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Archiv "Androgenresistenzsyndrome - Klinische und molekulare Grundlagen" (19.03.1999)

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A-686 (38) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 11, 19. März 1999 as Auftreten eines intersexu-

ellen Genitales beim Neuge- borenen stellt nicht nur hin- sichtlich einer möglicherweise le- bensbedrohlichen Salzverlustkrise beim Adrenogenitalen Syndrom ei- ne endokrinologische Notfallsituati- on dar. Auch Ursachen einer isolier- ten gestörten Geschlechtsentwick- lung bedürfen einer raschen und zielsicheren Abklärung. Die Unsi- cherheit hinsichtlich der Ge- schlechtszugehörigkeit des Kindes führt zu einer außerordentlichen psychischen Belastung für die El- tern. Daher ist eine exakte Diagnose die Voraussetzung für ein erfolgrei- ches multidisziplinäres Manage- ment. Insbesondere die Fortschritte auf dem Gebiet der molekulargene- tischen Diagnostik haben hierzu in den letzten Jahren einen wachsen- den Beitrag geleistet.

Die normale männliche Genital- entwicklung während der Embryo- genese und während der Pubertät steht unter dem Einfluß komplexer genetischer und hormoneller Me- chanismen.

Durch das SRY und weitere zum Teil auch noch unbekannte Gene wird die Differenzierung der bipo- tenten Gonadenanlage zum Hoden

induziert (19). Nachfolgend wird von den Sertolizellen das Anti-Müller- Hormon (AMH) sezerniert, welches die Regression der Müllerschen Gänge bewirkt. In den Leydigzellen des Hodens erfolgt die Synthese des Testosterons (64).

Die Testosteronproduktion wird während der Fetalzeit vom plazenta- ren Choriongonadotropin stimuliert, nachfolgend steht sie unter dem Ein- fluß des hypophysären luteinisieren- den Hormons (LH) (55). Testoste- ron gelangt über den Blutweg in die androgenabhängige Zielzelle.

Intrazellulär bindet das Hormon entweder direkt an den spezifischen Androgenrezeptor oder wird durch die 5α-Reduktase zu dem noch po- tenteren Dihydrotestosteron meta- bolisiert, das seine Wirkung eben- falls über den Androgenrezeptor entfaltet (64). Der Hormon-Rezep- tor-Komplex gelangt in den Zell- kern, bindet dort an die spezifischen Hormon-Antwort-Elemente in der

Promotorregion androgenregulier- ter Gene und kontrolliert so deren Transkription und die spezifische Zellantwort (20, 46, 55). Obwohl bei- de Liganden über den gleichen Re- zeptor wirken, ist ihre Wirkung un- terschiedlich.

Während Testosteron die Diffe- renzierung der Wolffschen Gänge in- duziert, ist Dihydrotestosteron für die externe Virilisierung verantwort- lich (Grafik 1) (20, 46, 55, 64).

Klinische Grundlagen

Störungen der Geschlechtsent- wicklung während der Embryogene- se führen zu einer verminderten Viri- lisierung genetisch männlicher Indi- viduen. Die Ursachen sind: erstens, eine globale Schädigung des Hodens (Gonadendysgenesie), zweitens, der Verlust einer isolierten hormonel- len Funktion des sonst normal ent- wickelten Hodens (Leydigzellhypo- plasie, Testosteronbiosynthese-De- fekt) oder drittens, bei einer norma- len endokrinen Hodenfunktion, eine Unfähigkeit der Zielgewebe, auf Testosteron anzusprechen (5α-Re- duktase-Defekt, Androgenrezeptor- defekt).

