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Archiv "Molekularbiologie und Pathogenese des Hepatitis-G-Virus" (04.08.1997)

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D

ie Entdeckung des HGV geht auf Untersuchungen zurück, die Friedrich Deinhardt, in den sechziger Jahren in Chica- go begonnen hat (Grafik 1). Auf der Suche nach einem Tiermodell für die damals bekannten Virushepatitiden A und B inokulierte er südamerikanische Krallenaffen (Tamarine) mit Akutse- rum eines an Virushepatitis erkrank- ten Chirurgen mit den Initialen „G.

B.“, worauf die Tiere eine laborche- misch und histologisch dokumentierte Hepatitis entwickelten. Durch Über- tragung von Serum ließ sich der Erre- ger in Krallenaffen weiter passagieren, wobei sowohl akute als auch chroni- sche Verläufe der GB-Hepatitis zu be- obachten waren (8). Da jedoch nicht geklärt werden konnte, ob der passa- gierte Erreger tatsächlich von dem Pa- tienten „G. B.“ stammte oder ob es sich möglicherweise um ein endogenes Virus der Affen handelte (23), geriet das GB-Agens für Jahrzehnte in Ver- gessenheit. Erst 1995 gelang es Wis- senschaftlern der Firma Abbott Dia- gnostics, Chicago, mit molekularbio- logischen Methoden aus einer mehr als zwei Jahrzehnte tiefgefrorenen Se- rumprobe der Deinhardtschen Affen zwei neuartige Viren zu identifizie- ren, die als GBV-A und GBV-B be- zeichnet wurden (29). Erstaunlicher- weise konnten GBV-A und GBV-B jedoch trotz Untersuchung tausender Serumproben mittels Polymerase- Kettenreaktion (PCR) beim Men- schen nicht nachgewiesen werden.

Erst die Verwendung „degenerierter“

PCR-Primer, die anhand der Genom- sequenzen von GBV-A und -B mit kleinen Abweichungen konstruiert wurden, so daß sie auch ähnliche Vi- ren erkennen, führte zur Identifizie- rung eines mit den beiden Affenviren eng verwandten humanen Virus, das von seinen Erstbeschreibern (Ab- bott) als „GBV-C“ bezeichnet wurde (Grafik 1). Kurz darauf wurde die un- abhängige Entdeckung eines huma-

nen Virus gemeldet (Boehringer Mannheim/Genelabs Technologies), das bei zwei Patienten mit ätiologisch ungeklärter Hepatitis mittels PCR nachgewiesen und deshalb Hepatitis- G-Virus (HGV) genannt worden war (17). Da die Genome von GBV-C und HGV zu mehr als 95 Prozent identisch sind, besteht heute kein Zweifel mehr, daß es sich um Isolate desselben Virus handelt (im folgenden wird für HGV/GBV-C die inzwischen ge- bräuchlichere Bezeichnung HGV verwendet).

Genetische

Verwandtschaft zu HCV

Die Genomstrukturen von GBV- A, GBV-B und HGV konnten bereits nahezu vollständig aufgeklärt werden (16, 17, 21). Es handelt sich um etwa 9,4 Kilobasen lange, einzelsträngige RNA-Moleküle in Plusstrang-Orien- tierung, die nur einen offenen Lese- rahmen enthalten, der 5’- und 3’-ter-

minal von nichttranslatier- ten Regionen begrenzt wird (5’-NTR, 3’-NTR).

Aufgrund älterer Untersu- chungen mit dem „GB- Agens“ kann davon ausge- gangen werden, daß die Vi- ruspartikel eine Hülle be- sitzen. Interessanterweise ist HGV mit 29 bezie- hungsweise 28 Prozent Ho- mologie phylogenetisch vom humanen Hepatitis- C-Virus etwa genauso weit entfernt wie von dem af- fenpathogenen Hepatitis- virus GBV-B; am engsten verwandt unter den GB-Viren sind HGV und GBV-A. Aufgrund von Se- quenzvergleichen verschiedener Iso- late muß davon ausgegangen werden, daß es bei HGV wie bei HCV ver- schiedene Subtypen gibt; eine syste- matische Einordnung steht jedoch noch aus (14, 20).

