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Archiv "Infektionen mit Hepatitis-C-Virus durch Quarantäne-Plasma" (29.10.1999)

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(1)

ämotherapeutika, insbesonde- re Blutkomponenten, stellen sichere und kostengünstige Arzneimittel dar. Die seltenen Über- tragungen transfusionsrelevanter Vi- ren genießen jedoch besonderes Augenmerk bei Patienten und Ärz- ten. Ausgehend von der Virussicher- heit müssen zelluläre Blutkomponen- ten (Erythrozytenkonzentrate, Throm- bozytenkonzentrate und anderes), gefrorenes Frischplasma und seine Derivate und Faktorenkonzentrate unterschieden werden. Die Sicherheit der zellulären Blutkomponenten, die sich derzeit weder virusinaktivieren noch aufgrund ihrer begrenzten Halt- barkeit in Quarantäne lagern lassen, stützt sich auf die ärztliche Beurtei- lung der Spender und die Abwehr von Risikogruppen sowie auf den la- boranalytischen Nachweis von Infek-

tionsmarkern. Innerhalb der letzten Jahre konnte die Sicherheit außeror- dentlich erhöht werden (Tabelle 1).

Eigene Untersuchungen zeigen ein allgemein höheres Risiko (8, 10, 11).

Durch Einführung von NAT (Nukle- insäure-Amplifikations-Techniken), wie PCR, zum Nachweis des Hepati- tis-C-Virus, wurde ab dem 1. April 1999 die Sicherheit erneut verbessert, so daß die Übertragung von HCV durch Erythrozyten- oder Thrombozy- tenkonzentrate in Deutschland nun- mehr nahezu gänzlich ausgeschlossen scheint.

Faktorenkonzentrate werden aus Gemischen („Pool“) von bis zu meh- reren Tausend einzelnen Plasmaspen- den gewonnen. Die Gefahr ist hoch, daß ein solcher „Pool“ durch nur eine infektiöse Blut- oder Plasmaspende verseucht wird, und damit viele Emp- fänger durch daraus hergestellte Fak- torenkonzentrate infiziert werden.

Daher müssen solche Präparate wirk- samen Virus-Inaktivierungsverfahren unterzogen werden. Um zu vermei- den, daß bei einem Versagen dieses Verfahrens Infektionen („Durch- brüche“) auftreten, werden zuneh- mend nicht nur ein, sondern zwei un- abhängige Virus-Inaktivierungsverfah- ren gefordert. Darüber hinaus wer- den auch die eingehenden Plas- maspenden in kleinen „Pools“ mittels NAT untersucht, um eine Verseu- chung der großen Herstellungspools

Infektionen mit

Hepatitis-C-Virus durch Quarantäne-Plasma

Andreas Humpe

1

Klaus-Hinrich Heermann

2

Michael Köhler

1

1994 wurde Quarantäne-Plasma (Q-Plasma) eingeführt, um das HIV- und HCV-Risiko zu reduzieren. Im Ver- gleich zu virusinaktiviertem Plasma wird Q-Plasma im- mer noch als „goldener Standard“ angesehen. 1998 wurde uns eine Posttransfusions-Hepatitis C gemeldet. Der Pati- ent hatte Q-Plasma eines Plasmapherese-Spenders, bei dem eine HCV-Infektion festgestellt wurde, erhalten. 27 HCV-PCR positive Plasmen dieses Spenders waren zwölf weiteren Patienten transfundiert worden. Bei diesen wur- de in sieben (zusätzlichen) Fällen eine HCV-Infektion diagnostiziert, drei Patienten waren bereits verstorben.

Ein Patient war bereits vorher HCV positiv. Ein Patient

wies keine Infektionsmarker auf. So- mit wurden insgesamt acht Patienten

mit HCV Typ 3c infiziert. Die Ursache lag in der Verwen- dung eines Anti-HCV-Tests, der die Infektion des Spenders nicht anzeigte und mindestens 254 Tage (nach der ersten HCV-PCR positiven Spende) negativ blieb. Dieser Fall wirft Fragen hinsichtlich der Sensitivität der Testsysteme, der Genauigkeit aktueller Risikoschätzungen und der Si- cherheit von Q-Plasma im Vergleich zu virusinaktiviertem Plasma auf.

Schlüsselwörter: Hepatitis-C-Virus, Quarantäne-Plasma, Plasmapherese

ZUSAMMENFASSUNG

Hepatitis C Virus Transmission Through Quarantine Fresh-Frozen Plasma

In 1994, quarantine fresh-frozen plasma (Q-FFP) was in- troduced to reduce the risk of HIV and HCV transmission.

In comparison to the available alternatives, e.g. virus-inac- tivated plasma, Q-FFP is still believed to be the “golden standard”. In 1998, an acute HCV infection of a patient was reported to us. This patient had received Q-FFP from a plasmapheresis donor who had an HCV infection. 27 HCV-PCR positive plasma units from this donor were identified, which had been transfused to twelve further pa- tients. HCV infections of recipients were diagnosed in sev- en additional patients, three patients were deceased. One

patient was already HCV positive prior to transfusion, the other patient was HCV nega-

tive. Thus, eight HCV transmissions with the rare HCV type 3c were revealed. The cause of the release of these infec- tious plasma units was the use of an anti-HCV-test, which was insensitive in this donor and remained negative for at least 254 days after the first PCR positive donation. These observations arouse several queries, e.g. differences in the sensitivity of HCV tests, the accuracy of risk-estimates, and the safety of Q-FFP in comparison with virus-inactivated plasma.

Key words: Hepatitis C virus, quarantine fresh frozen plas- ma, plasmapheresis

SUMMARY

H

1Abteilung Transfusionsmedizin (Leiter: Prof.

Dr. med. Michael Köhler), Georg-August-Uni- versität, Göttingen

2Abteilung Virologie (kommissarischer Leiter:

Prof. Dr. med. Otto Götze), Georg-August- Universität, Göttingen

(2)

auszuschließen. Bei Erfüllung dieser Bedingungen erscheinen Infektionen mit den transfusionsrelevanten Viren, nämlich HIV, HBV und HCV nahezu unwahrscheinlich.

Frisch gefrorenes Plasma und sei- ne Derivate, nämlich Q-Plasma (Qua- rantäne-Plasma) und virusinaktivier- tes Plasma, nehmen eine Sonderstel- lung ein. Im Unterschied zu Faktoren- konzentraten muß die physiologische Zusammensetzung der Plasmaprotei- ne möglichst erhalten bleiben, was den Einsatz von Virusinaktivierungen ein- schränkt, insbesondere die Kombina- tion mehrerer Verfahren. Derzeit kommen international nur zwei Ver- fahren zur Herstellung virusinaktivier- ter Plasmen zur Anwendung, die Sol- vent/Detergent-Behandlung (SD-Plas-

ma) und die Methylenblau-Photooxi- dation (MB-Plasma) (11). Beide Ver- fahren verändern die Zusammenset- zung des Plasmas nur gering, so daß derzeit von einer klinischen Äquiva- lenz der Wirksamkeit ausgegangen wird. Beim SD-Verfahren werden mehr als 1 000 Einzelspenden gepoolt und es wirkt nur auf umhüllte Viren.

Demgegenüber wird das MB-Verfah- ren an der Einzelspende durchgeführt, wodurch die Gefahr der Streuung von Infektionen nicht gegeben ist. Auf- grund toxikologischer Befürchtungen und dem Verdachtsfall der Übertra- gung einer HCV-Infektion (bei mehr als einer Million Anwendungen) wur- de dem MB-Plasma im Februar 1999 die Zulassung durch das Paul-Ehrlich- Institut (PEI) verweigert.

