Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 38⏐⏐22. September 2006 A2491
G E L D A N L A G E
I
n den letzten August-Tagen war an den Finanzmärkten Unsicher- heit genau zu spüren, selbst ge- ringwertige negative Nachrichten drückten sofort die Kurse, Erho- lungsansätze blieben meist im Kei- me stecken, allerdings hielten sich die Abschläge immer in Grenzen.Diese verhaltene Börsenwelt hat mit Zweierlei zu tun: Zum einen zählt der September schon seit Jahrzehn- ten zu den traditionell schwächeren Monaten, in denen es angezeigt war, eher nicht zu investieren. Zum ande- ren ist der mittlerweile fünfte Jah- restag der New Yorker Terrorattacke noch so sehr im Denken der Börsia- ner verhaftet, dass Anlageentschei- dungen einfach nicht wertneutral getroffen werden können.
Dennoch hat sich in der Wahr- nehmung der Bedrohung funda- mental einiges geändert, obwohl 9/11 natürlich, wie könnte es auch anders sein, Datum zum Sinnbild
für die geballte Unwägbarkeit und die sekundenschnelle dramatische Verletzlichkeit komplexer Systeme geworden ist.
Heute gehört die latente Bedro- hung durch den Terrorismus fast schon zum Alltag, aber, man mag den Handelsteilnehmern Zynismus unterstellen, sie ist in den Kursen im Prinzip bereits eingepreist. Als vor Kurzem Scotland Yard verkün- dete, mehrere Terroranschläge sei- en gerade mal knapp vereitelt, dauerte der Einbruch an den Bör- sen nur zwei Stunden, und an schließend waren die Kurse wieder auf dem zuvor gesehenen Niveau.
Zuvor hatten die „echten“ An- schläge in London und Madrid zwar deutliche, aber keineswegs nachhaltige Spuren in den Charts hinterlassen.
An der Stelle zeigt sich dann halt doch, dass es den Homo oeconomi- cus, wie er in den Modellen der
Volkswirtschaft gang und gäbe ist, in Wahrheit gar nicht gibt. Zumin- dest gerade dann nicht, wenn er ge- fragt oder genauer, gefordert ist: in der Panik. Die Geschehnisse um den Terroranschlag im September 2001, von den Amerikanern plakativ ab- strakt 9/11 tituliert, spiegeln klar ei- nen kollektiven Kontrollverlust wi- der, der sich immer dann einstellt, wenn etwas Unmodellhaftes, etwas völlig Unvorhergesehenes wie das Erlebte passiert. Das Paradoxe an der heutigen Situation ist eben ge- nau das ökonomisch sinnvolle Ver- halten, sich nicht verrückt machen zu lassen, obwohl es auf der psycho- sozialen Ebene fast schon ein schlechtes Gewissen verursacht, gerade deswegen Aktien zu kaufen, weil sich kommende Terrroran- schläge vermutlich nicht mehr ex- trem auswirken könnten.
Auf den Börsenalltag umgesetzt, heißt das nichts anderes, als für die kommenden Monate eher freundli- chere Kurse erwarten zu können.
Wer seine Anlagestrategie darauf einstellt, begeht im Übrigen keine Untat, sondern hat sich lediglich der Macht der Gewöhnung gebeugt.
Oder gestellt, je nachdem. I BÖRSEBIUS ZUM AKTIENMARKT