Androgenresistenzsyndrome – Klinische und

molekulare Grundlagen

Olaf Hiort

1

Paul-Martin Holterhus

1

Gernot H. G. Sinnecker

2

Klaus Kruse

1

Die Wirkungsvermittlung der Androgene ist essentiell für die Entwicklung der primären und sekundären männlichen Geschlechtsmerkmale. Störungen der männlichen Genital- entwicklung bei normaler Testosteronbiosynthese des Ho- dens können auf einem Enzymdefekt mit einer mangelnden peripheren Umwandlung in das potentere Dihydro- testosteron beruhen. Häufiger sind allerdings Defekte im Androgenrezeptor, der die Wirkung dieser beiden Hormone

vermittelt. Durch die molekulargene- tische Analyse von Mutationen in den

Genen für das 5α-Reduktase-Enzym und den Andro- genrezeptor konnte ein wichtiger Beitrag für die Differenti- aldiagnostik bei intersexuellem Genitale und die medizini- sche Betreuung betroffener Patienten geleistet werden.

Schlüsselwörter: Intersexualität, Androgenresistenz, An- drogenrezeptor, 5α-Reduktase, Molekulargenetik

ZUSAMMENFASSUNG

Clinical Basis and Molecular Genetics of Androgen Resistance

Androgenic steroids are essential for male sexual differen- tiation. Disorders of male genital development in spite of normal testosterone biosynthesis can be due to an enzyme defect with impaired conversion of testosterone to dihydro- testosterone. More often, however, they are caused by an

androgen receptor dysfunction. Molecular genet- ic analysis of mutations in the genes for the 5α-

reductase enzyme and the androgen receptor plays a sub- stantial role in the differential diagnosis of intersex disorders and is helpful for the medical management of these patients.

Key words: Intersex disorder, androgen insensitivity, an- drogen receptor, 5α-reductase, molecular genetics

SUMMARY

D

1 Klinik für Pädiatrie (Direktor: Prof. Dr. med.

Klaus Kruse) der Medizinischen Universität zu Lübeck

2 Klinik für Kinder- und Jugendmedizin (Chef- arzt: Prof. Dr. med. Gernot H. G. Sinnecker) des Stadtkrankenhauses Wolfsburg

(2)

Bei Patienten mit Androgenre- sistenzsyndromen besteht eine iso- lierte Funktionsstörung der periphe- ren Zielzelle. Das innere Genitale ist immer männlich, und es lassen sich, im Gegensatz zur Gonadendysgene- sie, keine Müllerschen Strukturen nachweisen, da das Anti-Müller- Hormon normal von den Sertolizel- len sezerniert wird (20, 55).

Der Phänotyp der Patienten ist sehr variabel. Das klinische Spek- trum reicht vom äußerlich normalen Mann, bei dem nur subtile Defizite der Androgenwirkung nachweisbar sind, über alle Zwischenstufen ambi- valenter Genitalentwicklung bis zum äußerlich komplett weiblichen Phä- notyp (19, 21–26, 44, 50, 57–59, 64).

Klassifikationsschemata erlauben ei- ne genauere klinische Eingruppie- rung insbesondere bei intersexuel- lem Genitale und sind von der von Prader beschriebenen Einteilung beim Adrenogenitalem Syndrom ab- geleitet (45, 58, 59) (Tabelle 1 und Abbildung 1).

5αα-Reduktase-Mangel

Defekte der 5α-Reduktase wer- den autosomal rezessiv vererbt. Zur Beschreibung des Phänotyps wurde ursprünglich von Nowakowski und Lenz (42) der Begriff der „pseudo- vaginalen perineoskrotalen Hypospa-

die“ gewählt. Die Patienten haben ei- nen normalen 46,XY-Karyotyp und eine normale bis sogar hohe Testo- steronsekretion des Hodens. Die Störung galt bisher als selten und wurde vor allem in vier konsanguinen Sippen in Papua-Neuguinea, der Do- minikanischen Republik, der Türkei und kürzlich in Israel beschrieben (1, 29, 32, 60). Bei der klassischen 5α-Re- duktase-Defizienz besteht bei Geburt ein komplett oder vornehmlich weib-

