Gefässchirurgie 2008 · 13:164–170 DOI 10.1007/s00772-008-0594-8 Online publiziert: 25. April 2008
© Springer Medizin Verlag 2008
H. Lawall1 · R. Huber2 · M. Storck3 · C. Diehm1
1 Abteilung Angiologie/Diabetologie, SRH-Klinikum Karlsbad-Langensteinbach, Akad. Lehrkrankenhaus der Universität Heidelberg, Karlsbad
2 Abteilung Gefäßchirurgie, SRH-Klinikum Karlsbad-Langensteinbach, Karlsbad
3 Klinik für Gefäßchirurgie, Städtisches Klinikum Karlsruhe
Stellenwert der Prostaglandine in der Behandlung der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK)
Leitthema
Der klinische Stellenwert der Prostaglan- dine ist in der wissenschaftlichen und öf- fentlichen Diskussion unverändert um- stritten und Leitlinienempfehlungen sind diesbezüglich vielfach widersprüchlich.
Dies liegt zum einen an dem Fehlen von aktuellen Studien, welche die CPMP-Kri- terien und die Forderungen der evidenz- basierten Medizin erfüllen und zum ande- ren an dem Widerspruch der publizierten Daten und der jahrelangen klinischen Be- obachtung vieler Gefäßmediziner beim Einsatz dieser Substanzen.
Ziel dieser Arbeit ist es, den klinischen Stellenwert der medikamentösen Behand- lung mit Prostaglandinen in der Thera- pie der peripheren arteriellen Verschluss- erkrankung (pAVK) zu bewerten und in den Kontext mit aktuellen internationalen Leitlinienempfehlungen zu bringen.
Medikamentöse Angriffspunkte der Prostanoide sind funktionelle und struk- turelle mikrozirkulatorische und mikro- angiopathische Veränderungen. Bei re- duzierter Hämodynamik aufgrund vor- geschalteter Stenosen oder Verschlüsse der großen Gefäße kommen diese Stö- rungen zunehmend zum Tragen und füh- ren zur Ischämie in nachgeschaltetem Ge- webe unter Belastung (z. B. bei Claudica- tio) und in Ruhe (z. B. bei kritischer Ex- tremitätenischämie).
Obwohl die vasodilatatorischen und rheologischen Auswirkungen der Pros- tanoide seit langem bekannt sind [23], wurden die zellulären und molekularen Effekte auf die Gefäßwand bislang nur
teilweise untersucht. Prostanoide wir- ken nicht nur auf funktionelle Verände- rungen der Mikrozirkulation. In neue- ren Untersuchungen konnte der posi- tive Einfluss von Prostaglandin E1 auf die Regulation von endothelialen Pro- genitorzellen nachgewiesen werden. Aus dem Knochenmark stammende Proge- nitorzellen verbessern die endothelia- le Funktion und stimulieren die Neoan- giogenese. PGE1 stimuliert die Bildung und Sezernierung dieser endothelialen Vorläuferzellen aus dem Knochenmark [15]. Diese Effekte werden bei Bewegung und muskulärer Arbeit verstärkt und bie- ten eine Erklärung für die Wirksamkeit der Prostanoide in Kombination mit Ge- fäßsport. Belegt ist die Stimulation von VEGF und die Regulation der Endothel- funktion [16].
Prostaglandine in der Behandlung der Claudicatio intermittens
Die Behandlung von Patienten mit Clau- dicatio intermittens umfasst zunächst das Gehtraining, die konsequente Behandlung der kardiovaskulären Risikofaktoren und bei hohem individuellen Leidensdruck bei geeigneter Lokalisation und Morphologie die endovaskuläre oder operative Revas- kularisation. Begleitend oder vor inva- siven Behandlungsverfahren soll ein me- dikamentöser Therapieversuch mit vaso- aktiven Substanzen unternommen wer- den [17, 25]. Die beste Datenlage mit über- zeugenden Ergebnissen aus aktuellen Stu- dien liegt bei oralen Substanzen für Cilo- stazol vor.Ein weiterer pharmakologischer An- satz ist die Gabe von Prostaglandinen bei
25,0
11,0
23,5
6,1
14,3
0,0 5,0 10,0 15,0 20,0
Major amputation nach 18 Monten [%]
Alle Patienten
(n=155) Antibiotika
(n=17) Prostaglandine
(n=82) PTA
(n=56) Abb. 1 7 Prozentu-
aler Anteil von Pati- enten mit Majoram- putation nach 18-mo- natiger Verlaufsbeob- achtung nach Basisbe- handlung (Antibiose, Analgesie und Wund- behandlung), medika- mentöser Therapie mit Prostanoiden oder en- dovaskulärer Therapie
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Gefässchirurgie 3 · 2008Patienten, die auf vorangegangene Be- handlungsversuche mit oralen Substan- zen oder nach invasiven Gefäßeingriffen (endovaskulär, chirurgisch) nicht oder nur unzureichend angesprochen haben oder bei denen eine invasive Behandlung nicht indiziert ist [17].
