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Archiv "Insulin glargin – das erste lang wirkende Insulinanalogon: Ergebnisse einer Anwendungsbeobachtung mit 10 258 Patienten" (14.11.2003)

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iel der modernen Diabetestherapie ist die weitgehende Normalisie- rung des gestörten Glucosestoff- wechsels und damit die Vermeidung der durch die Hyperglykämie verursachten Folgeerkrankungen. Die heutigen Be- handlungsstrategien zielen zudem dar- auf, Blutfette, Blutdruck und Körperge- wicht optimal einzustellen. Spätestens seit der Veröffentlichung der DCCT- Studie (DCCT, Diabetes Control and Complications Trial) mit Typ-1-Diabeti- kern und der UKPD-Studie (UKPD, United Kingdom Prospective Diabetes) mit Typ-2-Diabetikern gilt als bewiesen, dass durch eine normnahe Stoffwech- seleinstellung zumindest die mikrovas- kulären Spätkomplikationen in Schwe- re und Häufigkeit reduziert werden können (5, 24).

Die bisherige Insulintherapie zeich- net sich durch verschiedene Unzuläng- lichkeiten aus. Unbefriedigend ist oft die zu kurze Wirkdauer der NPH-Insu- line (NPH, Neutral Protamin Hage- dorn), die bei abendlicher Gabe in vie- len Fällen zu Problemen wie nächtli- chen Hypoglykämien und hohen Blut-

zuckerwerten am Morgen führen (17).

Um diese Nachteile zu umgehen, richte- te sich das Augenmerk in letzter Zeit wieder mehr auf zinkverzögerte tieri- sche Insuline.

Mit großen Erwartungen wurde im Jahr 2000 die Einführung von Insulin glargin aufgenommen. Es handelt sich dabei um ein Insulin-Analogon mit ei- ner Wirkdauer von bis zu 24 Stunden.

Dieses pharmakokinetische Verhalten wird durch zwei zusätzliche, positiv ge- ladene Arginin-Moleküle am N-termi- nalen Ende der B-Kette erreicht, die für eine Veränderung des Löslichkeitsver- haltens des rekombinanten Moleküls sorgen. Im neutralen Milieu des Subku- tangewebes kommt es nach Injektion zur Präzipitation des Insulinanalogons und als dessen Folge zu einer verzöger- ten und gleichmäßigen Freisetzung der Insulinmoleküle. Der Austausch der Aminosäure Asparagin gegen das neu- trale Molekül Glycin in der A-Kette soll

eine Stabilisierung der Insulinhexame- re bewirken (1, 12, 13, 17) (Grafik 1).

Nach subkutaner Injektion von Insu- lin glargin kommt es zu einem langsa- men Anstieg des Seruminsulins, dessen Plateau nach etwa drei Stunden erreicht ist (11). Über die folgenden 20 Stunden ist keine wesentliche Änderung der erreichten Seruminsulinkonzentration messbar, sodass eine weitgehend gleich- mäßige basale Insulinversorgung ohne größere Schwankungen des Plasma- insulinspiegels über 24 Stunden mög- lich ist (8, 13, 20). In kontrollierten klini- schen Studien konnte gezeigt werden, dass Insulin glargin im Vergleich zu NPH-Insulin zu einem effektiveren Ab- senken des Nüchternblutzuckers sowie zu einer Reduzierung insbesondere nächtlicher Hypoglykämien führt (15, 18, 19, 21, 22, 26).

Anwendungsbeobachtung

Bei der nachfolgend beschriebenen Studie handelt es sich um eine Anwen- dungsbeobachtung. Diese Phase-IV-

Insulin glargin – das erste

lang wirkende Insulinanalogon

Ergebnisse einer Anwendungsbeobachtung mit 10 258 Patienten

Else-Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin (Di- rektor: Prof. Dr. med. Hans Hauner) Klinikum rechts der Isar der Technischen Universität München

Zusammenfassung

Mit Insulin glargin (Lantus) steht seit kurzem ein Humaninsulin-Analogon mit einer Wirk- dauer von bis zu 24 Stunden zur Verfügung.