Wegen dieser Charakteristika und aufgrund phylogenetischer Ana- lysen wurden die neuentdeckten Viren vorläufig als eigene Gruppe (GB-Viren) in die Familie der Flavi- viren (Flaviviridae) eingeordnet (Grafik 2). Unter den bekannten Fla- viviridae (unter anderem Hepatitis- C-Virus, Gelbfiebervirus, Denguevi- rus, Frühsommer-Meningoenzephali- tis (FSME)-Virus) sind die GB-Viren am engsten mit dem Hepatitis-C- Virus verwandt.

Auch die aus der Genomstruktur abgeleiteten Virusproteine zeigen große Ähnlichkeiten zum Hepatitis-C- Virus (Grafik 3). Ein einziger Leserah- men kodiert für ein Polyprotein von etwa 2 900 Aminosäuren Länge, das aufgrund der gefundenen Protease- Schnittstellen mit hoher Wahrschein- lichkeit ähnlich wie das Polyprotein von HCV prozessiert wird. Die Nicht- strukturproteine NS2, NS3, NS4, NS5A und NS5B zeigen auf Ami- nosäureebene bis zu 60 Prozent Ho-

Molekularbiologie

und Pathogenese des Hepatitis-G-Virus

Alexander S. Kekulé

1

Gerd G. Frösner

2

Bei etwa zehn Prozent der klinisch und histolo- gisch als Virushepatitiden imponierenden Erkran- kungen läßt sich keiner der bekannten Erreger nachweisen. Als ein möglicher Auslöser dieser ätiologisch ungeklärten „Non-A–E-Hepatitiden“

wird das kürzlich entdeckte Hepatitis-G-Virus (HGV) diskutiert, das eng mit dem Hepatitis-C-Vi- rus (HCV) verwandt ist. Dieser Beitrag faßt die bisher vorliegenden molekularbiologischen, epi- demiologischen und pathogenetischen Erkennt- nisse über den neuentdeckten Erreger zusammen.

1 Abteilung Medizinische Virologie (Leiter:

Prof. Dr. med. Gerhard Jahn), Hygiene-Institut der Eberhard-Karls-Universität Tübingen

2 Max-von-Pettenkofer-Institut, Virologie (Vor- stand: Prof. Dr. med. Ulrich Koszinowski) der Ludwig Maximilians-Universität München

(2)

mologie zu den entsprechenden Pro- teinen bei HCV, so daß angenommen werden kann, daß sie wie diese, für die Virusvermehrung benötigte enzymati- sche Funktionen besitzen (Protease, Protease/Helicase, Replicase).

Die Strukturproteine sind für die Entwicklung serologischer Tests von besonderer Bedeutung, da sie bei den bekannten Flaviviridae stark immu- nogen sind. E1 und E2,

die vermuteten Be- standteile der Virus- hülle (envelope), ste- hen bereits als rekom- binante Proteine zur Verfügung. Allerdings ließ sich die Detektion von Antikörpern ge- gen die bisher herge- stellten rekombinan- ten E1-Proteine nicht mit (durch PCR nach- gewiesenen) HGV-In- fektionen korrelieren.

Im Gegensatz dazu zei- gen gegen E2 gerichte- te Antikörper eine ge- wisse diagnostische Spezifität (30). Deren praktischer Wert ist al- lerdings dadurch be- grenzt, daß E2-Anti- körper im allgemeinen nicht während der In- fektion, sondern erst nach der Elimination der Virus-RNA aus dem Blut nachweisbar sind. Mit einer Virus- elimination ist nach derzeitigem Kenntnis- stand jedoch in der Re-

gel erst Monate bis Jahre, in einigen Fällen Jahrzehnte nach der Infektion zu rechnen (siehe unten).

Erstaunlicherweise konnte das bei HCV, GBV-B und anderen Flavi- viridae am 5’-Ende des offenen Le- serahmens kodierte Core-Protein bei HGV (und bei GBV-A) bisher nicht identifiziert werden. Da sich weiterhin zeigte, daß die Translation des Polyprotein-Leserahmens direkt am E1-Protein beginnt, wurde ver- mutet, daß HGV und GBV-A zu ei- ner neuartigen Gruppe von Plus- strang-RNA-Viren gehören, die kein eigenes Core-Protein syntheti- sieren (27).

