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Die Dramaturgie demokratischer Imperien

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Politische Kulturforschung 4

Die Dramaturgie demokratischer Imperien

Über das Verhältnis von Imperialität und Demokratie in der Debatte um das American Empire

Bearbeitet von Floris Biskamp

1. Auflage 2010. Buch. 158 S. Hardcover ISBN 978 3 631 59026 3

Format (B x L): 14,8 x 21 cm Gewicht: 380 g

Weitere Fachgebiete > Medien, Kommunikation, Politik > Politische Systeme >

Demokratie

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Vorwort

Die Debatte darüber, ob die Welt es mit einem „American Empire“ zu tun hat und was dies bedeutet, ist aus vielen Gründen einer genaueren Betrachtung wert.

Zu diesen gehört die politische Leidenschaft, mit der sie geführt wird, ebenso wie das theoretische Erklärungspotential, das sie bereithält, sowie die Tatsache, dass sich an ihr die typischen Positionen außenpolitischer Diskussionen in den USA aufzeigen lassen. Eine der in der Debatte aufgeworfenen Kernfragen ist die nach dem Verhältnis von Imperialität und Demokratie. Verbreitet und schützt das Imperium Demokratie oder zerstört es sie? Und kann eine Demokratie überhaupt ein Imperium aufrechterhalten? Eben diesen Fragen widmet sich die- ses Buch.

Sicherlich enttäuscht wird dabei, wer ein Stück jener insbesondere in Deutschland viel zu verbreiteten Literatur erwartet, die in der US-Außenpolitik und ihren universalistischen Idealen nichts als eine gewaltsame und durch einen ideologischen Schleier schlecht getarnte imperialistische Interessenpolitik mit dem Ziel ökonomischer Ausbeutung oder der Weltherrschaft erkennt. Zwar liegt es mir fern zu bestreiten, dass bei den Entscheidungen, ob und wann militärische und sonstige Mittel für Demokratie und Menschenrechte eingesetzt werden, doppelte Standards angelegt werden, dass diese Entscheidungen mit Interessen verbunden sind und dass amerikanische Interventionen teils großes Leid mit sich brachten. Doch hoffe ich, dass die Überlegungen in diesem Buch zeigen, dass einer „Analyse“, die amerikanische Politik hierauf reduziert, vieles – und wahr- scheinlich gerade das Interessanteste – entgeht. Dass solche Thesen gerade in Deutschland, das durch eine amerikanische Intervention nicht nur von einer tota- litären Diktatur befreit, sondern auch von der Fortsetzung eines Völkermordes abgehalten wurde, verbreitet sind, ist in höchstem Maße zynisch.

Ebenso enttäuscht wird jedoch, wer das Gegenteil erhofft, nämlich ein Stück jener in Deutschland weniger, aber in den USA durchaus verbreiteten triumpha- listischen Literatur, die behauptet, Washington habe die Macht, alles zu errei- chen, was es will, habe dabei stets das Gute im Sinn und sei mit seiner Politik immer ein Segen für die Welt. Wiederum möchte ich keinesfalls bestreiten, ja es sind zentrale Thesen dieses Buches, dass Washington eine außerordentliche Vielfalt und Menge an Machtmitteln zur Hand hat, dass seine Außenpolitik auch von demokratischen Idealen getrieben ist und diesen mehrfach zum Durchbruch verholfen hat. Eine Apologetik, die diese Sätze verallgemeinert, ist jedoch eben- falls zynisch, wo sie dazu neigt, alles von amerikanischer Außenpolitik verur- sachte Leid zu verdrängen oder gar zu legitimieren; gefährlich ist sie, wo sie die Grenzen amerikanischer Macht vergisst.

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Bestimmt ist das Buch für diejenigen, welche eine Arbeit suchen, in der die Debatte um das „American Empire“ selbst Gegenstand der Analyse ist, und wel- che dabei etwas über die politische Kultur außenpolitischer Diskussionen in den Vereinigten Staaten sowie über das Verhältnis von Demokratie und interventio- nistischer Außenpolitik erfahren möchten.

Manche mag die Selbstverständlichkeit, mit der dabei vom „amerikanischen Imperium“ gesprochen wird, wundern oder stören. Zunächst ist hierzu anzumer- ken, dass der Imperiumsbegriff – in erster Linie durch die hier behandelte De- batte der letzten Jahre – viel von seinem negativ-wertenden Charakter eingebüßt hat. Er wird nunmehr vielfach nicht als Schimpfwort, sondern als analytische Kategorie genutzt und auch auf politische Ordnungen angewandt, die sich selbst nicht Imperium nennen. Mein methodischer Ansatz ist es, diese Verwendungs- weise des Begriffs ernst zu nehmen, um zu sehen, welche Möglichkeiten der Erkenntnis sie eröffnet.

Andere mögen wiederum davon irritiert sein, dass im Rahmen dessen Imperi- alität, die man gewohnt ist unter dem Begriff des Imperialismus mit Destruktion, Rassismus und Ausbeutung zu identifizieren, als widersprüchliches Phänomen diskutiert wird. Damit sollen die Verbrechen und der Rassismus, die in der Ver- gangenheit mit imperialen Ambitionen verbunden waren, weder verleugnet noch legitimiert werden. Dass hier auch von konstruktiven und emanzipatorischen Potentialen imperialer Herrschaft gesprochen wird, liegt wiederum in meiner Methode und dem in der Debatte verwendeten weiten Imperiumsbegriff begrün- det. Dieser schließt eben nicht nur den europäischen Kolonialismus, sondern auch andere Ordnungen ein, was – wie ich hoffe im Folgenden zu zeigen – wie- derum interessante Erkenntnismöglichkeiten eröffnet.

Mein Dank gilt zuerst denen, ohne deren Vorschläge, Kritik, Unterstützung oder Ermutigung dieses Buch nicht möglich gewesen wäre: Jan Haut, Thorsten Heid, Prof. Barbara Holland-Cunz, Dr. Alexandra Kurth, Sarah Neischwander, Sarah Rögl, PD Samuel Salzborn, Prof. Robert Weiner, Joachim Wurst sowie dem soziologischen Forschungskolloquium von Prof. Helmut Dubiel. Zudem danke ich meinen finanziellen Förderern, die mir durch Stipendien den Aus- landsaufenthalt in Boston ermöglichten, während dem ich viele meiner Thesen entwickelte: der Rosa-Luxemburg-Stiftung, der University of Massachusetts sowie dem Land Hessen.

Gießen im September 2009,

Floris Biskamp

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Einleitung

„Es gibt nur ein perspektivisches Sehen, nur ein perspektivisches ‚Erkennen’;

und je mehr Affekte wir über eine Sache zu Worte kommen lassen, je mehr Au- gen, verschiedne Augen wir uns für dieselbe Sache einzusetzen wissen, um so vollständiger wird unser ‚Begriff’ dieser Sache, unsre ‚Objektivität’ sein. Den Willen aber überhaupt eliminiren, die Affekte samt und sonders aushängen, ge- setzt, dass wir dies vermöchten: wie? hiesse das nicht den Intellekt castrieren?”