licher Phänotyp, so daß die Kinder als Mädchen aufgezogen werden. Zum Zeitpunkt der Pubertät kommt es un- ter steigenden Testosteronkonzentra- tionen zu einer deutlichen Virilisie- rung des Genitales, so daß die Betrof- fenen in den beschriebenen großen Sippen zum Teil einen Geschlechter- rollenwechsel vollzogen haben. Wird die Diagnose eines 5α-Reduktase- Defektes bei einem Kind mit männli- chem Kerngeschlecht, aber weibli- cher Geschlechtszuordnung gestellt, sollte vor dem Pubertätsalter eine operative Entfernung der Gonaden erfolgen, um eine unerwünschte Viri- lisierung während der Pubertät zu vermeiden (58). Die betroffenen Männer und die homozygoten Frau- en haben eine geringe Körperbehaa- rung, eine Glatzenbildung wird nicht beobachtet (33). Andere und eigene Untersuchungen belegen, daß der Phänotyp sehr variabel ist und die Er- krankung wahrscheinlich häufiger ist als bisher angenommen. So konnten 5α-Reduktase-Defekte bei Patienten mit intersexuellem Genitale, aber auch bei vornehmlich männlichem Erscheinungsbild nachgewiesen wer- den (12, 17, 25, 26). Auch ein isolier- ter Mikropenis kann, wenn auch sehr selten, durch einen 5α-Reduktase- Defekt verursacht sein.

Die endokrinologische Diagno- stik beruht auf dem Nachweis einer A-687 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 11, 19. März 1999 (39)

Tabelle 1

Phänotypische Klassifikation bei Virilisierungsstörungen*

Typ Phänotyp Phänotyp/Funktion

1 männlich gestörte Spermatogenese und/oder gestörte Virilisierung in der Pubertät

2 vorwiegend isolierte Hypospadie und/oder Mikropenis und männlich höhergradige Hypospadie, Skrotum bipartitum 3 ambivalent klitorisähnlicher Mikrophallus, labienähnliches

bipartiertes Skrotum, perineoskrotale Hypospadie oder Sinus urogenitalis mit kurzer, blind endender Vagina

4 vorwiegend Klitorishypertrophie und/oder labiale Fusion, weiblich Sinus urogenitalis mit kurzer, blind endender Vagina 5 weiblich präpuberal keine Virilisierungszeichen,

in der Pubertät Virilisierung bei 5α-Reduktase-Defekt, Feminisierung bei Androgenrezeptordefekt

*nach Sinnecker et al., 1996, 1997

Sexuelle Reifung in der Pubertät Externe Virisilierung

Virilisierung der Derivate des Wolffschen Ganges

Spermatogenese Gonadotropin-

Regulation Luteinisierungs-

Hormon

Androgen- Rezeptor

DHT Reduktase5α-

Zielzelle

Ziel- DNA

T Hoden Grafik 1

Wirkungsmechanismen von Testosteron (T) und Dihydrotestosteron (DHT) über den Androgenrezeptor. Nach dem Eintritt in die Zelle kann Testosteron entweder direkt an den Androgenrezeptor binden oder aber wird zuvor an der 5α-Reduktase zu Dihydrotestosteron metabolisiert. Der Androgenrezeptor-Hormonkomplex bindet an DNA- Sequenzen und reguliert die Transkription von Erfolgsgenen mit dem Resultat bestimmter biologischer Effekte.

(3)

erniedrigten Konzentration von Dihydrotestosteron bei einem nor- malen Testosteron im Serum und da- mit auf einer Erhöhung des Testo- steron/Dihydrotestosteron-(T/DHT-)- Quotienten. Präpubertär sind die en- dogenen Androgenspiegel niedrig, daher muß eine Stimulation mit dem humanen Choriongonadotropin (hCG) erfolgen (14, 16, 51, 52). Die nach Stimulation erreichten Testo- steron- und Dihydrotestosteronwer- te hängen dabei entscheidend vom Lebensalter des Kindes und von dem

gewählten Testprotokoll ab. Wenn mit einer einmaligen hCG-Gabe kei- ne ausreichenden Testosteronwerte erreicht werden (unter 10 nmol/l), sollte eine mehrfache hCG-Stimula- tion erfolgen (14, 26). Die so be- stimmten T/DHT-Quotienten kön- nen auch bei Kontrollpersonen stark schwanken. Wird ein T-/DHT-Quoti- ent >16 errechnet, sollte eine mole- kulargenetische Untersuchung auf einen zugrundeliegenden Gendefekt im 5α-Reduktase-Enzym erfolgen (7, 26).

