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Archiv "Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie der Bundesärztekammer - Präimplantationsdiagnostik: Auftakt des öffentlichen Diskurses: Müssen wir alles machen?" (28.04.2000)

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Academic year: 2022

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Behinderte um ihrer eigenen Menschlich- keit willen, wie Behindertenvertreter und Greenpeace-Aktivisten (wohl auch im Blick auf ihre eigene Existenzberechti- gung) beteuern? Robert L. Sinsheimer meint dagegen, dass eine Gesellschaft oh- ne Behinderte „zwar weniger menschlich, dafür aber humaner sein könnte“.

Zum Schluss: Die Stimmen für eine PGD und Keimbahntherapie werden im- mer gewichtiger. Ich gehe jede Wette ein, dass das Verbot über kurz oder lang auf- gehoben wird. Wer noch dagegen argu- mentiert, hat schon verloren. Kein mora- lischer Protest wird den Fortschritt stop- pen. Gendiagnostik und Gentherapie werden noch in diesem Jahrhundert zur Selbstverständlichkeit werden, von jeder- mann bejaht und gewollt. Die „political“

und „moral correctness“ von heute wird sich als der politische und moralische Irr- tum von morgen erweisen. Und die Deut- schen sind dabei, den Anschluss an die Zukunft wieder einmal zu verschlafen.

Dr. med. Egon Kehler, Salzstraße 1, 83404 Ainring

Die Stellungnahme aus dem Bundes- gesundheitsministerium (BMG) zum Richtlinienentwurf der BÄK fordert zu ei- nigen Anmerkungen heraus, das ist offen- sichtlich von der Autorin auch gewollt.

➀ Frau Riedel leitet ihre Gegenpositi- on zum BÄK-Entwurf mit einer provoka- tiv wirkenden Feststellung ein: „Die Präimplantationsdiagnostik (PGD) steht im Widerspruch zum Embryonenschutz- gesetz“ (ESG). Dies ist eine unbewiesene Meinung, die sich das BMG offenbar zu Eigen gemacht hat. Dagegen lässt die BÄK die Frage offen, ob PGD im Wider- spruch zum ESG steht oder ob lediglich aus dem ESG eine Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der PGD nicht zweifels- frei abzuleiten ist, sie neigt zu der letztge- nannten Einschätzung und sieht gesetz- geberischen Handlungsbedarf, um die PGD aus der gesetzlichen Grauzone her- auszubringen. Aus Sicht der BÄK könn- te durch Gesetzespräzisierung oder -er- gänzung schneller eine Klärung möglich sein als aus Sicht des BMG, daran aber scheint dem BMG nicht gelegen zu sein („Eile [ist] nicht geboten“).

➁Frau Riedel kritisiert, dass der Richt- linienentwurf der BÄK zum jetzigen Zeit- punkt, ihrer Meinung nach zu früh, vorge- legt wurde, „bevor die öffentliche Diskus- sion hierzu begonnen hat“. Diese hat längst begonnen und ist seit Monaten in den Medien in vollem Gange. Nach mei- nem Ermessen war es höchste Zeit, dass die BÄK mit einer klaren und klar begrün-

deten Stellungnahme in die Öffentlichkeit gegangen ist.

➂Frau Riedel kritisiert den Blick auf die Regelungen in unseren europäischen Nachbarstaaten, die auch in der Präam- bel des BÄK-Entwurfes erwähnt werden.

Diese Kritik erscheint mir aus mehreren Gründen fragwürdig. Mit diesem Blick will sich keiner der „eigenen Verantwor- tung entziehen“ oder einer „eigenen, in- nerstaatlichen Entscheidung“ aus dem Wege gehen. Das Verhalten von zehn uns eng verbundenen Nachbarstaaten mit vergleichbaren gesellschaftlichen und so- zialen Strukturen sagt sehr viel über die gesellschaftliche Realität und das gesell- schaftliche Bewusstsein in unserem Kul- turbereich und damit auch bei uns aus und sollte deshalb bei unserer Entschei- dungsfindung mit einfließen. Im Übrigen sind „innerstaatliche“ diesbezügliche Unterschiede bei uns selbst nicht gerin- ger als die gegenüber unseren Nachbarn.

Es wäre politische Kurzsichtigkeit, das nicht wahrnehmen zu wollen.

➃ Frau Riedel argumentiert mit der Meinung von Mucoviscidosiskranken:

„Menschen beispielsweise mit Mucovis- cidose, die ein lebenswertes Leben führen, verurteilen diese Methode zu Recht.“ Es geht nicht um die Frage nach lebenswertem oder lebensunwertem Le- ben, alles Leben ist lebenswert. Das wird insbesondere von den Verfassern des BÄK-Entwurfes so gesehen, darauf grün- det sich auch der ganz bewusste Verzicht auf einen Indikationenkatalog. Die ethi- sche Verantwortung bei der PGD bezieht sich auf die von der Mutter für sie als un- zumutbar empfundene Belastung durch ein zu erwartendes in der Regel weiteres schwerstbehindertes Kind. Dieses der Mutter als Diskriminierung behinderten Lebens anzulasten ist Hybris. Dass ein Mukoviscidosiskranker das nur schwer differenzieren kann, muss man ihm zuge- stehen, deswegen kann man aber seine Meinung nicht zum Maßstab machen.

➄Frau Riedel schreibt: „Es besteht die Gefahr, dass in der Gesellschaft eine Er- wartunghaltung für gesunde Kinder ent- steht und es Eltern schwer gemacht wird, sich für ein behindertes Kind zu entschei- den.“ Die Erwartungshaltung für ein ge- sundes Kind ist so alt wie die Menschheit.

Sie ist – aus welchen Gründen auch immer – in unserer Gesellschaft sehr hoch, was beispielsweise an der häufigen Inan- spruchnahme der Pränataldiagnostik zum Ausschluss einer Trisomie 21 erkennbar ist. Diese Grundhaltung mag man bedau- ern, aber man muss sie zur Kenntnis neh- men. Die bei der in der BÄK-Richtlinie vorgesehenen restriktiven Handhabung der Methode durch PGD hinzukommen- den wenigen Fälle, bei denen außerdem

für jeden erkennbar ist, dass es sich um Ausnahme-Situationen handelt oben un- ter ➃, ändern an dieser Erwartungshaltung in unserer Gesellschaft nichts.

Im Richtlinienentwurf der BÄK erken- ne ich einen notwendig gewordenen Im- puls von großem Gewicht, der die ethische Verantwortung im Gebrauch des technisch Möglichen erkennen lässt. Das wird unter- strichen durch die von Sabine Rieser in ihrem Kommentar zitierten Aussagen von Herrn Kollegen Hepp, dem federführen- den Mitglied der Arbeitsgruppe.

Prof. Dr. med. Theodor Luthardt, Scheuergasse 4, 79271 St. Peter

Ich habe die bisherigen Beiträge zur Präimplantationsdiagnostik mit Interesse verfolgt. Die Formulierung „Der Em- bryo in vivo steht unter dem realen Schutz der Frau, der Embryo in vitro . . . steht nur unter dem rechtlichen Schutz“

lässt mich jedoch aufmerken. Über das, was in der Frau geschieht, hat die Frau selbst Einfluss/Zugriff. Was ist außerhalb derselben tabu (?).

Im Klartext: Wird im Rahmen einer Vorsorgeuntersuchung eine mögliche Schädigung festgestellt, darf die Frau (werdende Mutter) straffrei abbrechen.

Wird am Embryo in vitro eine Schädigung festgestellt, dürfte nicht interveniert wer- den. Nach Implantation (in vivo!) dürfte die Mutter nach geltendem Gesetz wieder abbrechen.

Was soll dieser Umweg? Oder will der Gesetzgeber behinderten Nachwuchs?

Michael Rost, Oberstraße 4, 54293 Trier

. . . Seinem Kommentar hat Herr Ja- chertz die Überschrift „Am Rande der schiefen Bahn“ gegeben und damit wohl isoliert die Präimplantationsdiagnostik ge- meint. In Wahrheit sind wir schon längst drauf auf der schiefen Bahn, die Tötung unerwünschten Lebens bedeutet:

De-facto-Freigabe der Abtreibung in den ersten drei Schwangerschaftsmona- ten; – Pränatale Diagnostik mit der Folge, dass heute Neugeborene mit früher häufi- gen Missbildungen, wie Down-Syndrom oder Spina bifida, kaum noch vorkommen;

– In-vitro-Fertilisation mit Hinnahme des

„Verwerfens“ überschüssiger Embryonen.

– Jetzt das Vorhaben, die assistierte Re- produktion im Sinne der „Präimplantati- onsdiagnostik“ zu erweitern.

Schon dieses Wort ist ein Euphemismus.