Q-Plasma weit verbreitet

Die größte Verbreitung in Deutschland hat somit das Q-Plasma, welches im Jahr 1994 das gefrorene Frischplasma ersetzt hat (2). Die Frei- gabe von Q-Plasma erfordert, daß der Spender mindestens sechs Monate nach seiner Spende für die Infektions- marker anti-HIV, anti-HCV sowie He- patitis-B-Oberflächenantigen (HBsAg) negativ getestet wird. Das Plasma der sechs Monate vorher geleisteten Spende wird nur bei erneut negativem Befund freigegeben. Es wird damit er- reicht, daß eine in der frühen Phase ei- ner Infektion gewonnene infektiöse Spende ausgeschlossen werden kann, bei der noch keine Antikörper nach- weisbar waren („diagnostisches Fen-

ster“). Da diese Quarantänelagerung aller Wahrscheinlichkeit nach keinen negativen Einfluß auf die Plasmapro- teine hat, keine zur Virusinaktivierung benötigten Substanzen zugesetzt wer- den, und dieses Plasma um etwa 30 Prozent günstiger ist als virusinakti- viertes Plasma, wird Q-Plasma in Deutschland als der „Goldene Stan- dard“ angesehen. Zur Herstellung von Q-Plasma haben sich zwei Verfahren etabliert. Einerseits fällt Plasma bei der Vollblutspende im Rahmen der Herstellung zellulärer Blutkomponen- ten an, andererseits kann es auch durch Plasmaspenden gewonnen wer- den. Die Herstellung durch (kommer- zielle) Plasmapherese ist sehr ko- steneffektiv, da eine Plasmaspende sehr häufig durchgeführt werden

kann, dabei jeweils meist drei Präpara- te (anstelle eines Präparates bei der Vollblutspende) hergestellt werden, und vor allem die Lagerungs- und Freigabe-Logistik des Plasmas bei ein- bestellten Spendern besonders effek- tiv ist. Der Gewinn an Virussicherheit ist allerdings nur auf diejenigen Viren, die serologisch getestet werden, be- schränkt und von der Sensitivität die- ser Nachweisverfahren, das heißt anti- HCV- und anti-HIV-Testsystemen, ab- hängig. Vor Einführung des Q-Plas- mas wurde geschätzt, daß sich durch Quarantänelagerung das Restrisiko der HCV-Infektion um 90 Prozent re- duziert. Durch Plasmapheresen kann in geringen Zeitabständen eine große Anzahl Plasmen gewonnen werden.

Deshalb werden beim Versagen eines in diesem Verfahren etablierten Test- systems zum Virusnachweis in der Re- gel mehrere Produkte und folglich nicht nur einer sondern viele Empfän- ger betroffen sein. An der Universität Göttingen wurden durch von einer ex- ternen Plasmapheresestation produ- zierte kommerzielle Q-Plasmen eines Spenders im Jahr 1998 mindestens acht Patienten mit HCV infiziert (6).

Sachlage und Fallbeschreibungen

Am 30. 11. 1998 wurde bei einem Patienten (Patient I in Tabelle 2) am Universitätsklinikum Göttingen eine HCV-Infektion diagnostiziert. Da der Patient mehrere Blutkomponenten erhalten hatte (drei Erythrozytenkon- zentrate, vier Q-Plasmen) wurde ein Konserven-Rückverfolgungsverfah- ren, ausgehend vom Patienten, einge- leitet. Am 15. 1. 1999 informierte uns der Hersteller der Q-Plasmen, daß bei dem Plasmaspender, von dem diese Produkte stammten, im Juli 1998 eine Serokonversion für HCV beobachtet worden war. Diese „Serokonversion“

war erstmals aufgefallen, nachdem das ursprünglich angewandte Anti- HCV-Testsystem durch ein Nachfol- ge-Testsystem des gleichen Herstel- lers abgelöst wurde. Der Spender war mit dem HCV-Typ 3c infiziert. Zusätz- lich erhielten wir eine Liste mit weite- ren Plasmen aus dem kritischen Zeit- raum, deren Nachtestung mittels PCR (Amplicor 2.0, Roche Diagnostics

M E D I Z I N AKTUELL

Tabelle 1

Restrisiko von zellulären Blutkomponenten in USA und Deutschland vor Einführung der HCV-PCR- Testung (1. 4. 1999)

USA (1) Deutschland (4) Wahrscheinliche Übertragungen* (5)

HCV 1:100 000 1:113 000 48

HBV 1:63 000 1:232 000 16

HIV 1:680 000 1:1 889 000 3

Beim Quarantäneplasma wird geschätzt, daß das HCV-Restrisiko um den Faktor zehn ge- ringer ist als bei den zellulären Blutkomponenten.

* Als wahrscheinlich (Kausalzusammenhang) bewertete, an das Paul-Ehrlich-Institut ge- meldete, Verdachtsfälle nach Einführung des Spenderscreenings im Zeitraum vom 1. 1. 1995 bis 1. 11. 1998. In diesem Zeitraum wurden zirka 20 Millionen Blutkomponenten in Deutschland transfundiert.

(3)

GmbH, Mannheim, Deutschland) po- sitive Ergebnisse (Spenden Nr. 3–9 in der Grafik) erbracht hatten. Diese Li- ste wurde später durch Ergebnisse des PEI ergänzt, welches bei Untersu- chung der Rückhalteproben zwei wei- tere HCV-PCR positive Spenden (Nr.

1 und 2 in der Grafik)gefunden hatte.

Insgesamt hatte der Spender inner- halb von 45 Tagen neun Plasmaspen- den durch maschinelle Plasmapherese geleistet, bei denen 27 Plasmen herge- stellt worden waren. Diese 27 Q-Plas- men wurden 13 Patienten (inklusive des initial gemeldeten) transfundiert (Tabelle 2). Zum Zeitpunkt der Ein- leitung des Rückverfolgungsverfah- rens waren drei Empfänger bereits verstorben. Die verbleibenden neun Empfänger wurden nachuntersucht.

Von ihnen wies lediglich ein Patient keine Infektionszeichen auf (Patient XIII in Tabelle 2). Er hatte die erste kritische Plasmaspende erhalten, die in einem Labor HCV-PCR negativ, im anderen (PEI) HCV-PCR positiv ge- testet worden war (Nr. 1 in der Gra- fik). Diese Plasmaspende war in der frühesten Phase der Infektiösität ge- wonnen worden. Die nächste, zwei Tage später gewonnene Plasmaspen- de, die ebenfalls in dem einen Labor HCV-PCR negativ, in dem anderen positiv war, war klinisch infektiös (Pa- tient XI in Tabelle 2). Bei den sieben anderen Patienten war eine HCV-In- fektion nachweisbar. Bei sechs der sie- ben Patienten gelang die Genotypisie- rung, und Typ 3c, identisch mit dem infektiösen Spender, wurde bestimmt.

Die beiden immunsupprimierten, transplantierten Patienten (Patienten II und XI) wiesen keine HCV-Anti- körper, aber eine positive HCV-PCR auf. Bei einem Patienten (IX in Tabel- le 2) lag bereits vor der Plasmagabe ei- ne HCV-Infektion Typ 1b vor, so daß über eine Infektion mit dem Q-Plas- ma keine Aussagen getroffen werden konnten.

Meldepflicht beachten

Die Hepatitis C ist auch in Deutschland häufig, es wird von 400 000 Infizierten ausgegangen. Bei den Übertragungswegen existieren noch Unklarheiten. Die Transfusion ist jedoch mittlerweile ein immer sel- Tabelle 2

Fallbeschreibung des Konserven-Rückverfolgungsverfahrens

Patient Diagnose transfundierte Plasma aus anti-HCV HCV-PCR HCV-

PCR+ Spende-Nr. (ELISA) Subtyp

Plasmen n= (siehe Grafik)

I Aortenklappenersatz bei Aorteninsuffizienz 2 9 positiv (positiv)*1 3*4

II Lebertransplantation bei HBV-Infektion und 4 9, 6, 4 negativ positiv 3c

Leberzirrhose

III Intrazerebrale Blutung 6 8, 7, 6 positiv positiv 3c

IV Herzoperation bei Shone-Komplex 1 7 positiv negativ 3*4

V Operation bei Alveolarfortsatz-Karzinom 1 6 positiv positiv 3c

VI Schädelhirntrauma mit Subarachnoidalblutung 2 5 positiv positiv 3c

VII*2 Sepsis bei Non-Hodgkin-Lymphom 1 5 n.t. n.t. n.t.