Friedrich Nietzsche (1999, 365, Hervorhebungen im Original)

„Wer die Erfahrung des Vorrangs der Struktur über die Sachverhalte sich nicht verbauen lässt, wird nicht, wie meist seine Kontrahenten, Widersprüche vorweg als solche der Methode, als Denkfehler abwerten und sie durch die Einstimmigkeit der wissenschaftlichen Systematik zu beseitigen trachten. Statt dessen wird er sie in die Struktur zurückverfolgen, die antagonistisch war, seit es Gesellschaft im nachdrücklichen Sinne gibt.“

Theodor W. Adorno (1997, 357)

Seit mit dem Zerfall zunächst des sowjetischen Machtblocks und dann der Sow- jetunion selbst auch das alte, bipolar genannte Verhältnis der Kräfte verschwun- den ist, stellt sich die Frage nach Charakter und Begriff der Weltordnung neu.

Zahlreiche Konzepte wurden wieder aufgegriffen oder neu erdacht, um sie zu beschreiben und zu erklären. Dazu zählten die Reformulierung neorealistischer Theorie internationaler Beziehungen durch John J. Mearsheimers The Tragedy of Great Power Politics (Mearsheimer 2001), die Radikalisierung des liberalen oder, wie es im deutschen Kontext heißt, idealistischen Paradigmas durch Fran- cis Fukuyamas The End of History and the Last Man (Fukuyama 1992) oder durch die Theorie des demokratischen Friedens, das Wiederaufgreifen von Kul- turen als politische Akteure in Samuel P. Huntingtons The Clash of Civilizations (Huntington 1996), der Begriff der Weltinnenpolitik (vgl. Bartosch 1995), die damit zusammenhängende von Jürgen Habermas beobachtete Tendenz zu einem

„kosmopolitischen Zustand“ (Habermas 2000, 61) weltbürgerlicher Maßstäbe oder die insbesondere von Autor_innen1 der Linken kritisierten Machtansprü-

1 Die feministische Sprachwissenschaft und die kognitive Psychologie haben recht eindeutig gezeigt, dass das generische Maskulinum die ihm zugeschriebene kommunikative Funktion nicht erfüllt, dass also – vermutlich auch allen gegenteiligen Beteuerungen in Fußnoten zum Trotz –, die männliche Form bei der Bezeichnung einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe meist als Bezeichnung einer männlichen Gruppe verstanden wird (vgl. Irmen/Linner 2005).

Daher habe ich mich für die Verwendung der Gender Gap (z.B. Autor_innen) entschieden.

Sofern ich keine Formulierung übersehen habe, bezeichnen männliche Pluralformen in diesem Buch also tatsächlich rein männliche Gruppen, männliche Singularformen männliche Individuen.

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che, Doppelstandards und Unilateralismen der USA2. Hinzu kamen Beschrei- bungen neuer oder vermeintlich neuer Phänomene, am prominentesten wohl der Globalisierung und der damit verbundenen Schwächung des Nationalstaats, der

„Neuen Kriege“ und der zunehmende Asymmetrie militärischer Konflikte (vgl.

Münkler 2002; Kaldor 2007).

Etwa zehn Jahre nach dem Ende der Blockkonfrontation kam ein neuer An- satz auf. In politikwissenschaftlichen Debatten wird seither durch Vergleiche mit historischen Imperien und durch Verwendung von Imperiumstheorien ver- sucht, die neue Weltlage als Wiederkehr einer sehr alten zu beschreiben3. Be- misst man den Wert einer Theorie daran, ob sich mit ihr zentrale Phänomene konsistent beschreiben und erklären lassen, erweist sich der Imperiumsansatz als sehr wertvoll. Ihm gelingt es, viele Stärken der zuvor genannten Theorien in sich zu vereinigen und entscheidende Aspekte der neuen Erscheinungen zu er- klären. Durch die Beschreibung der Weltordnung als Imperium mit den USA als Zentrum lassen sich sowohl die von Liberalen/Idealist_innen beschriebenen Tendenzen zur Stärkung demokratischer und menschenrechtlicher Normen so- wie zum Frieden zwischen Demokratien als auch das von Realist_innen be- schriebene Fortdauern von Machtpolitik erklären, sowohl die Schwächung des Nationalstaats im Allgemeinen als auch die gestärkte Rolle der USA und ihr Unilateralismus nach 9/11, sowohl die Legitimierung von Interventionen durch weltinnenpolitische Rhetorik als auch die dabei unübersehbaren interessengelei- teten Doppelstandards, sowohl die anhaltenden militärischen Auseinanderset- zungen als auch ihr neuer asymmetrischer Charakter.

Das Erklärungspotential dieser Hinwendung zur Imperiumstheorie beschränkt sich dabei keinesfalls auf die USA und ihre Politik. Zahlreiche der Züge demo- kratischer Imperialität, die in der Debatte und in dieser Arbeit diskutiert werden, betreffen auch Europa und Deutschland, die beide an Institutionen und Kriegen des Imperiums beteiligt sind. Vieles, was im Folgenden über die USA, ihre Au- ßenpolitik und Kriege zu lesen ist, lässt sich mutatis mutandis auf Europa und

2 zum Verhältnis von der Bejahung der Weltinnenpolitik und der Polemik gegen sie vgl.

Münkler (2002, 222f.)

3 Zur Debatte im Allgemeinen: Der in deutscher Sprache herausgegebene Band Empire Amerika von Speck/Sznaider (2003) vereinigt Beiträge von in der Debatte zentralen und namhaften Autor_innen von beiden Seiten des Atlantik; dasselbe auf Englisch und ausschließlich mit Beiträgen angelsächsicher Autoren leistet das von Andrew Bacevich herausgegebene The Imperial Tense (2003a). Als Einführung in die maßgeblichen Positionen zu gebrauchen ist auch der Band American Empire. A Debate von Layne/Thayer (2007), denn obwohl dieser nur die Texte zweier Autoren enthält, werden die zentralen Argumente hier gut strukturiert wiedergegeben. Aufgrund der Einseitigkeit der Autorenwahl als Einführung weniger geeignet ist der Sammelband von Böhnel/Lehmann (2003).

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seine militärischen und zivilen Einsätze auf dem Balkan, in Zentralasien und in Afrika übertragen – dies explizit zu tun, würde aber den Rahmen dieser Arbeit sprengen4.

