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Archiv "Patientenverfügungen - Kein „Sterben in Würde“: Radikalität der Thesen unwürdig" (26.07.2002)

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Brückenschlag

. . . Zutreffend weisen Zieger et al. dar- auf hin, dass es zu diesen Themenberei- chen Erhebungen gibt, von denen aller- dings etliche insofern tendenziös sind, als dass sie offenkundige, politisch-welt- anschauliche Intentionen empirisch be- legen und begründen sollen. Hier be- steht Einigkeit, dass größte Vorsicht bei der Diskussion und Bewertung entspre- chender Ergebnisse anzuraten ist.

Vor diesem Hintergrund überrascht es, wenn das Autorenteam dann jedoch auch selbst einige eindeutig weltan- schaulich geprägte Studien eher un- kritisch zitiert. Darüber hinaus müssen wir darauf hinweisen, dass die wissen- schaftlichen Ergebnisse unserer eige- nen Arbeitsgruppe zur komplexen (be- treuungs-)rechtstatsächlichen Lage in Deutschland in einem sachlich falschen Zusammenhang referiert und damit zur Belegung von Schlussfolgerungen her- angezogen werden, von denen wir – auch aus interdisziplinärer Sicht – viele nicht bestätigen können.

Weiterhin fällt auf, dass die „be- ziehungsethische“ Analyse der Autoren Patientenverfügungen faktisch aus- schließlich negativ interpretiert, also im Sinne der Schwächung und Untermi- nierung einer tragfähigen Beziehungs- ebene zwischen Arzt und Patient. Auch die Themen „Entscheidungen am Le- bensende“, „medical futility“ und „Al- lokationsethik“ werden vorwiegend im Zusammenhang mit Forderungen nach

„aktiver Euthanasie“ beziehungsweise der „Tötung auf Verlangen“ dargestellt.

Angesichts der alleine schon medizi- nisch vielschichtigen und komplexen Probleme, die sich im Rahmen dieser

Fragestellungen ergeben können, wäre hier eine differenziertere Erörterung zu begrüßen gewesen. So ist beispielsweise inzwischen weitgehend unstrittig, dass sich unter ethischen, grundrechtswis- senschaftlichen, psychologischen, kom- munikativ-relationalen und damit nicht zuletzt mitmenschlich-empathischen Ge- sichtspunkten auch vielfältige Chancen eröffnen können, wenn Patientenverfü- gungen im Rahmen der in diesen Fra- gen essenziellen Fürsorge und Kommu- nikation ernst genommen werden.

Schließlich erscheint uns im wissen- schaftlichen Umgang mit diesen Fragen eine umsichtigere Wortwahl geboten:

Eine wachsende Zahl von Beteiligten aus allen Bereichen (Ärzte, Pflegende, Patienten, Angehörige, Juristen, Ethi- ker, Politiker, Fachgesellschaften, Ver- bände) bemüht sich derzeit verstärkt sowie im intensiven interdisziplinären, auch wissenschaftlich hervorragend fundierten Diskurs um einen differen- zierten, sachgerechten, verantwor- tungsbewussten, politisch transparen- ten und gesellschaftlich tragfähigen Umgang mit diesen Problemen. Hier wäre es begrüßenswert, wenn davon Abstand genommen würde, diese ern- sten Fragen einfach nur mit einer wenig sachdienlichen „Tabuisierungsenergie“

zu belegen, indem man sie in oft wenig differenzierter und meist unzutreffen- der Weise mit dem Problemkomplex der „aktiven Euthanasie“ vermengt.

Viele der von Zieger et al. dargeleg- ten Bedenken sind im Prinzip durchaus ernst zu nehmen und zweifellos wohl- meinend intendiert: Die Ausführungen der Autoren offenbaren eine weltan- schauliche Prägung und Gesinnung, die ohne Abstriche als ehrenwert zu würdi- gen ist, obgleich sie – in unserer plurali- stischen Gesellschaft – keinen allgemei- nen Verbindlichkeitsanspruch (mehr) erheben kann . . .