VIII Aortokoronarer Venenbypass bei KHK 1 4 positiv positiv 3c

IX*3 Aortenklappenersatz bei kombiniertem 2 3 positiv positiv 1b

Aortenvitium

X*2 Aneurysmaresektion der Aorta ascendens 1 3 n.t. n.t. n.t.

XI Revisionsoperation bei Z.n. Nieren- 2 2 negativ positiv 3c

transplantation

XII*2 VOD bei Z.n. allogener Knochenmark- 1 2 n.t. n.t. n.t.

transplantation einer CML

XIII Plasmaaustausch bei hämolytisch- 3 1 negativ negativ –

urämischem Syndrom

*1Die PCR war in einem Labor positiv, bei Nachtestung in einem anderen Labor negativ. Daher war auch keine Genotypisierung möglich.

*2Empfänger war zum Zeitpunkt des Rückverfolgungsverfahrens verstorben.

*3Empfänger war bereits vor der Transfusion der infektiösen Plasmen HCV positiv.

*4Mittels Serotypisierung bestimmt. CML: chronisch myeloische Leukämie, n.t.: nicht getestet, VOD: veno-occlusive disease

(4)

tenerer Infektionsweg geworden. Bei dem Verdacht einer Posttransfusions- Hepatitis C, die eine schwerwiegende UAW (unerwünschte Arzneimittel- wirkung) ist, hat der behandelnde Arzt zu melden:

c an die Bundesoberbehörde, das Paul-Ehrlich-Institut,

c an den Hersteller des Blutpro- dukts, den Pharmazeutischen Unter- nehmer,

c an das betreffende Gesund- heitsamt nach Bundesseuchengesetz undc an die Arzneimittelkommissi- on der Deutschen Ärzteschaft.

Diese Meldepflichten dienen nicht nur zur Risikoerfassung (Hämo- vigilanz), sondern auch der Auf- deckung weiterer Infektionen und der Unterbrechung von Infektionsketten.

Gerade bei der Hepatitis C ist die ra- sche Ermittlung Infizierter dringend erforderlich, um sie einer frühzeitigen Therapie, mit besseren Aussichten auf Heilung, zuzuführen. Die akute Hepatitis C ist jedoch klinisch häufig asymptomatisch, und die ungezielte HCV-Diagnostik (Anti-HCV-Test und HCV-PCR) ist bei der gegenwär- tigen Budget-Situation in Klinik und Praxis ausgeschlossen. Daher ist eine hohe Dunkelziffer an nicht erkannten HCV-Infektionen nicht auszuschlie- ßen. Die vorliegende Beobachtung bestätigt dies; von acht nachgewiese- nen HCV-Fällen wurden lediglich drei klinisch erkannt und nur einer gemel- det. Es muß daher auch an dieser Stel- le zur konsequenten Einhaltung der Meldepflichten von Verdachtsfällen der Posttransfusions-Hepatitis aufge- rufen werden.

Damit sind aber auch die Risi- kobewertungen ausgehend von UAW-Meldungen zu hinterfragen.

Zwischen 1995 und 1998 sind dem PEI in einem Zeitraum von drei Jah- ren und zehn Monaten, in dem zirka 20 Millionen (7) Blutkomponenten transfundiert wurden, insgesamt 670 Verdachtsfälle einer HCV-Infektion durch zelluläre Blutkomponenten und Plasma gemeldet worden. Da- von wurden lediglich 48 nach Ein- führung des Spenderscreenings als wahrscheinlich durch Bluttransfusi- on hervorgerufen klassifiziert. Da bei einem solchen Rückverfolgungs- verfahren aber immer dann von ei-

nem negativen Ergebnis (unwahr- scheinlich) ausgegangen wird, wenn der Spender eines „verdächtigen“

Blutprodukts vier Monate nach die- ser Spende für den betreffenden In- fektionsmarker negativ getestet wird (5, 9) und dies bei Q-Plasma definiti- onsgemäß immer der Fall ist, müssen diese Zahlen in Anbetracht des vor- liegenden Falles gegebenenfalls

nach oben korrigiert werden. Kon- kret bedeutet dies, daß wir zur Zeit die Sicherheit von Quarantäne-Plas- ma nicht ausreichend beurteilen können.

Infektion durch

mangelnde Sensitivität

Die medizinische Hauptursache für die Freigabe der infektiösen Pro- dukte war im vorliegenden Fall die mangelnde Sensitivität eines Testsy- stems. Obwohl der Test von der Bun- desoberbehörde nach entsprechen- der Prüfung zugelassen worden war, erkannte er die Serokonversion und somit die HCV-Infektion des Spen- ders nicht. Unklar ist derzeit, ob dies nur ein Einzelfall ist oder ob auch bei weiteren kommerziellen Anti-HCV- Tests die Gefahr dieses Ausfalls be- steht. Derzeit geht man von einer mittleren Dauer von 82 Tagen (Mini- mum 54 und Maximum 192 Tage) aus,

die nach HCV-Infektion vergehen, bis Antikörper nachweisbar werden.

Aus diesen Gründen kann man be- fürchten, daß ein solches Testversa- gen, wenn überhaupt, sehr selten auf- fallen würde. Der betreffende Spen- der wies den selteneren Typ HCV 3c auf. Ob es weitere medizinische Gründe für eine verzögerte bezie- hungsweise mangelhafte Antikörper- bildung dieses Spenders gibt, ist derzeit unklar.

Ebenfalls ist nach dem ge- genwärtigen Stand der Er- kenntnisse nicht geklärt, in- wieweit häufige Plasma- pheresen die Immunant- wort beziehungsweise die Antikörperbildung und den Antikörpertiter beeinflußt haben können. Auch der Rat der Europäischen Uni- on fordert wissenschaftli- che Untersuchungen zur Klärung der Frage, ob bei Überschreiten der interna- tionalen Empfehlung von 650 ml Plasma pro Spende und von 15 Litern als maxi- maler Spendemenge pro Jahr negative Auswirkun- gen auf den Spender zu er- warten sind. (3).

Zelluläre Blutkompo- nenten werden seit dem 1. 4. 1999 mit HCV-NAT untersucht, so daß es ge- rechtfertigt erscheint, von einer er- höhten Sicherheit bezüglich HCV nicht nur für diese, sondern auch für Q-Plasma auszugehen, wenn es aus Vollblutspenden hergestellt wird, da die HCV-NAT als Befund in die Frei- gabe einbezogen ist. Dies ist aber für Q-Plasma, hergestellt durch häufige Plasmapheresen, offenbar nicht im- mer der Fall, zumindest wird dies bis- her nicht in den entsprechenden Vor- schriften gefordert. Aus dem vorlie- genden Fall ergeben sich jedoch auch für die Bewertung der HCV-NAT wichtige Aspekte. Zwei Spenden in der frühen Phase der Virämie zeigten bei Verwendung der gleichen, derzeit empfindlichsten Routinemethode, diskrepante Ergebnisse. Eine dieser Spenden war infektiös, woraus sich folgern läßt, daß auch die Anwen- dung der HCV-PCR in ihrer emp- findlichsten Variante, nämlich der Testung der Einzelspende (und nicht

M E D I Z I N AKTUELL

1

0 50 100 250 300

2 3

PCR 1 positiv

ELISA 3 positiv 8.7.99

ELISA 1 negativ ELISA 2 negativ

Zeit (Tage) PCR 2 positiv 4 5 6 7 8 9

Transfundierte Plasmen, Empfänger nicht infiziert Transfundierte Plasmen, Empfänger infiziert Nicht transfundierte Plasmen

1.1.98 23.9.97

Grafik

Zeitlicher Ablauf von Spenden, Blutuntersuchungen und Labor- ergebnissen des infektiösen Spenders. Der Zeitpunkt der ersten klinisch infektiösen Spende (Nr. 2) wurde als Tag 1 definiert.

* „Serokonversionsentdeckung“ durch Einführung eines neuen An- ti-HCV-Testsystems (ELISA 3). 1–9: Spendetermine, bei denen ins- gesamt 27 PCR positive Plasmen gewonnen wurden.