Diagnose durch PCR

Da bisher kein serologischer Nachweis zur Verfügung steht, ist die PCR zur Zeit das einzige Verfahren, auf das sich die Diagnose der HGV- Infektion stützen kann.

Derzeit kommen in Deutschland verschiedene PCR-Methoden für den Nachweis von HGV zur Anwen-

dung, deren Sensitivität und Spezi- fität nach den Ergebnissen eines er- sten Ringversuches, der derzeit aus- gewertet wird, in etwa vergleichbar sind1. Die meisten Verfahren basie- ren auf dem Prinzip der nested PCR, wobei Primerpaare aus den Nicht- strukturregionen NS3 und NS5A so- wie aus dem 5’-NTR verwendet wer- den (Grafik 4). Mit NS3- und NS5A- Primern, die im allgemeinen ver- gleichbare Resultate erzielen, ist die Methode ähnlich sensitiv wie die zur Detektion von Hepatitis-C-Virus

eingesetzte PCR. Die Nachweisgren- ze liegt bei etwa 500 Virusgenomen pro Milliliter Serum, die bisher be- kannten Varianten (Subtypen) des HGV werden offenbar regelmäßig erkannt. Im Gegensatz dazu fällt die PCR mit 5’-NTR-Primern in unseren Händen bei etwa einem Drittel der NS3- beziehungsweise NS5A-positi- ven Seren negativ aus; ob dies mit

den vorgeschlagenen Subtypen von HGV im Zusammenhang steht, muß noch geklärt werden.

Mysteriöse Durchseuchung

Mit Hilfe des PCR-Nachweises durchgeführte Prävalenzuntersu- chungen kamen zu dem erstaunlichen Ergebnis, daß in den USA etwa 1,5 bis 2 Prozent der freiwilligen Blutspen- der mit HGV infiziert sind; erste Da- ten aus Deutschland deuten darauf hin, daß die Prävalenz bei uns in der gleichen Größenordnung liegt (Tabel- le). Da die PCR nur in der virämi- Grafik 1

Entdeckung des HGV: (I.) Nach Inokulation von Serum des an akuter Non-A-non-B-Hepatitis erkrankten Patienten „G. B.“ zeigten Tamarine der Gattung Saguinus fuscicollis ebenfalls Zeichen einer Hepatitis. Nach insgesamt 11 Tierpassagen wurde das „GB- Agens“ als unbekannter Hepatitiserreger definiert. (II.) Mittels Repräsentativer Differenzanalyse (RDA), einem auf der PCR-Tech- nik basierenden Verfahren zur selektiven Vermehrung von unbekannten Nukleinsäuren, wurden in mit GB-Agens infizierten Ta- marinen die Viren GBV-A und GBV-B identifiziert. Mit Hilfe von aus deren RNA-Sequenzen abgeleiteter, degenerierter Primer wur- de in humanen Seren schließlich das eng verwandte HGV/GBV-C entdeckt.

1 Informationen zum Ringversuch für den PCR-Nachweis von HGV können beim Autor angefordert werden.

(3)

schen Phase positiv wird, dürfte der (in Ermangelung geeigneter Tests bis- her nicht bestimmte) Anteil an Anti- körper-Positiven in der Bevölkerung vermutlich noch wesentlich höher lie- gen. Damit ist die chronische HGV- Infektion bei uns weiter verbreitet als die chronische Hepatitis-B und -C (HBsAg-Trägerrate 0,3 bis 1 Prozent und etwa 0,5 Prozent Positive in der HCV-RNA-PCR). Anhand von tief- gefrorenen Serumproben konnte zurückverfolgt werden, daß das jetzt entdeckte Virus bereits vor über 20 Jahren durch (damals nicht inakti- vierte) Faktor-VIII-Präparate ver- breitet wurde (13).

Die Untersuchung entsprechen- der Risikogruppen hat ergeben, daß HGV, wie das eng verwandte HCV, parenteral übertragen wird. So haben Patienten, die mit HCV oder dem He- patitis-B-Virus infiziert sind, ein deut- lich erhöhtes Risiko für eine Koinfek- tion mit HGV (zirka 12 bis 21 Pro- zent, vergleiche Tabelle). In Gebieten mit hoher Antikörperprävalenz für HBV und HCV (zum Beispiel West- afrika) ist auch die Durchseuchung mit HGV besonders hoch. In einzel- nen Fällen konnte eine Übertragung durch Blutkonserven unmittelbar nachgewiesen werden (17, 19, 26).