Dr. med. M. Strätling, Prof. Dr. med. P. Schmucker, Klinik für Anästhesiologie der Medizinischen Universität zu Lübeck, Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck

Ärztlicher Paternalismus

Ein derart ungeschminktes Plädoyer für ärztlichen Paternalismus und die Rück- kehr zu voraufklärerischen Haltungen, nach denen es vor allem die anderen sind, die wissen, was für den Patienten

gut ist, hat man selten gelesen. Ganz so, als gäbe es jene bisweilen zwanghaft anmutende, ärztlich angeordnete Le- bens- beziehungsweise Sterbeverlänge- rung um jeden Preis gar nicht und als wären die „seelenlose Apparatemedi- zin“ ebenso wie der „Halbgott in Weiß“

eine böse Mär, werden hier Patienten, die sich das Recht herausnehmen, nicht nur mitsprechen, sondern gar selbst über ihr Leben und Sterben entscheiden zu wollen, dargestellt als beziehungslo- se, selbstfixierte Individuen.

Was einer unter seiner „Autonomie“

und „Würde“ zu verstehen hat, ist den Autoren zufolge Verhandlungssache und wird „erst durch die Fürsorge für den an- deren konstituiert“, und die Verfasser von Patientenverfügungen sind überfor- dert, weil sie die Tragweite von Befür- wortung oder Ablehnung bestimmter Maßnahmen am Lebensende oft „nicht übersehen können“. Mal ganz abgesehen davon, dass es Aufgabe des Mediziners ist, dem Patienten eben diese Tragweite verständlich zu vermitteln und ihm so ei- ne Entscheidungsbasis zur Verfügung zu stellen: Hier werden Patientenverfügun- gen diabolisiert und als einseitige Auf- kündigung einer solidarischen Haltung und Zurückweisung menschlich-sozialer und medizinischer Fürsorge absichtlich missinterpretiert.Warum? Vielleicht weil eine Stärkung der Patientenrechte den Machtbereich der Ärzte, die im Tod nach wie vor eine gravierende Niederlage se- hen, einschränken könnte? . . .

Susanne Dehmel,

Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS), Lange Gasse 2–4, 86152 Augsburg

Radikalität der Thesen unwürdig

. . . Es wird unter anderem suggeriert, dass die Patientenautonomie und die Fürsorgepflicht des Arztes sich gegensei- tig ausschließen und dass der in der Pati- entenverfügung geäußerte Wille eine Handlungsanweisung bedeute, die den Arzt zu einem Handlanger degradiere.

Das stimmt so nicht. Auch bei Vorliegen einer sehr restriktiv formulierten Patien- tenverfügung muss der Arzt entschei- den, ob Voraussetzungen dafür beste- hen, ob zum Beispiel ein Sterbeprozess vorliegt oder ob es berechtigte Hoffnung auf Heilung gibt. Bei dieser Entschei- dung muss der Arzt viel Fürsorgepflicht T H E M E N D E R Z E I T

A

A2024 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 30½½½½26. Juli 2002

zu dem Beitrag

Patientenverfügungen:

Kein „Sterben in Würde“

von

Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Zieger et al.

in Heft 14/2002

DISKUSSION

(2)

zeigen . . . Gerade im Sterbeprozess ist ein Sowohl-als-auch sehr wichtig. Insge- samt halte ich die Radikalität der The- sen, zum Beispiel die vollkommene Ab- lehnung der Patientenverfügung, und den Tonfall in diesem Artikel für unwür- dig angesichts eines Themas, bei dem es um die Würde des Patienten geht.

Dr. med. Alexander Calatzis,

Schwerpunkt für Psychosomatik an der 2. medizini- schen Klinik des Universitätsklinikums Regensburg, Franz-Josef-Strauß-Allee 11, 93053 Regensburg

Weit weg von der Wirklichkeit

Das Statement ist hervorragend – aber weit weg von der Wirklichkeit. Die hu- manen Bedingungen, die die Autoren fordern, bestehen seit Jahren nicht mehr und werden (in Zukunft auch mit den DRGs) weiter abgebaut. Ärzte- mangel und jetzt auch Schwestern- und Pflegermangel machen den Patienten Tag für Tag mehr zum Objekt für knap- pe (gute) wissenschaftliche Medizin, aber immer weniger zum menschlich- humanen und besonders auch in seinem inneren (oneiroidalen) Erleben (des Schlaganfalls zum Beispiel) ernst ge- nommenen gleichwertigen Partner.