In einigen kleineren und zwei größe- ren prospektiven, randomisierten Studi- en wurde der Effekt der Prostaglandine in der Behandlung der Claudicatio intermit-
tens untersucht (. Tab. 1). In insgesamt 13 Studien wurden 1216 Patienten einge- schlossen. In der Mehrzahl der Studien wurde Prostaglandin E1 (PGE1) einge- setzt. Für Alprostadil (PGE1) liegen zwei relevante placebokontrollierte prospekti- ve Studien vor [10, 20], die nach jeweils 4 Wochen intravenöser Behandlung ei- ne Zunahme der schmerzfreien Gehstre- cke und der absoluten Gehstrecke um et- wa 60% zeigen.
In einer Metaanalyse von publizierten prospektiven Studien zum Einsatz von Prostaglandinen in der Behandlung der Claudicatio intermittens konnte jüngst ein Nutzen für PGE1 gegenüber Placebo, aber auch gegenüber anderen Prostanoi- den festgestellt werden [2]. Begleitend zur Verbesserung der Gehleistung konnte un- ter Prostaglandintherapie auch eine Ver- besserung der Lebensqualität beobachtet werden [1, 8].
Einschränkend muss festgestellt wer- den, dass der Beobachtungszeitraum nach Abschluss der Behandlung nur 3 Monate betrug und somit kaum eine klinisch re- levante Aussage zum längerfristigen Nut- zen dieser Substanzen zulässt.
Der therapeutische Nutzen der Pros- taglandine bei der Claudicatio ist da- mit noch nicht genau definiert, obwohl in der praktischen und klinischen Er- fahrung oft eine Besserung der schmerz- freien und maximalen Gehstrecke gerade in Kombination mit strukturiertem Geh- training beobachtet wird. Welcher Pati- ent mit Claudicatio von der Behandlung mit Prostaglandinen wie lange profitiert, ist bislang unklar, ebenso das Kosten-Nut- zen-Verhältnis.
Prostaglandine in der Behandlung der kritischen Extremitätenischämie
Der Versuch der Revaskularisation mit den Behandlungszielen Schmerzreduktion, Beinerhalt und Wundheilung ist unstrit- tig die Therapie der Wahl bei Patienten mit kritischer Extremitätenischämie.
Trotz Verbesserungen der endovasku- lären und operativen Verfahren mit weit distalen Rekanalisationspunkten und trotz der signifikanten Behandlungsfortschritte auf diesem Gebiet gibt es nach wie vor ei- ne Gruppe von Patienten mit kritischer Extremitätenischämie (Stadium III und IV nach Fontaine), die nicht revaskula- risiert werden können. Die Gründe hier- für sind in erster Linie die fehlenden dis- talen Anschlussmöglichkeiten oder tech- nische Probleme für endovaskuläre Maß- nahmen, vorangegangene fehlgeschla- gene Gefäßeingriffe und ein hohes indivi- duelles Patientenrisiko für jeden invasiven Eingriff. Überwiegend handelt es sich da- bei um multimorbide ältere Patienten mit Tab. 1 Prospektive klinische Studien mit Prostanoiden bei Claudicatio intermittens
Kontrolle,
Studiendesign
Mittlere schmerzfreie Gehstrecke vor und nach Therapie (m)
Signifikanz
PGE1 Kontrolle
Scheffler (1994) Circulation Pentoxifyllin, single-blind
81 570 75 154 p<0,05
Hepp (1996) Int J Angiol Pentoxifyllin, doppelblind
83 264 84 188 p<0,001
Diehm (1997) J Vasc Surg Placebo, doppelblind
64 129 67 107 p<0,01
Böger (1998) J Am Coll Cardiol
L-Arginin, doppelblind
56 128 53 147 n.s.