(5)

des Pools), nicht alle möglichen und denkbaren HCV-Übertragungen ver- hindern kann. Dies ist auch bei der Aufklärung der Patienten vor Trans- fusionen zu berücksichtigen.

Der beschriebene Vorfall wird dazu führen, das Risiko der Übertra- gung von HCV durch Q-Plasma zu verringern. Die Verbesserung der Si- cherheit hinsichtlich HIV ist dagegen derzeit schwieriger mit Testsystemen allein lösbar, da vergleichbar effekti- ve Testsysteme zur Zeit nicht verfüg- bar sind. Insofern sollte die Sicherheit von Q-Plasma insgesamt hinterfragt und neu bewertet werden, da das Ver- sagen eines Testsystems in einem ein- zigen Fall zu vielen klinischen Infek- tionen führen kann. Daher sollte auch das bisherige bei Faktorenkon- zentraten erfolgreiche Sicherheits- konzept, wie es in Deutschland ent- wickelt und propagiert wurde und in dem die Virusinaktivierung integraler und unverzichtbarer Bestandteil ist, wieder bei Plasma Anwendung fin- den. Die Virusinaktivierung schützt den Empfänger auch bei Versagen der laboranalytischen Testsysteme und nicht nur gegen diejenigen Viren, auf die getestet wird. Dieses Problem sollte vordringlich gelöst werden, da etwa 800 000 Einheiten Plasma (7) jährlich in Deutschland transfundiert werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-2749–2753 [Heft 43]

Literatur

1. AuBuchon JP, Birkmeyer JD, Busch MP:

Safety of the blood supply in the United States: opportunities and controversies.

Ann Intern Med 1997; 127: 904–909.

2. Bekanntmachung über die Zulassung und Registrierung von Arzneimitteln (Abwehr von Arzneimittelrisiken, Stufe II – Blutzu- bereitungen aus Blut oder Plasma vom Menschen gemäß § 4 Abs. 2 AMG). Bun- desanzeiger 1993; Bekanntmachung vom 30. Juli 1993: 7870.

3. Empfehlung des Rates vom 29. Juni 1998 über die Eignung von Blut- und Plasma- spendern und das Screening von Blut- spenden in der Europäischen Gemein- schaft. Amtsblatt der Europäischen Ge- meinschaften 1998; L203/14–L203/26.

4. Glück D, Kubanek B, Maurer C, Petersen N:

Seroconversion of HIV, HCV, and HBV in blood donors in 1996 – risk of virus transmis- sion by blood products in Germany. Infusi- onsther Transfusionsmed 1998; 25: 82–84.

5. Graul A, Keller-Stanislawski B: Hämovigi- lanz von Blutkomponenten. Meldungen an das Paul-Ehrlich-Institut vom 1. 1. 1995 bis zum 15. 11. 1998. Bundesgesundhbl 1999;

42: 143–149.

6. Humpe A, Legler TJ, Riggert J et al.: At least 8 cases of hepatitis C virus (HCV) transmission through quarantine fresh-fro- zen plasma at an university hospital in 1998. Eingereicht zur Jahrestagung der DGTI im Oktober 1999.

7. Institut für Gesundheits-System-For- schung Kiel, WHO Collaborating Centre for Public Health Research. Report on the symposium pharmaceuticals of blood and plasma: self-sufficiency and safety – analy- sis and perspectives – Bonn, March 16, 1994. GSF Schriftenreihe, 1994; Bd. 45.

8. Legler TJ, Köhler M, Heermann K-H:

High-throughput extraction, amplifica- tion, and detection (HEAD) of HCV- RNA in individual blood donations. J Clin Virol 1999; 13: 95–103.

9. Mitteilungen des Arbeitskreises Blut beim Robert-Koch-Institut. Bundesgesundhbl 1994; 12: 512–515.

10. Riggert J, Schwartz DWM, Uy A et al.:

Risk of hepatitis C virus (HCV) transmis- sion by anti-HCV-negative blood compo- nents in Austria and Germany. Ann He- matol 1996; 72: 35–39.

11. Wieding JU, Hellstern P, Köhler M: Inac- tivation of viruses in fresh-frozen plasma.

Ann Hematol 1993; 67: 259–266.

Zwischenzeitlich hat das Paul-Ehrlich-Institut bekannt gemacht, daß es beabsichtigt anzuord- nen, daß mit Wirkung vom 1. Oktober 1999 nur noch HCV-NAT (PCR) getestetes Plasma- pherese-Plasma in Verkehr gebracht werden darf (Bundesanzeiger 1999; Bekanntmachung vom 16. Juli: 12469–12470).

In diesem Zusammenhang muß darauf hinge- wiesen werden, daß bei 5 von 19 i.v. Drogenab- hängigen mehr als 12 (im Mittel 40,8) Monate dauernde, niedrig-titrige HCV-Virämien vor nachweisbarer Serokonversion beschrieben wurden (Beld M, Penning M, van Putten M et al.: Low levels of hepatitis C virus RNA in se- rum, plasma, and peripheral blood mono- nuclear cells of injecting drug users during long antibody-undetectable periods before sero- conversion. Blood 1999; 94: 1183–1191).

Anschrift für die Verfasser

Prof. Dr. med. Michael Köhler Georg-August-Universität Göttingen Zentrum für Hygiene und

Humangenetik

Abteilung Transfusionsmedizin Robert-Koch-Straße 40 37075 Göttingen

Bei der Darstellung möglicher ätiologischer Faktoren wurde aus meiner Sicht leider versäumt, darauf hinzuweisen, daß insbesondere in den USA seit vielen Jahren nicht IgE-vermittelte Allergien und Über- empfindlichkeiten gegenüber Fremd- stoffen (Chemikalien, Metalle) als mögliche Ursache diskutiert und mehrfach publiziert wurden (1, 2, 3).

Molekularbiologische und neuroim-

munologische Untersuchungen über die Pathophysiologie und Wirkungs- weise verschiedenster Fremdstoffe in unserer Atemluft zeigen, daß es durch diese am respiratorischen Epithel zu einer Herabsetzung der Zilienschlagfrequenz und Steige- rung der Permeabilität kommt (4, 5).

Hierdurch gelangen sowohl Allerge-

ne als auch andere Stoffe leichter in das darunter liegende Bindegewe- be, wo sich Mastzellen und andere proinflammatorische Zellen befin- den. Dies und die verstärkte Durch- blutung verursachen eine erhöhte Permeabilität der Gefäßwand mit vermehrter interstitieller Flüssig- keit. Hinzu kommt, daß diese „Ent- zündungen“ sensorische Nervenfa- sern in der Schleimhaut stimulieren und eine neurogene Entzündung mit nachfolgender Vasodilatation, Ödem, Schleimsekretion und möglicherwei- se Kontraktionen der glatten Mus- kulatur verursachen (6). Mitursache

Die hyperkinetische Störung im Jugend- und Erwachsenenalter

Allergien und

Überempfindlichkeiten als Ursache

Zu dem Beitrag von

Dr. med. Stephan Overmeyer Priv.-Doz. Dr. med. Dieter Ebert in Heft 19/1999

(6)

für eine solche neurogene Entzün- dung ist die neuroimmunologische Kopplung. Bei dieser bindet sich Histamin aus Mastzellen an den Re- zeptoren sensibler Nervenfasern und bedingt die Freisetzung der Substanz P, die sich ihrerseits wieder an Re- zeptoren von Mastzellen bindet und eine neuerliche Degranulation in Gang setzt. Weiterhin zeigt sich, daß die von den Epithelzellen produzier- ten Zytokine die Konzentration der Adhäsionsmoleküle auf den Endo- thelzellen steigern (7) und es über diesen Mechanismus ebenfalls zu ei- nem vermehrten Einstrom von Ent- zündungszellen in die Schleimhaut kommt.

Neuste Resultate der Psycho- Neuro-Immunologie belegen, wie be- deutsam die immunrelevanten Zyto- kine und biogene Amine für den Da- tentransfer innerhalb des zentralen Nervensystems sind, so daß über die Änderung der immunologischen Si- tuation ein Einfluß auf zentral-nervö- se Strukturen möglich ist (8, 9).