Und genau auf diese Verhältnisse ant- worten Patientenverfügungen – mit vol- lem Recht. Hinzu kommt, dass der Tod oft genug eine Erlösung ist (und viel- leicht auch ein Übergang in eine andere Welt). Noch vor 20 Jahren hätten viele unserer jetzt lange am (elenden) Leben erhaltenen neurologischen Frühreha- Patienten nicht überlebt – und wären längst von dieser dauernden und oft nur sachlich adäquaten, aber menschlich un- zureichenden Lebenserhaltung um je- den Preis erlöst gewesen . . .

Die Argumentation kann ich somit nur teilen, wenn sie von vehementem – und riskantem – persönlichen Protest gegen Arbeitsüberlastung und Stellen- abbau (und DRGs) in den Kliniken be- gleitet wird.

Michael Schröter-Kunhardt, Görresstraße 81, 69126 Heidelberg

Andere Schlussfolgerung

Im palliativmedizinischen Konsiliar- dienst am Klinikum der Universität Mün- chen spielt bei etwa jedem fünften Kon- sil das Thema „Vorsorge durch Voraus-

verfügung“ eine Rolle. Bei circa zehn Pro- zent der Konsile werden eine Vorsorge- vollmacht und eine Patientenverfügung erstellt, wobei die Beratungszeit zwischen einer und vier Stunden liegt. Als Grund- lage dient die im Mai 2001 vom Bayeri- schen Justizministerium herausgegebene Vorsorge-Broschüre, die von einer Grup- pe von Juristen und Ärzten unter organi- satorischer Leitung der Akademie für Palliativmedizin in München erarbeitet wurde. Patienten, Angehörige und Kolle- gen sind mit diesem Angebot sehr zufrie- den. Die tägliche Praxis im Umgang mit diesem Instrument bei Palliativpatienten lässt folgende Schlüsse zu:

➀ Gerade bei Patienten mit einer zum Tode führenden Erkrankung bestehen oft Ängste und Unsicherheiten in Bezug auf die Terminalphase, die zum Teil auf der Furcht vor dem „Ausgeliefertsein“ im Falle einer Entscheidungsunfähigkeit be- ruhen. Das Lindern dieser Ängste ist ein wichtiges palliativmedizinisches Ziel. Für viele Patienten ist die Abfassung einer Vorsorgevollmacht und/oder einer Pati- entenverfügung ein wirksames Mittel.

➁ Die Rolle der Angehörigen kommt vor allem im Primat der Vorsorgevoll- macht zum Tragen. Dieses Dokument spielt in unseren Beratungen die wichtig- ste Rolle, zum einen wegen seiner ein- deutigen rechtlichen Verbindlichkeit, zum anderen, weil seine Erstellung den Dialog zwischen Patient und Angehöri- gen über die Wünsche für die Terminal- phase voraussetzt und damit oft eine po- sitive psychosoziale Auswirkung hat.

➂ Patientenverfügungen werden bei unseren Beratungen immer gemeinsam mit Patient, Angehörigen und behan- delnden Ärzten erstellt. Sie ersetzen nicht die fürsorgliche Arzt-Patienten- Beziehung, sondern sind konkreter Aus- druck derselbigen. Sie entspringen einer Ethik des Dialogs, welche als Ziel hat, die – individuell höchst unterschiedli- chen – Notwendigkeiten und Ansprüche der Patienten an Autonomie- und Für- sorgeprinzip zu erkennen und, so weit möglich, gemeinsam zu verwirklichen.

Die Broschüre steht im Internet un- ter www.justiz.bayern.de zum Herun- terladen zur Verfügung.

Priv.-Doz. Dr. med. Gian Domenico Borasio, Interdisziplinäre Palliativmedizinische Einrichtung, Klinikum der Universität München,

Marchioninistraße 15, 81377 München

Adieu, Herrgott in Weiß

Schade, schade, schade – das DÄ, schriftliches Aushängeschild meiner Standesorganisation oder „Wacht- turm“ für Ideologien? Darf hier so sek- tiererisch gegen den Glauben der Mit- menschen gewettert werden? Stellen elf Prozent der Bevölkerung eine Min- derheit dar, die man ohne Skrupel bei- seite wischen kann?

Sehr geehrter Herr Kollege Zieger (die Anrede „geehrt“ ist mir übrigens sehr ernst!), sollte das Schicksal Sie oder Ihre gleichgesinnten Mitstreiter in prekärer Situation in meine Obhut bringen: ich werde Ihre Meinung ehren und mich mit ganzer Kraft und vollem Einsatz bei jedem Handgriff für Sie und Ihr Patiententestament (als solches be- trachte ich Ihren Beitrag) einsetzen.

