit, die mit ei- ner Prävalenz von zehn bis 25 Pro- zent vorkommt und Frauen dreimal so häufig wie Männer trifft. Charak- teristische Symptome sind krampf- artige Bauchschmerzen, Diarrhö oder Obstipation, Blähungen und eine vorübergehende Zunahme des Bauchumfangs. Die Pathophysiolo- gie ist nicht im Detail geklärt.

Es zeichnet sich aber ab, dass ei- ne veränderte Darmmikrobiota eine Schlüsselrolle spielt, die einem chronischen Entzündungsprozess den Weg ebnet. Probiotika können diesen Prozess offenbar modulie- ren. 2001 wurden sie erstmals in den klinischen Leitlinien (Eur J Gastroenterol Hepatol 2001; 13:

933–9) einer Gruppe europäischer Ärzte erwähnt – mit dem vorsichti-

gen Hinweis auf Studien, die posi - tive Effekte bei den Reizdarmsym - ptomen Blähbauch und Schmerz gezeigt haben. „Für eine Empfeh- lung fehlten allerdings noch weitere Studien“, sagte Prof. Dr. med. Hei- ner Krammer, Praxis für Gastro - enterologie und Ernährungsmedizin am End- und Dickdarmzentrum Mannheim. In den folgenden Jah- ren wurden viele Arbeiten mit spe- zifischen probiotischen Stämmen und deren klinischen Nutzen für die Therapie des Reizdarmsyndroms veröffentlicht. Damit stieg der Stel- lenwert der Probiotika.

Die Leitlinie des National Insti- tute for Health and Clinical Excel- lence von 2008 empfahl, probioti- sche Lebensmittel in den Speise- plan zu integrieren, war aber noch nicht in der Lage, konkrete probio- tische Stämme oder Produkte zu nennen. Diese Lücke schloss die aktuelle S3-Leitlinie, die 2011 von der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechseler- krankungen und der Deutschen Ge- sellschaft für Neurogastroentero - logie und Motilität veröffentlicht wurde. Sie empfiehlt sechs konkre- te Probiotikastämme (www.dgvs.

de/media/Leitlinie_Reizdarm_2011.

pdf, S. 264, Tab. 5.1) und setzt die- se in Bezug zu dem vorherrschenden Symptom des Reizdarmsyndroms.

Versuch mit Probiotika ist bei Laktoseintoleranz sinnvoll

Möglicherweise verbessern Probio- tika auch die Verträglichkeit von Laktose und lindern damit die Symptome bei Laktoseintoleranz – ein Effekt, der angesichts von zwölf Millionen laktoseintoleranten Pa- tienten allein in Deutschland be- deutsam wäre.

Die Wirkung von Probiotika hängt zum einen davon ab, an wel- cher Stelle im Darm die bakterielle Betagalaktosidase freigesetzt wird.

Das Enzym ist für die Spaltung des Milchzuckers zuständig. Ideal ist die Freisetzung im mittleren Je - junum, denn dies entspricht der Situation beim Stoffwechselgesun- den. Zum anderen ist der Aktivi - tätsgrad der Betagalaktosidase in dem verwendeten Probiotikum ent- scheidend.

In einer Pilotstudie mit elf Lak- toseintoleranzpatienten war der Symptom-Score nach zweiwöchi- ger Einnahme von Probiotika ver- mindert. Zu diesem Ergebnis kam auch eine etwas größere Studie mit 60 Patienten; bei 35 Prozent norma- lisierte sich der H

2-Atemtest nach zehn Tagen. Ein systematischer Re- view von zehn randomisierten kon- trollierten Studien (J Fam Pract 2005; 54: 613–20) folgert, dass einzelne probiotische Stämme in bestimmten Konzentrationen die Symptome einer Laktoseintoleranz lindern könnten. Die Autoren emp- fehlen einen Therapieversuch mit Probiotika bei Laktoseintoleranz.

„Obwohl die Ergebnisse der vor- liegenden Studien nicht eindeutig sind, sollten Patienten mit Lakto- seintoleranz durchaus ausprobieren, ob Probiotika die Symptome bes- sern“, sagte die Bonner Ökotropho- login Dr. Maike Groeneveld. Die Praktikerin empfiehlt ihren Patien- ten, in der Aufbauphase probioti- sche Lebensmittel ohne Laktose oder mit niedrigem Laktosegehalt in den Speiseplan einzubauen. Da- bei sollten sie mit kleinen Portionen zu den Mahlzeiten beginnen.

Ein weiterer potenzieller Einsatz- bereich für Probiotika sind chroni- sche funktionelle Bauchschmerzen bei Kindern. Wie effektiv der An- satz ist, das Ökosystem im Darm mittels einer probiotischen Therapie wieder ins Lot zu bringen, unter- suchte Prof. Dr. med. Jobst Henker, Kinderzentrum Dresden-Friedrich- stadt, in einer Studie an 78 Kindern.

Die Hälfte wurde mit Escherichia coli Nissle (Mutaflor) behandelt, die andere Hälfte nicht.

Bei der Wiedervorstellung nach (in der Regel) acht Wochen wiesen 56 Prozent der Verumgruppe eine Besserung auf versus 37 Prozent der Kontrollgruppe. „Offenbar hat E. coli Nissle bei einigen Kindern mit funktionellen Bauchschmerzen eine günstige Wirkung. Doch die Fallzahl war zu klein, um ein end- gültiges Urteil zu treffen“, resü-

mierte Henker.

Dipl.-Oecotroph. Dorothee Hahne

Quelle: Yakult-Kolloqium „Probiotika in Praxis und Forschung, in Bonn

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