Molekulargenetik

Zwei Gene wurden kloniert, die für die Isoenzyme 5α-Reduktase Typ 1 und 2 kodieren (4, 34, 35). Es hat sich gezeigt, daß das Typ-2-Enzym vorwiegend in Genitalgewebe expri- miert wird und damit das Schlüssel- enzym für die Umwandlung von Testosteron zu Dihydrotestosteron darstellt (65). Das entsprechende Gen, SRD5A2, wurde auf dem Chromosom 2 lokalisiert, es kodiert in fünf Exons ein Protein mit 254

Aminosäuren (38, 61). Mutationen im SRD5A2-Gen führen zu einer eingeschränkten Enzymaktivität und setzen damit die lokale Formation von Dihydrotestosteron herab (15, 39, 42). Dadurch kommt es, je nach Schweregrad der Einschränkung der Enzymfunktion, zu einer mangelhaf- ten oder auch völlig fehlenden Virili- sierung des äußeren Genitales.

Im SRD5A2-Gen konnten ver- schiedene Mutationen als Ursache eines 5α-Reduktase-Mangels cha- rakterisiert werden (6, 7, 10, 11, 25,

26, 29, 60, 61, 65). Vornehmlich wurden Mikroalterationen, insbe- sondere Nukleinsäuresubstitutio- nen, nachgewiesen. Mutationen, die auf einer Deletion größter Genab- schnitte beruhen oder einen vorzeiti- gen Proteinkettenabbruch hervorru- fen, können zu einem kompletten Enzymdefekt führen (4), während Substitutionen einzelner Aminosäu- ren eine enzymatische Restaktivität belassen können. Dies konnte in auf- wendigen In-vitro-Untersuchungen belegt werden, zeigt sich aber ein-

drucksvoller am Phänotyp betroffe- ner Patienten. Wir selbst wiesen in 14 nicht miteinander verwandten Fa- milien mit zum Teil mehreren be- troffenen Kindern homozygote oder compound-heterozygote Mutatio- nen im SRD5A2-Gen nach (25, 26, 29). Dabei wurden zehn verschiede- ne Mutationen charakterisiert. Die- se Mutationen können in Abhängig- keit von ihrer Lokalisation entweder die Bindung des Androgens oder die Bindung des für die enzymatische Aktivität notwendigen Koenzyms A-688 (40) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 11, 19. März 1999

Abbildung 1: Schematische Darstellung des Genitalbefundes bei Virilisierungsstörungen. In der unteren Reihe sind klinische Beispiele der Phänotypen 2 bis 4 aufgezeigt (siehe auch Tabelle 1). (Modifiziert nach Sinnecker et al., 1996, 1997, und Hiort et al., 1998.)

(4)

NADPH beeinträchtigen. Zudem kann das pH-Optimum der Enzym- aktivität verschoben sein (Grafik 2).

Androgenrezeptordefekte

Androgenrezeptordefekte als Ur- sache einer Endorganresistenz ge- genüber androgenen Steroidhormo- nen wurden schon lange als Ursache eines Pseudohermaphroditismus mas- culinus vermutet. Morris faßte in den 50er Jahren mehr als 80 Patienten zu- sammen und prägte den Begriff der

„testikulären Feminisierung“ für phä- notypische Frauen mit unauffälli- ger Mammaentwicklung, aber 46,XY- Karyotyp und hohen endogenen Testosteronspiegeln (41). Keenan et al. wiesen erstmals eine fehlende spe- zifische Androgenbindung in Genital- hautfibroblasten nach (37). Das Spek- trum wurde in anderen Veröffent- lichungen um Männer mit Hypo- spadie, Gynäkomastie und/oder eingeschränkter Fertilität erweitert (46). Familienuntersuchungen ließen schon früh auf einen X-chromosoma- len Erbgang der Androgenrezeptor- defekte schließen.