Dies ist für mich eine Selbstverständ- lichkeit!

Aber: Ich dränge Sie, mir die Ge- wissheit zuzusichern, dass Sie im umge- kehrten Falle auch meine wohldurch- dachten Wünsche zur Kenntnis neh- men, diese akzeptieren und sie mit glei- cher Kraft und all Ihrem medizinischen Wissen umsetzen. Dass ich nicht zu Ihren 89 Prozent, sondern eben zu den restlichen elf Prozent der Befragten gehöre und auf mein Recht, keine Le- bensverlängerung zu wünschen, ganz ausdrücklich poche, ist mein Grund- recht! Meine Beziehung zu Gott, mein Ethikverständnis (sic!) will gerade nicht eine konkrete Entscheidung dele- gieren, sondern im Moment meiner Schwäche Sie von der Vorherrschaft Ih- res Glaubens zu einer partnerschaft- lichen Arzt-Patienten-Beziehung zu- rückleiten.

Mein Appell also: Jeder sollte ein Patiententestament schreiben und uns Ärzten eine Hilfe geben, die eigenen Zweifel (und die habe ich in 23 Jahren als Mediziner bei jedem Todkranken auf die Probe stellen müssen) ein we- nig zu lindern. Die Entscheidung im jeweiligen Moment wird, rechtlich nur ungenügend fassbar, immer aufs Neue ein schwerer Kampf mit sich selbst bleiben. Adieu, Herrgott in Weiß, willkommen, Freund im weißen Kittel!

Dr. Jürgen-Ulrich Kruse, Schildsteinweg 32 a, 21339 Lüneburg T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 30½½½½26. Juli 2002 AA2025

(3)

Zu undifferenziert

. . . In der Hospizbewegung gilt als Re- gel: Die Wünsche, Ängste, Hoffnungen und Einstellungen der Betroffenen in psychischer, physischer, sozialer und spiritueller Hinsicht sollen Maßstab für das Handeln der Helfer sein. Ist es denn wirklich verwerflich, wenn Men- schen, nicht nur Gesunde, sondern auch Schwerstkranke, diese ihre Wünsche schriftlich für den Fall festlegen, dass sie sich nicht mehr äußern können?

Darf der ALS-Kranke nicht festlegen, dass er keine maschinelle Beatmung wünscht oder der rüstige 90-Jährige, dass er keine Wiederbelebungsmaß- nahmen möchte?

Die Realität an Akutkrankenhäusern sieht doch so aus: Auf den Intensivstatio- nen werden auch hochbetagte Menschen mit allen zur Verfügung stehenden Mit- teln am Leben erhalten, wenn sie vorher schon komplett pflegebedürftig, nicht entscheidungsfähig, hinfällig und kon- trakt waren. Das Reanimationsteam ist in jedem Fall beim Todeseintritt auf „Nor- malstation“ zu beordern, wenn vorher nicht Gegenteiliges festgelegt worden ist.

In diesem Kontext werden täglich ärztli- che Entscheidungen getroffen, von denen nicht klar ist, ob sie den Vorstellungen des Betroffenen entsprechen. Und viele die- ser Entscheidungen werden von allen Be- teiligten als fragwürdig angesehen. Aber im Zweifel entscheiden wir uns für die Rolle,die wir gelernt haben:Leben zu ret- ten. Das ist auch viel einfacher, erspart uns die Auseinandersetzung mit dem Sterben, korrespondiert mit unseren un- bewussten Allmachts- und Unsterblich- keitsfantasien und wurde bislang straf- rechtlich noch nie verfolgt, auch wenn sie rechtswidrig (wenn gegen den Willen des Patienten durchgeführt) waren.

Ich selbst habe bei vielen dieser Pati- enten, für die ich verantwortlich war und die ich vor Eintritt der Nichtentschei- dungsfähigkeit nicht kannte, Patienten- verfügungen schmerzlich vermisst. In den ohnehin zu führenden Gesprächen mit Hausarzt, Angehörigen, Freunden und Pflegenden der Betroffenen wären sie eine große Hilfe gewesen. Denn: Pati- entenverfügungen können den Behan- delnden und Betreuenden dabei helfen, im Sinne der Sorge und Fürsorge das Be- ste für den Patienten herauszufinden und

zu verwirklichen. Wie Udo Schlaudraff vor Jahren schon formulierte, wollen Pa- tientenverfügungen alle Beteiligten von dem Druck entlasten, der von der Maxi- malmedizin ausgeht.

