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n den letzten Jahren kam es zu einem drastischen Anstieg von Soforttypallergien gegen Naturla- texprodukte, vor allem verursacht durch Handschuhe. Besonders be- troffen sind hiervon Beschäftigte im Gesundheitswesen und mehrfach operierte Patienten (4, 9, 13, 14, 15, 19). Nach einer kürzlich publizierten Querschnittsstudie sind heute sechs bis elf Prozent des Krankenpflegeper- sonals gegen Latex sensibilisiert (8).Zirka 60 Prozent dieser Personen zei- gen Überempfindlichkeitsreaktionen.
Dabei steht die Kontakturtikaria im Vordergrund. Aber auch Rhinokon- junktivitis und Asthma bronchiale sind infolge der oft anhaltenden aero- genen Belastung
häufig zu beobach- ten (5). Intensiver Latexallergenkon- takt, zum Beispiel im Rahmen ei- nes großflächigen Wund- beziehungs- weise Schleim- hautkontakts, ist für den Latexaller- giker mit dem Risi- ko eines anaphy- laktischen Schocks
verbunden. Als Auslöser dieser aller- gischen Reaktionen konnten Prote- ine, die aus der Latexmilch stammen und sich in Gummiartikeln und im Handschuhpuder wiederfinden, iden- tifiziert werden (10).
Wie die im folgenden dargestell- ten eigenen Untersuchungen zeigen, sind die dominierenden Proteine in der Latexmilch das Hevein und seine Vorläufer. Das hier näher charakteri- sierte Hevein entsteht durch Abspal- tung aus dem 20 kDa großen Prohe- vein. Es ist aus 43 Aminosäuren auf- gebaut, wovon acht Aminosäuren Cysteine sind, die alle Disulfid-
brücken ausbilden (Grafik 1). Die Reste des Proheveins werden abge- baut.
Eigene klinische
und immunbiologische Untersuchungen
Allergie-Hauttest
81 Prozent der 21 Personen mit Soforttypreaktionen auf den Latexex- trakt weisen auch auf das gereinigte Hevein einen positiven Hauttestbe- fund auf. Im allgemeinen war die Re- aktion auf Hevein im Pricktest stärker ausgeprägt als jene auf den Latexex-
trakt mit der gleichen Proteinkonzen- tration.
Heveininduzierte
Histaminfreisetzung in vitro Von fünf Personen mit positiven Hauttestbefunden auf Hevein wurde heparinisiertes Vollblut gewonnen, und nach In-vitro-Stimulation der Ba- sophilen mit Hevein in unterschiedli-
chen Konzentrationen wurde die Hi- staminfreisetzung überprüft. In allen Fällen induzierte Hevein Histaminf- reisetzung. Diese war vergleichbar mit jener von Latexgesamtextrakt.
Hingegen bewirkte die Inkubation der Basophilen mit einer Kontroll- substanz (Weizenkeim-Agglutinin) in vergleichbaren Konzentrationen kei- ne signifikante Histaminfreisetzung (Grafik 2).
Bestimmung spezifischer IgE-Antikörper gegen das gereinigte Hevein
Hierfür wurden Serumproben von Latexallergikern verwendet. In der Gruppe 1 zeig- ten 74 Prozent die- ser Patienten aus dem Gesundheits- wesen im Enzyme- allergosorbent-Test (EAST) hevein- spezifische IgE-An- tikörper. In der Gruppe 2 haben nur 27 Prozent der latexsensibili- sierten Spina-bifi- da-Kinder hevein- spezifisches IgE. In der Kontrollgrup- pe hatte keine der sechs Personen oh- ne Latexsensibilisierung (vier aus dem Gesundheitswesen, zwei Spina-bifida- Kinder) IgE-Antikörper gegen He- vein.
In der Gruppe 1 war auffällig, daß die IgE-Antikörperkonzentration ge- gen Hevein etwa gleich hoch war wie jene gegen Latexgesamtallergen. Um genauer zu quantifizieren, welchen Anteil Hevein an der Gesamt- allergenaktivität hat, führten wir Präin- kubationen der Serumproben mit He- vein vor der Serumantikörperbestim- mung mit Latexgesamtallergen durch.