Bei der Wiederentdeckung des Imperiumsbegriffes vollzog sich ein beachtli- cher Wandel: Wurde dieser bis dato nahezu ausschließlich zur Stigmatisierung des jeweiligen politischen Gegners und meist mit dem Suffix -ismus verwandt, benutzen ihn nun viele Autor_innen neutral oder positiv besetzt.

Die dabei wirkenden politischen Konfliktlinien lassen sich leicht skizzieren, wobei ins Auge fällt, dass diese keinesfalls entlang einer links-rechts- Demarkation verlaufen. Auf der einen Seite argumentieren wertkonservative Paleocons gegen das Empire, weil sie mit ihm eine Tendenz zur stetigen Offen- heit und Beschleunigung einhergehen sehen, die alten amerikanischen Werten entgegenstehe5. Zu Ihnen gesellen sich ebenfalls meist konservative Anhänger der „realistischen“ Schule der Internationalen Beziehungen, denen demokrati- scher Missionierungsdrang und Selbstüberschätzung, die sie in imperialer Poli- tik zu erkennen glauben, schon immer suspekt und das Gegenteil kluger Macht- politik waren6. Gemeinsam mit diesen konservativen Kräften streiten Linke ver- schiedener Richtungen gegen das Imperium, die hinter der Expansion meist grö- ßenwahnsinnige Weltherrschaftspolitik und ökonomische Ausbeutungsinteres- sen vermuten, den demokratischem Idealismus imperialer Akteure lediglich für eine Verschleierung dieser wahren Gründe halten7. Zudem argumentieren viele

4 Eine explizite Diskussion der EU und ihres imperialen Charakters ist zu komplex, um sie hier „nebenher“ zu erledigen, weshalb ich darauf verzichte. Explizite versuche einer imperiumstheoretischen Diskussion Europas finden sich bei Ulrich Beck (2003), Herfried Münkler (2005, 245-254), Alan Posener (2007) und Jan Zielonka (2007).

5 Paleoconservatism bezeichnet in Abgrenzung zum Neoconservatism einen Konservatismus, der sich auf traditionelle (amerikanische) Werte beruft. Idealtypisch auf den Punkt gebracht wird diese Haltung von Patrick Buchanan (2002); auch Andrew Bacevich (2002, 2003b, 2006, 2009) oder Chalmers Johnson (2004, 2005, 2007) tendieren – obwohl insbesondere Letzterer ganz anders als Buchanan eine Nähe zur linken Kritik hat – in ihrer Argumentation in diese Richtung. Ivan Eland (2008, 47-104) führt aus, warum alle Konservativen gegen das Imperium sein sollten, bezieht sich dabei aber vor allem auf „conservatives“ im amerikanischen Sinne, das heißt auf Wirtschaftsliberale, die eine „schlanke“ Regierung befürworten.

6 Diese Autor_innen vermeiden es meist, überhaupt von Imperialität zu sprechen, weshalb sie hier kaum eine Rolle spielen. Doch beziehen sie stets inhaltlich Stellung gegen Versuche aktive Außenpolitik mit demokratischer Mission zu verbinden. Eine Sonderrolle in dieser Kategorie spielt Joseph Nye (2003, 2004) aufgrund der von ihm auf nichtmilitärische Machtpolitik gelegten Emphase. Ein klassisches Beispiel realistischer Argumenation gegen menschenrechtliche Mission findet sich in Hans Morgenthaus Politics Among Nations (1993, 245-249).

7 Solche Positionen finden sich in den Schriften von Michael Mann (2005), Panitch/Gindin (2004), Panitch/Konings (2009), Noam Chomsky (2003, 2005, 2006), David North (2003),

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antiimperiale Kräfte, dass der Versuch imperialer Politik – ganz unabhängig von ihrer Motivation – nur in Unheil für Zentrum und Peripherie enden könne8.

Dem entgegen steht eine kaum minder heterogene proimperiale Koalition.

Deren prominenteste Vertreter_innen sind Neocons, deren Konservatismus au- ßenpolitisch in erster Linie in der Ansicht besteht, dass das amerikanische Ge- sellschaftsmodell das Beste aller möglichen ist und es Amerikas moralische Pflicht ist, dieses zu verbreiten. Dieses Argument tritt meist gepaart mit dem auf, dass eine Vorherrschaft der USA nicht nur das Beste für den Planeten son- dern auch für die Sicherheit und Interessen amerikanischen Bürger_innen sei9. Sekundiert wird diesem Ansatz von Marktliberalen, die zwar für eine Befreiung von Kapital- und Warenströmen sowie eine ökonomische Enthaltsamkeit des Staates eintreten, aber glauben, dass dies am besten durch proaktive Interventio- nen einer imperialen Macht zu befördern ist10. Neben diesen beiden Gruppen setzen sich auch die häufig als „Liberal Hawks“ bezeichneten linken Interventi- onist_innen für das Imperium ein, da sie glauben, dass in vielen Fällen nur eine aktive, auch militärisch gestützte Außenpolitik Washingtons in der Lage ist, Völkermorde zu verhindern, Menschenrechte zu schützen und Demokratien auf- zubauen11.

Dazu erklingen insbesondere in der Wissenschaft zahlreiche Zwischentöne oder solche, deren politische Aufladung geringer ist. Doch insgesamt lassen sich die meisten publizistischen, essayistischen und akademischen Texte in das obige Schema einordnen und sind eindeutig politisch und normativ aufgeladen

Das zentrale Kriterium für die positive oder negative Bewertung der Imperia- lität im Allgemeinen und des mutmaßlichen amerikanischen Imperiums im Be- sonderen ist dabei fast durchweg deren Verhältnis zur Demokratie. Diejenigen Autorinnen, die glauben, dass Demokratie und Imperialität sich gegenseitig för- dern, argumentieren proimperial, diejenigen, die glauben, dass beide sich gegen- seitig behindern oder ausschließen, antiimperial.

Christoph Klutsch (2006), Rainer Rilling (2008). Emmanuel Todd (2003). Wiederum versucht Ivan Erland (2008, 105-158) die linken (auf amerikanisch: „liberal“) Argumente gegen das Imperium zusammenzufassen.

8 beispielsweise Michael Mann (2005), s. Kapitel 2 dieses Buches

9 Prominente Parteigänger dieser Position sind Publizisten wie Max Boot (2002, 2003) und Robert Kagan (2004), aber auch Mitarbeiter der Bush-Administration wie Paul Wolfowitz, David Frum und Richard Pearle (vgl. Pearle/Frum 2003). Zum amerikanischen Neokonservatismus insgesamt vgl. Volkert (2006).

10 Neben dem unten ausführlich diskutierten Niall Ferguson (2003, 2004), zählt auch Deepak Lal (2003) zu diesen Autor_innen.

11 Die prominentesten Publikationen dieses Ansatzes stammen wohl von Michael Ignatieff (2003a, 2003b), aber auch Samantha Power (2003a) oder David Rieff (2003) fallen in diese Kategorie.