Mangiafico (2000) Angiology
Placebo, doppelblind
73 135 81 84 p<0,001
Müller-Bühl (1987) Eur J Clin Pharmacol
HES, single-blind 62 98 58 76 n.s.
Lievre (1996) J Cardiovasc Pharmacol
Placebo, doppelblind
137 239 131 190 p<0,05
Lievre (2000) Circulation Placebo, doppelblind
130 280 133 245 p<0,01
Tab. 2 Prospektive klinische Studien mit Prostanoiden bei CLI
Kontrolle,
Studiendesign
Wirksamkeit und Dauer der Nachbeobachtung
Signifikanz Trübestein (1989) VASA
n=57
Pentoxifyllin, single-blind
Ulkusheilung Schmerzreduktion 6 Monate
p=0,08
Diehm (1988) DMW n=46
Placebo, doppelblind
Ulkusheilung Schmerzreduktion 1 Monat
n.s.
Norgren (1990) Eur J Vasc Surg n=103
Placebo, doppelblind
Ulkusheilung 6 Monate
n.s.
Brock (1990) Schweiz med Wochenschr
n=109
Placebo, doppelblind
Ulkusheilung Schmerzreduktion 11 Monate
p<0,05
UK Severe Limb Group (1991) Eur J Vasc Surg
n=151
Placebo, doppelblind
Ulkusheilung Ruheschmerz 12 Monate
p<0,05
Stiegler (1992) VASA n=74
Placebo, doppelblind
Ulkusheilung Schmerzreduktion 6 Monate
p=0,08
Altstaedt (1993) Prostaglandins Leukot Essent Fatty Acids n=228
Iloprost, offen
Ulkusheilung 6 Monate
n.s.
Menzonian (1995) IUA, Abstract n=134
Placebo, doppelblind
Ulkusheilung Amputationsrate 6 Monate
n.s.
p=0,07
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Gefässchirurgie 3 · 2008Leitthema
einer Vielzahl von vorherigen kardiovas- kulären Ereignissen und Eingriffen [1].
In einer kürzlich publizierten multi- zentrischen kontrollierten Studie bei Pa- tienten mit kritischer Extremitätenisch- ämie konnten in ausgewählten speziali- sierten Gefäßzentren bei 34% der Pati- enten weder eine interventionelle noch ei- ne gefäßchirurgische Maßnahme erfolgen [5]. Diese neuen Zahlen entsprechen einer großen Registererhebung aus Großbritan- nien, wo ebenfalls fast 30% der Patienten mit kritischer Extremitätenischämie nicht revaskularisiert werden konnten [28]. Die primäre Erfolgsrate mit Bypassoffenheit und Beinerhalt betrug bei operierten Pa- tienten 75%.
Diese Anzahl von Patienten mit Op- tion für operative und/oder endovasku- läre Eingriffe erscheint für deutsche Ver- hältnisse in spezialisierten Gefäßzentren niedrig, zumal aus einzelnen Zentren über Revaskularisationen bei bis zu 90%
der betroffenen Patienten berichtet wird.
Eine italienische Arbeitsgruppe berich- tet bei diabetischen Hochrisikopatienten mit Unterschenkel-pAVK ebenfalls von primären und sekundären Rekanalisati- onserfolgen von bis zu 90% und entspre- chenden Beinerhaltungsraten [14].
Diese hervorragenden Ergebnisse kommen sicherlich nicht bundesweit und flächendeckend in Betracht, doch soll- te in spezialisierten Gefäßzentren bei 4 von 5 Patienten mit kritischer Extremi- tätenischämie eine interventionelle oder operative Behandlung möglich sein. Ope- ration und PTA sind hierbei keine kon- kurrierenden Verfahren, sondern ergän- zen sich. Sie können jeweils alleine oder kombiniert durchgeführt werden, ggf.
auch kombiniert mit Prostanoiden. Mit der Kombination von invasiven Verfahren und der Gabe von Prostaglandin E1 konn- te kürzlich eine signifikant bessere primä- re und sekundäre Offenheitsrate und eine höhere Beinerhaltungsrate bei Patienten mit CLI beobachtet werden [18].
Ein Therapieversuch mit Prostanoiden sollte aber nie dazu führen, eine mögliche und notwendige Operation oder Inter- vention zu verschieben oder gar zu ver- meiden.