Entsprechend ist die Prävalenz von HGV unter Polytransfundierten, i.-v.- Drogenabhängigen und Hämodialy- sepatienten gegenüber der Normal- bevölkerung deutlich erhöht (Tabelle) (1, 2, 7, 19).

Ob HGV auch mit ordnungs- gemäß inaktivierten Blutprodukten wie Immunglobulinen oder Gerin- nungsfaktoren übertragen wird, ist bis- her nicht geklärt. Untersuchungen von Nübling und Löwer (Paul-Ehrlich-In- stitut, Langen) (22) deuten darauf hin, daß HGV auch in für die Herstellung von inaktivierten Blutprodukten ver- wendeten Plasmapools nachweisbar ist, wobei die Belastung in den USA deutlich höher als bei europäischen Pools liegt. Allerdings kann eine Über- tragung auf diesem Wege als relativ unwahrscheinlich angesehen werden, da HGV aufgrund seiner Ähnlichkeit mit HCV bei Anwendung HCV-inak- tivierender Verfahren ebenfalls inakti- viert werden sollte.

In jedem Falle muß es außer der Übertragung durch Blut und nicht in-

aktivierte Blutprodukte noch weite- re Übertragungswege geben, da sich die hohe Prävalenz (1,5 bis 2 Prozent der Blutspender) sonst nicht er- klären ließe. In einer Studie der Ar- beitsgruppe von Laufs (siehe Kurz- bericht in diesem Heft) (10) konnte eine vertikale Übertragung von HGV nachgewiesen werden, wobei drei von neun PCR-positiven Müt- tern das Virus auf ihre Kinder über- trugen. Interessanterweise wurde bei den untersuchten 61 Müttern HGV mit 33 Prozent (3/9) deutlich effizien- ter vertikal übertragen als HCV (2/30; 6,7 Prozent) oder der HIV-1

(2/17; 11,8 Prozent). Ob HGV auch auf sexuellem Wege übertragen wer- den kann, ist noch nicht bekannt.

Unsere vorläufigen Ergebnisse einer Untersuchung in Gambia zeigen je- doch keine Korrelation der HGV-In- fektion mit HIV-1 oder HIV-2 und keine signifikant erhöhte Durchseu- chung unter Prostituierten (Tabelle), was gegen eine nennenswerte Infek- tiösität über Sexualkontakte spricht.

Schließlich gibt es, ähnlich wie bei der Hepatitis-C, auch sporadische Fälle von Infektionen mit HGV (zir- ka 20 bis 30 Prozent), bei denen kein Risikofaktor für parenteral übertrag- bare Viruskrankheiten ermittelt wer- den kann (4, 11).

Pathogenese unklar

Aus den Prävalenzdaten ergeben sich bereits eine Reihe wichtiger Kon- sequenzen für die Pathogenese:

1 HGV kann durch nicht inakti- vierte Blutprodukte (zum Beispiel Vollblut, Erythrozytenkonzentrate) sowie vertikal übertragen werden, weitere Übertragungswege sind wahr- scheinlich.

1 Die Infektion führt häufig zu einer länger anhaltenden Virämie.

1 Die meisten Infektionen ver- laufen subklinisch oder vollkommen asymptomatisch.

Nach Infektion mit HGV kommt es regelmäßig zu einer mittels PCR feststellbaren Virämie. In retrospekti- ven Verlaufsuntersuchungen an Trans- fusionsempfängern, die HGV-haltige Blutkonserven erhalten hatten, ließen sich Virusgenome erstmals ein bis vier (in Einzelfällen bis zu 20) Wochen nach Infektion im Serum nachweisen, wobei der zunächst niedrige PCR-Ti- ter innerhalb der folgenden ein bis zwei Wochen einen Höchstwert er- reicht, der in der gleichen Größenord- nung wie bei HCV liegt (104bis 105Ge- nomäquivalente/ml) (3, 19, 31). Im Ge- gensatz zu GBV-B wird die Infektion mit HGV häufig chronisch; nach bishe- rigem Kenntnisstand bleibt die Virus- Grafik 2