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Doch trotz der Zentralität dieser Frage rückt keiner der zahlreichen Texte das Verhältnis von Imperialität und Demokratie ins Zentrum, um es systematisch mit all seinen Widersprüchen und in all seinen Dimensionen zu diskutieren. Die meisten Texte konzentrieren sich – meist gemäß der politischen pro- oder an- tiimperialen, pro- oder antiamerikanischen Ausrichtung – auf einzelne, ihrer Haltung entsprechende Dimensionen. Das Ergebnis sind dann vorhersehbare Polemiken. Die einen gehen davon aus, dass die Demokratie oder – wie es in Anlehnung an das alte Rom oft heißt – die Republik das gerade Gegenteil des Imperiums ist, dass das eine Freiheit und Mitbestimmung im Inneren sowie Be- scheidenheit und Frieden nach außen, dass das andere Autokratie im Inneren, Expansion, Krieg und Ausbeutung nach außen bedeutet. Die anderen glauben in einem oft naiven Nachklang von Rudyard Kiplings White Man’s Burden12, dass einige Imperien, nämlich einst das britische und heute das amerikanische, dazu vorherbestimmt sind, selbstlos und erfolgreich Demokratie und Freiheit zu verbreiten.

Die wichtigsten Ausnahmen bilden hierbei die Versuche von Michael Doyle (1986) und Herfried Münkler (2005), allgemeine Theorien von Imperien zu entwerfen. Beide Bücher bieten außerordentlich vielschichtige Analysen und sprechen die meisten der hier diskutierten Fragen an, doch ist ihnen das Verhält- nis von Demokratie und Imperialität nur eines unter vielen Themen.

Somit besteht in der Literatur eine Lücke, die es zu schließen gilt. Mit den mir zur Verfügung stehenden Mitteln ist dies freilich nicht umfassend zu erreichen13. Möglich ist es jedoch, die von den verschiedenen Autor_innen angeführten Ar- gumente zu sammeln und gegeneinander zu stellen, um so einen Überblick über die bestehenden Positionen zu erlangen. Auf den folgenden Seiten findet sich dementsprechend kein von mir eigens gefertigtes Bild der Theorie Internationa- ler Beziehungen, der Geschichte von Imperien oder der aktuellen Weltordnung, sondern eine Collage, deren Rohmaterial die zahlreichen, vornehmlich in den letzten zehn Jahren veröffentlichten Texte sind, welche die Weltordnung als im- perial verstehen oder Imperien theoretisch thematisieren. Gemäß dieser Meta- pher der Collage und der starken politischen Heterogenität der einbezogenen Autor_innen stehen in dieser Arbeit widersprüchliche und gegensätzliche theo- retische Thesen und Einschätzungen nebeneinander – um als Ganzes dennoch ein Bild zu ergeben.

12 in den Fällen von Ferguson und Boot sogar explizit, siehe Kapitel 2

13 Genau genommen müsste eine solche Untersuchung wenigstens die Geschichte Athens, Roms, des Britisch Empires und der USA – idealerweise auch des in der Debatte meist vernachlässigten französischen Imperialismus – umfassend im Hinblick auf das Verhältnis von Demokratie und Imperialität untersuchen.

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Die erkenntnistheoretische Arbeitshypothese zum angemessenen Umgang mit diesen Widersprüchen und Gegensätzen ist in den zwei dieser Einleitung voran- gestellten Zitaten ausgedrückt. Der Ausspruch Nietzsches ist nicht wegen seines Relativismus gewählt, sondern wegen der in ihm ausgedrückten Haltung, dass die Affekte und Neigungen von Autor_innen keine Hindernisse bei der Wahr- heitsfindung, sondern deren Bedingung sind; dass eine reflektierte Einbeziehung gegensätzlicher politischer Leidenschaften der beste Weg ist, diesen Gegenstand zu erfassen. Das14 Zitat Adornos soll für die Hypothese stehen, dass einander widersprechende Aussagen nicht Fehler der Autor_innen sein müssen, sondern pointierte Ausdrücke von Widersprüchen der Realität sein können.

Ich untersuche demnach nicht selbst die politischen, ökonomischen, militäri- schen, ideologischen oder historischen Realitäten; ebenso wenig folge ich einer diskursanalytischen Verfahrensweise. Stattdessen beschränke ich mich darauf, die verschiedenen in der Debatte vorgebrachten Thesen zum Verhältnis von Demokratie und Imperialität zu systematisieren und gegenüberzustellen, um an- schließend zu versuchen, sie zu synthetisieren.

Das Raster der Analyse ist die Annahme, dass logisch vier Beschreibungen dieses Verhältnisses möglich sind: erstens könnte Demokratie Imperialität för- dern, zweitens könnte Imperialität Demokratie fördern, drittens könnte Demo- kratie Imperialität behindern und viertens könnte Imperialität Demokratie be- hindern15. Für jede dieser vier Beziehungen fanden sich in der Literatur Reprä- sentant_innen; dementsprechend werde ich in den ersten vier Kapiteln jeweils eine dieser Thesen ausführlich diskutieren.

Beim Schreiben stellte es sich heraus, dass die Grenzen zwischen den Thesen und damit zwischen den Kapiteln unscharf sind, ihre Ziehung demnach in ge- wissem Maße willkürlich ist. Die Behauptung, Demokratie sei der Imperialität förderlich, steht der Behauptung, Imperialität fördere Demokratie, ebenso nahe wie die entgegen gesetzten Thesen einander. Um die Kapitel kohärenter und ihre Grenzen klarer zu halten, habe ich mich dafür entschieden, ihnen jeweils ein konkreteres Thema zuzuordnen. Dies sind folgende:

Im ersten Kapitel behandele ich die Förderung der Imperialität durch Demo- kratie hauptsächlich anhand der These, dass Demokratie in einer Gesellschaft eine gute Basis für den Aufbau eines Imperiums ist, dass demokratische Gesell- schaften unter gewissen äußeren Umständen gute Chancen haben, eine imperiale Metropole zu werden. Im zweiten Kapitel wende ich den Blick vom imperialen Zentrum auf die Peripherie und diskutiere die These, dass bestimmte Imperien

14 freilich in einem völlig anderen Kontext ausgesprochene

15 Fünftens könnte auch gar keine Beziehung bestehen, doch wird diese These in keinem mir bekannten Text vertreten.

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an ihrer Peripherie Demokratie verbreiten, durchsetzen oder beschützen. Hierbei kommen auch die Stimmen zu Wort, die behaupten, das amerikanische Imperi- um könne, wolle oder tue eben dies nicht. Im dritten Kapitel diskutiere ich zahl- reiche von verschiedenen Autor_innen angeführte Mechanismen, durch die ein- zelne Züge der Demokratie im Zentrum effektive imperiale Politik be- oder ver- hindern. Im vierten Kapitel schließlich vergleiche ich verschiedene Versionen der These, dass das Imperium langfristig gegen das Zentrum zurückschlägt, die- ses kolonisiert und dabei die Demokratie gefährdet, einschränkt oder zerstört.