Man bemüht sich keineswegs nur um Er- kenntnisgewinn, sondern ausdrücklich

Müssen wir alles machen?

Was soll dieser Umweg?

Notwendiger Impuls

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darum, zwischen lebenswerten und lebens- unwerten Embryonen zu unterscheiden und danach zu handeln. Dass man dazu die Behauptung aufstellt, es gehe nicht um eu- genisch orientierte Nachwuchsplanung, kann nur als dreiste Lüge und als Lippen- bekenntnis angesehen werden mit dem Ziel, der Öffentlichkeit Sand in die Augen zu streuen. An die ersterwähnten Eingriffe haben sich viele schon gewöhnt, achsel- zuckend geht man über die Rechte der Embryonen hinweg, und unser Parlament hat das mit dem reformierten § 218 StGB teilweise gesetzlich abgesegnet.

Was hat es zu bedeuten, wenn ein Schwangerschaftsabbruch rechtswidrig, jedoch bei Einhaltung bestimmter Regeln straffrei ist? Mich erinnert das an Pontius Pilatus. Ist es wirklich ethisch zu rechtferti- gen, dass wir durch Budgets allenthalben an die Grenzen der dem Medizinbetrieb zugestandenen Mittel stoßen und gleich- wohl extrem hohe Kosten für High Med in Form von assistierter Reproduktion ak- zeptieren, wo doch gleichzeitig sozial nicht passende Embryonen getötet werden.

Müssen wir alles machen, was die anderen im Ausland tun, aus Angst, dass wir wis- senschaftlich zurückbleiben? Es ist in Deutschland gesellschaftlicher Konsens, dass die Abschaffung der Todesstrafe ei- nen ethischen Fortschritt bedeutet, ob- wohl sie in anderen Ländern weiter in Ge- brauch ist. Warum wird dann die Tötung am Beginn des Lebens akzeptiert? Weil Embryonen sich nicht äußern und angeb- lich auch nicht leiden? Weil es sich, wie manche sagen, nicht um menschliches Le- ben, sondern um empfindungslose Zell- klumpen handelt?

Die Präimplantationsdiagnostik ist nichts als ein weiterer Schritt auf dem be- reits eingeschlagenen Weg, der gekenn- zeichnet ist durch Rechtsunsicherheit und rücksichtslose Anwendung wissenschaft- lich-technischen Fortschritts. . . .

Dr. med. Wolfram Kirmeß, Kleine Geest 3–5, 31592 Stolzenau

Alles ist gut, wenn es gut ist. Auch die Präimplantationsdiagnostik, wenn sie mit Vernunft und Augenmaß erfolgt. Ich stimme mit Herrn Jachertz überein. Er schreibt: „ . . . dann wird man auf Dauer mit der Auswahl ungeborenen Lebens le- ben müssen.“

Die Wissenschaft hat dem Menschen geholfen, ungewollte Schwangerschaft zu vermeiden. Sie wird auch helfen, dem ge- netisch bedingten „Defekt“, also dem Ungesunden vorzubeugen – sozusagen

als Methode der Wahl. Natürlich werden die Moralisten aller Konfessionen und Fraktionen ihr Verdikt verkünden, wie immer lauthals und mit allen Mitteln.

Aber sie werden die Entwicklung nicht aufhalten, nur verzögern. Die Wissen- schaft ist keine Glaubensgemeinschaft, das weiß man, und das ist gut so.

Wenn der Mensch mit seinen Irrungen und Wirrungen noch eine kleine Chance hat, dann wird es die Wissenschaft sein.

Dr. med. Alfons Werner Reuke, Som- merhalde 42, 71672 Marbach

Mehr noch als der eigentliche Diskussi- onsentwurf zu einer Richtlinie zur Präim- plantationsdiagnostik (PGD) fordert das Vorwort dazu zu einer Stellungnahme her- aus. Dem Leser stockt der Atem, wenn in- direkt die Frage formuliert wird, ob es sich um eine Ausnahme vom Tötungsverbot handelt oder gar keine Tötung vorliegt.

Wie anders soll man es denn nennen, wenn einem Lebewesen die Voraussetzungen zum Weiterleben entzogen beziehungswei- se vorenthalten werden? Und wodurch sollte eine Ausnahme vom Verbot – für den Arzt insbesondere – zu töten begründet sein? Tatsächlich kann eine Ausnahme vom Tötungsverbot oder das Nichtvorlie- gen einer Tötung nur (an)erkennen, wer den Beginn menschlichen Lebens und da- mit seiner Schutzwürdigkeit entgegen wis- senschaftlicher Erkenntnis nicht mit dem Zeitpunkt der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle identisch sehen will. Eine Defi- nition aber, wann denn das Leben dann be- ginnt, steht aus, dürfte heiß umstritten sein und birgt jede Menge Gefahren in sich. Der Konflikt der PGD mit dem Embryonen- schutzgesetz (ESchG) wird auf das Verbot von Untersuchungen an Embryonen im Stadium zellulärer Totipotenz und das Ver- bot der fremdnützigen Verwendung von Embryonen reduziert. Dabei soll doch die PGD für Paare bereitstehen, „für deren Nachkommen ein hohes Risiko für eine be- kannte und schwerwiegende, genetisch be- dingte Erkrankung besteht“. Das heißt:

Embryonen mit „Veränderung des Erbma- terials“, die zur Tötung anstehen, werden zwangsläufig auftreten, sie sind zwar nicht das Ziel der PGD, aber auch nicht „uner- wünschte Nebenfolge oder ein Fehlschlag“, wie Prof. Hepp zitiert wird. Die PGD steht daher eindeutig im Widerspruch zum ESchG § 1 Abs. l Nr. 2 und § 2 Abs. l. Auch eine Konfliktreduzierung durch PGD, in- dem nämlich „eine Entscheidung über ei- nen eventuellen Abbruch einer fortge- schrittenen Schwangerschaft vermieden“

würde, kann ich nicht erkennen. Es ist der- selbe Mensch, der getötet wird, freilich in

einer anderen Phase seines Lebens. Seine Gestaltlosigkeit und die mögliche Vielzahl von Embryonen durch IVF täuschen nur eine Konfliktreduzierung vor!

Gänzlich der Nachvollziehbarkeit ent- zieht sich das Vorwort, wenn von einer

„Absage an jede Art eugenischer Selekti- on und Zielsetzung“ die Rede ist, geht es doch gerade um die Feststellung veränder- ten Erbmaterials durch die PGD und anschließende Aussonderung mensch- licher Individuen aufgrund dieser Verän- derungen. Wenn voranstehend betont wird, die Bundesärztekammer orientiere sich an einem Menschenbild, das „von Re- spekt vor allen Menschen, einschließlich denen mit geistigen, seelischen und kör- perlichen Beeinträchtigungen, geprägt ist“, muss leider anhand der Unvereinbar- keit der PGD mit dieser Grundhaltung festgestellt werden, dass die Bundesärzte- kammer hier offenbar die Orientierung verloren hat. Mit Einführung der PGD aber wird zweifelsohne nach und nach der Respekt vor den Menschen mit derartigen Beeinträchtigungen verloren gehen. Eine weitere Formulierung hinterlässt den Ein- druck von Orientierungslosigkeit und mich ratlos: Was nämlich soll „eine große Fähigkeit und Bereitschaft zu hinreichend konfliktarmen Lösungen“ sein und her- vorbringen? Gibt es etwas zwischen dem elterlich-ärztlichen Entscheid über „leben dürfen“ oder „sterben müssen“?

Dr. med. G. Haasis, Max-Reger-Straße 40, 28209 Bremen

➀Allgemein: Das DÄ widmet Themen der Reproduktionmedizin in den letzten Monaten mehr Raum, als ihrer Bedeu- tung im tatsächlichen Medizinbetrieb ent- spricht. Cui bono? In welche Richtung sol- len wir beeinflusst werden?

➁ Obwohl über die Einführung der PGD in Deutschland keineswegs Einver- nehmen besteht, legt die Bundesärztekam- mer bereits einen Entwurf zu einer Richtli- nie für dieses Verfahren vor, als ob mit der Einführung fest zu rechnen wäre. Dieses Vorgehen kann als Versuch der Manipula- tion gedeutet werden.

➂ Der Versuch, die Indikationen für die PGD durch Richtlinien und Kommis- sionen zu begrenzen, ist sicher zum Schei- tern verurteilt, wie die Vergangenheit lehrt. Man denke nur an die Geschichte der Schwangerschaftsverhütung oder an die des Schwangerschaftsabbruchs. Also ist, wenn die PGD eingeführt wird, mit zu- nehmender Ausweitung des Indikations- bereichs zu rechnen. Wir sollten uns nicht darüber hinwegtäuschen, dass Richtlinien hier nur eine Feigenblatt-Funktion haben.