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M E D I Z I N KURZBERICHT
Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 22, 30. Mai 1997 (47)
Xaver Baur Zhipping Chen Anton Posch Hans-Peter Rihs Monika Raulf-Heimsoth Henning Allmers
Molekulare Allergologie
Struktur und klinische Relevanz des Naturlatex- Hauptallergens Hevein
Berufsgenossenschaftliches Forschungsinstitut für Arbeitsmedizin (Direktor: Prof. Dr. med.
Xaver Baur), Institut an der Ruhr-Universität Bochum
E Q C G R Q A G G K L C P N N L C C S Q W G W C G S T D E Y C S P D H N C Q S N C K D 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 0 1 2 3
+ +
+ + + +
+ +
Primärstruktur und Disulfidbindungen von Hevein Grafik 1
Fünf µg Hevein, das in Vorversuchen eine vollständige Autoinhibition ge- zeigt hatte, wurden hierbei als Inhibitor mit dem Patientenserum inkubiert. Die IgE-Bindung an Gesamtlatexallerge- nen konnte auf diese Weise je nach Pa- tientenserum zu 65 Prozent bis 100 Pro- zent blockiert werden (6). Dies belegt die ganz im Vordergrund stehende All- ergenwirkung des Hevein.
Immunoblot-Inhibition
Die Latexproteine wurden zu- nächst elektrophoretisch aufgetrennt und dann auf eine PVDF-Membran übertragen. Anschließend erfolgte eine Inkubation mit Seren, die spezi- fische IgE-Antikörper gegen Latex- gesamtallergen aufwiesen. Es zeigt sich eine IgE-Bindung an ein 20 kDa- Protein, in einigen Fällen auch an weitere Proteine (14 kDa, 43 kDa,
> 94 kDa). Nach Präinkubation mit Hevein fand sich in keinem der Seren noch eine Reaktion mit der 20 kDa- Komponente, während die IgE-Bin- dung an die anderen Proteine nicht beeinträchtigt war. Diese Befunde belegen, daß Hevein der IgE-binden- de Teil des 20 kDa-Proteins (offen- sichtlich das Prohevein) ist. Ebenfalls untersuchte Kontrollseren zeigten keine Aktivität (6).
IgE-bindende submolekulare Abschnitte des Hevein
Orientierende eigene Untersu- chungen weisen auf eine Dominanz von Konformationsepitopen hin, das heißt mit Veränderung der Tertiär- struktur des Hevein geht die Antikör- perbindung verloren (Chen et al., in Vorbereitung).
Genetische Assoziationen Die Tatsache, daß 74 Prozent des Personals aus dem Gesundheitswe- sen und 27 Prozent der Spina-bifida- Patienten mit latexspezifischen IgE- Antikörpern eine Hevein-Überemp- findlichkeit aufweisen, veranlaßte uns zu überprüfen, ob ein Zusam- menhang zwischen HLA-Klasse II und der Hevein-Sensibilisierung be- steht. Die Analyse der HLA-Daten ergab eine Frequenz des Phänotyps DR4 von 63 Prozent und des Phäno-
typs DQ8 von 51 Prozent. Beide HLA-Typen waren im untersuchten Kollektiv sowohl im Vergleich zu Personen mit Latex, aber ohne He- veinsensibilisierung (n=16; DR4: 13 Prozent, DQ8: 0 Prozent) als auch zu nichtexponierten Kontrollen (n=90;
DR4: 24 Prozent, DQ8: 18 Prozent) signifikant erhöht. Diese Ergebnisse deuten somit darauf hin, daß die bei- den oben genannten HLA-Allele in die Regulation der IgE-vermittelten Heveinüberempfindlichkeiten invol- viert sind.
3D-Struktur des Hevein
Die Tertiär-Struktur des Hevein wurde zunächst von Rodriguez et al.
(12) mittels Röntgenstrukturanalyse bei 2,8 Ångström Auflösung ermit- telt. NMR-Untersuchungen von An- derson et al. (3) ermöglichten kürzlich die Darstellung der Hevein-Struktur in Lösung. Es fällt eine starke Ähn- lichkeit mit der C-Domäne des Wei- zenkeim-Agglutinins (18) und der
Röntgenstruktur dieses Weizenkeim- Proteins auf.