Phylogenetische Analyse der GB-Viren: Innerhalb der Familie der Flaviviren (Flaviviridae) wurden die GB-Viren vorläufig als eigenes Genus neben den Genera Flavivirus (YFV, Gelbfiebervirus; WNV, Westnilfiebervirus; JEV, Japan-Enzephalitis-Virus), Pestivirus (HCHV, Hog-Cholera-Virus; BVDV, Bovines Virusdiarrhö-Virus) und „Hepa- civirus“ (Hepatitis-C-Virus, verschiedene Genotypen) eingeordnet. Die Längen der Verzweigungen entsprechen den phylogenetischen Entfernungen zwischen den Virusarten, Genera sind durch gestrichelte Kreise gekenn- zeichnet (Modifiziert nach Simons et al., 1995 und Leary et al., 1996) (16, 28).

(4)

RNA bei über 90 Prozent der Infizier- ten mindestens fünf Jahre im Serum nachweisbar (wobei die PCR-Titer al- lerdings wie bei der chronischen Hepa- titis-C um mehrere Zehnerpotenzen fluktuieren können), auch Fälle mit über 13jähriger Viruspersistenz sind dokumentiert (4, 12, 17, 19).

Ein Virus ohne Krankheit?

Da somit kein Zweifel besteht, daß weltweit viele Millionen Menschen mit HGV chronisch infiziert sind, wobei ein nicht unwe- sentlicher Teil der Infektio- nen iatrogen bedingt ist, be- darf die Frage nach der klini- schen Relevanz der HGV- Infektion dringender Auf- klärung. Die Neigung zu chronischen Verläufen sowie die enge Verwandtschaft zu HCV und GBV-B, die akute und chronische Hepatitiden beim Menschen beziehungs- weise Tamarinen verursa- chen, machen es schwer, sich HGV als vollkommen apa- thogenen Kommensalen vorzustellen. Trotzdem gibt es für eine Pathogenität von HGV bisher nur vereinzelte Hinweise:

1 Zwei Patienten, die nach mehreren Bluttransfu- sionen positiv in der PCR auf HGV wurden, ent- wickelten Posttransfusions- hepatitiden ohne Marker für die Hepatitisviren A–E (17).

1 In einer japanischen Studie wurden bei drei von sechs Patienten mit fulmi- nanter Non-A–E-Hepatitis HGV-RNA nachgewiesen (32). Unsere gemeinsam mit der Arbeitsgruppe Roggen- dorf (Universität Essen) an

deutschen Patienten durchgeführten Untersuchungen zeigten bei fulminan- ten Hepatitiden unklarer Genese ebenfalls eine erhöhte Prävalenz von HGV (4/10 beziehungsweise 5/6 Pati- enten) (15, 24).

1 Bei europäischen und ameri- kanischen Patienten mit akuter oder

chronischer Non-A-E-Hepatitis lag die PCR-Prävalenz von HGV in ver- schiedenen Untersuchungen bei etwa acht bis 16 Prozent (eine italienische Studie fand bis zu 39 Prozent).

1 Bei zwei Patienten mit posthepatitischer aplastischer Anä-

mie wurde als einziger ätiologischer Hinweis HGV-RNA im Serum nach- gewiesen. Da auch Hinweise auf eine erhöhte Prävalenz des Virus bei Kin- dern mit aplastischer Anämie existie- ren, wurde spekuliert, daß HGV für einen Teil der bisher als idiopathisch eingestuften aplastischen Anämien

verantwortlich sein könnte (5, 18, 33).

Die Interpretation dieser Beobach- tungen ist jedoch keineswegs eindeu- tig. So ist es aufgrund der hohen Prävalenz des Virus in der Allgemein- bevölkerung nicht möglich, aus ein- zelnen Fallbeobachtungen auf kausa- le Zusammenhänge zu schließen: Die Gegenwart der Virus-RNA könnte immer auch auf zufälliger Koinzidenz beruhen, zumal gerade Patienten mit fulminantem Leberversagen oder aplastischen Anämien häufig zahlrei- che Blutkonserven erhalten haben (welche statistisch zu 1,5 bis 2 Prozent HGV-positiv sind). Gegen HGV als kausales Agens spricht auch, daß in Fällen, die über einen längeren Zeit- raum beobachtet wurden, die Virämie noch jahrelang persistierte, obwohl die fraglich assoziierte Hepatitis kli- nisch und biochemisch längst ausge- heilt war (4). Schließlich liegt die Zahl von etwa acht bis 16 Prozent HGV- Positiven bei Non-A–E-Hepatitis zwar deutlich über der allgemeinen Durchseuchungsrate, jedoch im glei- chen Bereich wie bei Patienten mit nichtentzündlichen Lebererkrankun- gen anderer Genese (zirka neun bis 15 Prozent; vergleiche Tabelle) (2, 17).