Moralisten werden die Entwicklung nicht aufhalten

Orientierung verloren

Wo bleibt die Achtung?

(3)

➃ Die Erlaubnis, einen Embryo mit den genetischen Merkmalen einer schwe- ren genetisch bedingten Krankheit zu

„verwerfen“, enthält eine Botschaft an alle geborenen Träger dieser Krankheit: „Wir hielten es für besser, du wärest nicht gebo- ren.“ Dieses Gedankengut kennen wir doch aus dem Dritten Reich. Ob wir einen Behinderten in einer Anstalt umbringen oder einen Embryo im 16-Zellen-Stadium

„verwerfen“ – die Geisteshaltung ist die gleiche. Wo bleibt die Achtung vor dem Menschen und seinem Schöpfer?

Dr. med. Winfrid Gieselmann, Finken- wiesenstraße 1, 75417 Mühlacker

Als Mitglied der zitierten Bioethikkom- mission des Justizministers in Rheinland- Pfalz begrüße ich den Diskussionsentwurf der Bundesärztekammer zu einer „Richtli- nie zur Präimplantationsdiagnostik“.

55 Jahre nach Ende des Zweiten Welt- krieges und dem Zusammenbruch des ver- brecherischen Hitler-Regimes muss end- lich auch in Deutschland eine Debatte über ethische Grundfragen an den Grenzen des menschlichen Lebens möglich sein, die – wie Frau Riedel sie fordert – unvoreinge- nommen und offen geführt werden sollte.

Ausgangspunkt aller Betrachtungen sollte im Falle der PGD das Rat suchen- de Paar sein, das ein genetisches Risiko für die Vererbung einer schwerwiegen- den chromosomalen oder molekularen Störung beziehungsweise Fehlbildung trägt und einen fortbestehenden Kinder- wunsch hat. So war der Ausgangsfall gela- gert, der die behandelnden Ärzte veran- lasste, die Ethikkommission der Medizini- schen Universität in Lübeck anzurufen.

Nach Anhörung mehrerer Sachverständi- ger gab sie das Votum ab, dass die Maß- nahme einer PGD als medizinisch vertret- bar anzusehen ist, die Kommission sich je- doch wegen der bestehenden Rechtslage – Verbot durch das Embryonenschutzge- setz – an der Abgabe eines positiven Vo- tums gehindert sieht. Aus der Sicht der be- handelnden Ärzte fassten Ludwig und Diedrich (1) alle für und gegen die Ein- führung dieser medizinischen Maßnahme sprechenden Argumente zusammen.

Die Thesen der Bioethikkommission im Bericht vom 20. Juni 1999 (2) gehen von derselben sehr engen, restriktiven Indika- tionsstellung zur PGD aus, die auch der Richtlinienentwurf übernommen hat.

Ausgehend von der derzeitigen Rechtslage des Verbotes der Entnahme von totipoten- ten Blastomeren aus dem – überlebens-

fähigen – Embryo und dem sehr engen Zeitfenster zwischen verlorener Totipo- tenz der Blastomere und noch Erfolg ver- sprechender Implantation des Embryos handelt es sich bei der PGD an nicht mehr totipotenten Blastomeren um eine wahre medizinische Hightechmethode mit gro- ßer psychischer Belastung der betroffe- nen Eltern, die nicht ohne Not angewendet werden dürfte. Entscheidend ist und bleibt der Gesichtspunkt, dass die Eizelle aus- schließlich zur Herbeiführung einer – weni- ger belasteten – Schwangerschaft bei gene- tisch belasteten Paaren befruchtet wird und nicht, wie Frau Riedel schreibt, die Ei- zelle „zunächst nur zu diagnostischen Zwecken künstlich befruchtet wird“. Die Bioethikkommission hat sich weder dazu entschließen können, der Frau ein Recht auf ein gesundes Kind zuzusprechen noch ihr den Verzicht auf – weitere, gegebenen- falls unbelastete – Kinder abzuverlangen.

Diesen besonderen Schutz des Kindes durch die Frau, nämlich die Mutter, er- kennt auch Frau Riedel in ihrem Aufsatz an. Sie übersieht allerdings, dass in dem – bislang in Deutschland einzigen – Beispiels- fall die Eltern schon ein behindertes Kind haben, zwei Schwangerschaften wegen Feststellung der Genmutante abgebrochen wurden und das Paar sich die Nöte und Be- lastungen mit einem weiteren behinderten Kind nicht mehr zutraute. Insofern kann ei- ne PGD in dem von der Richtlinie vorge- zeichneten sehr engen Rahmen auch nicht als Argument dafür herhalten, damit würde behindertes Leben möglicherweise diskri- miniert. Frau Riedel dürfte auch nicht er- kannt haben, dass die Entscheidung zu ei- nem weiteren Kind durch das Rat suchende Paar und erst in letzter Konsequenz durch die Frau getroffen werden kann.

In These 11.9 stellt die Bioethikkom- mission fest, dass es ein Wertungswider- spruch wäre, würde man Paaren mit dem Risiko der Übertragung eines Gende- fektes die PGD aus Rechtsgründen ver- wehren, gleichwohl aber die spätere Prä- nataldiagnostik mit möglichem Schwan- gerschaftabbruch nach festgestellter Indi- kationslage erlauben. In These III.2 b) stellt die Kommission fest, dass die psychi- sche und physische Belastung durch einen Schwangerschaftsabbruch, bei dem es auch zu Spätfolgen für die Frau kommen kann, ungleich größer ist als die Belastung durch die Entscheidung, einen Embryo nicht zu transferieren. Dieses Argument macht sich der Richtlinienentwurf in Ana- logie zu der medizinischen Indikation in

§ 218a StGB zu Eigen.

Diese Analogie hält Frau Riedel für fragwürdig. Eine Erklärung hierfür mag in der Tatsache begründet sein, dass es sich bei jenem Kollektiv von Frauen, die den beratenen, aber rechtswidrigen Abbruch

anstreben, das Frau Riedel im Blick haben dürfte, um ein von den Rat suchenden Paa- ren, die eine PGD wünschen, völlig ver- schiedenes Kollektiv handelt. Der Grund- gedanke der Bioethikkommission und des Diskussionsentwurfes, dass es um ärztliche Entscheidungen im Einzelfall und unter besonderen Ausnahmebedingungen geht, die in die erhöhte Sorgfaltspflicht des Arz- tes gestellt sind, wird in der Stellungnahme von Frau Riedel nicht ausreichend deut- lich. In ihren Thesen III, 3 hat sich die Kommission aber auch sehr eingehend mit verschiedenen Argumenten auseinander gesetzt, die alle auf die „Dammbruchge- fahr“ hinauslaufen, die schon zu den der- zeit gültigen Ausschlussbedingungen des Embryonenschutzgesetzes geführt haben.

Prof. Dr. med. Ch. Rittner, Institut für Rechtsmedizin der Johannes-Gutenberg- Universität, Am Pulverturm 3, 55131 Mainz

1. Ludwig, M und Diedrich, K. „Embryonenfor- schung in Deutschland?“ in Rittner Ch. et al. (Hrg.) „Genomanalyse und Gentherapie:

Medizinische, gesellschaftspolitische, rechtli- che und ethische Aspekte“, Gustav Fischer Verlag, Stuttgart, 1997.

2. Präimplantationsdiagnostik: Thesen zu den medizinischen, rechtlichen und ethischen Problemstellungen, Bericht der Bioethik- Kommission des Landes Rheinland-Pfalz vom 20. Juni 1999. Ministerium der Justiz Rheinland-Pfalz.

Ein entscheidender Unterschied zwi- schen Präimplantationsdiagnostik (PGD) und Pränataldiagnostik (PND) besteht für mich in dem Umstand, dass die Pränatal- diagnostik in der Regel eine Ja-nein-Ent- scheidung zu einem einzelnen Kind dar- stellt. Dagegen ermöglicht die Präimplan- tationsdiagnostik in der Regel eine Aus- wahl aus einer größeren Zahl an Embryo- nen (zur Zeit noch durch das Embryonen- schutzgesetz beschränkt auf drei). Wenn man genug Embryonen ohne ein bestimm- tes Merkmal zur Verfügung hat, besteht dadurch eine latente Versuchung, auch noch auf andere Merkmale zu testen. In Belgien scheint dies durchaus gängige Pra- xis zu sein, indem den Eltern außer der Abklärung der ursprünglichen Fragestel- lung zusätzlich im Vorfeld der PGD aktiv ein Screening auf häufigere rezessive An- lageträgereigenschaften angeboten wird, um dann ein eventuelles weiteres Risiko ebenfalls zu testen. Aber auch ohne weite- re Untersuchungen ergibt sich bei rezessi- ven Erkrankungen ganz von allein die Schwierigkeit, wie mit heterozygoten Em- bryonen (also ohne eigenes Erkrankungs- risiko) umgegangen werden soll, wenn auch homozygot unauffällige Embryonen

Ärztliche Entscheidungen im Einzelfall unter

Ausnahmebedingungen

Anregungen

(4)

zur Verfügung stehen. Der Verweis auf die Eltern als darüber bestimmende Personen kann zu schwierigen Situationen führen, da ein heterozygoter Befund in der Präna- taldiagnostik in aller Regel nicht als Argu- ment für eine unzumutbare Belastung der Schwangeren anerkannt würde. Mit wel- cher Begründung sollte er es dann in der Präimplantationsdiagnostik sein?