Von Fremdstoffbelastungen häu- fig betroffen ist der Hirnstamm mit seiner Ansammlung wichtiger Schaltstellen verschiedenster Nerven und Regelkreise. Eine Ursache hier- für könnte sein, daß im Bereich der Formatio reticularis und im Bereich des Hypothalamus keine Blut-Hirn- Schranke vorhanden ist. Untersu- chungen bei Menschen mit entspre- chenden Vorbelastungen oder Expo- sitionen am Arbeitsplatz zeigen eine statistisch signifikante Verminderung der dopaminergen D2-Rezeptoren im Corpus striatum. So bestand eine Kor- relation mit der Dauer der Schad- stoffexposition und der Schädigung der Dopamin-D2-Rezeptoren an den postsynaptischen Membranen (10, 11). Hypothese für diese Schadstoff- wirkungen im ZNS könnte sein, daß Moleküle von Chemikalien auf das Immunsystem wirken und eine Anti- körperbildung induzieren, die zu ei- ner Dopamin-Blockade an der post- synaptischen Membran führt (siehe BSE-/Prionen-Forschung) (12, 13, 14).

Ich denke, daß diese Autoim- munreaktionen an neuronalen Struk- turen die zunehmende Häufigkeit sol- cher Erkrankungen verstehbar ma- chen könnten. In diesem Jahrhundert

hat es bei unseren Kindern eine er- hebliche Veränderung der altherge- brachten Krankheitshäufigkeiten ge- geben (15, 16). Infektionskrankheiten sind weitgehend unter Kontrolle.

Dafür stehen Allergien, Asthma und (kindliche) Krebserkrankungen sowie entwicklungsneurologische Stö- rungen im Vordergrund. Im Sinne ei- ner fürsorglichen Prävention nach- kommender Generationen und Kin- der sollten wir uns mit diesen Ansich- ten und Erkenntnissen befassen. Erst dann wird eine tatsächliche Präventi- on möglich, wenn die alltäglichen Fremdstoffbelastungen reduziert wer- den.

Literatur beim Verfasser

Dr. med. Michael Peter Jauman Arzt für HNO, Umweltmedizin Deutscher Berufsverband der Hals-Nasen-Ohrenärzte e. V.

Marktstraße 25 73033 Göppingen

Während in dem Beitrag die Kli- nik des hyperkinetischen Syndroms mit

„Unaufmerksamkeit/Desorganisiert- heit, Hyperaktivität, Impulsivität und emotionaler Instabilität“ phänomeno- logisch gut dargestellt ist, greifen die rein biologische Ursachenerklärung und die daraus abgeleiteten Therapie- vorschläge entschieden zu kurz.

Die mir in der Kinderpsychiatrie am häufigsten begegnete Ursache des hyperkinetischen Syndroms hat ihren Ursprung in der allerfrühsten Kind- heit. Es handelt sich um Kinder, die schon in der Säuglingszeit als „Schrei- kinder“ oder durch Gedeihstörungen aufgefallen sind, die meist auf einer basalen Unsicherheit (fehlende „basic trust“) in der frühen Eltern-Kind-Be- ziehung beruhen.

Diese wiederum rührt daher, daß zumindest ein Elternteil, vor allem die Mutter, das Kind entweder ablehnt oder zu ihm eine hochambivalente Be- ziehung hat. Es kann sich beispielswei- se um ein unerwünschtes Kind han- deln, das aus realen finanziellen und sozialen Gründen von den Eltern nicht

„angenommen“ wird. Aber auch psy- chische Krankheiten wie Persönlich- keitsstörungen der Eltern können dazu führen, daß sie sich nicht in der Lage fühlen, sich adäquat um den Säugling zu kümmern und somit eine frühe De- privation des Kindes verursachen.

Der frühe Mangel an liebender Zuwendung hinterläßt naturgemäß schwerwiegende Spuren beim Kind.

Fehlende Geborgenheit, das Gefühl, nicht geliebt zu werden und es den El- tern nicht recht machen zu können, ru- fen beim Kind schwere Selbstzweifel und Minderwertigkeitsgefühle („nar- zißtische Wunden“) hervor. Es findet in sich keine Ruhe, reagiert die eigene Unsicherheit und Anspannung moto- risch ab, kann sich nicht konzentrieren und zeigt eine äußerst geringe Frustra- tionstoleranz. Von den Eltern als „an- strengend“ erlebt, erfährt es weitere Ablehnung und Bestrafungen.

Um diesen „Teufelskreis“ ganz früh aufzulösen und wirkliche Prophy- laxe zu betreiben, werden neuerdings Mutter-Kind- oder Eltern-Kind-Bera- tungen von Psychologen und Sozial- pädagogen schon gleich nach der Ge- burt in die Wege geleitet, wenn solche frühen Interaktionsstörungen vom Kinderarzt beobachtet werden. Je si- cherer die Eltern sich in der Beziehung zum Kind fühlen, um so mehr kommt das Kind zur Ruhe. Diese Behandlung erfordert spezielle Fachkenntnisse und ist zeitaufwendig. Aber der Einsatz lohnt sich gewiß, wenn man durch ein frühes Eingreifen, also bevor „das Kind in den Brunnen gefallen ist“, die Medi- zinierung mit hochpotenten und damit auch gefährlichen Medikamenten schon in der frühen Kindheit vermei- den kann. Die „Spätschäden“ im Ju- gendlichen- und Erwachsenenalter, die der Artikel so eindrucksvoll beschreibt, sind sehr schwer zu beheben. Sie verur- sachen der Gesellschaft enorme Folge- kosten, die es zwingend erscheinen las- sen, solche früh einsetzenden profes- sionellen Hilfsmaßnahmen zu ermögli- chen, wie es in Schweden schon länger, und neuerdings auch an einigen Orten in Deutschland, geschieht.

Dr. med. Terje Neraal

Psychotherapeutische Medizin Psychoanalytiker (DPV) Höhenstraße 33c 35435 Wetterberg

M E D I Z I N DISKUSSION

Frühe psychologische

Intervention ratsam

(7)

Zu dem sehr lesenswerten Arti- kel bleibt von neurologischer Seite nur anzumerken, daß es sich bei den Beschreibungen um hyperaktive und nicht um hyperkinetische Störungen handelt. Denn die Hyperkinesien sind gekennzeichnet durch pathologische Substrate im extrapyramidalen Sy- stem, speziell in den striären Anteilen.

Zu diesen Krankheitsbildern gehören zum Beispiel die Chorea Huntington, die Chorea Sydenham, dystone Syn- drome, Athetosen. Generell sind die- se Kranken von unwillkürlichen, nicht unterdrückbaren, bizarr anmutenden Bewegungsabläufen geplagt. Der Muskeltonus ist pathologisch herab- gesetzt. Es handelt sich also um ganz andere Symptome, als bei hyperakti- ven Kindern zu beobachten sind. Wo wir in der Medizin unterscheiden kön- nen, sollten wir es tunlichst auch tun.

Prof. Dr. med. Wolfgang Firnhaber Neurologische Klinik

des Klinikums Darmstadt

Mangoldweg 25 · 64287 Darmstadt

Erfreulicherweise wurde hier ein längst überfälliger und kompetenter Artikel über dieses auch im Erwach- senenalter häufig auftretende Stö- rungsbild veröffentlicht. Es besteht mit Sicherheit ein noch erheblicher Aufklärungsbedarf in der Ärzteschaft und insbesondere bei den hausärztlich tätigen Kollegen.

Kennzeichnend ist eine mehr oder weniger ausgeprägte Desorgani- sation (Stichwort „messies“) und eine Affektlabilität dieser Patienten. Dies führt zwangsläufig in den meisten Le- bensbereichen zu einer steten Anein- anderreihung von Mißerfolgserleb- nissen und damit immer wieder zu heftigen Verstimmungen, die ebenso zwangsläufig in Somatisierungen ihr Ventil finden – im Erscheinungsbild

„kompliziert neurotisch“ und frustrie- rend therapierefraktär. Keinesfalls im Gegensatz hierzu steht die oft verblüf- fende Leistungsfähigkeit in einzelnen

Bereichen, die allerdings von einer an Ausschließlichkeit grenzenden Moti- vation getragen wird.