Für Patienten, bei denen keine erfolg- versprechende Revaskularisation möglich oder gescheitert ist und eine Amputation
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© Springer Medizin Verlag 2008 H. Lawall · R. Huber · M. Storck · C. Diehm
Stellenwert der Prostaglandine in der Behandlung der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK)
Zusammenfassung
Ziel der vorliegenden Arbeit ist die Bewer- tung des klinischen Stellenwerts der Behand- lung der pAVK mit Prostaglandinen unter be- sonderer Berücksichtigung der aktuellen Leit- linienempfehlungen. Bei der Claudicatio in- termittens gibt es Hinweise auf die Wirksam- keit von Prostanoiden zur Verbesserung der Gehleistung und Lebensqualität. Für Prosta- glandin E1 konnte in einer Metaanalyse eine klinisch relevante Verbesserung der schmerz- freien Gehstrecke belegt werden. Damit ein- her geht eine Verbesserung der Lebensquali- tät. Eine Zulassung zu dieser Indikation liegt zurzeit nicht vor.
Bei der kritischen Extremitätenischä- mie ist aufgrund der hohen Amputations- gefahr vorrangiges Behandlungsziel die en-
dovaskuläre oder operative Revaskularisati- on. Nur wenn diese Behandlung nicht in Be- tracht kommt, sind Prostanoide als konser- vative Therapieoption indiziert. Dabei kann bei etwa 50% der Betroffenen eine Verbes- serung der Wundheilung, eine Reduktion der Schmerzen und auch eine Verminderung der Zahl hoher Amputationen erreicht wer- den. Diese Therapieempfehlungen finden sich in der überwiegenden Anzahl der aktu- ellen Leitlinien.
Schlüsselwörter
pAVK · Claudicatio · Kritische Extremitäte- nischämie (CLI) · Prostanoide · Periphere arterielle Verschlusskrankheit
Value of prostaglandins for treatment of peripheral arterial occlusive disease (PAOD)
Abstract
The aim of this article is to give a review of the clinical relevance of prostaglandins in pa- tients with peripheral arterial occlusive dis- ease with special reference to current guide- lines. Intermittent claudication and critical limb ischemia (CLI) are the clinical endpoints of peripheral arterial occlusive disease (PA- OD). Although there are limited data on the positive effect of prostaglandin E1 in claudi- cation, there are still no convincing prospec- tive studies to confirm this.
In critical limb ischemia immediate treat- ment is necessary since tissue perfusion is strongly reduced and major amputation is frequently necessary within the following 6 months, when there is no option for surgical or interventional revascularization. Otherwise
conservative measures are necessary, in some cases even additionally to revascularization.
Conservative treatment includes local wound care, systemic antibiotic treatment and the intravenous use of prostanoids. As with inva- sive therapy the most important therapeutic goals are limb salvage, healing of ischemic le- sions and preservation of the functional sta- tus even beyond the time span of prostanoid therapy. These recommendations for treat- ment are to be found in the majority of cur- rent guidelines.
Keywords
PAOD · Claudication · Critical limb ischemia (CLI) · Prostanoids · Peripheral arterial occlusive disease
droht, besteht Handlungsbedarf [12]. Ne- ben der notwendigen analgetischen The- rapie und strukturierten Wundbehand- lungsmaßnahmen kommen hier phar- makologische konservative Therapiever- fahren zum Einsatz.
Als konservativer Therapieansatz hat sich in Deutschland die Behandlung mit Prostanoiden durchgesetzt. Die Substan- zen Prostaglandin E1 (PGE1) und Ilo- prost wurden in zahlreichen Studien un- tersucht, wobei die Patientenzahl teilweise klein und die Zielpunkte verschieden fest- gelegt waren. Die Responderrate auf die medikamentöse Applikation von Prosta- noiden, wobei der Begriff nicht einheit- lich definiert ist, liegt in allen bisher pu-
blizierten Studien zwischen 40 und 60%
der behandelten Patienten [4, 11].
In einer multizentrischen placebo- kontrollierten Studie mit Iloprost konnte nach 2-wöchiger Behandlungsdauer kein Effekt nachgewiesen werden [24]. Auch eine weitere multizentrische Studie konn- te nur eine geringe Wirkung hinsichtlich des Zielparameters „komplette Wundhei- lung“ aufzeigen [29].