Ich möchte daher die Frage in den Raum stellen, ob es nicht möglich wäre, bei PGD immer nur eine einzelne Eizelle zu befruchten, zu diagnostizieren und dann über diesen Embryo eine Ja-nein-Entschei- dung zu treffen. Dies würde sowohl bei den Ärzten als auch bei den Eltern natürliche Hemmschwellen erhalten, mit dem „Em- bryonenmaterial“ nicht allzu großzügig und entpersonalisiert umzugehen. Es hätte außerdem den wichtigen Vorteil, dass auf diese Weise möglichst wenig Embryonen verworfen werden müssten, denn es leuch- tet unmittelbar ein, dass umso mehr Em- bryonen das gesuchte genetische Merkmal aufweisen werden, je mehr pro Elternpaar erzeugt werden. Dies scheint mir auch dem Geist des Embryonenschutzgesetzes noch am ehesten nahe zu kommen.

Viele Reproduktionsmediziner werden praktische Einwände gegen diesen Vor- schlag erheben und insbesondere eine Ver- minderung der Schwangerschaftrate bezie- hungsweise eine Erhöhung der dafür not- wendigen Zyklenzahl befürchten. Dies müsste möglichst gründlich und ohne Vor- urteile untersucht werden. Die Daten, die anhand künstlicher Befruchtung (IVF und ICSI) gewonnen wurden, können jedoch nicht ohne weiteres dazu herangezogen werden, da es sich hierbei um Paare mit Fruchtbarkeitsstörungen gehandelt hat, was bei PGD in der Regel nicht der Fall wä- re. Möglicherweise wird eine Frau auf diese Weise mehr Punktionen benötigen, dafür könnte eventuell auf die Stimulationsbe- handlung verzichtet werden (?). Der Trend scheint aber in der Reproduktionsmedizin ohnehin zur Reduzierung der Embryonen- zahl zu gehen, um die belastenden Mehr- lingsschwangerschaften zu vermindern.

Die neuen Richtlinien sehen deshalb be- reits bei IVF und ICSI vor, einer Frau unter 35 Jahren nur noch maximal zwei Embryo- nen zu übertragen (Richtlinien zur assi- stierten Reproduktion, DÄ Heft 49/1998).

Falls diese – nach meiner Ansicht opti- male – Verbindung eines möglichst siche- ren Embryonenschutzes bei gleichzeitiger Vermeidung von Schwangerschaftsab- brüchen (als das wesentliche Argument für PGD) nicht realisierbar sein sollte, müsste zumindest die Grenze von zwei oder drei Embryonen, die gleichzeitig er- zeugt und untersucht werden dürfen, un- bedingt eingehalten werden. Es sollte auch eindeutig geregelt werden, wie mit hetero-

zygoten Embryonen bei rezessiven Er- krankungen umgegangen wird. Das ist kei- ne akademische Diskussion ohne prakti- sche Relevanz: In Belgien wird bei X-chro- mosomal rezessiven Erkrankungen auf Wunsch der Eltern bereits eine Selektion gegen weibliche verdeckte Anlageträger vorgenommen (Liebaers, persönliche Mit- teilung). Da kein Embryo einer Frau ge- gen ihren Willen übertragen werden kann, wird jede vorherige Vereinbarung umgeh- bar bleiben. Analog zu der Geschlechts- mitteilung bei PND vor der 12. Schwan- gerschaftswoche könnte deshalb erwogen werden, einen heterozygoten Befund grundsätzlich nicht anders als einen homo- zygot unauffälligen Befund mitzuteilen (worauf die Eltern bereits im Vorfeld hin- gewiesen würden).

Ärztliches Ziel der PGD kann nur die Hilfestellung bei einem bestehenden elter- lichen Konflikt sein, nicht die möglichst ef- fiziente Verhinderung von Menschen mit genetischen Erkrankungen. Insofern ist der Absatz: „Bei einer PGD darf nur auf diejenige Veränderung des Erbmaterials untersucht werden, die zu der infrage ste- henden schweren genetischen Erkrankung führt, für die das Paar ein hohes geneti- sches Risiko hat.“ ausdrücklich zu be- grüßen. Um das darin angestrebte Ziel der eigenen Beschränkung zu gewährleisten, sollte aber auch ein Screening der Eltern auf weitere genetische Veränderungen im Vorfeld der PGD abgelehnt werden.

Der Qualität wäre es sicherlich zuträg- lich, wenn nur wenige, wissenschaftlich ausgerichtete Zentren für PGD entstehen dürften: Jede Technik muss ausreichend geübt werden, um möglichst zuverlässig zu sein. Schließlich werden die genannten Grenzen der PGD nur so lange wirksam bleiben, wie eine kommerzielle Nutzung auf Dauer verhindert werden kann, da ei- ne Anschaffung der benötigten Ressour- cen unter dem Druck steht, sich auch den entsprechenden Bedarf zu erzeugen.

Dr. med. Barbara Leube, Institut für Humangenetik und Anthropologie, Hein- rich Heine Universität Düsseldorf, Uni- versitätsstraße 1, 40225 Düsseldorf

Die novellierte Fassung des § 218 er- möglicht es nach chromosomalen oder ge- netischen Defekten jeglicher Art zu unter- suchen und anschließend die Schwanger- schaft abzubrechen – und zwar zu jedem Zeitpunkt. Grundsätzlich ist auch eine Un- tersuchung auf das Geschlecht möglich.

Damit hat der Gesetzgeber festgestellt, dass die „positive Eugenik“ im Rahmen der Schwangerschaft rechtens ist und die allei- nige Entscheidung darüber bei der Frau

liegt. Und tatsächlich ist dies in der Bundes- republik jährlich zigtausendfache Praxis, und jeder tätige Frauenarzt und Humange- netiker weiß, dass die Vorstellungen dar- über, was „defekt“ oder was „gesund“ ist, von Frau zu Frau sehr unterschiedlich sind.

Einen gewissen Einhalt bieten die Richtli- nien der Humangenetiker (im Hinblick auf die Geschlechtsmitteilung), doch sind dies Selbstverpflichtungen der behandelnden und diagnostizierenden Ärzte – der Gesetz- geber schreibt dies keineswegs vor.

Es ist kaum anzunehmen, dass der Ge- setzgeber in der jahrelangen Diskussion über die Novellierung des § 218 es „über- sehen“ hat, dass durch die jetzige Formu- lierung des § 218 der pränatalen Diagno- stik nach allen erdenklichen Gesichts- punkten mit der Möglichkeit des nachfol- genden Schwangerschaftsabbruches de facto Tür und Tor geöffnet wurde.

Die Präimplantationsdiagnostik würde diese Prinzipien, wie sie im Rahmen einer Schwangerschaft als legal erachtet werden, auf den Embryo vor seiner Einnistung übertragen. Mehr nicht. Wenn also schon

„am Rande der schiefen Bahn“, dann hät- te dieser Aufschrei im Rahmen der Novel- lierung des § 218 kommen müssen. Ist er aber nicht.

Die vorgeschlagenen Richtlinien des Wissenschaftlichen Beirates der Bundes- ärztekammer nehmen sich im Gegensatz zur Praxis des novellierten § 218 ausge- sprochen restriktiv aus. Der jetzige Auf- schrei der Empörung hat deshalb euphe- mistische Züge, denn: wie will man es noch verstehen, dass ein und dieselbe Diagno- stik und Vorgangsweise am Embryo vor seiner Einnistung verboten sein soll, wäh- rend sie nach seiner Einnistung de facto ohne Einschränkung und in allen Lebens- altern (also auch an lebensfähigen Feten) zulässig ist.

Nicht vergessen werden darf, dass das Verfahren der Pränataldiagnostik eine Be- fruchtung außerhalb des Körpers (In- vitro-Fertilisation) voraussetzt, also ver- gleichsweise aufwendig ist. Es ist deshalb davon auszugehen, dass die betroffenen Paare, sofern sie normal fertil sind, auch weiterhin auf die PGD verzichten, ihre Kinder auf normalem Wege zeugen und die Untersuchungen dann in der Schwan- gerschaft vornehmen lassen werden.