Auch Laborbefunde und Leber- histologie ergeben kein einheitliches Krankheitsbild. Selbst Patienten, die über Jahre hinweg in der PCR auf HGV positiv sind, zeigen in der Re- gel keinerlei klinische oder laborche- mische Zeichen einer Lebererkran- kung. Anfängliche Hinweise auf eine mögliche Assoziation mit geringfü- gig erhöhten Serumtransaminasen konnten in späteren Studien nicht bestätigt werden (7, 19). In einer re- trospektiven Analyse der National Institutes of Health erfüllten höch- stens fünf Prozent der mit HGV Infi- zierten die Diagnosekriterien für ei- ne Non-A–E-Hepatitis, mindestens 75 Prozent waren biochemisch voll- kommen unauffällig (2). Histopatho- logisch sind die häufigen Koinfektio- nen mit HBV oder HCV von der rei- nen Hepatitis-B beziehungsweise -C nicht zu unterscheiden, bei den weni- gen ausschließlich HGV-assoziierten Non-A–E-Hepatitiden fand sich ein buntes Bild kaum charakteristischer Veränderungen (lymphozytäre Infil- trate, Riesenzellen, Steatose, Fibro- se, Zirrhose) (6, 9). In diesem Zu- Grafik 3

Genomorganisation der GB-Viren: Die GB-Viren sind Plusstrang-RNA- Viren mit einem einzigen offenen Leserahmen, der von 5’- und 3’- terminalen nichttranslatierten Regionen (NTR) begrenzt wird. Ihre Genomorganisation ähnelt dem Hepatitis-C-Virus (HCV-1). Das Af- fenvirus GBV-B, das einzige GB-Virus mit nachgewiesener Pathoge- nität, ist phylogenetisch und strukturell deutlich enger mit HCV ver- wandt als GBV-A und HGV (Erklärung im Text).

Grafik 4

PCR-Nachweis von HGV: Zum Nachweis von HGV-RNA aus Serum wird derzeit meist die nested PCR nach reverser Transkription der Virus- RNA in komplementäre DNA eingesetzt. Am weitesten verbreitet sind Primerpaare aus den Nichtstrukturregionen NS3 und NS5A sowie dem 5’-NTR. Mit NS3-Primern läßt sich die RNA etwa bis zu einem Ti- ter von 1:106nachweisen (unteres Gelfoto; M = Molekulargewichts- marker, C = Kontrolle).

(5)

sammenhang ist bemerkenswert, daß der – aufgrund der Ähnlichkeiten zu HCV und GBV-B wahrscheinliche – Hepatotropismus des HGV noch nicht experimentell nachgewiesen wurde, die beobachtete Virämie könnte deshalb theoretisch auch durch Virusreplikation in einem an- deren Zielorgan verursacht sein.

Konsequenzen für die Praxis

Zusammengefaßt kommt HGV nach derzeitigem Kenntnisstand allen- falls als seltener Erreger akuter Hepa- titiden und Hepatitis-assoziierter apla- stischer Anämien in Frage. Trotz häufi- ger Persistenz der Virus-RNA im Se- rum gibt es keine Hinweise für eine Auslösung chronischer Hepatitiden.

Die dringend erforderliche Aufklärung der pathogenetischen Relevanz der HGV-Infektion (virale/immunvermit- telte Hepatitis? Andere Erkrankung mit langer Latenz?) wird wesentlich von der Entwicklung serologischer Testverfahren abhängen. Bis diese ver- fügbar sind, steht nur der Virus-RNA- Nachweis mittels PCR zur Verfügung.