Der Umgang mit Patientenverfügun- gen kann ebenso missbraucht werden wie der Fürsorgebegriff oder das Gebot der Lebenserhaltung. Sorgfalt ist in je- dem Fall geboten. Dass mit Patienten- verfügungen verantwortlich umgegan- gen werden kann, zeigen viele Beispie- le, bei denen gerade die ärztliche Bera- tung im Zusammenhang mit der Erstel- lung einer Verfügung eine wichtige Rol- le spielt. In der neuesten Handreichung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern zu Vorsorgevollmacht, Be- treuungsverfügung und Patientenverfü- gung (2002) kommt klar zum Ausdruck, dass gerade vor dem Hintergrund eines

„methaphysisch und religiös begründe- ten Menschenbildes“ die Verwendung einer Patientenverfügung als Möglich- keit christlichen Handelns angesehen wird. Dabei verzichtet die Kirche auf ei- gene Formulare, sondern verweist auf die Vorsorgebroschüre des Bayerischen Staatsministeriums der Justiz (2001).

Den Verfassern des Artikels seien beide Schriften zur Lektüre empfohlen.

Dr. med. Jürgen Bickhardt, Uhlandstraße 19, 85435 Erding

Ich werde weiter dafür werben

. . . Seit dreißig Jahren besuche ich alte Menschen in Heimen, auch in der letz- ten Lebensphase. Meine Mutter starb im Altenheim so, wie sie es in der Pati- entenverfügung gewünscht hat, nicht mehr behandelt, aber betreut, gepflegt und liebevoll begleitet. Ich konnte, an- ders als in einem Krankenhaus üblich, fünf Tage und die letzten Nächte bei ihr sein. Viele alte Menschen jedoch ster- ben immer noch qualvoll. Die zitierte

„empathische ärztliche Sterbebeglei- tung“ findet nicht statt, und das Pflege- personal hetzt sich ab, um die nötige Versorgung korrekt zu erbringen.

Mir sind in den vielen Jahren die 89 Prozent nicht begegnet, die eine Le- bensverlängerung wünschen.Alte Men- schen betteln manchmal geradezu um

„Sterbehilfe“, lassen sich oft nur schwer davon überzeugen, dass „Euthanasie“

nicht sein kann und nicht sein darf und auch nicht gewünscht werden sollte.

Im DÄ steht, dass 79,3 Prozent der Ärzte eine Patientenverfügung für

„sehr wichtig“ halten. Also werde ich weiterhin im Altenheim und im Be- kanntenkreis dafür werben, die eigenen Wertvorstellungen zu bedenken und niederzulegen und nicht darauf zu ver- trauen, dass die „Ethik, die fürsorgliche und solidarische Begegnung zweier Menschen“, ihnen dann begegnet, wenn sie am bedürftigsten sind. „In Mode ge- kommen“ sind Patientenverfügungen doch gerade deshalb, weil die Fort- schritte der Medizin so viel möglich ma- chen – und damit auch so viel technische und bürokratische Arbeit anfällt, dass Empathie zum kaum vorstellbaren Lu- xus geworden ist. Vermutlich auch für die rund 20 Prozent Ärzte, denen eine Patientenverfügung suspekt erscheint.

Mein Lebensende und das der Men- schen, die mir am Herzen liegen, möch- te ich schon lieber an den eigenen Wer- ten und nicht am Sozialethos eines Arz- tes ausgerichtet wissen.

Anna Rummelein,

Böcksteiner Straße 39, 81241 München

Eigene Wünsche

In Heft 15/2001 schildert Kollege Dr. Hel- mut Renoldi, Aachen, in seinem bewe- genden Leserbrief das überlange Sterben seiner Frau. Es fehlte die rechtsverbindli- che Patientenverfügung, welche das Elend verhindert hätte. Priv.-Doz. Dr.

Zieger (und seine Mitautoren) lehnen Pa- tientenverfügungen (sie schreiben das Wort mit Gänsefüßchen!) ab. Sie fühlen sich durch sie nachgerade gekränkt .. .