Doch was ist mit solchen Ehepaaren, die auf eine In-vitro-Fertilisation angewie- sen sind (zum Beispiel aufgrund beidseits fehlender Eileiter der Frau) und bei denen gleichzeitig eine bekannte genetische Vor- erkrankung besteht? Muss man dann se- henden Auges auf die entsprechende Dia- gnostik bei dem Embryo-in-vitro verzich- ten, um ihn anschließend einzusetzen, und im Rahmen der Schwangerschaft exakt dieselbe Untersuchung durchzuführen –

Euphemismus

(5)

freilich mit der Konsequenz eines dritten Eingriffs, nämlich dem des Schwanger- schaftsabbruches? Geht diese absichtliche Zumutung von zwei zusätzlichen Körper- verletzungen (Pränataldiagnostik und Schwangerschaftsabbruch) ethisch wirk- lich in Ordnung, oder ist das nicht auch schon längst „auf der schiefen Bahn“?

Prof. Dr. Dr. W. Würfel, Deutsche Ge- sellschaft für Gynäkologische Endokrino- logie und Fortpflanzungsmedizin in der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG), c/o Frauenkli- nik Dr. Wilhelm Krüsmann, Schmiedwe- gerl 2–6, 81241 München

In der Diskussion ethischer und juristi- scher Aspekte der Präimplantationsdia- gnostik (PID) wird meist der Bezug zu den entsprechenden Regelungen im Rahmen der Pränataldiagnostik (FD) und des

§ 218a StGB Abs. 2 hergestellt (vgl. 1).

Dieser Vergleich ist jedoch nicht zulässig.

Bei der moralischen und juristischen Rechtfertigung eines Schwangerschaftsab- bruchs aus medizinischer Indikation findet eine Abwägung zwischen dem Schutz des ungeborenen Lebens und dem Lebens- recht der Frau statt. Von zentraler Bedeu- tung ist hierbei auch, dass die Schwangere

„unschuldig“ in diese Konfliktsituation hineingeriet (hierzu 2).

Im Fall der PID findet demgegenüber diese Abwägung definitiv nicht statt, da ei- ne Schwangerschaft noch nicht besteht.

Die noch nicht Schwangere hat zum Bei- spiel die Möglichkeit, bewusst auf eine Schwangerschaft zu verzichten und damit ein Risiko für ihren Gesundheitszustand aufgrund einer genetischen Erkrankung eines zukünftigen Kindes zu vermeiden;

sie hat somit alternative Möglichkeiten, nicht „an der Furcht vor einem genetisch bedingt schwerstkranken Kind gesund- heitlich zu zerbrechen“ (1). Die Abwä- gung besteht in dieser Situation somit zwi- schen dem bewussten Verzicht auf biolo- gisch eigene Kinder und den Grundrech- ten des Gezeugten.

Die meisten in genetischer Beratung und PD Tätigen können andererseits nicht an der Tatsache vorbeisehen, dass – ver- gleichbar einer zukünftigen Nutzung der PID – zunehmend die Entscheidung für die Durchführung einer PD schon primär mit dem Entschluss zu einer Schwanger- schaft gefällt wird. Wir bezweifeln jedoch, dass diese Nutzung der PD und der medi- zinischen Indikation zum Schwanger- schaftsabbruch – im Sinn einer „Schwan- gerschaft auf Probe“ – mit Geist und Buch-

stabe des Gesetzes vereinbar ist: Ist Kin- derlosigkeit tatsächlich als so schwere Be- einträchtigung des Gesundheitszustands anzusehen, dass dafür der Schutz des unge- borenen Lebens zurückstehen muss?

Mit der Zulassung der PID würde von ärztlicher und gesetzgeberischer Seite auch dieser kalkulierte Einsatz der FD moralisch positiv sanktioniert; dies ent- spräche einem Paradigmenwandel der moralischen Rechtfertigung von PD so- wie der Interpretation des § 218a Abs. 2 StGB.

Sowohl die PID als auch sämtliche Ver- fahren der PD sind vor diesem Hinter- grund kritisch zu hinterfragen, und die im- plizit im Raum stehende Frage „Gibt es ein Recht auf (gesunde) Kinder?“ ist expli- zit zu diskutieren.

Dr. med. Hans-Jürgen Pander, Institut für Klinische Genetik, Städtische Frau- enklinik, Obere Straße 2, 70190 Stuttgart, Dr. med. Monika Hagedorn-Greiwe, Institut für Humangenetik, Universitäts- klinikum Lübeck, Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck,

Dr. med. K. Mennicke, Klinik für Kin- der- und Jugendmedizin, Universitätskli- nikum Lübeck, Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck

1. Hoppe, J.-D., und K.-F. Sewing, Diskussions- entwurf zu einer Richtlinie zur Präimplantati- onsdiagnostik – Vorwort, DÄ Heft 9/2000.

2. Böckle, F., Schwangerschaftsabbruch – 1. Ethik, in: Eser, A. et al. (Hg.), Lexikon Medizin, Ethik, Recht, Freiburg 1989, Sp.

963-969.

Eindeutige Stellungnahmen von Ärz- ten/Ärztinnen und gesellschaftlichen Or- ganisationen sind dringend gefordert:

➀Selektion der Eltern: Entgegen allen sprachlichen Verschleierungs- und Ver- harmlosungstendenzen der Mitglieder des Beirates bleibt festzuhalten: Die Ehepaa- re, bei denen – obwohl keine Unfruchtbar- keit vorliegt – vor extrakorporaler Be- fruchtung eine genetische Untersuchung der befruchteten Eizelle vorgenommen werden kann, werden ausgesucht – be- stimmt – selektioniert – wie immer dies be- zeichnet werden soll. Sie werden selektio- niert nach ihrem Erbgut und der daraus re- sultierenden Krankheitsgefährdung des gewünschten Kindes.

➁Selektion der Kinder: Die Entschei- dung, ob die „geschädigte Eizelle“ implan- tiert oder „verworfen“ wird, richtet sich nach oberflächlichem Lesen nach der Be- einträchtigung der Mutter. De facto aber ist einzig und alleine das Ergebnis der ge- netischen Untersuchung entscheidend, denn warum sonst sollte sich ein Ehepaar

dem Stress der künstlichen Befruchtung unterziehen, wenn das Ergebnis der Un- tersuchung für die Entscheidung der Im- plantation unerheblich wäre?

➂Herabsetzung der Tötungsschwelle:

Im Vorwort des Entwurfes ist es eindeutig beschrieben: „Die PGD kann allerdings im Einzelfall die spätere Pränataldiagno- stik ersetzen und damit zu einer Konflikt- reduzierung beitragen, weil sie Entschei- dungen über einen eventuellen Abbruch einer fortgeschrittenen Schwangerschaft vermeidet.“ Mit anderen Worten: Ein toti- potentes Acht-Zell-Stadium „verwirft“

man – mit weniger Bedenken –, bei einem Schwangerschaftsabbruch im dritten bis fünften Monat ist der Tod des sich ent- wickelnden Menschen greifbarer und führt sicherlich zu stärkeren Konflikten.

Der Mechanismus der Konfliktreduktion durch Herabsetzung der Tötungsschwelle ist ein Mechanismus, der uns aus der Zeit des Nationalsozialismus gut bekannt ist und Werteänderungen nach sich zieht, die im Nationalsozialismus zur Vergasung Tausender behinderter Menschen geführt hat.➃ Eigeninteresse der Mitglieder des Wissenschaftlichen Beirates: Die Mitglie- der des Beirates sind auch Forscher, die ei- gene Interessen an der Aufweichung von Forschungsgrenzen haben, die eventuell auch weitergehende eigene Forschungs- vorhaben entwickeln. Wer sagt uns denn, ob nicht nach Durchsetzung der PGD der nächste Schritt die genetischen Reparati- onsversuche an den „kranken“ befruchte- ten Eizellen sein werden? Natürlich wie- der zum Wohle des sich entwickelnden Menschen, den man dann nach „Repara- tur“ ja doch implantieren könnte? Wer will denn letztlich verhindern, dass an den

„verworfenen“ Zellen weitere Versuche gemacht werden? Das Interesse von Wis- senschaftlern und deren Wunsch nach An- erkennung ist viel zu groß, als dass von dieser Seite eigene Sanktionen gegen Miss- brauch greifen könnten.

