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Archiv "Bundesverfassungsgericht: Durchsuchung der Praxis sind Grenzen gesteckt" (25.07.1997)

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nfang der 90er Jahre hatten die staatsanwaltschaftlichen Er- mittlungsverfahren gegen Kas- senärzte ihren Höhepunkt er- reicht. Vor allem im westdeutschen Raum fühlten sich zahlreiche Ärzte regelrecht verfolgt und klagten über behördliche Maßnahmen, die ihnen willkürlich erschienen. Anlaß für die Ermittlungen war fast immer der Ver- dacht auf Abrechnungsmanipulatio- nen. Einer dieser Fälle beschäftigte nun das Bundesverfassungsgericht.

Die Vorgeschichte beginnt im Ja- nuar 1990: Die Staatsanwaltschaft Es- sen fragt aufgrund von Zeitungsmel- dungen beim AOK-Landesverband Westfalen-Lippe wegen mutmaßlichen Abrechnungsbetrugs von niedergelas- senen Ärzten an. Die Kasse antwortet eher zurückhaltend. Eine Auswertung von Quartalsabrechnungen verschie- dener Ärzte habe zwar zu Ergebnissen geführt, die auffällig seien, aber noch keine Rückschlüsse auf eventuelle Ma- nipulationen oder Betrügereien zu- ließen. Gleichwohl leitet die Staatsan- waltschaft ein Ermittlungsverfahren gegen Dr. D. (der volle Name des Be- troffenen ist in dem Beschluß des Ver- fassungsgerichts nicht genannt) ein.

Am 6. Juli 1990 erläßt das Amts- gericht Gelsenkirchen einen Durch- suchungsbeschluß für die Praxisräu- me des Arztes. Man hofft in den Pati- entenkarteikarten, den Abrechnungs- unterlagen, den Labor- und EKG- Büchern, in den Terminkalendern und den Personalunterlagen Beweise für den vermuteten Betrug zu finden.

Durchsucht wird allerdings nicht. Erst am 25. März 1991 wendet sich die Es- sener Staatsanwaltschaft an die zu- ständige Kassenärztliche Vereini- gung. Sie will wissen, ob ein Tagespro- fil über das Abrechnungsverhalten von Dr. D. erstellt worden sei. Die KV verneint dies am 16. April 1991.

Von diesem Zeitpunkt an sind weitere Ermittlungen nicht aktenkun- dig. Dann aber, am 26. August 1992, erhält Dr. D. Besuch von der Staatsan- waltschaft – mit dem Durchsuchungs- beschluß vom 6. Juli 1990. Die Beam- ten nehmen 100 Patientenkarteikarten und einen Aktenordner mit Rund- schreiben der KV mit. Die Durchsu- chung der Praxisräume erfolgte also mehr als zwei Jahre nach Ausstellung des Durchsuchungsbeschlusses.

Dr. D. wehrt sich gegen dieses Vor- gehen. Er reicht eine Beschwerde beim Landgericht Essen ein. Die Durchsu- chung sei zum Zeitpunkt ihrer Durch- führung unzulässig gewesen, weil zwi- schen Erlaß und Vollstreckung mehr als zwei Jahre gelegen haben. Die Staats- anwaltschaft macht demgegenüber

geltend, eine frühere Vollstreckung sei wegen der Überlastung der dafür zu- ständigen Abteilung nicht möglich gewesen. Das Landgericht verwirft am 15. Oktober 1992 die Beschwerde von Dr. D. mit einer bemerkenswerten Begründung. Eine Beschwerde nach Vollzug der Durchsuchung – wie im vor- liegenden Fall – sei unzulässig, sie sei

„prozessual überholt“.

Dr. D.s Einwand, daß man gegen eine Durchsuchung in der Regel erst nach der Aktion vorgehen könne, spielt vor dem Landgericht Gelsenkir- chen keine Rolle, wohl aber im Be-

schluß des Bundesverfassungsgerichts.

Am 27. Mai 1997 stellen die Richter in der roten Robe fest: „Das Landgericht hat den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 GG) dadurch verletzt, daß es seine Beschwerde als unzulässig verworfen hat.“

Die Verfassungsrichter stellen noch einiges andere klar. So, daß ein Richter eine Durchsuchung nur an- ordnen darf, „wenn er sich auf Grund eigenverantwortlicher Prüfung der Ermittlungen überzeugt hat, daß die Maßnahme verhältnismäßig ist“. Der Durchsuchungsbeschluß müsse ferner Rahmen, Grenzen und Ziel der Durchsuchung definieren. In dem Be- schluß heißt es weiter: „Soll eine rich- terliche Anordnung als Rechtsgrund- lage für eine erst im großen zeitlichen Abstand durchgeführte Maßnahme dienen, so ist diese Durchsuchung nicht mehr der Entscheidungsgegen- stand, für den der Richter die Verant- wortung übernimmt.“

Die Verfassungsrichter führen aus, daß das Grundgesetz zwar zulas- se, von dem Vollzug einer Durchsu- chungsanordnung „vorläufig abzuse- hen“. Es erlaube der Staatsanwalt- schaft aber nicht, sich eine Durchsu- chungsanordnung „gewissermaßen auf Vorrat“ zu besorgen oder diese

„vorrätig zu halten“. Konkret: „Spä- testens nach Ablauf eines halben Jah- res verliert ein Durchsuchungsbe- schluß seine rechtfertigende Kraft.“

Dr. D., so der Beschluß, be- kommt seine Auslagen in vollem Um- fang erstattet. Josef Maus A-1987

P O L I T I K AKTUELL

Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 30, 25. Juli 1997 (23)

Bundesverfassungsgericht

Durchsuchung der Praxis sind Grenzen gesteckt

Staatsanwälte dürfen nicht alles – auch dann nicht, wenn es um Ermittlungen gegen Kas- senärzte wegen Verdacht auf Abrechnungsbetrug geht. Mit einem solchen Fall befaßte sich jetzt das Bundesverfassungsgericht. Es kam zu einem bemerkenswerten Beschluß: Ein Rich- ter darf eine Durchsuchung (hier: der Praxisräume) nur anordnen, wenn er sich selbst davon überzeugt hat, daß die Maßnahme verhältnismäßig ist. Spätestens nach einem halben Jahr verliert ein Durchsuchungsbeschluß seine rechtfertigende Kraft. In dem vorliegenden Fall hatte die Staatsanwaltschaft die Durchsuchung jedoch erst nach zwei Jahren vorgenommen.

„Doktor, ich fordere Sie auf, die Tür freizugeben, auch wenn der Hausdurchsuchungsbefehl schon

siebzehn Jahre alt ist!“

Zeichnung: Dr. med. Manfred Krause-Sternberg

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