Besondere Aufmerksamkeit wird in jedem dieser vier Kapitel der Frage ge- widmet, inwieweit die jeweiligen Thesen auf die USA und insbesondere auf die aktuelle US-Politik zutreffen. Dies ist unabdingbar, da gerade diese Politik so- wohl Auslöser als auch Hauptbezugspunkt der Debatte ist, sie dem Thema erst die besondere politikwissenschaftliche Aktualität verleiht.

Für jede dieser vier Thesen finden sich stichhaltige Argumente. Da es sich um einander direkt entgegengesetzte Formulierungen handelt, erscheint dies zu- nächst als Widerspruch. Um diesen aufzulösen werde ich im abschließenden fünften Kapitel skizzieren, wie sich mit Herfried Münklers imperiumstheoreti- schen Zyklenmodell, alle vier Thesen vereinigen lassen, sich das Spannungsver- hältnis von Demokratie und Imperialität als Dramaturgie demokratischer Impe- rien beschreiben lässt und inwiefern sich dieses Modell an der Geschichte de- mokratischer Imperien bewährt. An dieser Stelle werde ich auch ein aktuelles Problem der Imperiumstheorie ansprechen: Die militärischen Probleme im Irak und Afghanistan, die Wirtschaftskrise und die Wahl Barack Obamas scheinen die 2003 noch deutliche Plausibilität des Imperiumsmodells zu bestreiten. Mit Hilfe des Zyklenmodells, für das die Möglichkeit von Auf-, Ab- und Wiederauf- stieg zentral ist, lassen sich diese Ereignisse als Krise des Imperiums und den Versuch ihrer Bewältigung beschreiben. So könnte sich das Imperiumsmodell gerade da als stark erweisen, wo das Imperium Schwächen zeigt.

Bei der Auswahl der Literatur versuche ich, alle in der Debatte relevanten Po- sitionen einzubeziehen, in der Regel sind diese hier durch ein oder zwei beson- ders pointiert schreibende Exponent_innen repräsentiert. Zweifelsohne ist die Auswahl kontingent: Man hätte einen anderen Neoliberalen als Niall Ferguson, einen anderen Neocon als Max Boot, einen anderen Liberal Hawk als Michael Ignatieff16, eine andere interventionistisch gesonnene Menschenrechtlerin als Samantha Power, einen anderen „realistischen“ Mahner als Andrew Bacevich, einen anderen linken Kritiker als Michael Mann und einen anderen antiimperia-

16 Reizvoll wäre es etwa Jürgen Habermas’ in Bestialität und Humanität (2000) vorgelegte

„weltbürgerliche“ Rechtfertigung des Kosovokrieges in diesem Zusammenhang zu lesen.

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len Kassandrarufer als Chalmers Johnson finden können. Doch hoffe ich, mit meiner Auswahl eine gute Repräsentation der Debatte zu leisten. Diejenigen zentralen Argumente, die von den von mir gewählten Autor_innen nicht genannt werden, ergänze ich aus anderen Texten, die ansonsten meist in die Fußnoten verbannt sind.

Ein Vorteil dieser Collage-Methode besteht darin, dass durch die Einbezie- hung und Darstellung der typischen Positionen auch die politische Kultur au- ßenpolitischer Diskussionen in den USA sichtbar wird17. Ein Problem besteht dagegen in der Repräsentation historischer Fakten. Die meisten Texte nutzen zur Analogisierung oder Theoriebildung Schilderungen vergangener Imperien, die entsprechend der jeweiligen politischen Haltung deutlich voneinander abwei- chen, in Widerspruch zueinander stehen und zweifelsohne etliche Projektionen des Gegenwärtigen in die Vergangenheit enthalten18. Die meisten der hier zitier- ten Autor_innen sind ebenso wenig wie ich Fachhistoriker_innen19, geschweige denn Spezialist_innen für die jeweiligen Epochen20. Eine umfassende Prüfung und Bewertung der geschichtlichen Darstellungen kann ich hier leider nicht leis- ten, also gebe ich diese im Wesentlichen wieder und melde nur da explizit Zwei- fel an, wo es besonders dringend erscheint. Insofern ist das, was hier über A- then21, Rom oder das British Empire zitiert wird, mit Vorsicht aufzunehmen – manche Darstellung in der hier genutzten Literatur sollte wohl eher als Erzäh- lung über diese Imperien zur Illustration von Thesen über die heutige Situation

17 Die Kehrseite dieses Vorteils ist die Tatsache, dass hier fast ausschließlich Autor_innen aus der imperialen Metropole, also aus den USA oder aus Europa, zitiert werden. Die hier diskutierte Debatte ist wesentlich eine amerikanische über Amerika. Zwar nehmen sowohl pro- als auch antiimperiale Autor_innen für sich in Anspruch, im Namen oder im Interesse der Menschen in der Peripherie zu sprechen, doch lassen sie diese selbst nie zu Wort kommen – ein Ausschluss, der sich auf diese Arbeit überträgt. Dennoch bietet die amerikanische Debatte durch ihre große Vielfalt an Positionen genug Stoff für eine vielseitige Darstellung.

18 Der krasseste Fall in dieser Hinsicht ist wohl Ralph Bollmans Lob des Imperiums (2006).

Hier wird die Analogisierung von Imperium Romanum und Gegenwart in verschiedenen Lebensbereichen so weit getrieben, dass man glaubt, beim Imperium Romanum handele es sich nicht um eine Entität historischer Realität, sondern um eine Allegorie.

19 oder – was in Sachen Verlässlichkeit nicht besser ist – im Fach äußerst umstrittene Historiker wie Niall Ferguson und Max Boot (vgl. Connely 2006)

20 Zwei in den letzten Jahren erschienene Bände bilden in dieser Hinsicht Ausnahmen.

Einerseits das von Susan Alcock herausgebene Empires. Pespectives from Archaeology and History (2001), andererseits das von Calhoun/Cooper/Moore herausgegebene Lessons of Empire. Imperial Histories and American Power (2006). Doch leider sind beide Bände im Hinblick auf die hier diskutierten Fragen wenig interessant, was daran liegt, dass ersterer alle möglichen, mit Demokratie in keinerlei Verbindung stehenden Imperien behandelt, während letzterer sich all zu sehr auf den europäischen Imperialismus und Kolonialismus konzentriert.

21 So basiert etwa beinahe die gesamte Darstellung Doyles darauf, dass er die Darstellung von Thukydides ernst nimmt und als direkte Abbildung der Realität begreift.