➄ Die Zusammensetzung der Ethik- kommissionen, die Beratung und Auf- klärung: Die Beratung und Aufklärung unterliegt laut Entwurf dem Humangene- tiker und dem Gynäkologen (die aus- schließlich männliche Form ist auch so im Entwurf enthalten). Wie immer sind nicht- ärztliche Gruppen in den Regelberatun- gen nicht vorgesehen, sondern können zu- sätzlich angeboten werden. Dabei gilt fest- zuhalten, dass auf sozialpsychologischer Ebene – auf der zunächst der Konflikt überhaupt besteht – Mediziner/innen nach Aus- und Weiterbildung über keinerlei be- sondere Kompetenz verfügen, eine Bera- tung adäquat durchführen zu können. Das Gleiche gilt für die Zusammensetzung der

Ethik-Kommissionen. ✁

Wir alle sind gefordert Gibt es ein Recht auf

(gesunde) Kinder?

(6)

Wir alle sind gefordert, der Aufwei- chung des Embryonenschutzgesetzes und dem Aufbau weiterer selektionieren- der Maßnahmen entgegenzutreten. Wer glaubt, durch Nichteinmischung der Ver- antwortung für ethische Fragen entgehen zu können, der irrt.

Cornelia Femers, Kühlenberg 20, 58644 Iserlohn

Aus jahrzehntelanger weit überwie- gend positiver Erfahrung als Patient und als jahrzehntelanger berufspolitischer Wegbe- gleiter der deutschen Ärzteschaft fühle ich mich zu einer Erklärung verpflichtet:

Ich stimme der Stellungnahme von Joa- chim Kardinal Meisner vollinhaltlich zu.

Dazu darf ich bemerken, dass ich der lutherischen Kirche angehöre, ohne mich wirklich als Christ bezeichnen zu können.

Ich muss mich heute fragen, ob ich bei der damaligen Diskussion zur künstlichen Insemination meine grundsätzliche Ab- lehnung deutlich genug in den Gremien der Bundesärztekammer vertreten habe.

Nach meinen Aufzeichnungen wäre die erste Stellungnahme anlässlich der Vorbe- reitungen und der Durchführung des 62. Deutschen Ärztetages 1959 in Lübeck fällig gewesen. Der Deutsche Ärztetag hielt damals eine homologe intrauterine künstliche Insemination in besonderen Ausnahmefällen mehrheitlich für ethisch vertretbar.

Der 73. Deutsche Ärztetag 1970 in Stuttgart erhob dann mehrheitlich keine generellen Einwände mehr. Er bezeichne- te diese nicht mehr als standeswidrig, aber empfahl sie auch nicht ausdrücklich. Ich entsinne mich sehr deutlich, dass ich da- mals bereits der Auffassung war, hier ver- letze der Mensch unter Missbrauch des naturwissenschaftlich-technischen Fort- schritts eine ihm von der Natur selbst er- richtete Grenze, einen kategorischen Im- perativ des menschlichen Seins.

Ich entsinne mich dieser meiner dama- ligen Auffassung um so deutlicher, als ebenfalls in die Siebzigerjahre eine lebhaf- te Diskussion zum Thema „Sterbehilfe als Lebenshilfe“ fällt, in der ich mich eindeu- tig gegen die Straffreiheit auch von „passi- ver“ Sterbehilfe ausgesprochen habe. Das geschah mit dem Hinweis, dass der Mensch gegebenenfalls, seinem Gewissen folgend, auch gegen geltendes Strafrecht handeln müsse. Er könne dann lediglich auf einen einsichtigen Richter hoffen, der wohl wissen sollte, dass als unverzichtba- rer Bestandteil jeder sittlichen Rechtsord- nung auch Gnade zu gelten habe.

Prof. Dr. J. F. Volrad Deneke, Axen- feldstraße 16, 53177 Bonn

Scham und Mitleid erfüllen einen, wenn man liest, was die Herren Hoppe und Sewing sowie die Arbeitsgruppe

„Präimplantationsdiagnostik“ der Bun- desärztekammer unter ihrem „Beitrag zur Schärfung des Problembewusstseins“

zur Präimplantationsdiagnostik verstehen.

Mitnichten wird hier irgendeine ethische Problematik angeschnitten. Der vorgeleg- te „Diskussionsentwurf“ ist indes ein bloßes Abwicklungspapier, welches die ge- naueren Modalitäten der Präimplantati- onsdiagnostik festzulegen versucht. Be- sonders wertvoll erscheint mir dabei die Erkenntnis, dass „kein Arzt gegen sein Gewissen verpflichtet werden kann, an ei- ner Präimplantationsdiagnostik mitzuwir- ken“, oder aber die Feststellung, dass die involvierten Ärzte über entsprechende Kenntnisse und Erfahrung verfügen müs- sen. Hierüber besteht in der Tat ein ganz erheblicher Diskussionsbedarf.

Der Umstand, dass in den einleitenden Worten eine Präjudiz explizit ausgeschlos- sen wird, täuscht den intelligenten Leser und Herrn Kardinal Meisner nicht darüber hinweg, dass selbstverständlich ein Ergeb- nis vorweggenommen wird. Indem näm- lich darüber lamentiert wird, unter wel- chen organisatorischen Rahmenbedingun- gen die bereits bejahte Präimplantations- diagnostik letztendlich vorgenommen werden soll. Mit Spannung erwarte ich den

„Diskussionsentwurf“, der sich damit be- schäftigen wird, unter welchen Kautelen dann schließlich die Unterscheidung zwi- schen „krank“ und „gesund“ getroffen wird und welches Antragsverfahren für die nachfolgende Elimination des „Kranken“

erforderlich ist.

Der „Diskussionsentwurf“ ist ein be- merkenswertes Armutszeugnis der deut- schen Ärzteschaft und trägt nichts zu der inhaltlichen, das heißt sittlichen Auseinan- dersetzung mit der beschriebenen Proble- matik bei. Vielmehr scheint die Chance vertan, aus ärztlicher Sicht gerade im Hin- blick auf den rasanten Zuwachs an diagno- stischen und therapeutischen Möglichkei- ten auf die sehr umfangreichen ethischen Folgeprobleme hinzuweisen. Dass ein Theologe uns auf die immer schwierigeren Grenzen zwischen medizinisch Machba- rem und sittlich Zulässigem hinweisen muss, ist bitter.

Man darf es getrost als eine Zumutung bezeichnen, auf welchem Niveau sich Kar- dinal Meisner mit den deutschen Ärzten beziehungsweise ihren repräsentativen Gremien verständigen muss. Dass er hier- bei einen direkten Vergleich zum ärztli- chen Mitwirken an der historischen „Ver- hütung erbkranken Nachwuchses“ heran-

zieht, ist völlig zutreffend und legitim. So wie damals Ärzte es waren, die ihr Wissen in den Dienst einer verwerflichen Weltan- schauung stellten, ist es auch heute wieder unser Berufsstand, der eine vermeintlich ethische Pragmatik zur Verfügung stellt, um ein im Grunde unethisches Vorgehen zu ermöglichen. Heute wie damals wird sich unser Stand jedoch letztlich nicht sei- ner Verantwortung entziehen können.

Unter diesen Umständen ist zu über- legen, inwieweit Stellungnahmen und so genannte Diskussionsentwürfe der Bun- desärztekammer zu derlei Dingen über- haupt noch sinnvoll sind. Zur „Schärfung des Problembewusstseins im gesamtge- sellschaftlichen Meinungsbildungsprozess“

tragen sie jedenfalls sicherlich nicht bei.

Dr. med. Karl-Anton Kreuzer, Abtei- lung für Innere Medizin, Medizinische Fa- kultät Charité der Humboldt-Universität zu Berlin, Campus Virchow-Klinikum, Augustenburger Platz 1, 13353 Berlin

Zu der Stellungnahme von Kardinal Meisner . . . gibt es nur einen Kommentar:

Thema verfehlt.

Dr. Konrad Ringleb, Brunnenstraße 97, 99974 Mühlhausen

Im Vorwort zum Diskussionsentwurf der BÄK-Richtlinie zur Präimplantations- diagnostik steht, dass die damit verbunde- nen ethischen Konflikte nur dann zu ver- meiden sind, wenn „betroffene Paare be- wusst auf Kinder verzichten oder sich zu einer Adoption entschließen“. Jedoch würden diese Alternativen von Paaren mit hohen genetischen Risikofaktoren „häufig nicht akzeptiert“. Aus früherer andrologi- scher Praxis wohl bekannt sind mir viele Vorbehalte gegen eine Adoption, die bei spermatologisch gesicherter Infertilität zur Erfüllung des Kinderwunsches damals ein- zig offen stand (abgesehen von der ethisch und [Personenstands-]rechtlich absolut unzulässigen anonym-heterologen Insemi- nation). Verständliche Ängste oder Vorur- teile („Blamage“ für das Paar beziehungs- weise den Mann, befürchtete Unterschie- bung „minderwertiger“ Kinder durch die Gesundheitsämter u. a.) waren aber durch einfühlsame Aufklärung des Paares zu mildern oder zu entkräften.