Hevein enthält eine Konformati- on, die dem „Toxin-Agglutinin-Fal- tungsmotiv“ entspricht, bestehend aus einem Muster von „räumlich eng angeordneten Disulfidbindun- gen“ („closely spaced disulfid linka- ges“), was nach dem Weizenkeim- Agglutinin (wheat germ agglutinin)
auch als WGA-Disulfidbrücken be- zeichnet wird (Grafik 3) und zählt damit zu der Gruppe der chitin- bindenden Abwehrproteine wie bei- spielsweise auch das Lectin und die Endochitinasen von Pflanzen.
Weitere Strukturelemente im Lösungszustand sind (a) ein antipar- alleles b-Faltblatt (Leu16-Ser26), (b) eine kurze Helix von Asp28bbis Cys31 sowie (c) eine kurze Helix von Pro33 bis His35. In der Grafik 3 ist die dreidi- mensionale Struktur des Heveins, ba- sierend auf den NMR-Daten, wieder- gegeben. In der Banddarstellung der Grafik 3sind die strukturbestimmen- den Disulfidbindungen sowie die Faltblattstruktur und die beiden kur- zen Helices zu sehen.
Diskussion
In den letzten Jahren wurden mehrere Proteine des Naturlatex als Allergene identifiziert (10). Unter an- derem erwies sich der an den Latex- partikeln haftende „rubber elonga- tion factor“ (Hev b 1) als ein klinisch wichti- ges Allergen (7). Kürz- lich hatten Alenius et al. (2) IgE-Antikör- perbindungen an das 20 kDa große La- texprotein Prohevein nachgewiesen. Unsere Untersuchungen mit Hevein, das aus fri- scher, mit Ammoniak versetzter Latexmilch gewonnen worden war, konkretisieren und ergänzen die letz- teren Ergebnisse. Mit- tels HPLC-gekoppel- ter Elektrospray-Ioni- sations-Massenspek- trometrie (ESI-MS), matrixassoziierter La- serdesorptions-Massenspektrometrie (MALDI-MS) und N-terminaler Se- quenzierung gelang eine weitergehen- de Charakterisierung. Hevein, ein Schutzprotein des Gummibaumes mit chitinbindenden Eigenschaften, ist das erste Latexprotein, dessen Aller- genität sowohl in vivo als auch in vitro an einem größeren Kollektiv latexsen- sibilisierter Patienten untersucht wur-
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100 80 60 40 20 0
Bru Eck Hei Lin Koe Patienten
Latex-Extrakt Hevein WK-Agglutinin Puffer
% Histamin-Freisetzung (100 % = Total)
Stimuli Grafik 2
Hevein-induzierte Histaminfreisetzung in vitro
de. Im EAST zeigten etwa 74 Prozent der latexallergischen Personen aus dem Gesundheitswesen heveinspezi- fische IgE-Antikör-
per, im Hauttest reagierten 81 Pro- zent. Dagegen waren nur 27 Prozent der latexsensibilisierten Spina-bifida-Kinder heveinpositiv. Die Ergebnisse belegen ein unterschiedliches Spektrum der IgE- Antikörper in ver- schiedenen Patien- tengruppen. Dies ist offensichtlich durch unterschiedli- che qualitative oder auch quantitative Expositionen be- dingt.
Die 3D-Struk- tur des Heveins ist stabilisiert durch vier Disulfid- brücken und enthält sowohl helikale als auch b-Faltblatt- strukturen. Mit der Lösung der Disul-
fidbrücken und der damit verbunde- nen Änderung der räumlichen Struktur geht die Fähigkeit der Anti-
körperbindung verloren. Das heißt, die IgE-Bindung findet an Konfor- mationsepitopen des Heveins statt.
Wir haben hier das erste Latexaller- gen und eines der wenigen klinisch relevanten Allergene überhaupt vor
uns, dessen/deren Struktur vollstän- dig aufgeklärt ist.