Dagegen zeigte sich nach 4-wöchiger Behandlung mit Iloprost in einer größe- ren randomisierten placebokontrollierten Studie bei Diabetikern mit ischämischen Fußläsionen eine signifikante klinische Befundbesserung [7]. Die Effekte betrafen die Wundheilung und die Schmerzreduk-
tion. Eine vergleichbare Wirkung bei Dia- betikern konnte Stiegler in einer placebo- kontrollierten Studie für PGE1 feststellen [27]. Neuere Untersuchungen bestätigen die Wirkung dieser Substanzen bei Pati- enten mit angiopathischem diabetischem Fußsyndrom [13, 22].
Diese Studienergebnisse belegen die Bedeutung einer ausreichend langen (mindestens 21 Tage in den Studien) The- rapiedauer für den Behandlungserfolg, die auch in eigenen Untersuchungen bestätigt werden konnte.
In einer multizentrischen Kohorten- studie konnte im Nachbeobachtungszeit- raum von 18 Monaten eine klinisch si- gnifikante Reduktion der Majorampu- Tab. 3 Empfehlungen zur Therapie mit Prostanoiden bei CLI
Leitlinien- Titel
Leitlinie zur Dia- gnostik und Thera- pie der arteriellen Verschlusskrankheit der Becken-Bein- Arterien
Empfehlungen zur Therapie der peripheren arteriellen Ver- schlusskrankheit (pAVK)
Antithrombotic Therapy in Periphe- ral Arterial Occlusive Disease: The Seventh ACCP Conference on Antithrombotic and Thrombolytic Therapy
ACC-AHA Guide- lines
TASC II EASD/ESC
Veröffentli- chungsdatum
Juli 2001 Juli 2004 September 2004 Oktober 2005 Januar 2007 Juli 2007
Autor DGA, DGG Arzneimittelkom-
mision der deut- schen Ärzteschaft
Clagett et al. Hirsh et al. Norgren L, Hiatt WR Ryden L, Standl E
Fragen PAVK PAVK PAVK PAVK PAVK PAVK bei Dia-
betes Indikation
zur medika- mentösen Therapie der CLI
Schmerztherapie Kardiale Behandlung Therapie der Infek- tion
Pulmonale Therapie TFH
Heparin zur VTE-Pro- phylaxe
Adjuvante Hämodi- lution bei erhöhtem Hämatokrit Prostanoide, wenn keine Gefäßrekon- struktion möglich oder alleine nicht ausreichend
TFH Heparine zur Thrombosepro- phylaxe Antibiose Hämodilution nur bei Hämatokrit über 50%
Prostano- ide, wenn Gefäßrekon- struktion nicht möglich oder nicht erfolgreich
Aspirin (1A) Clopidogrel statt Tic- lopidin (1C) Asprin statt Clopido- grel (2A)
Kein Nutzen von Pen- toxifyllin (1B) Kein Nutzen von Prostanoiden (2B)
i.v. Pentoxifyllin nicht sinnvoll (B) i.v. PGE1 oder Iloprost für 7–28 Tage in Be- tracht ziehen zur Schmerzreduktion und Ulkusheilung, aber Wirksam- keit auf kleine Patientengruppe beschränkt (A)
Therapie der kardiovas- kulären Risikofaktoren Schmerzbehandlung, Syst. Therapie der Infekti- on bei Cellulitis oder aus- breitender Infektion (B) TFH
Prostanoide, wenn keine Gefäßrekonstruktion möglich ist: frühere Stu- dien scheinen verbes- serte Ulkusheilung und Reduktion der Amputa- tionsrate zu zeigen (A), neuere Studien zeigen keinen Nutzen hinsicht- lich amputationsfreies Überleben (A) Niedermolekulare Heparine, Naftidrofuryl und Pentoxifyllin ohne Nutzen (B)
Prostanoide indiziert, wenn keine Gefäßrekons- truktionmög- lich (A)
Grad Empfehlung
A Mindestens eine randomisierte, kontrollierte klinische Studie von guter Qualität vorhanden
B Basiert auf gut durchgeführten klinischen Studien, aber keine randomisierte klinische Studie vorhanden C Basiert auf Evidenz und Konsensusbeschlüssen und/oder klinischer Erfahrung von anerkannten Experten
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Gefässchirurgie 3 · 2008Leitthema
Zusammenfassend scheinen die Pros- tanoide gerade bei Patienten mit diabe- tischen angiopathischen Fußläsionen bei Fehlen anderer gefäßmedizinischer Be- handlungsmöglichkeiten eine Therapie- option zu sein, um die hohe Amputati- onsrate zu senken.