Nur soviel: Mit 85 Jahren stehe ich an der Grenze zu jenem Bezirk, von dem kein Wanderer wiederkehrt. Nach mei- nen langen Lebens- und Berufserfah- rungen wünscht sich jeder Mensch, dass sein Tod kurz und schmerzlos sein möge.

Wer anderes sagt, der irrt – oder er lügt.

Schiller (Die Götter Griechenlands):

Damals trat kein gräßliches Gerippe vor das Bett des Sterbenden. Ein Kuss nahm das letzte Leben von der Lippe. Und das ernste Schicksal blickte milder durch den Schleier sanfter Menschlichkeit.

Dr. med. Alfons Werner Reuke, Sommerhalde 42, 71672 Marbach am Neckar T H E M E N D E R Z E I T

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A2026 Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 30½½½½26. Juli 2002

(4)

Schlusswort

Das vielfältige Echo und die lebhafte Diskussion verstehen wir als Ausdruck eines großen Bedürfnisses nach Klärung und Positionsbestimmung. Ein öffentli- cher Diskurs lebt vom Pro und Kontra;

da nun bisher zum Thema „Patientener- klärungen“ so gut wie nirgends öffent- lich eine Kontra-Position sichtbar ge- worden ist, was merk-würdig genug ist, war es für uns auch ein Motiv, diesem Mangel mit unserem, sicher noch nicht vollständig gelungenen, Text abzuhelfen und auf diese Weise die Diskussion die- ses so wichtigen Themas zu fördern.

Dies scheint uns gelungen zu sein. Da unser Beitrag offenbar zu einigen Miss- verständnissen geführt hat und nicht al- le Diskutanten die auf der Homepage des DÄ freundlicherweise bereitgestell- te Langfassung des Artikels gelesen zu haben scheinen, sind wir dem Angebot der Redaktion gern gefolgt, zu den hier veröffentlichten Zuschriften ab- schließend Stellung zu nehmen:

Kollegen Strätling und Schmucker machen zu Recht darauf aufmerksam, dass unser Beitrag von „weltanschauli- chen“, philosophischen Überlegungen geprägt ist. Menschsein vom Anderen her zu denken (Lévinas) und auch da- nach zu handeln ist nicht gerade in Mo- de, für uns jedoch ein Schlüssel zum Ver- ständnis der gegenwärtigen Lage in der Diskussion um Patientenautonomie.

Und wir nehmen gern zur Kenntnis, dass man sich auch andernorts um eine diffe- renzierte, interdisziplinäre Diskussions- kultur zum Thema Sterbehilfe bemüht.

Susanne Dehmels Vorwurf einer

„Diabolisierung“ von „Patientenverfü- gungen“ – aus dem Munde einer Orga- nisation gesprochen, die in ihren Schrif- ten eine direkte Verbindung zwischen Patientenverfügung und aktiver Sterbe- hilfe zieht – möchten wir deutlich wi- dersprechen. Wir haben nichts verteu- felt, sondern sachlich-rational argu- mentiert und dabei unsere ethisch-mo- ralische Grundhaltung offen gelegt. Im Unterschied zu Frau Dehmel haben wir den Würdebegriff definiert und als zwi- schenmenschliche Qualität positioniert.

Auch der Auffassung des Kollegen Calatzis können wir nicht zustimmen, geht es doch gerade darum, Patienten- autonomie und ärztliche Fürsorge (um-

gekehrt auch: ärztliche Autonomie und Patientenselbstfürsorge) nicht gegen- einander auszuspielen, sondern in ih- ren dialektischen, beziehungsethischen Wechselverhältnissen zu begreifen.

Und der Zuschrift des Kollegen Kruse entnehmen wir eine wenig hilfreiche Position, wenn er immer noch von dem sachlich und rechtlich falschen Begriff des „Patiententestaments“ ausgeht.