Unsere HLA-Typisierungen be- legen, daß die Heveinsensibilisie- rung mit den Allelen DRB1*04 (DR4) und DB1*0302 (DQ8) hoch- signifikant assoziiert ist (11). Beide Allele kodieren für zwei definierte MHC-II-Moleküle, welche von anti- genpräsentierenden Zellen expri- miert werden.
Ihre Aufgabe ist es, Antigenepi- tope dem T-Zellrezeptor zuzuführen.
Letzterer entscheidet, ob die präsen- tierten Antigenfragmente vom Kör- per als fremd oder nicht fremd ein- gestuft werden und in der Nachfolge eine spezifische Immunantwort resul- tiert.
Zitierweise dieses Beitrags:
Dt Ärztebl 1997; 94: A-1499–1501 [Heft 22]
Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck, anzufordern über die Verfasser.
Anschrift für die Verfasser Prof. Dr. med. Xaver Baur Berufsgenossenschaftliches Forschungsinstitut
für Arbeitsmedizin
Bürkle-de-la-Camp-Platz 1 44789 Bochum
A-1501
M E D I Z I N KURZBERICHT/FÜR SIE REFERIERT
Deutsches Ärzteblatt 94,Heft 22, 30. Mai 1997 (49) Grafik 3
Tertiärstruktur des Hevein (NMR-Untersuchung). In dieser Band-Darstellung sind die Disulfidbindungen als Kalottenmodell dargestellt, Helix-Elemente sind rot, b-Faltblatt-Strukturen blau eingefärbt.
Mehrere epidemiologische und experimentelle Untersuchungen wei- sen der Ernährung einen wichtigen Einfluß bei der Entstehung der koro- naren Herzerkrankung zu. Eine ame- rikanische Arbeitsgruppe untersuchte in einer umfangreich angelegten Ko- hortenstudie die Beziehung zwischen ballaststoffreicher Ernährung und dem Risiko der koronaren Herzer- krankung.
Im Jahre 1986 wurden insgesamt 43 757 Männer im Alter von 30 bis 75 Jahren in die Studie aufgenommen.
Zu diesem Zeitpunkt hatten diese Personen keine kardiovaskulären Er- krankungen oder Diabetes. Die Ernährungsgewohnheiten wurden mittels eines 131 Punkte umfassenden Fragebogens ermittelt.
Innerhalb der sechsjährigen Be- obachtungszeit wurden 734 Herz- infarkte dokumentiert. Hiervon wa- ren 229 Infarkte tödlich. Bei einer täg- lichen Ballaststoffaufnahme von durchschnittlich 12,4 Gramm wurden – bezogen auf 49 515 Personenjahre – 112 Herzinfarkte und 47 tödliche In- farkte registriert. Durch eine gestei- gerte Zufuhr von durchschnittlich 28,9 Gramm Ballaststoffen täglich re- duzierte sich – bezogen auf 44 613 Per- sonenjahre – die Anzahl der Herzin- farkte auf 83.
Die Anzahl der tödlichen Infark- te sank auf 26. Hierbei ist die überpro- portionale Reduktion der tödlichen Infarkte besonders hervorzuheben.
Durch die zusätzliche Einbeziehung anderer kardiovaskulärer Risikofak-
toren in die Auswertung wurde das beschriebene Ergebnis nicht wesent- lich beeinflußt.
Im Vergleich zu Ballaststoffen aus Gemüse und Früchten wurde die deutlichste Reduktion des Herzin- farktrisikos durch den Verzehr von Getreideballaststoffen erreicht. Dem- zufolge ist die Zufuhr von Ballaststof- fen, unabhängig von der Fettaufnah- me durch die Nahrung, ein wichtiger Bestandteil der Ernährung. Die Stu- die zeigt, daß Ballaststoffe koronaren Herzerkrankungen vorbeugen kön-
nen. mll
Rimm EB et al.: Vegetable, fruit, and ce- real fiber intake and risk of coronary heart disease among men. JAMA 1996;
275: 447–451.
Dr. Rimm, Department of Nutrition, Harvard School of Public Health, 665 Huntington Ave, Boston, MA 02115, USA.