In einer Metaanalyse von randomisier- ten kontrollierten Studien mit PGE1 bei Patienten mit kritischer Extremitätenisch- ämie konnte nicht nur eine signifikant verbesserte Wundheilung und Schmerz- reduktion, sondern auch eine Reduktion der Amputationsrate im 6-Monate-Fol- low-up festgestellt werden [9]. 643 Pati- enten aus 7 randomisierten, kontrollier- ten Studien wurden in die Berechnungen eingeschlossen. Die Responserate (Ulkus- abheilung/Schmerzreduktion) betrug für PGE1 47,8% gegenüber 25,2% für Placebo.
Eine signifikante Wirkung zugunsten von PGE1 war auch nach 6-monatigem Fol- low-up für den kombinierten „Endpunkt Majoramputation oder Tod“ nachweisbar (22,6% für PGE1 vs. 36,2% für Placebo).
Trotz der teilweise guten Ergebnisse ist die Aussagekraft der meisten Studi- en begrenzt, da die in den Studienrichtli- nien geforderten Kriterien (CPMP-Krite- rien) zum Nachweis der Wirksamkeit ei- ner Substanz, wie beispielsweise die kom- plette Abheilung aller Ulzera, nicht unter- sucht wurden [3].
Die aktuellen Stellungnahmen zur The- rapie mit Prostanoiden spiegeln die diffe- renten Studienergebnisse wider und sind teilweise widersprüchlich. Eine Auflistung findet sich in . Tab. 2 und 3. Während in TASC II im Gegensatz zur früheren TA- SC-I-Empfehlung Prostanoide kritisch bewertet werden, liegen seitens der ACC/
AHA positive Empfehlungen zur Gabe bei Patienten vor, bei denen eine arterielle Re- konstruktion nicht in Betracht kommt.
Auf der Datenbasis der Prostanoidstu- dien bei Diabetikern empfiehlt die Eu- ropäische Diabetesgesellschaft (EASD) und die Europäische Kardiologische Ge- sellschaft (ESC) in ihrer gemeinsamen Stellungnahme die Gabe von Prostanoi- den bei kritischer Extremitätenischämie (Empfehlungsgrad A) [26].
Bei den im TASC-II-Dokument auf- geführten neuen Studien zur fehlenden
tersuchung bei 383 randomisierten Pati- enten, in der eine neue Präparation des Prostaglandin-E1-Analogons Ecraprost verwendet wurde [6]. In dieser Untersu- chung konnte kein Nutzen für Ecraprost beobachtet werden.
In den Empfehlungen der „Ameri- can Heart Association“ heißt es dagegen, dass Prostaglandine zur Schmerzredukti- on und Ulkusheilung in Betracht gezogen werden können, diese aber nur bei einem geringeren Prozentsatz von Patienten mit CLI wirksam sind (Evidenzlevel: A). Im ergänzenden Kommentar wird darauf hingewiesen, dass bei der Mehrzahl der 11 randomisierten Studien zu Prostaglandin E1 und Iloprost eine Reduktion des An- algetikaverbrauchs, der Ulkusgröße und/
oder der Amputationsrate festgestellt wer- den konnte.
Das Problem wird aus gefäßmedizi- nischer Sicht sehr treffend von E. Minar [21]auf den Punkt gebracht: „Die erziel- baren Therapieerfolge sind für den Kli- niker vielfach nicht befriedigend, aber für Patienten mit kritischer Ischämie und fehlender Revaskularisationsmöglichkeit sind Prostanoide die einzige Therapieal- ternative bei ansonsten fehlenden doku- mentierten Behandlungsoptionen.“
Das Problem der unterschiedlichen Empfehlungen in den verschiedenen Leit- linien besteht zum einen in der Beurtei- lung von Wirksamkeitsnachweisen von Prostanoiden, die zurzeit nicht einheitlich erfolgt. Zudem liegen methodische Vor- behalte gegen das Studiendesign und die Befundinterpretation der überwiegend äl- teren Studien vor.