Auch heute noch könnte sachkundige Adoptionsberatung viel erreichen, wenn zum Beispiel auch die langwierige, oft als Zumutung empfundene Gründlichkeit der für beide Seiten – Adoptiveltern und Kind – gleichermaßen verantwortlichen Behör-

Erklärung

Thema verfehlt

Ausweg: Adoption

Armutszeugnis

(7)

den erläutert wird, andererseits dem Paar die Minimierung von Risiken – Ausschluss erbkranker oder erkennbar belasteter Kinder durch pädiatrische Voruntersu- chung, gesundheitsamtliche Überprüfung des sozialen Milieus und der Gesundheit der Mutter sowie (nach Möglichkeit) des Vaters – und die Chance der freien Wahl eines Wunschkindes unter verschiedenen Kleinkindern (nur zu Kleinkindern wur- de geraten) im Waisenhaus klargemacht wird. Dies und nicht zuletzt die mit der Adoption gegebene „Gleichberechti- gung“ hinsichtlich der Rechte und Pflich- ten zur Erziehung und Förderung des Kin- des lässt die Adoption dann in neuem Licht erscheinen, nicht mehr als bloßen Notbehelf.

Selbstverständlich setzt eine Beratung, die auch das Selbstvertrauen und die (durch die Wartefrist oft belastete) Fru- strationstoleranz des Paares stützen soll, ein taktvoll-hilfsbereites Verhalten der Behördenpersonen voraus, um präsumpti- ve Adoptiveltern nicht zu verunsichern.

Möglicherweise beruht die geringe Akzep- tanz des Adoptionsangebots auf mehreren Gründen. Zu geringes ärztliches Interesse an einer „nur“ sozio-therapeutischen (aber oft glücklichen) – statt einer instru- mentell machbaren – Erfüllung des Kin- derwunsches, unpersönlicher Formalis- mus bei Behörden, falsche Scham vor dem

„Makel“ einer ungewollt kinderlosen Ehe usw. Hätten hier nicht die Jugendämter, die Kirchen und die „Medien“ eine wert- volle, gegenüber der uninformierten Öf- fentlichkeit viel zu lange vernachlässigte Aufgabe?

Professor Dr. med. Otto P. Hornstein, Danziger Straße 5, 91030 Uttenreuth

. . . Die ethische Verrohung geht einher mit marktförderlichem Mechanismus. Der Utilitarismus eines Herrn Lenin lässt grüßen, ebenso der Sozialdarwinismus al- ler Schattierungen. Die Bundesärztekam- mer sollte im Wissen um das üble Erbe der Reichsärztekammer konsequente Hüterin des Lebens sein! Will man in 50 Jahren wieder behaupten, die katholische Kirche hätte zu leise gewarnt? Wer das 20. Jahr- hundert unter Marktaspekten gleich Ideo- logieaspekten betrachtet, kommt zu der Feststellung, dass insbesondere die katho- lische Kirche ein Markthemmungsfaktor ist, den das 20. Jahrhundert erfolgreich be- seitigt hat. Dem Deutschen Ärzteblatt ist für die Veröffentlichung der Stellungnah- me von Kardinal Meisner außerordentlich zu danken.

Dr. med. Stephan Kunze, Friedrich- Hegel-Straße 31, 01187 Dresden

Der vom Wissenschaftlichen Beirat der Bundesärztekammer vorgelegte „Diskus- sionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präim- plantationsdiagnostik“ hat unterschiedli- che Resonanz in der Öffentlichkeit gefun- den. Dabei ist immer wieder die Frage nach der Vereinbarkeit der Präimplantati- onsdiagnostik mit dem Embryonenschutz- gesetz aufgeworfen worden, so auch von Riedel (DÄ Heft 10/2000), die feststellt, die Präimplantationsdiagnostik stehe im Widerspruch zum Embryonenschutzge- setz.

Es überrascht, wie apodiktisch und ve- hement zugleich Riedel zur Einleitung ih- res Plädoyers für eine unvoreingenomme- ne Debatte behauptet, eine Zulassung der Präimplantationsdiagnostik sei mit dem Embryonenschutzgesetz (EschG) nicht vereinbar, ohne dass eine nähere Ausein- andersetzung mit dem Gesetzestext statt- gefunden hat.

Ihrem Beitrag, in dem sie die durchaus nachvollziehbare Forderung einer gesetz- lichen Regelung erhebt, stellt Riedel die These voran, die Präimplantationsdiagno- stik stehe im Widerspruch zum ESchG.

Diesem zufolge, so heißt es, dürfe eine Ei- zelle nur zum Zweck der Herbeiführung einer Schwangerschaft bei der Frau, von der die Eizelle stammt, künstlich befruch- tet werden; ein Embryo dürfe auch nur zu diesem Zweck weiterentwickelt und ein extrakorporal erzeugter Embryo dürfe zu keinem anderen Zweck als zu seiner Er- haltung verwendet werden, siehe § 1 l Nr.

2, § 2 l und II ESchG. Ziel der Regelung der künstlichen Befruchtung im ESchG sei die Behandlung von Fertilitätsstörungen, also die Erfüllung des Kinderwunsches ei- ner Frau oder eines Paares. Dieses von Riedel so betonte Ziel wird im ESchG je- doch gerade nicht ausdrücklich benannt.

Riedels Aussagen zeigen vielmehr, dass hier der Wunsch des Bestehens eines Ver- botes Mutter der Argumentation ist, mehr jedoch nicht.

Ein allgemeines Verbot der Präimplan- tationsdiagnostik könnte sich aus § 1 l Nr. 2 ESchG herleiten. Dort heißt es, mit Frei- heitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe werde bestraft, wer es unter-

nimmt, eine Eizelle zu einem anderen Zweck künstlich zu befruchten, als eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der die Eizelle stammt.

Wenn ein Arzt im Rahmen einer In- vitro-Fertilisation (IVF) eine Eizelle be- fruchtet und diese durch Entnahme einer nicht mehr totipotenten Zelle auf bestimm- te genetische Defekte untersucht, um je nach Befund den Embryo zu transferieren oder nicht, ist fraglich, ob der Arzt die Ei- zelle gemäß § 1 l Nr. 2 EschG – wie Riedel behauptet – zu einem anderen Zweck künstlich befruchtet, als die Schwanger- schaft einer Frau herbeizuführen – nämlich vielmehr, um eine „Selektionsmöglichkeit“

zu eröffnen. Tatbestandslos handelt, wer mit der Absicht handelt, eine Schwanger- schaft herbeizuführen.

Riedel scheint der Ansicht zu sein, dass eine solche Absicht bei der Präimplantati- onsdiagnostik zum Zeitpunkt der Befruch- tung noch nicht besteht. Diese Auffassung wird den tatsächlichen Gegebenheiten je- doch nicht gerecht, da sie eine künstliche Aufteilung eines einheitlichen Vorganges vornimmt. Die Betroffenen handeln von Beginn der IVF mit dem Bewusstsein, dass die gesamte Behandlung auf Her- beiführung einer Schwangerschaft ausge- richtet ist. Dass die Schwangerschaft noch von einer Bedingung abhängig gemacht wird, stellt dabei ein separat zu behandeln- des Problem dar. So ist die Frage, ob die Absicht deshalb verneint werden könnte, weil ein später vorzunehmender Teilakt noch von einer weiteren Bedingung, das heißt der Entscheidung der Mutter zum Transfer, abhängig gemacht werden soll.

Die Absicht wird allein nach der voluntati- ven Beziehung zwischen Täterpsyche und Taterfolg definiert. Bewusst herbeigeführ- te und erwünschte Erfolge sind immer be- absichtigt, auch wenn ihr Eintritt nicht si- cher ist (Roxin, Strafrecht Allgemeiner Teil, Band l, 3. Auflage, § 12 Rdnr. 11;

Cramer in: Schönke/Schröder, 25. Aufla- ge, § 15 Rdnr. 67, m. w. N.). Das Abhängig- machen der Vornahme eines zukünftig vorzunehmenden Teilaktes von einem Be- dingungsschritt, hier der Annahme zur Übertragung eines Embryos auf die Mut-

Wissenschaftlicher Beirat der Bundesärztekammer

Von richtigen rechtlichen Voraussetzungen ausgehen

Zur rechtlichen Bewertung der Präimplantationsdiagnostik

Dank an Kardinal Meisner

(8)

ter, schließt die Absicht, eine Schwanger- schaft herbeizuführen, gerade nicht aus.