Bedingt durch den unterschiedli- chen Phänotyp kann sowohl der Zeit- punkt der klinischen Auffälligkeit als auch die aufgesuchte medizinische Fachrichtung sehr variieren. Phänoty- pisch männliche Patienten suchen me- dizinischen Rat bisweilen erst auf- grund einer mangelhaften Pubertäts- entwicklung oder eines unerfüllten Kinderwunsches bei Infertilität im späten Jugendlichen- oder frühen Er- wachsenenalter. Frauen mit komplet- ter Androgenresistenz fallen häufig

erst durch eine primäre Amenorrhö auf. Patienten mit intersexuellem Ge- nitale hingegen stellen einen pädiatri- schen Notfall dar, und die Aufklärung der zugrunde liegenden Ursache soll- te mit größter Sorgfalt unter Hinzu- ziehung von Spezialisten erfolgen (56).

Die endokrinologischen Para- meter entsprechen fast denen des 5α-Reduktase-Mangels. Während vor der Pubertät ein hCG-Test notwen- dig ist, um durch Stimulation einen Androgenbiosynthesedefekt auszu- schließen, weisen Patienten mit An- drogenresistenz postpubertär charak- teristisch veränderte endokrinologi- sche Befunde auf. Aufgrund der ge- störten Androgenwirkung auch im Feed-back-Mechanismus des Hypo- thalamus kommt es nach der Pubertät zu erhöhten Werten des LH bei gleichzeitig erhöhten Testosteronwer- ten im Serum (Grafik 1)(55). Eine ex- zessive Aromatisierung des Testoste-

rons zu Östradiol führt dann zu ei- ner Gynäkomastie bei phänotypisch männlichen Personen beziehungswei- se zur normalen Brustentwicklung bei phänotypisch weiblichen Patientin- nen (testikuläre Feminisierung).

Molekulargenetik

Genetische Grundlage der An- drogenrezeptordefekte sind Mutatio- nen des Androgenrezeptorgens, die zu Strukturveränderungen des An- drogenrezeptorproteins führen und dessen Funktion in unterschiedlich- ster Weise beeinträchtigen (Grafik 1 und Grafik 3). Das Gen konnte auf Xq11-12 lokalisiert werden, umfaßt ungefähr 90 Kilobasen und enthält acht Exons (9, 13, 62, 63). Es entsteht ein Protein von 110 kD mit einer Länge von 910 bis 919 Aminosäuren und drei Funktionsdomänen, die de- nen anderer Steroidhormonrezepto- ren entsprechen. Einem großen ami- noterminalen Ende, welches vorwie- gend für die Transkriptionsregulie- rung verantwortlich ist, folgen eine DNA-Bindungsdomäne und eine Li- gandenbindungsdomäne (Grafik 3) (8, 36, 46, 53).

Weltweit sind bisher mehr als 300 Patienten mit Mutationen des Andro- genrezeptorgens publiziert und in ei- ne ständig aktualisierte internationale Datenbank aufgenommen (18). Wir selbst haben mehr als 49 verschiedene Mutationen charakterisieren können (Grafik 3)(19, 21–24, 27, 28).

Mutationen des Androgenrezep- torgens können je nach ihrer Lokali- sation auf allen Ebenen des Andro-

A-690 (42) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 11, 19. März 1999

F754V D756S P671H

E681K C686R

A687V G688E

D695N G708A

L712F

NH2 COOH

*154L172*

*318P390S

*232E287* F582Y N604Y

A645D

Q733H

R774C P817L

A870V R840H

I841S I842T P849V

R855H Y857*

V866L V866M R774H

M775I R779W Y739H

V746M F754L

A765T N771H L722F R607Q

R608K

F582S R615HR615P F794S

Q798E

I898T Y915*

Exon 1 2 3 4 5 6 7 8

DNA Hormon

Bindungsregion Grafik 3

Struktur des Androgenrezeptorgens und -proteins sowie Darstellung der von uns nachgewiesenen relevanten Punktmutationen. Exon 1 kodiert für eine transkriptionsregulierende Domäne (rot), während Exons 2 und 3 für die Bereiche der DNA-Bindung und Exons 4 bis 8 für Bereiche der Hormonbindungsregion bestimmend sind.

