B
egonnen hat die Deutsche Aids- Stiftung ihre Arbeit vor 15 Jahren in einer aufgeheizten gesellschaftli- chen Stimmung, geprägt durch die Angst, sich mit HIV zu infizieren. Das Informationsdefizit der Bevölkerung war groß. Vermeintlichen Schutz ver- sprach man sich durch Ausgrenzung der HIV-Infizierten, die hauptsächlich unter Homosexuellen und Drogenabhängi- gen gesucht wurden. „Das Engagement von Künstlern, Publizisten, Kirchen und Politikern hat viel zur Aufklärung, zur Überwindung der Aids-Hysterie beige- tragen“, resümierte Prof. Dr. Rita Süss- muth, Vorsitzende des Kuratoriums der Deutschen Aids-Stiftung, bei der Jahres- pressekonferenz am 18. Juni in Bonn.Ende der 80er-Jahre war die Zahl der Aidstoten sehr hoch. Dank verbesserter Therapien und wirksamer Medikamen- te leben Aidspatienten in den Industrie- nationen heute wesentlich länger.
Daraus ergeben sich andere Proble- me: „Aids wird zunehmend eine Er- krankung der Armen – diejenigen, die erkrankt sind, werden immer ärmer“, stellt Rainer Jarchow, Aids-Seelsorger in Hamburg und Vorsitzender des Fach- beirats, fest. Der größte Teil der Spen- dengelder der Stiftung fließt daher in die Einzelfallhilfe: 16,5 Millionen Euro hat die Stiftung seit ihrer Gründung aufgebracht. Der größte Teil der Sum- me kam bei Benefiz-Projekten zusam- men. Ein Grund für die materielle Not der Betroffenen: Die meisten sind auf Sozialhilfe angewiesen. Rentenan- sprüche bestehen meist nicht, denn fast 70 Prozent der Erkrankten sind jünger als 40 Jahre. Perspektiven gibt es für vie- le heute zwar durch eine partielle Rück- kehr ins Berufsleben. Doch dies schei- tere häufig an den Bedingungen des Ar- beitsmarktes. Jarchow wünscht sich von den Arbeitgebern, Aidspatienten trotz
ihrer Einschränkungen zu unterstützen.
Die Deutsche Aids-Stiftung setzt bei der Förderung einen Schwerpunkt auf Projekte, die der Rückkehr in die Er- werbstätigkeit dienen.
Die materielle Not der betroffenen Frauen ist größer als die der Männer.
Obwohl im Jahr 2001 nur rund zwölf Prozent der Infizierten weiblich waren, stellten sie 26 Prozent der Anträge an die Deutsche Aids-Stiftung. 70 Prozent der infizierten Frauen leben von Sozial- hilfe. Ebenfalls 70 Prozent der antrag- stellenden Frauen mit Kindern im Haushalt waren zudem allein erzie- hend. Diese hohe Zahl verweise auf das häufige Zerbrechen familiärer Struktu- ren, wenn HIV diagnostiziert wird, be- tonte der geschäftsführende Vorstand Dr. Ulrich Heide. Überproportional
häufig stellten neben den Frauen vor al- lem Jüngere und Drogenabhängige An- träge an die Stiftung. Mit mehr als 25 Prozent (von 4 380 Anträgen) wurden zudem Menschen und Projekte in Ber- lin unterstützt. 50 Prozent der HIV-Infi- zierten leben in Berlin, Hamburg, Düs- seldorf, Köln, Frankfurt und München.
Probleme sieht Rita Süssmuth in der HIV-Prävention bei Migranten, die nur schwer zugänglich seien. Verstärkt will die Stiftung daher entsprechende Pro- jekte fördern, zum Beispiel ein Projekt der Caritas in Essen, das schwarzafri- kanische Migranten betreut. Ausge- baut werden soll auch das internationa- le Engagement, denn von den mehr als 30 Millionen Menschen mit HIV und Aids weltweit (Zahlen nach UNAIDS), leben allein 95 Prozent in Entwick- lungsländern. Die Dramatik der Situa- tion veranschaulichte Heide: „In Bots- wana und Sambia sterben jährlich mehr Lehrer an Aids als ausgebildet werden.“
Zahl der Neuinfektionen in USA und Großbritannien gestiegen
Die hohe HIV-Ausbreitung vor allem im südlichen Afrika hat durch die Glo- balisierung auch Auswirkungen auf die Industrienationen: Die Zahl der Neuin- fektionen in den USA und in Großbri- tannien steigt wieder und auch für Deutschland meldet das Robert Koch- Institut einen Anstieg der Neuinfizier- ten. Beobachtet wird auch ein zuneh- mend leichtfertigeres Verhalten im Um- gang mit sexuellen Kontakten bei Ju- gendlichen. Die Deutsche Aids-Stiftung setzt daher auf die Entwicklung eines Impfstoffes, der die Übertragung von HIV einschränkt. Durch die Zusammen- arbeit mit der International Aids Vaccine Initiative (IAVI) will die Stiftung deut- schen Instituten und Organisationen verstärkt ermöglichen, an der Impfstoff- entwicklung teilzunehmen. Benötigt wird hierfür auch finanzielle und politi- sche Unterstützung. Petra Bühring
Informationen:
Deutsche Aids-Stiftung, Markt 26, 53111 Bonn, Tele- fon: 02 28/60 46 90, Fax: 02 28/60 46 999, E-Mail:
info@aids-stiftung.de, www.aids-stiftung.de Spendenkonto: 4004, Westdeutsche Landesbank Köln, Bankleitzahl: 370 500 00
P O L I T I K
A
A1804 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 26½½½½28. Juni 2002
Lebenssituation HIV-Infizierter
Große materielle Not
Die soziale Situation von Aidskranken ist
aufgrund der längeren Lebensdauer schwieriger geworden.
Darauf wies die Deutsche Aids-Stiftung hin.
´ TabelleCC´
HIV und Aids in Deutschland – Eckdaten Menschen, die Ende 2001
mit HIV/Aids leben: 38 000
Männer 29 000
Frauen 8 300
Kinder <400
Zahl der Neuinfektionen 2001: 2 000
Männer 1 500
Frauen 500
Kinder <20
Infektionswege:
Homosexuelle Kontakte bei Männern 50 % Herkunft aus Hochprävalenzgebieten 21 % Heterosexuelle Kontakte 18 %
i. v. Drogengebrauch 10 %
Mutter-Kinder-Transmission <1 % HIV/Aids-Todesfälle 2001: 600 Gesamtzahl der HIV-Infizierten
seit Beginn der Epidemie: 60 000 Gesamtzahl der HIV/Aids-Todesfälle seit Beginn der Epidemie: 19 000 Quelle: Aids-Zentrum im Robert Koch-Institut, Stand: Ende 2001