Als erfahrene Behandler auch vieler Erwachsener drängt es uns je- doch, einige kritische Anmerkungen zu machen:

Praktische Beobachtungen spre- chen dafür, daß die Intensität der Störung im höheren Lebensalter (ab etwa 40 Jahre) nicht abnimmt.

Leider verwenden die Autoren die Diagnose „hyperkinetische Störung“

des ICD-10, obwohl die meisten Kolle- gen beipflichten würden, daß diese ICD-10 auch nicht der Weisheit letzter Schluß ist. Erheblich aktueller und näher an der Realität ist die Diagnose des DSM IV „Aufmerksamkeitsdefizit/

Hyperaktivitätsstörung“ mit den drei Subtypen vorwiegend unaufmerksam, hyperaktiv/hyperimpulsiv und dem am häufigsten vorkommenden Kombinati- onstyp. Außerdem ist nur dort das Störungsbild in Residualform bei Ju- gendlichen und Erwachsenen ausge- wiesen. Allerdings spielt die Hyperak- tivität im Erwachsenenalter kaum noch eine Rolle, wohl der Hauptgrund für die lange Verkennung der Persistenz der Störung.

Das Leitsymptom der mangelhaf- ten Impulskontrolle inklusive der meist extremen Emotionsschwankungen ist unter Alkohol keineswegs ausgepräg- ter. Der überdurchschnittlich hohe An- teil von Alkoholmißbrauch erklärt sich durch eine subjektiv zumindest zu- nächst erlebte Ausgeglichenheit. Der Alkohol ist somit im Rahmen einer

„Selbstmedikation“ zu sehen.

Äußerst problematisch erscheint die Forderung des Nachweises einer hyperkinetischen Störung im Kindes- alter nach Angaben des Patienten und unabhängig davon nach Angaben zu- mindest einer Bezugsperson. Syn- dromtypisch kann der Patient auf- grund seiner mangelhaften Selbst- überwachung und -wahrnehmung häufig nur schlecht über sich berichten und dissimuliert darüber hinaus nicht selten. Fremdanamnestisch sollten al- lerdings auch Schulzeugnisse oder an- dere frühe Beurteilungen genügen dürfen.

Aktuelle internationale For- schungsergebnisse zeigen, daß Mäd- chen überwiegend dem nicht hyperak- tiven, sondern dem vorwiegend unauf-

merksam/impulsiven Typus angehö- ren, der oft erst im Jugendalter über- haupt auffällig wird – oder gar erst nach Geburt des ersten Kindes. Im Er- wachsenenalter scheint die Geschlech- terverteilung gleichmäßig zu sein, was bei als höchstwahrscheinlich ange- nommener Erblichkeit nur den Schluß zuläßt, daß im Kindes- und Jugendal- ter mit seiner „jungslastigen“ Diagno- sehäufigkeit viele Mädchen schlicht- weg nicht als betroffen erkannt wer- den, „weil Mädchen ja auch ruhig ein bißchen verträumter sein dürfen“.

Die Autoren warnen davor, hin- ter jeder emotional-instabilen oder dissozialen Persönlichkeit ADS zu su- chen. Sicher unter dem Aspekt, hier keiner – wie schon mancherorts geäußert – „Modediagnose“ Vor- schub zu leisten. Das ist verständlich, paßt aber nicht zu einer anzunehmen- den Prävalenz der Störung von sechs bis acht Prozent in der Bevölkerung.

Es ist sehr wohl häufig, daß eine le- benslang erfahrene Aneinanderrei- hung von Mißerfolgs-, Frustrations- und sozialen Ablehnungserlebnissen zu mannigfaltigen Persönlichkeits- störungen führen.

Wir würden eine sichere Diagno- sestellung nicht unbedingt zwingend durch Kinder- und Jugend-, sowie Er- wachsenenpsychiater als Vorausset- zung für die medikamentöse Therapie stellen lassen. Es erscheint uns we- sentlich wichtiger, daß Diagnostik und Therapie in den Händen erfahrener Kompetenz liegen sollte, zumal ADS nicht üblicherweise in Lehrplänen der Universitäten und in der psych- iatrischen Weiterbildung enthalten ist, somit also in weiten Kreisen der Ärzteschaft und auch der Kinder- und Jugend-, sowie Erwachsenenpsychia- ter zuwenig Kenntnis besteht.

Wir sind uns darüber im klaren, daß wir noch einen weiten Weg der Wissensverbreitung vor uns haben und betonen nochmals, daß wir alles begrüßen, was der Sache ADS und der Multiplikation profunder Infor- mationen darüber dient.

Dipl.-Psych. Cordula Neuhaus Alleenstraße 29 · 73730 Esslingen Thomas Wirth

Facharzt für Allgemeinmedizin Benzengasse 11/1 · 71636 Ludwigsburg

Diagnose:

hyperaktive Störungen

Kritische Ergänzungen

(8)

Die Übersichtsarbeit von Over- meyer und Ebert und andere Arbei- ten haben die Grundlagen gelegt, da- mit diese Erkrankung vermehrt dif- ferentialdiagnostisch erwogen wer- den kann, was bisher sicherlich nur bedingt der Fall war. Die Notwen- digkeit einer entsprechenden Kom- petenz von ärztlicher Seite ergibt sich auch, weil inzwischen eine Viel- zahl von Büchern vorliegt, die die Patienten motivieren, sich selbst mit der Frage der Differentialdiagnose eines möglicherweise bestehenden Aufmerksamkeitsdefizites beim Arzt vorzustellen (1, 2, 3, 4). Dies gilt für Eltern, deren Kinder Lernschwierig- keiten, Verhaltensauffälligkeiten so- wie Impulskontrollstörungen zeigen, aber auch für Erwachsene mit Aufmerksamkeitsstörungen, Persön- lichkeitsstörungen sowie Depressio- nen.

Unter der Verdachtsdiagnose des Aufmerksamkeitsdefizit - Syndroms kommt es damit zu der Vorstellung ei- ner Vielzahl von Patienten, deren Störung bisher unklar blieb, unbefrie- digend behandelt wurde, oder die mit der bisherigen Einordnung ihrer Störung nicht zufrieden waren.

Deshalb muß vor jedweder the- rapeutischen Überlegung – banal ge- sprochen – eine genaue Differential- diagnose erfolgen: beispielsweise zeigen sich Symptome der Unauf- merksamkeit bei Kindern mit niedri- gem IQ, die eine für ihre intellektu- elle Fähigkeit ungeeignete Schule besuchen. Dies gilt selbstverständ- lich auch für Kinder mit hoher Intel- ligenz, die eine Schule besuchen, die sie zu wenig fordert und anregt. In beiden Fällen liegt also keine Auf- merksamkeitsstörung im eigentli- chen Sinne vor.

Typischerweise beginnen Sym- ptome der Unaufmerksamkeit bei affektiven Störungen, Angststörun- gen, Dissoziationsstörungen, Per- sönlichkeitsstörungen nach dem siebten Lebensjahr, so daß in diesen Fällen kein Aufmerksamkeitsdefi- zitsyndrom vorliegt. Bei Erwachse- nen läßt sich diese differenzierte Anamnese aber oftmals kaum erhe-

ben, weil anamnestische Angaben fehlen: Die Lehrer sind nicht mehr erreichbar, Eltern sind verstorben oder Kontakte aus den Jugendjahren bestehen nicht mehr, Zeugnisse sind nicht mehr auffindbar, so daß die Störung nicht eindeutig zu diagnosti- zieren ist. Gleichzeitig unterliegen anamnestische Angaben nach vielen Jahren retrospektiv einem Wandel (5). Der notwendigen strikten An- wendung der diagnostischen Richtli- nien des DSM IV stehen eigene Er- fahrungen bei der Analyse der

„Krankengeschichte“ mehrerer Fa- milien mit hyperkinetischem Syn- drom gegenüber.