Unser zentrales Anliegen ist nicht die vollkommene Ablehnung der Patienten- verfügungen, sondern die Kritik ihrer oft undifferenzierten und illusionären Ver- wendung mit Blick auf die Wünsche und Motive in der Bevölkerung für ein „Ster- benkönnen in Würde“. Eine Patientener- klärung kann sehr wohl dazu beitragen, dem Patientenwillen jenes Gewicht zu verleihen, wie es die Handreichungen der Bundesärztekammer unterstreichen. Es muss jedoch geklärt sein, dass über das ethische Fürsorgegebot des Arztes ge- nauso wenig „verfügt“ wie der Wille des Patienten wegen paternalistischer Ambi- tionen des Arztes übergangen werden darf. Der erklärte Wille eines Patienten für ein Sterben in Würde begründet kei- nen absoluten Anspruch, sondern bildet nur eines von vier gleichrangigen, re- lationalen medizinethischen Prinzipien (Beauchamp & Childress 1994). Weil außerdem ein Arzt (als anderer und Teil des Zwischenmenschlichen) mit verletzt wird, wenn er einem Patienten dabei hilft, dessen Wohlergehen in selbstschädigen- der Weise zu verletzen, kann ein Arzt an- gehalten sein, sein Fürsorgegebot aktiv wahrzunehmen (Dörner 2001). Wenn diese Auffassung vom Kollegen Schröter- Kunhardt als „unrealistisch“ eingeschätzt wird, können wir dies nur als Hinweis für die vielerorts entwürdigende Realität un- seres Gesundheitswesens verstehen: Im neuen Diagnosen- und Prozedurenkata- log des Fallpauschalengesetzes für Kran- kenhäuser (DRG-System) ist „Sterben“

nicht vorgesehen. Zukünftig könnten Sterbenskranke aus dem Krankenhaus nach Hause oder ins Pflegeheim aus öko- nomischen Gründen entlassen werden müssen. Ob dort ein „Sterbenkönnen in Würde“ möglich ist, soll mit Hinweis auf die allgemeine Situation in der Pflege da- hingestellt gelassen sein. Und wir können Herrn Schröter-Kunhardt nur beipflich- ten, dass ein vehementer, persönlicher Protest gegen diese entwürdigenden Be-

dingungen, die Patienten wie Ärzten vom DRG-System aufgezwungen werden, vielleicht wichtiger ist, als eine Debatte auf dem Nebenschauplatz der Patienten- verfügungen. Doch sehen wir in der ge- genwärtigen Durchökonomisierung des Gesundheitswesens eine gefährliche Möglichkeit zum Missbrauch von Patien- tenverfügungen als „Türöffner“ für eine aktive „Euthanasie“.

Dem Kollegen Borasio können wir beipflichten, wenn er darauf hinweist, dass im palliativmedizinischen Kontext eine Patientenverfügung eine authenti- sche Rolle für eine dialogische Arzt-Pati- enten-Beziehung spielen kann. Ein gutes, respektables Zusammenwirken aller Be- teiligten (Patient, Arzt, Pflegekräfte, An- gehörige) kann dem Willen und dem Wohlergehen von Sterbenden nützen.

Eine partnerschaftliche Praxis, die sich dem humanen Würdegebot für Sterben- de tatsächlich stellt, findet sich heute am ehesten auf Palliativstationen und in Hospizeinrichtungen, die allerdings nur circa 20 000 der bundesweit jährlich 800 000 Sterbenden aufnehmen können.

Die Beiträge von Bickhardt, Rumme- lein und Reuke sprechen sich aufgrund persönlicher Erfahrungen für den Ein- satz von Patientenverfügungen aus. Sie verweisen zu Recht auf unbewusste All- machts- und Unsterblichkeitsfantasien sowie betonen sie das Bemühen um eine Auseinandersetzung mit dem Sterben im christlichen Kontext. Es ist klar: Willens- erklärungen des Patienten sind bindend, ohne Zustimmung keine Behandlung!

Bei Vorliegen von Einwilligungsunfähig- keit können Patientenerklärungen hilf- reich und klärend sein,sie sind aber keine Garantie für ein Sterbenkönnen in Wür- de. Das in Patientenverfügungen zum Ausdruck kommende Bedürfnis vieler Menschen nach einem Sterbenkönnen in Würde verstehen wir deshalb vorran- gig als Appell, eine Medizin um jeden Preis (Maximalmedizin) durch ausrei- chende palliativmedizinische und hospiz- liche Angebote zu überwinden. Dies er- scheint uns zugleich als der beste Weg, ei- ner Legalisierung von aktiver „Euthana- sie“ wie in den Niederlanden und Bel- gien wirkungsvoll zu begegnen.

Für das Autorenteam:

Priv.-Doz. Dr. med. Andreas Zieger, Evangelisches Krankenhaus Oldenburg, Station für Frührehabilitation, Steinweg 13–17, 26122 Oldenburg T H E M E N D E R Z E I T

Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 99½½½½Heft 30½½½½26. Juli 2002 AA2027

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