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denn als Ergebnis ernsthafter historische Forschung verstanden werden. Den- noch hoffe ich, dass dieses Buch zur Erkenntnis – wenn auch weniger zur histo- rischen, so doch zur politisch-theoretischen – beiträgt.

Eine zentrale methodische Entscheidung betrifft die Definitionen der Begrif- fe, deren Verhältnis hier behandelt wird: Demokratie und Imperialität. Diese sind innerhalb der verwendeten Literatur nicht einheitlich, teilweise sogar ge- gensätzlich. Der einfachste Weg bestünde darin, der Arbeit ein Kapitel voranzu- stellen, in dem die Begriffe global definiert werden, und im Folgenden die Ar- gumente der Autor_innen diesen Definitionen anzupassen. Da ich jedoch die These vertrete, dass ein enger Zusammenhang zwischen den Definitionen und den Argumenten besteht und es mit allgemeinen Definitionen schwierig wäre, die Thesen der Autor_innen darzustellen, habe ich mich gegen diesen Weg ent- schieden. Stattdessen werde ich bei der Diskussion der einzelnen Autor_innen stets deren Definitionen mitbetrachten und den Zusammenhang von Definition und Standpunkt untersuchen, um darzustellen, mit welchen Definitionen ver- schiedene Autor_innen welche Dimensionen beleuchten und verdunkeln. Erst im abschließenden synthetisierenden Kapitel wird es vonnöten sein, sich für je eine Definition von Imperium und Demokratie zu entscheiden. Diese Entschei- dung treffe ich anhand dessen, was sich in den ersten vier Kapiteln als für die Darstellung des Verhältnisses von Imperialität und Demokratie nützlich erweist.

Statt allgemeiner Definitionen der Begriffe folgt zunächst also eine kurze Dar- stellung der Bandbreite an Definitionen, die im Laufe der Arbeit auftauchen.

Die Bestimmung des Imperiumsbegriffes hat mehrere Dimensionen, in denen Entscheidungen zu treffen sind. Die für die Debatte der letzten Jahre wohl wich- tigste, weil über die Frage, ob die USA als Imperium zu bezeichnen sind, ent- scheidende, ist die von Direktheit und Formalität als Kriterium imperialer Kon- trolle. Nach Michael Doyle ist politische Kontrolle formal, wenn das Territori- um der Peripherie durch die Metropole offiziell annektiert wird, informal ist sie im entgegengesetzten Falle einer Fremdherrschaft, die auf offizielle Inbesitz- nahme verzichtet. Eng verwandt mit der Unterscheidung zwischen formaler und informaler Kontrolle ist die zwischen direkter und indirekter. Diese bezeichnet die Differenz zwischen Kontrolle, die durch metropolische Statthalter ausgeübt wird, und solcher, die auf aus der Peripherie stammende, aber der Metropole loyale Schichten zurückgreift. Doyle und andere vertreten die Position, dass auch informale und indirekte Kontrolle als imperial bezeichnet werden kann.

Andere – beispielsweise Joseph Nye – beschränken den Imperiumsbegriff auf formale und direkte Kontrolle (vgl. Doyle 1986, 130-136; Nye 2003, 157).

Neben dieser Frage nach der Qualität der imperialen Herrschaft stellt sich die nach der räumlichen Ausdehnung. Einige Autor_innen, beispielsweise Michael

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Doyle, machen hier keine explizite Einschränkung; auch eine kleine politische Entität, die eine noch kleinere kontrolliert, könnte demnach als Imperium be- zeichnet werden. Andere, am stärksten Herfried Münkler, sehen Größe als zent- rales Kriterium. In seiner strengsten Formulierung fordert Münkler gar weltwei- te Ausdehnung. Diese schränkt er allerdings durch eine Definition von Welt als

„eine relative und variable Größe” (Münkler 2005a, 26) ein. Das Imperium müs- se das beherrschen, was es selbst als Welt versteht. Diese Einschränkung kann quantitativ sein und die Welt auf die Territorien beschränken, die dem Imperium bekannt sind und relevant erscheinen. Weder das römische noch das chinesische Imperium musste Feuerland beherrschen, das eine konnte die Welt im Osten Eurasiens, das andere zeitgleich im Westen beherrschen. Andererseits kann Welt auch eine qualitative Einschränkung sein. So sei dem British Empire die Beherr- schung der Welt gleich der der Seewege gewesen, während dem russischen Za- renreich an der Beherrschung von Raum in Eurasien gelegen gewesen sei. So konnten beide zeitgleich und im Wissen der Existenz des je anderen die Welt beherrschen – bis die Welten an Bosporus und Dardanellen aufeinander prallten, was zum Krimkrieg führte. Allerdings kennt Münkler auch eine schwächere Formulierung als die Beherrschung der Welt22: Ein Imperium müsse über ein

„beachtliches Herrschaftsgebiet“ (ebd., 23) verfügen.

Drittens kann noch die zeitliche Dimension als Kriterium eingebracht werden.

Dies kann auf zweierlei Weise geschehen. Einerseits kann gefragt werden, wie lange ein Reich bestehen muss, um als Imperium gelten zu können. Herfried Münkler ist unter den hier thematisierten Autor_innen der einzige, der explizit ein solches Kriterium einführt. Er verlangt, dass ein Reich „mindestens einen Zyklus des Aufstiegs und Niedergangs durchschritten und einen neuen angefan- gen haben muss. Das Kriterium des längeren Bestehens eines Imperiums wird damit an der institutionellen Reform- und Regenerationsfähigkeit festgemacht“

(ebd., 22). Ein Reich, das unmittelbar nach oder während eines Versuches impe- rialer Expansion kollabiert – wie etwa das napoleonische Frankreich, das kaiser- liche Japan oder das nationalsozialistische Deutschland – sei demnach nicht im- perial zu nennen (vgl. ebd.).

Andererseits kann in der zeitlichen Dimension auch die Frage gestellt werden, wie lange ein Imperium noch als solches bezeichnet werden muss, wenn seine Integration hoch genug und die Expansion gestoppt ist. Charles Maier führt aus,

22 Bei der Anwendung dieses Kriteriums ist Münkler ohnehin nicht sehr streng. So bezeichnet er den Attischen Seebund als athenisches Imperium, obwohl diesem nicht nur das persische Reich, sondern auch innerhalb der griechischen „Welt” noch der ebenbürtige Peloponnesische Bund gegenüberstand. Zwar wäre es möglich, „Welt” hier nur auf das von Athen beherrschte Meer zu beziehen, doch müsste dies gerechtfertigt werden.