Dieser Kritik will eine aktuell laufen- de internationale, multizentrische Studie (ESPECIAL) begegnen, in der Alprosta- dil (PGE1) gegen Placebo bei Patienten mit kritischer Extremitätenischämie un- tersucht wird. Bei diesen in ausgewählten Gefäßzentren behandelten Patienten be- steht keine Möglichkeit zur Gefäßopera- tion oder Intervention. Die Therapiepla- nung erfolgt interdisziplinär zwischen Ge- fäßchirurgen, Angiologen und interven- tionellen Radiologen. Primäre und se- kundäre Zielkriterien sind Wundheilung, Beinerhalt und amputationsfreies Über- leben.
Primäres Behandlungsziel für die Claudi- catio bleibt Gehtraining und die konse- quente Therapie der kardiovaskulären Ri- sikofaktoren. Falls eine invasive Thera- pie nicht geboten erscheint und auf Cilo- stazol kein befriedigendes Behandlungs- ergebnis erzielt werden kann, ist die Ga- be von Prostanoiden – allerdings nur im
„off-label use“ – denkbar.
Gerade in Kombination mit Gehtraining ist bei etwa 60% der Betroffenen eine kli- nisch signifikante Verbesserung der Geh- strecke und damit eine Verbesserung der Lebensqualität zu beobachten.
Primäres Behandlungsziel bei Patienten mit kritischer Extremitätenischämie ist die schnelle Revaskularisation, sei es operativ oder endovaskulär. Wenn ent- sprechende Verfahren nicht durchge- führt werden können, nicht wirksam wa- ren oder vom Patienten abgelehnt wer- den, sind Prostanoide indiziert. Obwohl nur etwa die Hälfte der Patienten auf die intravenöse Gabe anspricht, konnte in ei- nigen Studien und in einer Metaanaly- se eine Ulkusabheilung, eine Reduktion der Ruheschmerzen und eine Reduktion der Amputationsrate gezeigt werden. Al- lerdings sind Prostanoide kein Ersatz für die notwendige Operation oder Inter- vention.
Korrespondenzadresse
Dr. H. Lawall
Abteilung Angiologie/Diabetologie,
SRH-Klinikum Karlsbad-Langensteinbach, Akad.
Lehrkrankenhaus der Universität Heidelberg Guttmannstraße 1, 76307 Karlsbad holger.lawall@kkl.srh.de
Interessenkonflikt. Der korrespondierende Autor weist auf folgende Beziehung hin: H. Lawall hat Vorträ- ge zur pAVK für die Firmen Schwarz Pharma und Bayer Schering Pharma gehalten.
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Neuer Mechanismus zur Aktivierung der Blutgerinnung
Ein internationales Forscherteam vom Institut für Klinische Chemie der Ludwig-Maximili- ans-Universität (LMU) München konnte jetzt ein Protein identifizieren, dass für den Start der Blutgerinnung entscheidend sein könnte.
Das so genannte Protein Disulfide Isomerase (PDI) kontrolliert in der Regel den korrekten intrazellulären Aufbau von Proteinen. Ent- sprechend unerwartet ist, dass PDI eine Rolle bei der Blutgerinnung spielt. Wie Experi- mente zeigten, führt eine Blockade von PDI zu einer verringerten Fibrinbildung.
Es ist schon seit längerem bekannt, dass der Start der Fibrinbildung ganz entscheidend vom Tissue Factor (TF) abhängt. Die Ergeb- nisse des Münchner Teams belegen, dass PDI den TF aktivieren kann, so dass PDI selbst und wohl auch funktional verwandte Enzyme zu den wichtigsten Initiatoren der Fibrinbildung gehören. Die Versuche zeigten zudem, dass PDI und TF für den Vorgang der Aktivierung eine sehr kurzfristige chemische Verbindung eingehen.
Bereits wenige PDI-Moleküle können eine größere Zahl von TF-Molekülen aktivieren - und so für eine Verstärkung des Signals und damit der Blutgerinnung sorgen.
Sollte sich die Rolle von PDI bei der Blutge- rinnung in weiteren Versuchen bestätigen lassen, könnten diese Proteine als sehr wirk- same Zielmoleküle für die Therapie von Herz- Kreislauferkrankungen in Frage kommen, die durch Thrombosen ausgelöst werden.
Originalpublikation:
Reinhardt C, von Brühl M-L, Manukyan D et al. (2008) Protein disulfide isomerase acts as an injury response signal that enhances fibrin generation via tissue factor activation.
The Journal of Clinical Investigation (JCI) 118:
1110-1122.
Quelle: Ludwig-Maximilians- Universität München www.uni-muenchen.de