Der diagnostische PCR-Test sollte we- gen seiner Störanfälligkeit in einem hierfür spezialisierten Institut durchge- führt werden. Er kann sinnvoll sein bei:

1 Akuter Hepatitis unklarer Genese,

1 Ätiologisch ungeklärter apla- stischer Anämie,

1 Organspendern (insbesonde- re bei immunsupprimierten Empfän- gern),

1 Wissenschaftlichen Fragestel- lungen.

Eine bei uns durchgeführte retro- spektive Analyse von Patienten, die wegen Hepatitis-B oder -C mit a-In- terferon behandelt wurden, hat kei- nen Hinweis auf eine Beeinflussung des Therapieergebnisses durch HGV ergeben (15). Bis entsprechende Stu- dien an größeren Patientenzahlen vor- liegen, ist in der routinemäßigen Inter- ferontherapie der chronischen Virus- hepatitis keine Indikation zur HGV- Diagnostik zu sehen.

Aufgrund der offenbar fehlenden oder nur in Einzelfällen auftretenden Pathogenität des Erregers wird die teure und außerordentlich störanfälli-

ge Testung von Blutkonserven als nicht erforderlich angesehen. Damit wird allerdings in Kauf genommen, daß HGV bis auf weiteres in nicht un- wesentlichem Maße durch nicht inak-

tivierte Blutprodukte verbreitet wird, da HGV-Infizierte im allgemeinen normale Serumtransaminasen aufwei- sen und bei den Screening-Untersu- chungen für Blutspender nicht auffal- len. Eine im vergangenen Jahr vom Bundesminister für Gesundheit ein- berufene Expertenkommission hat deshalb empfohlen, die Sicherheit von Blut und Blutprodukten bezüglich HGV in Deutschland eingehend zu überprüfen. Das weitere Vorgehen wird auch hier wesentlich davon ab- hängen, ob sich die bisher vagen Hin- weise auf eine Leberpathogenität des HGV erhärten. In jedem Falle sollte uns die Entdeckung eines Vertreters einer vollkommen neuen Virusgrup- pe, der sich unerkannt seit Jahrzehn- ten weltweit verbreitet hat, einmal

mehr zum verantwortungsvollen Um- gang mit Blutprodukten mahnen: falls HGV nicht oder nur wenig pathogen ist, muß es mindestens einen weiteren unbekannten Erreger geben, auf des-

sen Konto die zehn Prozent ätiolo- gisch ungeklärten Hepatitiden gehen.

Das Alphabet der Hepatitisviren ist noch nicht abgeschlossen.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1997; 94: A-2064–2068 [Heft 31-32]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.

Anschrift für die Verfasser

Dr. med. Dr. rer. nat. Dr. med. habil.

Alexander S. Kekulé

Abteilung Medizinische Virologie Hygiene-Institut der Eberhard-Karls- Universität Tübingen

Calwerstr. 7/6 · 72076 Tübingen Tabelle

Prävalenz von HGV

Blutspender Serum-PCR-Positive/

Anzahl der Probanden Deutschland

München (15) 11/465 (2,4%)

Frankfurt (25) 9/413 (2,2%)

Hessen (ländlicher Bereich) (25) 5/635 (0,78%)

USA (17) 13/769 (1,7%)

Japan(19) 4/448 (0,9%)

Risikogruppen für

parenteral übertragbare Krankheiten

Polytransfundierte (15) 43/108 (39,8%)

i.-v.-Drogenabhängige (15) 16/39 (41,0%)

Chronische Hepatitis-C (15) 18/85 (21,2%) Chronische Hepatitis-B (15) 5/42 (11,9%) Hämodialyse-Patienten

Frankreich (7) 35/61 (57,4%)

Japan (19) 16/519 (3,1%)

Risikogruppen für sexuell

übertragbare Krankheiten (Gambia)

Schwangere Frauen, HIV-positiv 18/127 (14,2%) Schwangere Frauen, HIV-negativ 16/120 (13,3%)

Prostituierte 8/50 (16,0%)

Ätiologisch unklare Hepatitiden (17)

Akute Hepatitis (non-A–E) 2/12 (16,7%)

Chronische Hepatitis (non-A–C) 15/158 (9,5%) Nichtentzündliche Lebererkrankungen (17)

Alkoholhepatitis 5/49 (10,2%)

Autoimmunhepatitis 5/53 (9,4%)

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