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dass eine politische Formation, die aus imperialer Expansion hervorging, sich in einen normalen Staat, eine Nation, ja sogar selbst wieder in die Metropole einer neuen Expansion verwandeln kann. Die imperiale Vergangenheit sei dem Staat dann nicht mehr oder kaum noch anzusehen. Als Beispiele nennt er Großbritan- nien, Frankreich, Spanien, Italien und die USA, die allesamt Produkt einer impe- rialen Expansion durch einen Teil der späteren Nation seien (vgl. Maier 2005, 28ff.).

Die Literatur der letzten Jahre birgt zahlreiche weitere Felder, auf denen The- orieentscheidungen zu treffen sind. Zu nennen wären etwa die Theoretisierun- gen imperialer Grenzen, die Abgrenzungen von Imperialität und Hegemonie, die Frage, ob ein Imperium als ein Verhältnis zwischen zwei Gesellschaften zu be- trachten ist, wie Michael Doyle es tut, oder als eine politische Ordnung, deren Herrschaftsraum in vielen Stufen absteigender Integration zwischen Zentrum und Außen geordnet ist, wie es nach Herfried Münklers Theorie der Fall ist. Ei- ne eigene Diskussion würde auch der Imperiumsbegriff von Michael Hardt und Antonio Negri (2001) erfordern23. Für die Zwecke dieser Arbeit sollte es jedoch hinreichen, sich auf die drei oben beschriebenen Dimensionen zu beschränken.

Entscheidend ist in erster Linie die Frage der Formalität und Direktheit der im- perialen Kontrolle, danach die der räumlichen Ausdehnung und schließlich die der zeitlichen Dauer. Diese bestimmen, auf welche politischen Entitäten der Begriff Imperium anzuwenden ist. Um nur einige fragliche Fälle zu nennen: der heutige amerikanische Einfluss in Europa, im Irak, in Lateinamerika, in Okina- wa, in Guam, in Puerto Rico, in Hawaii oder in Texas; der syrische im Libanon bis zur oder nach der Zedernrevolution; der englische in Schottland oder Falk- land; der russische in Südossetien, Georgien, Weißrussland, Tschetschenien o- der Ostsibirien.

Zu bestimmen ist an dieser Stelle noch die Benutzung der Begriffe Imperium, Imperialismus und Imperialität. Imperium bezeichnet, darüber sind sich in dieser

23 Deren in Empire entfaltete Theorie trifft zahlreiche Aussagen zum Verhältnis von Demokratie und Imperialität. Doch ist ihr Begriff „Empire“ den anderen hier diskutierten Imperiumsbegriffen in so vieler Hinsicht fern, dass eine umfassende Einbeziehung den Rahmen dieser Arbeit gesprengt hätte. So fassen sie nicht die USA, sondern die Weltordnung selbst als Empire auf; die USA betrachten sie nicht einmal als das Zentrum desselben, sondern lediglich als Inhaber einer privilegierten Position (vgl. Hardt/Negri 2001., xiii-xiv).

Darüber hinaus ist ihr Buch extrem reich an theoretischen Referenzen von Spinoza über den Marxismus bis zum Poststrukturalismus und diskutiert unter dem Begriff Empire weit mehr gesellschaftliche Entwicklungen als „nur“ die von den anderen hier diskutierten Autor_innen ins Zentrum gestellte und als imperial bezeichnete Verschiebung der internationalen politischen Ordnung. Die Kommensurabilität zu den anderen Autor_innen wird zudem dadurch erschwert, dass Empire wesentlich aus einer revolutionären Perspektive geschrieben ist. Aus all diesen Gründen taucht hier nur ihre Diskussion der US-Verfassung auf.

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Abstraktheit alle Autor_innen einig, jeweils eine bestimmte politische Ordnung.

Beim Begriff Imperialismus gehen die Ansichten dagegen auseinander. Beg- riffsgeschichtlich ist er stark mit den Imperialismustheorien Hobsons, Luxem- burgs und Lenins und der darin enthaltenen Kritik an der Expansion der europä- ischen Mächte im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert verbunden, was zu ei- ner weit verbreiteten negativen Konnotation führt. Einige Autor_innen, etwa Michael Hardt und Antonio Negri, beschränken den Begriff Imperialismus auf diese Epoche und trennen ihn vom Begriff des Imperiums (Hardt/Negri 2001, xxii f., 166f). Andere Autor_innen, beispielsweise Chalmers Johnson, halten eine solche begriffliche Trennung für unnötig und benutzen die Termini syn- onym. Michael Doyle dagegen – und dies scheint der analytisch schärfste An- satz zu sein – definiert Imperialismus nicht historisch, sondern funktional als

„the process or policy of establishing or maintaining an empire” (Doyle 1986, 45) während er unter Imperium die politische Ordnung selbst versteht. Herfried Münkler spitzt diese Unterscheidung dahingehend zu, dass er ausführt, imperia- le Politik unterscheide sich von imperialistischer Politik “dadurch, dass sie sich vorwiegend für das Zentrum interessiert und den Gebieten außerhalb des Impe- riums nur so viel Aufmerksamkeit schenkt, wie unbedingt erforderlich. Imperia- listische Politik dagegen ist regelrecht peripheriebesessen und davon überzeugt, die größten Herausforderungen lägen an den Rändern des Imperiums und nicht im Zentrum selbst” (Münkler 2005a, 232).

Der Begriff Imperialität kommt in der Literatur kaum vor. Die Substantivie- rung von imperial wird in dieser Arbeit genutzt, um ein Hauptwort zu gewinnen, das anders als Imperium keine konkrete politische Entität, sondern abstrakter eine Eigenschaft oder einen Zustand beschreibt. Es macht sprachlogisch mehr Sinn, Demokratie mit einem solchen Begriff ins Verhältnis zu setzen, als mit Imperium.

Die Diskussion des Begriffes Demokratie gestaltet sich schwieriger, da die wenigsten der behandelten Texte Demokratie ausdrücklich zum Thema haben.

Dementsprechend wird Demokratie in kaum einem Text explizit definiert. Da- her muss meist aus dem Umgang der Autor_innen mit dem Wort auf den jeweils verwendeten Demokratiebegriff geschlossen werden.

Hinzu kommt, dass viele der hier zitierten Texte auch das Wort Demokratie gar nicht benutzen. So schreibt etwa Samantha Powers von Menschenrechten, Niall Ferguson von Liberalität und Marktwirtschaft und Chalmers Johnson von Gewaltenteilung. Dies sind nach einigen Definitionen Elemente von Demokra- tie, nach anderen nicht. So bietet es sich an, die jeweils genutzten Einzelelemen- te zu größeren Konzepten zusammenzufassen, derer ich in der Literatur drei er- kenne.