Es wird deutlich, daß die Mutationen über die gesamte Kodierungsregion verteilt liegen.

NH COOH

Exon 1 2 3 4 4

L55Q I112N

Q126R

Met157 R168P G196S I199N R227Q A228T

H231R R246Q

T DHT NADPH NADP

Grafik 2

Struktur des SRD5A2-Gens und des 5α-Reduktase-2-Proteins mit Funktionsdomänen. Dabei ist der aminoter- minale Teil eher für die Hormonbindung, das carboxyterminale Ende eher für die Koenzym-Bindung verant- wortlich. Die von uns charakterisierten Mutationen sind dargestellt; sie sind – ähnlich wie beim Androgenre- zeptor – über die gesamte Kodierungsregion verteilt.

(5)

genrezeptormechnismus zu Stö- rungen führen, zum Beispiel der An- drogenbindung, der DNA-Bindung oder der Transaktivierung. Komplette oder partielle Gendeletionen, die ein Exon oder mehrere Exons betreffen, gehen bis auf extrem seltene Ausnah- men mit einer kompletten Androgen- resistenz einher (2, 47, 48).

Mit über 90 Prozent aller Muta- tionen stellen die Punktmutationen die größe Gruppe der Androgenre- zeptorgen-Defekte dar (18). In der Mehrzahl der Fälle kommt es durch Punktmutationen zu einem Amino- säureaustausch, seltener sind Spleiß- fehler oder Non-sense-Mutationen (23, 46, 49). Die Folge kann sowohl ein kompletter als auch partieller Funktionsverlust des Androgenre- zeptorproteins sein. Entsprechend wird bei Missense-Mutationen das ge- samte klinische Spektrum der An- drogenresistenz beobachtet. Eine konstante Genotyp-Phänotyp-Korre- lation gibt es nicht. Trotz gleicher Punktmutation kann der Phänotyp sogar innerhalb einer Familie deutlich variieren (50). Modulationsfaktoren der Androgenwirkung, die diese Be- obachtungen erklären könnten, sind bisher leider kaum bekannt und müs- sen daher zukünftig einen For- schungsschwerpunkt auf dem Gebiet der Androgenresistenz darstellen. Le- diglich bei einem kleinen Teil von Pa- tienten mit Neumutationen des An- drogenrezeptorgens ließ sich ein er- ster Modulationsmechanismus der An- drogenwirkung molekularbiologisch charakterisieren. Der Nachweis bis dahin bei Androgenresistenz unbe- kannter somatischer Mosaike kann ei- ne schlüssige Erklärung für zum Teil ausgeprägte Genotyp-Phänotyp-Dis- krepanzen liefern (30). Bei diesen Pa- tienten führt die Expression des nor- malen Androgenrezeptors in einer Subpopulation von Zellen zu einer stärkeren Virilisierung des Patienten, als vom zugrundeliegenden Genotyp des mutierten Androgenrezeptors an- zunehmen wäre. Dem weiblichen Ge- schlecht zugeordnete Patientinnen sollten in diesem Fall rechtzeitig vor Eintritt der Pubertät gonadektomiert werden, um eine unerwünschte und möglicherweise irreversible Virilisie- rung (Stimmvertiefung, Klitoris- hypertrophie) zu vermeiden.

Differentialdiagnostik der Intersexualität

Wie bei jeder genetisch determi- nierten Erkrankung muß auch beim intersexuellen Genitale eine ausführ- liche Familienanamnese erhoben werden, die auch die Möglichkeit ei- ner hohen phänotypischen Varianz in-

nerhalb einer Familie zu berücksichti- gen hat. Bei den differentialdiagnosti- schen Überlegungen sollen die dia- gnostischen Schritte in Abhängigkeit von ihrer schnellen Verfügbarkeit und dem Lebensalter des Patienten erfol- gen (Tabelle 2) (3, 56). Dabei steht zunächst die ausführliche klinische