Bei der klinischen und neuro- psychologischen Untersuchung von mehreren Familien, deren Mitglie- der in drei Generationen ein hyper- kinetisches Syndrom (HKS) aufwei- sen, zeigte sich, daß das Syndrom, wie im übrigen auch bei anderen neurogenetischen Krankheitsbil- dern, offenbar auch abortive Mani- festationen zeigen kann. Patienten mit „Schwachformen“ der Erkran- kung berichten nicht eine typische Krankengeschichte mit Hyperakti- vität, Impulskontrollstörungen, mo- torischen Auffälligkeiten oder be- wußt erlebten Aufmerksamkeits- störungen, die zu Schulproblemen führten. Einem erwachsenen Famili- enmitglied war seit seiner Jugend nur die verminderte Aufmerksam- keitsspanne auffällig, die ihn dazu zwang, immer länger am Schreib- tisch zu sitzen, als andere Mitschüler sowie seine Berufskollegen. Die Diagnose der „Störung“ wurde erst erwogen, weil bei den Kindern ein- deutig HKS diagnostiziert wurde.

Dieser Umstand weist auf ein gewis- ses Dilemma, insbesondere bei der Diagnose der sporadisch auftreten- den Störungen hin und stützt die Notwendigkeit der Etablierung von neurogenetischen Studien (Segrega- tionsanalysen).

Hilfreich ist neben der entschei- denden Anamnese der Betroffenen und der neuropsychologischen Te- stung der Patienten der sogenannte TOVA-Test (test of variables of at- tention), der es gestattet, über eine einfache, nonverbale (visuelle oder auditive) Aufgabenstellung Fehler- muster zu erkennen und so Rück-

schlüsse auf eine vorliegende Auf- merksamkeitsstörung zu ziehen. Die Messung von richtigen und falschen Antworten, eine Bestimmung der Reaktionszeiten und eine Auswer- tung der Daten nach statistischen Gesichtspunkten werden computer- gesteuert durchgeführt. Die Evalua- tion der Leistung des Probanden er- folgt über eine Datenbank mit al- tersabhängigen Normwerten, die zum Vergleich herangezogen werden (5). Der Test kann aber auch zur quantitativen Erfassung und Über- prüfung der Wirksamkeit medika- mentöser Therapien herangezogen werden. Dabei ist einerseits der ob- jektivierbare Vergleich zwischen der Wirksamkeit verschiedener medika- mentöser Behandlungen möglich.

Andererseits kann eine optimale Ba- lance zwischen einer Symptomre- duktion des HKS und dem Auftreten von Nebenwirkungen erreicht wer- den. Dies ist insofern relevant, als daß sich die Anpassung der Dosis als Problem erweisen kann (6). Der TOVA-Test erlaubt überdies die the- rapiebegleitende Prüfung der Auf- merksamkeit und Reaktionszeit, so daß eine langsame Titration der me- dikamentösen „Therapie“ möglich ist. Damit werden durch die compu- tergestützte Aufmerksamkeitsprü- fung Überdosierungen vermeidbar.

Literatur beim Verfasser Priv.-Doz. Dr. med.

Victor-Felix Mautner Klinikum Nord-Ochsenzoll Neurologische Abteilung Langenhorner Chaussee 560 22149 Hamburg

Nun wissen wir es also: Es gibt scheinbar eine Rotte „unaufmerksa- mer“, „geistesabwesender“ Kinder und neuerdings auch Erwachsener mit gefährlichem Hang zu „Alkohol/

Drogenmißbrauch“ und „dissozialen Persönlichkeitszügen“. Diese Perso- nen wollen sich einfach „nicht unter- ordnen“ und „Anweisungen durch- führen“. – Oh, jeh! All diese leiden

M E D I Z I N DISKUSSION

Differentialdiagnose jetzt möglich

Einseitig biologische

Sichtweise

(9)

an einem hyperkinetischen Syn- drom. Allerdings ist die Hyperakti- vität „nicht obligat“, oft wirken diese Personen einfach nur „gelangweilt“

und „dysphorisch“. Aber wie soll man sie dann erkennen? Dabei bräuchten diese Personen nur einen guten Arzt, der ihnen Ritalin und Amphetamin nebst etwas Verhal- tenstherapie rezeptiert.

Entgegen weit verbreiteter und immer wieder publizierter Ansicht, gibt es bis heute keine epistemolo- gisch saubere wissenschaftliche Un- tersuchungen, die im Falle eines so- genannten hyperkinetischen Syn- droms den Behandlungserfolg mit Stimulanzien zweifelsfrei belegt. In der frankophonen Literatur wird ei- ne neuro-physiologische Begrün- dung des hyperkinetischen Syn- droms sogar weitgehend bestritten.

In den Tagen einseitig biologisch ori- entierter Psychiatrie bleiben abwei- chende Konzeptualisierungen wohl besser verschwiegen.

Gänzlich unbeachtet bleiben in dem Artikel die dynamischen Rela- tionen zwischen Sozialisations- und Enkulturationsbedingungen und die Symptommanifestation als wesent- licher causa. Wer sich klinisch ein- gehend mit unruhigen Kindern be- schäftigt, kann beobachten, daß noch jedes „hyperkinetische“ Kind bei ausreichender Einzelzuwendung sta- bile Aufmerksamkeit und emotiona- le Ausgeglichenheit erzielen kann.

Dr. med. et lic. theol.

Peter Hellwege

Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie

Frankenweg 46 · 21680 Stade

Aus verschiedenen Perspektiven kritisieren zwei Stellungnahmen den Begriff der „hyperkinetischen Stö- rung“ aus der ICD-10-Klassifikation.

Wir schließen uns der Meinung an, daß die aus der amerikanischen DSM- IV-Klassifikation entlehnte Diagnose

„Aufmerksamkeitsdefizit/ Hyperakti- vitätsstörung“ die Störung besser be- schreibt (siehe hierzu auch eine um- fassende Nomenklatur-Diskussion in

1). Die amerikanischen Kriterien sind weicher und bedingen deshalb eine höhere Prävalenz der Störung (2).

Die Zuschriften spiegeln die Diskussion über die Diagnosekrite- rien der Störung. So wird einerseits die Diagnose an sich, sogar im Kin- desalter, angezweifelt, andererseits werden weniger ausschließende Dia- gnosekriterien oder „Diagnosepro- zeduren“ gefordert oder es wird auf unterdiagnostizierte „Abortivfor- men“ der Erkrankung hingewiesen.

In Kenntnis dieser Kontroverse und um nicht eine zu häufige Diagnose durch im Umgang mit dem Krank- heitsbild wenig Erfahrene zu för- dern, haben wir in unserem Beitrag konservative Diagnosekriterien an- gegeben.

Nach unserer Erfahrung wird dadurch das Risiko vermindert, die Störung falsch positiv zu diagnosti- zieren, während falsch negative Dia- gnosen bei strenger Anwendung der Kriterien durchaus möglich sind.

Dementsprechend begrüßen wir die Hinweise auf die zu seltene Diagno- sestellung bei Mädchen/Frauen und auf die Notwendigkeit, Abortivfor- men zu beachten. Diese Mitteilun- gen entsprechen unseren ähnlichen klinischen Erfahrungen.

Mehrere Zuschriften widmen sich der Ätiologie der Störung. Wir haben uns in dem Beitrag darauf be- schränkt, wenig umstrittene oder aufgrund der Datenlage konsistente wissenschaftliche Untersuchungen zu erwähnen. Nach dem derzeitigen Kenntnisstand ist die Ätiologie der Störung nicht geklärt, und es ist auch offen, ob eine einzelne oder ver- schiedene mögliche Ursachen zum gleichen phänomenologischen Bild führen.

Der Beitrag von Michael Peter Jaumann fügt den erwähnten Hypo- thesen eine weitere in Form einer

„Allergiehypothese“ hinzu. Diese ist zwar umstritten, aber, wie der Bei- trag zeigt, durch Untersuchungen belegt und weiter überprüfbar.

