DEUTSCHES ÄRZTEBLATT
Aktuelle Politik
Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst
Gesundheitsämter brauchen ein geschlossenes Konzept Thematisch nahm der Verband
der Amtsärzte in gewisser Weise vorweg, was der 87.
Deutsche Ärztetag in Aachen ei- ne Woche später beschloß: die Einführung des neuen Gebietes Hygiene und der neuen Zusatz- bezeichnung Sozialmedizin in die Weiterbildungsordnung. Der Vorsitzende des Bundesärzte- kammerausschusses „Ärzte im öffentlichen Dienst", Dr. Peter Krein, Berlin, kündigte auch den
— in Aachen ebenfalls vollzoge- nen — Beschluß an, daß die Be- zeichnung „Arzt für öffentliches Gesundheitswesen" nunmehr neben allen anderen Gebietsbe- zeichnungen — außer Allgemein- medizin — geführt werden darf:
ein weiteres Zeichen dafür, wie sehr die Gesamtheit der Ärzte Wert darauf legt, der zahlenmä- ßig kleinen Gruppe von Kolle- gen in dieser „dritten Säule des Gesundheitswesens" ein sinn- volles, ausgefülltes berufliches Dasein zu erhalten. An diesem guten Willen zweifelt bei den Amtsärzten auch niemand.
Die Existenz- und Zukunftssor- gen der Ärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst sind aber deshalb nicht geringer gewor- den. Der Vorsitzende des Bun- desverbandes, Ltd. Medizinaldi- rektor Dr. Eberhard Pfau, Olpe, konnte zwar in Hamburg über ein ausführliches Gespräch mit
Einen Ausbau der Gesund- heitsämter und Medizinal-Un- tersuchungsämter zu „Fach- behörden des gesundheit- lichen Umweltschutzes" hat die Mitgliederversammlung des Bundesverbandes der Ärzte des öffentlichen Ge- sundheitsdienstes e. V. beim 34. Wissenschaftlichen Kon- greß des Verbandes in Ham- burg im Mai 1984 gefordert;
damit könnten die deutschen Gesundheitsämter — unter Er- haltung ihrer sonstigen Auf- gaben — den Erfordernissen der Gegenwart und der Zukunft angepaßt werden.
dem Bundesgesundheitsmini- ster berichten, in dem dieser den öffentlichen Gesundheits- dienst als unverzichtbar für die
„Gesellschafts- und Gruppen- medizin" bezeichnete (was die Amtsärzte gern die „Bevölke- rungsmedizin" nennen). Trotz dieses wohlwollenden Verständ- nisses sieht man aber beim Bun- desverband der Ärzte des öf- fentlichen Gesundheitsdienstes weitere Bedrohungen des „Be- sitzstandes" an ärztlichen Auf-
gaben. Man müsse, wie der Vor- stand des Bundesverbandes in Hamburg bei einer gut besuch- ten Pressekonferenz anschau- lich erläuterte, dem öffentlichen Gesundheitsdienst qualifizierte ärztliche Aufgaben erhalten, einmal, damit er überhaupt als umfassender — und in vieler Be- ziehung kostengünstiger — Dienst weiter existieren kann, und zweitens, damit er für quali- fizierten Nachwuchs attraktiv wird. Wenn man als klassische ärztliche Aufgabe die Verbin- dung von Diagnose und Thera- pie ansehe, dann müsse man er- kennen, daß der öffentliche Ge- sundheitsdienst auf die Thera- pie ohnehin weitgehend, und zwar mit Recht, verzichtet (bei der zunehmenden Bedeutung der ambulanten Hilfen für Be- hinderte, psychisch Kranke, alte Menschen und gefährdete Jugendliche erwachsen hier al- lerdings auch neue Aufgaben).
Um so wichtiger sei es, die dia- gnostischen Aufgaben zu erhal- ten. Hier sieht man aber Gefah- ren im allgemeinen Trend der Privatisierung von Aufgaben des öffentlichen Dienstes und im Beamtenrecht, von der Ein- schränkung der Nebentätigkeit bis zur Absenkung der Ein- gangsbesoldung für den höhe- ren Dienst. „Für ein Oberamt- mannsgehalt kriegt man keinen Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 23 vom 8. Juni 1984 (17) 1837
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Amtsärzte
einzigen jungen Arzt in den öf- fentlichen Gesundheitsdienst", sagte Dr. Pfau in Hamburg.
Was das Nebentätigkeitsrecht angeht, so bestätigte Dr. Krein noch einmal ausdrücklich, was schon der 85. Deutsche Ärztetag in Münster 1982 erklärt hatte: im Gutachtenwesen gibt es keine Konkurrenzsituation zu den in Praxis und Klinik tätigen Kolle- gen, im Gegenteil: für die So- zialversicherungen sind die Gut- achten von Ärzten des öffent- lichen Gesundheitsdienstes un- verzichtbar (und hier werden auch die Träger der neuen Zu- satzbezeichnung Sozialmedizin hauptsächlich zu finden sein).
