isher war die Schutzimpfung die einzige adäquate Präven- tion gegen die Influenza. Sie wäre bei hoher Impfbeteiligung in der Lage, die Ausbreitung der Influenza zu verringern. Im Einzelfall verhin- dert die Vakzine die Erkrankung, mil- dert ihren klinischen Verlauf oder ver- hindert Komplikationen. Neben der Schutzimpfung bestand die Möglich- keit der Chemotherapie und -prophy- laxe mit Amantadin. Sie wurde in der Praxis wenig genutzt, weil die Wirk- samkeit auf die Influenza A be- schränkt und durch Nebenwirkungen belastet war.
Die neue Wirkstoffgruppe der Neuraminidasehemmer ermögliche einen Ausweg aus dieser unbefriedigenden Si- tuation, erklärte Prof. Werner Lange auf der Jahrespresse- konferenz der Arbeitsgemein- schaft Influenza in Dresden.
Werden Neuraminidasehem- mer rechtzeitig eingesetzt, sind sie sowohl bei Influenza A als auch bei Influenza B wirksam.Während Relenza® von Glaxo Wellcome bereits in Deutschland zugelassen ist, erhält man TamifluTM von Hoffmann-La Roche derzeit in der Schweiz und in den USA.
Nach Angaben von Lange befin- den sich an der Oberfläche der Influen- zaviren die Antigene Hämagglutinin und Neuraminidase (Grafik). Die wichtigste Aufgabe der Neuraminidase sei es, die von infizierten Zellen neu produzierten Viren von der Zellmem- bran freizusetzen. „Ohne die Funktion der Neuraminidase bleiben die neuen Viren an der Zelle hängen, können sich nicht im Organismus ausbreiten und werden vom Immunsystem zusammen mit der infizierten Zelle zerstört“, so
Lange. Nach dem Eindringen von Vi- ren in die Atemwege würden zunächst wenige Zellen in der Rachenschleim- haut infiziert. Die produzieren aber eine große Zahl neuer Viren (etwa 10 000 bis 100 000 pro Zelle), die sich nun in tieferen Regionen der Atemwe- ge ausbreiten. Dabei werden auch die Epithelien des mukoziliären Apparates zerstört, die für die Reinigung des Atemtraktes wichtig sind.
Je ausgedehnter und schwerer die Schädigung des Atemtraktes, desto mehr finde eine systematische Aus- breitung des Virus statt, deren Folge die Schädigung des Herzmuskels oder
der Leber sein könne. Ebenso bedeut- sam sei, daß der Verlust des Zilienap- parates bakteriellen Superinfektionen einen idealen Nährboden bereite.
Die Neuraminidasehemmer ver- hindern spezifisch die Freisetzung neu produzierter Viren und damit deren Ausbreitung in den Atemwegen und im ganzen Organismus. Die Virusbela- stung der Infizierten werde zudem ver- ringert, die Dauer der Erkrankung ver- kürzt, die mit der Influenza verbunde- ne Symptomatik gemildert und die In- fluenza insgesamt schneller überwun-
den. Zusätzlich werde der Umfang der Virusausscheidung in die Umgebung und damit die Virusgefährdung von Kontaktpersonen verringert. Je früher die Behandlung mit einem Neurami- nidasehemmer einsetzen könne, um so größer sei die Aussicht, die Entwick- lung einer schweren Influenza zu ver- hindern, resümierte Lange.
„Mit der Einführung der Neur- aminidasehemmer ergibt sich ein neu- es Konzept für den Umgang mit der Influenza“, erklärte Lange. In ihm hätten sowohl die Schutzimpfung als auch die Neuraminidasehemmer eine tragende Rolle. Sie konkurrierten nicht gegeneinander, sondern seien als Bestandteile einer einheitlichen Strategie zu verstehen. „Die Schutz- impfung ist weiterhin unverzichtbar, da nur sie auf einfache Weise große Teile der Bevölkerung über den ge- samten epidemischen Zeitraum vor der Influenza schützt.“
Die Chemotherapie mit Neur- aminidasehemmern ist laut Lange überall da angezeigt, wo Geimpfte oder Ungeimpfte durch die Influenza besonders gefährdet seien oder eine Verkürzung und Milderung der Symptome wünschten.
Für die Schutzimpfung bleibe die dringende Empfehlung für die bekannten Risiko- gruppen bestehen. Darüber hinaus sei sie für alle sinnvoll, die sich vor Erkrankung oder Verlust der Arbeitsfähigkeit schützen wollten. Für die Neuraminidasehemmer be- stehen folgende Indikatio- nen:
c ungeimpfte Personen im Falle einer Influenza,
c geimpfte, besonders Risikopersonen bei Influenza in ihrer Umgebung und während ei- ner schweren Influenzaepidemie,
c Personen, die nicht geimpft werden können (Hühnereiweißaller- gie),
c bei Pandemien, falls die Impf- stoffmengen nicht ausreichen,
c bei Epidemien, wenn das aktu- elle Virus nicht dem Impfstamm ent- spricht,
c bei zu später Impfung bei lau- fender Epidemie und erhöhter Infek- tionsgefahr als Schutz bis zum Eintre- ten der Immunität. Martin Wiehl A-2876 (32) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 45, 12. November 1999
P O L I T I K MEDIZINREPORT
Neuraminidasehemmer
Neue Option bei Influenza
Die Chemotherapie mit Neuraminidasehemmern ist kein Ersatz für die Schutzimpfung, aber eine Möglichkeit, die Grippesymptome abzuschwächen.
B
Struktur des Influenza-Virus
Quelle: Kingsbury D. W., Virology 2. Ausgabe, New York, 1990; Foto: Pasteur Mérieux Connaught Nucleocapsid:
Nucleoprotein (NP) – RNA Matrixprotein
Lipidhülle Hämagglutinin (HA) Neuraminidase (NA) Grafik