Auf die fehlende Berücksichti- gung psychodynamischer und sozio- kultureller Einflußfaktoren, wobei aber ausschließlich auf die Störun- gen im Kindesalter Bezug genom- men wurde, sowie auf den therapeu- tischen Nutzen von Psychopharmaka

gehen weitere Beiträge ein. Nach un- serer klinischen Erfahrung und auch wissenschaftlichen Untersuchungen ist der Einsatz von biologischen und/oder psychotherapeutisch ori- entierten Therapieverfahren ge- rechtfertigt.

Literatur

1. Krause K-H, Krause J, Trott G-E: Das hyperkinetische Syndrom (Aufmerksam- keitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung) des Erwachsenenalters. Nervenarzt 1998; 69:

543–556.

2. Toone BK, van der Linden GJ: Attention deficit hyperactivity disorder or hyperki- netic disorder in adults. Br J Psychiatry 1997; 170: 489–491.

Dr. med. Stephan Overmeyer Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie

Friedrich-Schiller-Universität Philosophenweg 3–5

07740 Jena

Schlußwort

Berichtigung

In Heft 42 vom 22. Oktober 1999 wurde aufgrund eines technischen Versehens die Abbildung 1 zweimal reproduziert. Die korrekte Abbildung 2 ist hier dargestellt.

Abbildung 2: S.K. (4 Jahre, 3 Monate): Fallot’sche Te- tralogie, postoperativer AV-Block nach Korrektur-OP (6/92), myokardiale VVI-Implantation 6/92, Um- wandlung in ein DDD-System 6/95

(10)

ie Arbeitsgruppe „Genfer Ge- spräche GnRH-Agonisten in der Gynäkologie“ erarbeitete im Frühjahr 1999 einige Grundsätze zur Therapie des prä- und perime- nopausalen Mammakarzinoms. Zur Zeit sind weltweit acht Millionen Frau- en erkrankt. In Deutschland erkranken jedes Jahr 45 000 Frauen, wobei der Al- tersgipfel derzeit bei 55 bis 60 Jahren liegt. Aktuell erkrankt etwa jede neun- te Frau im Laufe ihres Lebens an einem Mammakarzinom. Therapie der ersten Wahl ist die chirurgische Entfernung des Primärtumors und der axillären Lymphknoten (gegebenenfalls des Sentinel-Lymphknotens, derzeit Ge- genstand klinischer Studien) mit bezie- hungsweise ohne nachfolgende Be- strahlung, je nach chirurgischer Vorge- hensweise. In vielen Fällen ist eine me- dikamentöse adjuvante Nachbehand- lung erforderlich, da bereits mit einer okkulten Fernmetastasierung gerech- net werden muß. Nodal positive Patien- tinnen sind dabei im Vergleich zu nodal negativen Patientinnen deutlich ge- fährdeter, Fernmetastasen zu manife- stieren. Bei der prä- und perimenopau- salen Frau wird heute in vielen Fällen eine adjuvante Chemotherapie, bei- spielsweise mit Cyclophosphamid-/Me- thotrexat-/5 Fluorouracil-Schema oder anthracylin- beziehungsweise taxan- haltigen Kombinationen, durchge- führt. Hierdurch läßt sich sowohl das rezidivfreie Überleben als auch das Ge- samtüberleben im Vergleich zu unbe- handelten Patientinnen um zirka 25 Prozent verbessern, wobei der absolute Nutzen bei acht bis zehn Prozent liegt (nach Daten der EBCTCG-Studie).

Der Nutzen der Chemotherapie ist da- bei sowohl für nodal positive als auch nodal negative Patientinnen gesichert.

Bei etwa der Hälfte der prä- und peri- menopausalen Patientinnen liegt ein hormonabhängiger Tumor, definiert durch einen positiven Hormonrezep- torbefund, vor. Diese Patientinnen können von einer antiöstrogenen The-

rapie profitieren. Für die Hormonre- zeptorbestimmungen haben sich in den letzten Jahren immunhistochemische Methoden mit monoklonalen Antikör- pern durchgesetzt. Diese können auch am paraffineingebetteten Material oder an kleinen Tumoren und Rezidi- ven durchgeführt werden.

Therapie mit GnRH-Agonisten

Die aktuellen Metaanalysen zur Ovarektomie in der adjuvanten Situati- on haben gezeigt, daß in der Prä- und Perimenopause die Ovarektomie der Chemotherapie hinsichtlich der Ver- besserung des rezidivfreien Überle- bens, aber auch des Gesamtüberlebens, mindestens ebenbürtig ist. Aktuell wird geprüft, ob die Effekte der Ovarekto- mie sich auch durch einen auf zwei Jah- re befristeten Hormonentzug durch die Gabe von Gonadotropin-Releasing- Hormon-(GnRH-)Agonisten erzielen lassen. GnRH-Agonisten bewirken ei- ne medikamentöse reversible und da- mit steuerbare endokrine Regulation auf ein niedrigeres Niveau, wobei die sekundären Erscheinungen (bedingt durch die Östradiolsuppression) dem klimakterischen Beschwerdebild glei- chen. Im Stadium der Fernmetastasie- rung ist das oberste Ziel eine Lebens- verlängerung bei guter Lebensqualität.

Bei rezeptorpositiven Patientinnen oh- ne deutliche klinische Beschwerdesym-

ptomatik ist eine Erstlinientherapie mittels endokriner Schritte zu überle- gen. Die mediane Überlebenszeit liegt bei nicht foudroyanter Metastasierung nahezu unabhängig von der gewählten Therapieform bei etwa zwei Jahren.

Die objektiven Ansprechraten bei GnRH-Agonisten liegen bei Hormon- rezeptor-positiven Tumoren bei 30 bis 40 Prozent. Die mediane Dauer des Ansprechens beträgt etwa zwölf Mona- te. Bei einem initialen Ansprechen wird die GnRH-Agonisten-Therapie bis zum Progreß fortgesetzt. An- schließend ist eine Kombinationsthera- pie des GnRH-Agonisten mit einer zweiten endokrin wirksamen Substanz (Tamoxifen, Aromatasehemmer, Ge- stagene) sinnvoll. Allerdings deuten er- ste Studienergebnisse darauf hin, daß eine primäre Kombination (GnRH plus Tamoxifen, GnRH plus Aromata- sehemmer) höhere Wirksamkeit zeigt als eine Monotherapie oder als eine Se- quenztherapie. In etwa 20 Prozent der Fälle kann durch eine erneute endokri- ne Kombination ein Ansprechen er- zielt werden. Bei einer primären Pro- gression ist die Umstellung auf eine Chemotherapie in Erwägung zu zie- hen. Eine endokrine Therapie beim metastasierten prä- beziehungsweise perimenopausalen Mammakarzinom verschlechtert die Chancen einer even- tuell nachfolgenden Chemotherapie wahrscheinlich nicht. Hormonrezep- tor- positive prä- beziehungsweise peri- menopausale Patientinnen mit meta- stasiertem Mammakarzinom und einer Metastasierung mit geringem Risiko ohne klinische Beschwerdesymptoma- tik oder foudroyanter Metastasierung können grundsätzlich im ersten Schritt mit einem GnRH-Agonisten behan- delt werden.

Prof. Dr. med. A. E. Schindler Geschäftsführender Direktor Zentrum für Frauenheilkunde Universitätsklinikum Essen Hufelandstraße 55 · 41522 Essen

M E D I Z I N KONGRESSBERICHT

Gonadotropin-Releasing- Hormon-Agonisten

Einsatz in der gynäkologischen Onkologie

D

An der Erstellung des Manuskripts waren folgende Personen beteiligt:

Dr. med. K. Bühler, Hamburg, Prof. Dr. med.

G. Emons, Göttingen, Prof. Dr. med. L. Kie- sel, Tübingen, Prof. Dr. med. R. Kreienberg, Ulm, Prof. Dr. med. B. Lunenfeld, Tel Aviv, Dr.

med. A. Malter, Merzig, Prof. med. K. W.

Schweppe, Westerstede, Priv.-Doz. Dr.

med. M. Untch, München, Prof. Dr. med. D.

Wallwiener, Tübingen, Prim. Dr. W. Zeil- mann, Schwarzbach (Salzburger Land)

Referenzen

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