Untersuchung durch einen erfahre- nen Pädiater im Vordergrund. Bildge- bende Verfahren, insbesondere Ultra- schalluntersuchungen, können rasch über die Beschaffenheit des inneren Genitales und assoziierte Fehlbildun- gen Auskunft geben. Die Bestim- mung der basalen Serumwerte der go- nadotropen, gonadalen und adrena-

len Hormone sowie der Geschlechts- chromosomen kann meist binnen weniger Tage erfolgen. Erst nach Er- halt dieser Daten sollten eingehende- re Untersuchungen veranlaßt werden.

Bei jeder Sexualdifferenzierungs- störung genetisch männlicher Indivi- duen, die präpubertär zur Abklärung A-691 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 11, 19. März 1999 (43)

Tabelle 2

Differentialdiagnostisches Vorgehen bei Intersexualität*

Diagnostik Schlußfolgerung

Familienanamnese:

Indexfälle? Medikamente

in der Schwangerschaft? Familiäre Formen Virilisierung der Mutter

in der Schwangerschaft Exogene Faktoren Körperliche Untersuchung:

Gonaden tastbar? Männlicher Pseudohermaphroditismus, Sekret aus der Vagina exprimierbar? Uterus vorhanden,

Virilisierungsgrad? Schweregrad des Defekts, Assoziierte Fehlbildungen? komplexes Mißbildungssyndrom, Untersuchung des inneren Genitales:

Uterus, Tuben, Vagina vorhanden? Gonadendysgenesie, (Sonographie, Vaginoskopie, Echter Hermaphroditismus,

Genitographie) AMH-Mangel

Laboruntersuchungen (Basisdiagnostik):

Chromosomenanalyse Gonadendysgenesie

LH, FSH, Testosteron, DHT, wenig informativ Östradiol präpuberal

postpubertär Steroidbiosynthese- und 5α-Reduktase 2-Defekt, Androgenresistenz,

17-OH-Progesteron, Cortisol, Adrenogenitales Syndrom Elektrolyte

Spezielle Diagnostik:

HCG-Test: Testosteron,

gegebenenfalls Steroid-Vorstufen, Testosteron-Biosynthesedefekte, Testosteron/Dihydrotestosteron, 5α-Reduktase 2-Defekt,

SHBG-Test: Androgenresistenz,

DNA-Analyse: Androgenrezeptoren, Androgenresistenz, 5α-Reduktase

SRD5A2-Gen, 2-Defekt,

Genitalhautfibroblastenkultur,

Androgenbindung, 5α-Reduktase- Androgenresistenz, 5α-Reduktase

Aktivität, 2-Defekt,

Laparoskopie, Gonadenbiopsie Gonadendysgenesie, Echter Hermaphroditismus

*nach Sinnecker, 1994

(6)

kommt, muß ein hCG-Stimulations- test mit Messung von Testosteron, Dihydrotestosteron sowie bei unzu- reichendem Testosteronanstieg auch der Vorstufen erfolgen. Ist der T/DHT-Quotient bei ausreichender Stimulation >16, sollte eine moleku- largenetische Analyse des SRD5A2- Gens bei Verdacht auf 5α-Reduktase- Mangel erfolgen. Diese Untersu- chung kann später durch die bioche- mischen Analysen an Gentialhaut- fibroblasten supplementiert werden, wenn zum Zeitpunkt einer geplanten

Korrekturoperation eine entspre- chende Gewebekultur angelegt wird.

