Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Tendenzen der Diabetologie
oder Umgebungsfaktoren bei der Manifestation der Krankheit.
Wie Goldmann (1) ausführen wird, läßt sich mit großer Regelmäßigkeit die aus der Transplantations-Immu- nologie resultierende Gewebs- und Zelltypisierung auch für die geneti- sche Zuordnung des Typ-l-Diabetes verwenden. Die auf dem 6. Chromo- som beim Menschen lokalisierten Histokompatibilitätsantigene DR 3/
DR4 erhöhen als Kombination das Risiko, an einem Insulinmangeldia- betes des Typs I zu erkranken, um das 20- bis 40fache. Andere HLA- Typisierungen scheinen zu protegie- ren. Ohne näher auf die praktisch mit jedem Treffen der Nomenklatu r- kommission der Welt-Gesundheits- Organisation wechselnden Bezeich- nungen näher einzugehen, läßt sich heute übersehen: Bestimmte Men- schen einer erkennbar besonderen Gewebekonstitution neigen zu Dia- betes Typ I, während beim Diabetes Typ II, in der Regel dem Diabetes der älteren Menschen, keinerlei Präfe- renz für bestimmte HLA-Allele er- kennbar wird.
2.2. Die Virusätiologie
Die Möglichkeit einer infektiösen Ätiologie des Diabetes des Jugend-
lichen wurde von den Pädiatern schon seit Jahrzehnten auf dem Bo- den von Zufalls- und Einzelbeobach- tungen erwogen — ohne größeres Echo hervorzurufen (2).
Die Annahme eines gezielten Zyto- tropismus für die insulinproduzie- rende ß-Zelle war nur schwer akzep- tabel, obwohl ähnliche Mechanis- men bei anderen Krankheiten seit langem erwogeh wurden (vergleiche die Post-Streptokokken-Glomerulo- nephritis nach Infektionen mit (3-hä- molytischen Streptokokken der Un- tergruppeneinteilung von Rebecca Lancefield). Im wesentlichen han- delt es sich um Enzephalomyokardi- tis- und Coxsackie-B-Viren, neben den schon bekannten Mumpserre- gern. Auf Übersichten aus der jüng- sten Zeit auch allgemeinverständli- cher Art sei verwiesen (6, 7). Eine Zusammenfassung der beim Men-
EDITORIAL
Volkskrankheit Diabetes
In der Bundesrepublik Deutschland leiden nach ver- schiedenen Schätzungen et- wa 2 Prozent der Bevölkerung an einer diabetischen Stoff- wechselstörung. Die Zahl der nicht oder noch nicht erkann- ten Fälle dürfte etwa in der gleichen Größenordnung lie- gen. Diabetes ist damit eine der häufigsten „Volkskrank- heiten". Das Ziel ist, die zahl- reichen Organkomplikationen in Zukunft durch bessere Ein- stellung (Arzt) und strengere Lebensführung (Patient) weit mehr als bisher zu beherr- schen oder sogar zu verhüten.
Insofern berühren sich beim Diabetes mellitus Therapie und Prävention. Die Möglich- keiten einer Verhinderung oder wenigstens Verzögerung der gefürchteten Gefäßkom- plikationen haben durch neuere Erkenntnisse der Dia- betologie einen wesentlichen Auftrieb erfahren.
Das DEUTSCHE ÄRZTEBLATT wird sich deshalb in einer gan- zen Serie von Artikeln mit den
schen und beim Versuchstier erziel- ten Daten gibt Tabelle 1. Der ein- drucksvolle Fall einer tödlich verlau- fenden Coxsackie-B-4-Virus-Infek- tion bei einem Kind mit ß-Zellnekro- sen, Zuckerkrankheit, Übertragbar- keit der Erkrankung auf Versuchs- tier und Gewebekultur sowie schließlich sogar die ersten Ansätze einer Antikörperbildung gegen die Viren (8) sind in Tabelle 2 zusam- mengefaßt.
Die Kochschen Postulate zur Annah- me einer infektiösen Ätiologie sind erfüllt: Der Nachweis des Erregers ist gelungen, desgleichen die Dar- stellung in der Kultur und schließlich
Ursachen, mit der Pathophy- siologie, mit den diätetischen und medikamentösen Maß- nahmen sowie mit den ver- schiedenen Organkomplika- tionen befassen. Diabetes war auch ein Hauptthema des diesjährigen Kongresses der Deutschen Gesellschaft für In- nere Medizin. Wir sind Profes- sor Dr. Dr. Pfeiffer aus Ulm besonders dankbar, daß er einige der namhaftesten deut- schen Diabetologen für diese Serie gewinnen konnte. Er gibt in diesem und im folgen- den Heft eine einleitende Übersicht über moderne Er- kenntnisse und aktuelle Trends in der Diabetologie.
Jeder Arzt wird in absehbarer Zeit von den drei Grundmög- lichkeiten der Einstellung des Diabetes ausgehen müssen:
Diät, orale Antidiabetika, hochgereinigte Insuline. Er sollte aber auch wissen, wel- che Möglichkeiten der vorpro- grammierten oder selbstge- steuerten Insulinzufuhr heute schon gegeben sind. Sie wer- den in absehbarer Zeit das Ex- perimentalstadium verlassen und zumindest für Problemfäl- le verfügbar sein. R. Gross
die Übertragbarkeit mit nachfolgen- der neuerlicher Erkrankung des Empfängers.
Auch wenn dies Ereignis gewisser- maßen eine einsame Beobachtung darstellt, so ist die Beweiskraft für die Annahme einer direkten 13-Zen- schädigung durch entsprechende Viren überzeugend.
2.3. Die Autoimmun-Komponente Wie Kolb und Gries (2) später ausfüh- ren werden, bedarf die Theorie der Virus-Ätiologie noch einer Ergän- zung: Es handelt sich um die eben- Ausgabe A/B DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 15 vom 16. April 1982 43