Eine Strafbarkeit nach § 1 l Nr. 2 ESchG kann daher nicht bejaht werden, wenn die Fertilisation erfolgt. Dieses Ergebnis ist naheliegend, bedenkt man, dass auch bei der Vornahme einer regulären IVF ohne Präimplantationsdiagnostik der Arzt den anschließenden Embryotransfer stets von der Bedingung abhängig macht, dass sich die Patientin auch später noch bereit er- klärt, diesen vornehmen zu lassen (hierzu und im Folgenden demnächst Schneider in MedR 2000. Auf dem Weg zur Selektion – Strafrechtliche Aspekte der Präimplanta- tionsdiagnostik). Weiterer Anknüpfungs- punkt für eine mögliche Strafbarkeit nach

§ 1 l Nr. 2 ESchG kann sein, die „Aus- schließlichkeit“ der Zweckverfolgung in Zweifel zu ziehen. Die Frage ist, ob nur derjenige tatbestandslos handelt, der die Eizelle ausschließlich deshalb künstlich befruchtet, um eine Schwangerschaft der Frau herbeizuführen, von der der Embryo stammt, oder ob der Täter auch einen an- deren Nebenzweck mit der künstlichen Befruchtung verfolgen kann, ohne tatbe- standsmäßig zu handeln.

Aus dem Gesetzestext geht nicht her- vor, dass die Absicht der Herbeiführung einer Schwangerschaft durch die gleichzei- tige absichtliche Verfolgung eines anderen Zweckes – nämlich zuvor die genetische Struktur des Embryos zu prüfen – ausge- schlossen ist. Dieses Ergebnis ließe sich nur im Wege unzulässiger erweiternder Interpretation oder Analogie gewinnen.

Die äußerste Auslegungsgrenze markiert jedoch nach der Rechtsprechung des BVerfG (BVerfGE 73, 206 [234 ff.]; 92, 1 [12]) und vorherrschender Ansicht im Schrifttum (Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Auflage, S. 323 m. w. N.) der mögliche Wortsinn eines ge- setzlichen Begriffs.

Im Strafrecht gilt ferner das Verbot der strafbarkeitsbegründenden oder -schär- fenden Analogie (Roxin, Strafrecht, All- gemeiner Teil, Band l, 3. Auflage, § 5 Rdnr. 26 ff., m. w. N.). Art. 103 II GG macht die Strafbarkeit einer Tat von einer gesetzlichen Regelung abhängig und ver- bietet eine Ausdehnung der Strafbarkeit über den Gesetzeswortlaut hinaus auf ähn- lich strafbedürftig und strafwürdig erschei- nende Verhaltenweisen.

Diese engen Grenzen verkennt Riedel.

Für die Annahme einer „Ausschließ- lichkeit“ des verfolgten Zwecks im Sin- ne des Verbotes eines Nebenzwecks sind im Gesetz keine Anhaltspunkte ersicht- lich.

Von Riedel wird ferner der mit „Miss- bräuchliche Verwendung“ überschriebene

§ 2 l EschG als Argument für ein Verbot genannt. Dort heißt es, dass derjenige, der

einen extrakorporal erzeugten [. . .]

menschlichen Embryo [. . .] zu einem nicht seiner Erhaltung dienenden Zweck [. . .]

verwende, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft werde.

Fraglich ist, ob es eine „miss- bräuchliche Verwendung“ darstellt, den Embryo nach erfolgter Biopsie und der Feststellung von bestimmten genetischen Defekten nicht zu transferieren, sondern in der Petrischale liegen zu lassen, bis er sich nicht weiterentwickeln kann und dar- aufhin abstirbt.

Dies setzt zunächst voraus, dass die

„Verwendung“ im Sinne von § 2 l EschG auch durch Unterlassen begehbar ist (andere Auffassung Günther, in: Keller/

Günther/Kaiser, § 2 Rn. 34). Unterstellt man dies, ist im Falle der Vornahme eine Präimplantationsdiagnostik – welche im Einverständnis und auf Bitten des betrof- fenen Ehepaares durchgeführt wird – § 2 l ESchG in Form des Unterlassens deshalb nicht einschlägig, weil dem Arzt die Ein- setzung der „selektierten“ Eizelle entwe- der gar nicht möglich ist oder es ihm nicht zuzumuten wäre, gegen den Willen der Pa- tientin und entgegen dem Ziel der Be- handlung die Eizelle dennoch – etwa unter Täuschung der Patientin – zu transferie- ren. Im Fall der Präimplantationsdiagno- stik ist die Erfüllung des Tatbestandes von

§ 2 l ESchG durch Nichtübertragung des Embryos, sondern Liegenlassen, wenn die Patientin einen Transfer der belasteten Zelle ablehnt, nicht strafbar.

Ein Verstoß gegen § 2 l ESchG wäre ferner denkbar, wenn man in der Entnah- me und Untersuchung einer Zelle eine Verwendung des Embryos sehen würde, die einem nicht seiner Erhaltung dienen- den Zwecke gewidmet ist, das heißt mit an- deren Worten, wenn man argumentiert,

„das Untersuchen“ diene nicht der Erhal- tung und würde somit eine missbräuchli- che Verwendung darstellen. Entnimmt der Arzt dem Embryo eine Zelle und beein- trächtigt das die späteren Weiterentwick- lungschancen nicht, insofern als der Em- bryo noch mit den regulären Erfolgsaus- sichten auf Herbeiführung einer Schwan- gerschaft in den Mutterleib übertragen werden kann, ist die Behandlung als „neu- trale Handlung“ zu werten. Die Untersu- chung ist zwar nicht notwendig für die Er- haltung, zugleich beeinträchtigt sie eine solche Erhaltung auch nicht. Schon der ob- jektive Tatbestand scheint nicht erfüllt zu sein. § 2 l ESchG verlangt jedoch weiter als spezielles subjektives Tatbestandsmerk- mal die Absicht des Täters, einen nicht der Erhaltung des Embryos dienenden Zweck zu verfolgen. Eine solche Absicht in Form zielgerichteten Wollens ist jedoch nicht ge- geben. Es kommt dem Arzt nicht darauf an, mit der Handlung einen Zweck zu ver- folgen, der nicht der Erhaltung des Em- bryos dient. Ein Verstoß gegen § 2 l ESchG ist daher auch durch die Untersuchung nicht gegeben.

Was den § 2 II ESchG betrifft, in dem es heißt: „Ebenso wird bestraft, wer zu einem anderen Zweck als der Herbeiführung ei- ner Schwangerschaft bewirkt, dass sich ein menschlicher Embryo extrakorporal wei- terentwickelt“, so muss auch hier auf das Erfordernis der Absicht, das heißt des do- lus directus ersten Grades, hingewiesen werden. Ein solches zielgerichtetes Wollen ist nicht gegeben.

Im Ergebnis bleibt festzuhalten, dass der Ausgangspunkt Riedels, die Präim- plantationsdiagnostik stehe im Wider- spruch zum ESchG, nicht richtig ist.

Welche Konsequenz die fehlende Re- gelung der Präimplantationsdiagnostik in Zukunft haben wird und ob der Gesetzge- ber sie regeln sollte, ist damit jedoch noch keineswegs geklärt. Den Autoren des Dis- kussionsentwurfs eine einseitige Fehlinter- pretation des Embryonenschutzgesetzes und eine schon deshalb falsche Position zur Präimplantationsdiagnostik vorzuwer- fen, ist verfehlt. Der Entwurf dient gerade dazu, die öffentliche Diskussion anzure- gen. Die in ihm vertretene Position ist rechtlich jedenfalls möglich. Man sollte bei der Beurteilung von richtigen rechtlichen Voraussetzungen ausgehen.

Prof. Dr. Dr. med. h. c. H.-L. Schreiber, Direktor des Juristischen Seminars, Post- fach 37 44, 37027 Göttingen

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Die auf diesen Seiten dokumen- tierten Stellungnahmen und Leserzu- schriften beziehen sich auf den von der Bundesärztekammer vorgelegten, von deren Wissenschaftlichem Beirat ausgearbeiteten „Diskussionsentwurf zu einer Richtlinie zur Präimplanta- tionsdiagnostik“ (PGD = preimplan- tation genetic diagnosis) (Heft 9) sowie folgenden Beiträgen: „Auftakt des öffentlichen Diskurses“ von Sabi- ne Rieser (Heft 9), „Am Rande der schiefen Bahn“ von Norbert Jachertz (Heft 9), „Plädoyer für eine unvorein- genommene, offene Debatte“ von Ul- rike Riedel (Heft 10), „Mensch von Anfang an“ von Joachim Kardinal Meisner (Heft 14). Zu einigen zentra- len Punkten der Diskussion nimmt der Wissenschaftliche Beirat in den beiden Kommentaren Stellung. NJ

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