Ähnliches gilt für die Diagnostik bei Verdacht auf Androgenrezeptor- defekt. Erst wenn eine normale endo- krine Hodenfunktion durch entspre- chende Hormonbestimmungen nach- gewiesen wurde, sollte die aufwendige Untersuchung zur Charakterisierung des Androgenrezeptorgens initiiert werden. Die molekulargenetische Analyse soll durch einen Androgen- resistenztest, basierend auf der Induk- tion eines Abfalls des sexualhormon- bindenden Globulins (SHBG) im Se-

rum nach definierter Gabe eines ana- bolen Steroids, ergänzt werden (54, 59). Auch bei Androgenrezeptor- Defekten sollte eine biochemische Charakterisierung der Androgenbin- dung in Genitalhautfibroblasten erst dann erfolgen, wenn eine Biopsie zu einem geplanten Operationszeit- punkt erfolgen kann. Neben der pri- mären Diagnosestellung eines 5α-Re- duktase-Mangels oder eines An- drogenrezeptordefekts beim Patien- ten dient die molekulargenetische Analyse durch die Detektion hetero-

zygoter Genträger auch als Grundla- ge einer genetischen Beratung der Fa- milien. Zusammen mit weitergehen- den funktionellen Untersuchungen in vivo und in vitro trägt die molekular- genetische Untersuchung der Andro- genresistenzsyndrome maßgeblich zu den therapeutischen Entscheidungen bei. Dazu gehören die Geschlechtszu- weisung von Patienten mit intersexu- ellem Genitale, der Zeitpunkt der Go- nadektomie bei im weiblichen Ge- schlecht aufgezogenen Kindern und die Optimierung einer Androgenthe- rapie bei den dem männlichen Ge-

schlecht zugeordneten Kindern. Hier- zu sei als Beispiel das Kind mit interse- xuellem Genitale (Typ 3 nach Tabelle 1) dargestellt (Abbildung 2): Mit Nach- weis einer homozygoten SRD5A2- Genmutation (R227Q) wurde im Al- ter von vier Monaten eine lokale The- rapie mit Dihydrotestosteron-Gel an- geraten, die innerhalb weniger Mona- te zu einem Phalluswachstum in den Normbereich führte und somit als Grundlage für eine nachfolgende Re- konstruktionsoperation des Phallus diente.

Im weiteren ist aber neben der eingehenden Diagnostik für ein erfolgreiches Management nicht zu- letzt eine enge Zusammenarbeit von Fachärzten unterschiedlicher konser- vativer und chirurgischer Fachrich- tungen unter Einbeziehung von Psy- chologen notwendig, um den komple- xen Problemen der Patienten gerecht zu werden.

Zitierweise dieses Beitrags:

Dt Ärztebl 1999; 96: A-686–692 [Heft 11]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literaturverzeichnis, das über den Sonderdruck beim Verfasser und über die Internetseiten (unter http://www.aerzteblatt.de) erhältlich ist.

Anschrift für die Verfasser

Priv.-Doz. Dr. med. Olaf Hiort Klinik für Pädiatrie

Medizinische Universität zu Lübeck Karlhorststraße 31–35

23538 Lübeck A-692 (44) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 11, 19. März 1999

Abbildung 2: Phänotypischer Aspekt eines Patienten mit 5α-Reduktase-Mangel und nachgewiesener SRD5A2-Mu- tation (R227Q). Bild (A) im Alter von vier Monaten vor und (B) nach fünfmonatiger täglicher lokaler Behandlung mit 2,5 Prozent Dihydrotestosteron-Gel. Die Lokalisation der gefundenen Mutation ist am Bildrand dargestellt.

227 Arg-Gln

Die vorliegenden Arbeiten wurden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (Hi 497/1–4; Si 323/1–2), das Bundesmini- sterium für Bildung, Wissenschaft, For- schung und Technologie (BMBF) (01KY9301/1) sowie das Forschungsför- derungsprogramm der Medizinischen Universität zu Lübeck und die Sandoz- Stiftung für Therapeutische Forschung gefördert. Die Autoren danken insbeson- dere allen Kollegen, die durch die Einsen- dung von Patientenproben diese wissen- schaftlichen Untersuchungen erst ermög- licht haben, sowie ihren Mitarbeitern für exzellente technische Arbeit. Patienten- daten wurden zum Teil im Rahmen der Cooperativen Intersexualitätsstudie der Arbeitsgemeinschaft für Pädiatrische En- dokrinologie erhoben.

Die Patientenbilder wurden freundlicherweise von Priv.-Doz. Dr. E. Schönau, Köln, zur Verfügung gestellt

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