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Das erste ist an der antiken attischen Demokratie geprägt und wird von Mi- chael Doyle in seinem theoriebildenden Buch benutzt. Das Hauptcharakteristi- kum dieses Konzepts bei Doyle ist ein auf männliche Vollbürger beschränkter aber politisch aktiver Demos, der direkten Einfluss auf den politischen Prozess nimmt sowie im Vergleich zu anderen Gesellschaften der Zeit24 relativ große Gewerbefreiheit genießt. Die einzelnen Bürger sieht er durch diese Gesell- schaftsform sowohl zur starken Identifikation mit dem Staat als auch zu hoher individueller Aktivität angestiftet25.

Das zweite Konzept ist das der liberalen Demokratie. Dieses ist das heute wohl gängigste Verständnis von Demokratie und an der Form von Vergesell- schaftung geprägt, die zuerst in einigen westlichen Gesellschaften der Moderne auftrat. Er beinhaltet ein allgemeines Recht auf Teilname an die Regierung be- stimmenden Wahlen, Rechtsstaatlichkeit, Grund- und Menschenrechte, Gewal- tenteilung sowie ein hohes Maß an Gewerbefreiheit, beziehungsweise Markt- wirtschaft. Einen solchen Begriff von Demokratie benutzen vor allem die Be- fürworter einer „imperialen“ amerikanischen Außenpolitik, deren Position in Kapitel 2 wiedergegeben wird26.

Der dritte Begriff von Demokratie besteht vor allem in einer Kritik des zwei- ten. Einerseits wird vor allem von linken und konservativen Autoren der demo- kratische Charakter der Marktwirtschaft, insbesondere in ihrer als neoliberal bezeichneten Ausformung bezweifelt27. Andererseits wird manchen Au- tor_innen der zu formale Charakter der zweiten Definition zum Problem. So argumentieren kapitalismus- und imperialismuskritische Autor_innen, dass der formale Bestand von liberaldemokratischen Institutionen bedeutungslos sei, wenn diese durch eine zu starke Exekutive, weitreichende Geheimhaltung von Seiten der Regierung und eine vor Kritik zurückschreckende Presse unterhöhlt wird. Ein formaler liberaldemokratischer Demokratiebegriff wird hier vom Standpunkt einer substantielleren Vorstellung von Demokratie als Mitbestim- mung und Kontrolle durch das Volk kritisiert28.

24 Die Vergleichsgröße für Athen ist bei Doyle stets Sparta.

25 s. Kapitel 1 dieses Buches, vgl. Doyle 1986, 54-81

26 Eine Definition von liberaler Demokratie findet sich innerhalb der hier verwendeten Literatur etwa bei Tony Smith (1994, 13-19).

27 Explizit wird diese Kritik in der Debatte etwa von William Tabb (2003) formuliert.

28 Die Antwort der Verfechter_innen einer formalen, liberaldemokratischen Definition auf solche Kritik, ist dann etwa der Verweis darauf, dass die liberale Demokratie mit kapitalisti- scher Wirtschaft zwar Beschränkungen in Sachen Partizipation und Gleichheit mit sich brin- ge, es bis dato nichts Demokratischeres als diese gegeben habe und dass alle Versuche, eine andere, substanziellere Demokratie herbeizuführen, in Schlimmerem endeten. So argumen- tiert etwa Francis Fukuyama (1992, 287-299).

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Zuletzt möchte ich noch anmerken, dass ich Demokratie hier ausschließlich im Sinne einer Ordnung in den Gesellschaften oder Staaten, nicht im Sinne einer Demokratie zwischen Staaten diskutiere. Letzteres würde einerseits das zu bear- beitende Feld zu stark vergrößern; andererseits ist es in diesem Zusammenhang die weniger interessante Frage, da Imperialität nach fast jeder Definition29 gera- de eine hierarchische Machtausübung zwischen Gesellschaften bezeichnet und somit per definitionem undemokratisch wäre.

Bevor ich das Verhältnis von Demokratie und Imperialität selbst diskutiere, sei noch darauf verwiesen, dass die Definitionsentscheidungen ebenso wie die gesamte Debatte in hohem Maße politisch aufgeladen sind. In fast jedem der hier benutzten Werke ist die politische Absicht der Autorin oder des Autors deutlich spürbar. Das Ausmaß freilich variiert und nicht immer wird die politi- sche Intention so offen zur Schau gestellt wie im Falle Michael Manns, der sein Buch Incoherent Empire mit einem Aufruf zur Abwahl des damaligen US- Präsidenten enden lässt (vgl. Mann 2005, 267).

Dass auch die Definitionsentscheidungen von der politischen Intention ab- hängen, lässt sich gut am Beispiel Joseph S. Nyes zeigen. Gleich zu Beginn sei- nes Aufsatzes Amerikas Macht (2003) stellt er die Frage, “ob es uns weiterführt, von einem amerikanischen Empire zu sprechen” (ebd., 156). Seine Antwort lau- tet nein, der Grund ist politisch:

“Die Herausforderung für Amerika liegt nicht in der Frage, wie es ein Empire aufbaut […]. Sie liegt in der Frage, wie es die Politik einer Vorrangstellung ges- taltet, die wahrscheinlich noch für einige Zeit bestehen wird […]. Doch um seine neue Strategie erfolgreich umzusetzen, wird er [der damalige Präsident Bush, F.B.] mehr Aufmerksamkeit auf weiche Macht und multilaterale Kooperation verwenden müssen. Von dieser Aufgabe lenkt die Metapher des Empire bloß ab“

(ebd. 172).

Bei einer solchen Bestimmung der Aufgaben und der Äußerung, dass der Beg- riff des Imperiums politisch deren Erfüllung abträglich sei, überrascht es wenig, dass Nye die denkbar engste Definition von Imperialität wählt – ohne irgend- welche theoretischen Vorteile anzuführen: “Eine imperiale Macht kontrolliert das Territorium einer Kolonie formal, seine inneren wie seine äußeren Angele- genheiten” (ebd., 157). Die implizite Argumentation ist also: Von einem Impe- rium zu sprechen, wäre bei der Ausübung der Macht schädlich, daher ist eine Imperiumsdefinition zu wählen, der die USA nicht entsprechen können.

29 Der Begriff Empire von Hardt/Negri könnte hier wiederum eine Ausnahme sein.

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Es ließen sich weitere ähnliche Beispiele aufführen, doch geht es an dieser Stelle nicht darum, die Positionen der einzelnen Autor_innen zu dekonstruieren, sondern lediglich darum, den Entscheidungscharakter der Definitionen aufzu- zeigen und die normativ-politische Dimension der Begriffe und ihrer Definitio- nen zu beleuchten. Sowohl Demokratie als auch Imperium und Imperialismus sind normativ und politisch stark aufgeladene Begriffe, ersterer fast durchweg positiv konnotiert, letzterer bis vor wenigen Jahren meist negativ mit einer rela- tiv neuen Tendenz zur Mehrdeutigkeit. Dies nicht zu berücksichtigen, hieße ein zentrales Element der Debatte zu vernachlässigen.

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