Unrecht im
Nebentätigkeitsrecht
Was aber die Amtsärzte zusätz- lich erzürnt: nach Plänen im Bundesinnenministerium soll auch die sogenannte privilegier- te Nebentätigkeit in das grund- sätzliche Vergütungsverbot ein- bezogen werden. Das sind Ne- bentätigkeiten — also meistens Gutachten — für Körperschaften des öffentlichen Rechts. Diese
„Privilegierung" soll nur für be- amtete Ärzte und Zahnärzte im öffentlichen Gesundheitsdienst gestrichen werden, nicht aber für beamtete Klinikärzte — die Gerechtigkeit dieser unter- schiedlichen Behandlung ver- mag der Verband der Amtsärzte nicht zu erkennen!
Große Gefahren sieht der Bun- desverband der Ärzte des öf- fentlichen Gesundheitsdienstes in dem, was sich in verschiede- nen Bereichen unter dem Stich- wort „Privatisierung" anbahnt.
Dies machte Dr. Pfau in seinem berufspolitischen Referat klar an Beispielen wie der freiwilli- gen Übernahme jugendzahn- ärztlicher Tätigkeit im Kinder- garten durch niedergelassene Zahnärzte oder der diskutierten Ausweitung der Früherken-
nungsuntersuchungen bei Kin- dern in der gesetzlichen Kran-
kenversicherung auf das 5. und 6. Lebensjahr („U 9 und 10"), mit der die Einschulungsuntersu- chungen der Gesundheitsämter ihre Bedeutung verlieren wür- den.
Kurzfristig würden durch solche Maßnahmen die Kassen der Kommunen und Länder entla- stet; langfristig würde aber na- türlich nur eine Kostenverlage- rung auf die Krankenkassen und eine Ausgabensteigerung ein- treten. Ein weiteres Beispiel ist der Übergang der Schutzimp- fungen in die kassenärztliche Versorgung mit Kostenübernah- me durch die Krankenkassen:
sie kostet ärztliches Honorar, der Impfstoffbezug in kleinen Mengen ist zum Teil erheblich teurer, und vor allem gehe die Beteiligung beispielsweise jun- ger Mädchen an der Rötelnimp- fung erheblich zurück.
Daraus ergebe sich als weitere Konsequenz, daß bei solchen Entwicklungen der öffentliche Gesundheitsdienst bald nicht mehr über epidemiologische Daten über den Gesundheitszu- stand der Jugendlichen oder überhaupt der Bevölkerung ver- fügen würde. Dies war einer von mehreren Punkten, denen Mini- sterialdirektor Professor Dr.
med. Manfred Steinbach vom Bundesgesundheitsministerium in Hamburg ausdrücklich zu- stimmte. Er stellte in seinem Festvortrag die Überschätzung des naturwissenschaftlichen Po- sitivismus und des „Nachwei- ses" von scheinbar Beweisba- rem in unserem Gesundheitswe- sen in Frage; individuelle Erfah- rungen und die Ausnahmen würden dagegen zu wenig be- achtet.
Die „kleine Epidemiologie"
beim einzelnen Arzt, der viel- leicht nur zehn Pseudokrupp- Fälle sieht, sei äußerst wichtig.
Die Leute wollen doch nicht wis- sen, sagte Steinbach, wie viele solcher Fälle es in der Bundes- republik gibt, sondern sie wol-
len wissen: wie viele Kinder in Essen haben Pseudokrupp, und was kann man dagegen tun? — Hier habe der Amtsarzt eine sei- ner wichtigsten Aufgaben.
Als weiteren Bereich, in dem sie durch Koordination, Kooperati- on und Innovation viel beitragen können, nennen die Amtsärzte die Gesundheitserziehung. Be- weis: die Überwindung von Ra- chitis und Tuberkulose und der heute gute Ernährungs- und Ge- sundheitszustand von Kleinkin- dern dank der Mütterberatung.
Die künftigen Aufgaben etwa in bezug auf Rauchen, Aufklärung über Herz/Kreislauf-Risikofakto- ren oder den Mißbrauch von Al- kohol, Arzneimitteln und Drogen würden weit schwieriger sein und seien ohne das Zusammen- wirken mit niedergelassenen Ärzten und mit den Schulen gar nicht zu lösen. Aber die Ärzte des öffentlichen Gesundheits- dienstes hätten nun einmal den besten Zugang zu solchen Schlüsselgruppen, und das oh- ne Hineinwirken sachfremder Interessen.
Insgesamt wird der Bundesver- band gegenüber der Gesund- heitsministerkonferenz ein ge- schlossenes Konzept fordern, das als seine Aufgaben fünf „be- völkerungsmedizinische" Berei- che umfaßt: Allgemeine Hygie- ne, Seuchenbekämpfung, Um- weltschutz; Jugendgesundheits- dienst; Hilfen für Behinderte, psychisch Kranke und alte Men- schen; Jugendzahnärztlicher Dienst; Gesundheitserziehung.
Ein solches Konzept erfordere aber eine gesundheitspolitische
„Neubesinnung". Einzelmaß- nahmen im Interesse der Ko- stenersparnis führen, das glau- ben die Amtsärzte überzeugend belegen zu können, nur zu Ko- stenverlagerungen und letzten Endes für die gesamte Volks- wirtschaft zu Mehrausgaben.
Dem werde man nur abhelfen, wenn endlich eine eigenständi- ge Gesundheitspolitik entwik- kelt wird. Günter Burkart 1838 (18) Heft 23 vom 8. Juni 1984 81. Jahrgang Ausgabe A