Ziel der vorliegenden Anwendungsbeobach- tung war es, den Einfluss einer Therapie mit Insulin glargin auf wichtige Routinepara- meter (HbA1c-Wert, Nüchternblutzucker und postprandialen Blutzucker) an einem großen Patientenkollektiv unter den Bedingungen der ärztlichen Praxis zu untersuchen. 10 258 Patienten, davon 34,5 Prozent mit Typ-1-Dia- betes, wurden nach Umstellung auf Insulin glargin über einen Zeitraum von 8 Wochen beobachtet. Nach einer mittleren Behand- lungsdauer von 57 Tagen sanken die Nüch- ternblutzuckerwerte von 186 ± 56 mg/dL auf 128 ± 34 mg/dL (p < 0,001), der mittlere HbA1c der untersuchten Patienten fiel in diesem Zeitraum von 8,6 ± 1,6 Prozent auf 7,6

± 1,1 Prozent (p < 0,001). Bei 128 Patienten

(1,2 Prozent des Gesamtkollektivs) wurden insgesamt 251 unerwünschte Arzneimittel- wirkungen berichtet, darunter waren 109 do- kumentierte Hypoglykämien. Diese Ergebnis- se zeigen, dass Insulin glargin auch unter Pra- xisbedingungen wirksam und sicher ist und eine gute Alternative als Basalinsulin dar- stellt.

Schlüsselwörter: Anwendungsbeobachtung, Arzneimittelforschung, Diabetes mellitus, In- sulin glargin, Insulintherapie, Hypoglykämie

Summary

Insulin Glargine – The First Long-Acting Insulin Analogon. Results of a Survey in 10 258 Diabetic Patients

Insulin glargine is a new human insulin ana- logue with a duration of action of up to 24 hours.

Aim of the present post-marketing surveillance

study was to examine the efficacy (HbA1c, fasting and postprandial blood glucose) and safety in a large patient group in general practices. 10 258 patients, among them 34,5 per cent with type 1 diabetes, were followed for up to 8 weeks after introduction of insulin glargine on the market. After a mean follow- up period of 57 days mean fasting blood glucose was decreased from 186 ± 56 mg/dL to 128 ± 34 mg/dL (p < 0,001), and HbA1cfell from 8,6 ± 1,6 per cent to 7,6 ± 1,1 per cent (p <

0,001). 128 patients (1,2 per cent of the total cohort) reported 251 adverse effects, among those 109 were documented hypoglycaemic events. These results suggest that insulin glargine is an effective and safe alternative to NPH-insulin as basal insulin under real-life conditions.

Key words: surveillance study, medical research, diabetes mellitus, insulin glargine, insulin the- rapy, hypoglycaemia

Hans Hauner

(2)

Studie basiert auf den Vorgaben von § 67 Absatz 6 Arzneimittelgesetz (AMG) (2). Da in Zulassungsstudien meist hochselektionierte Patienten- gruppen unter wenig praxisnahen Be- dingungen untersucht werden, ist oft unsicher, inwieweit die gewonnenen Ergebnisse auf Praxisbedingungen übertragbar sind. Anwendungsbeob- achtungen dienen damit dem Zweck, prospektiv Daten zur Wirkung, zur Si- cherheit und zum Nutzen-Risiko-Ver- hältnis von Arzneimitteln unter All- tagsbedingungen zu erhalten (3, 14).

Über den Außendienst der Aventis Pharma Deutschland wurden zwi- schen Juni 2000 und Mai 2001 nieder- gelassene Allgemeinärzte und Inter- nisten zur Teilnahme an dieser An- wendungsbeobachtung eingeladen. Die teilnehmenden Ärzte erhielten die Möglichkeit, wenigstens drei Patien- ten mit Sekundärversagen der oral medikamentösen Therapie oder unbe- friedigender Insulintherapie auf das neu eingeführte Insulin glargin ein- zustellen. Bei zuvor mit NPH-Insulin behandelten Patienten bestand eine wichtige Empfehlung laut Fachinfor- mation darin, die Einmaldosis von In- sulin glargin initial nur auf 80 Prozent der bisherigen täglichen NPH-Insulin- Dosis festzulegen. Falls damit keine

ausreichende Stoffwechselverbesse- rung zu erreichen war, bestand die Möglichkeit, die Dosis von Insulin glargin schrittweise zu steigern.

Die Dokumentation der Auswahl, Betreuung und des Behandlungser- gebnisses erfolgte mithilfe eines stan- dardisierten Erfassungsbogens. Vor Beginn der Therapie wurden Daten zur spezifischen Diabetesanamnese, Vortherapie und bereits eingetretenen Folgeschäden dokumentiert. Im The- rapieverlauf wurden zu den Unter- suchungszeitpunkten 0, 2, 4 und ab- schließend 8 Wochen die Dosierung von Insulin glargin, blutzuckersenkende Begleittherapien sowie Verlaufspara- meter wie Nüchternblutzucker (NBZ), Blutzucker postprandial (1 beziehungs- weise 2 Stunden pp), HbA1c-Wert und das Körpergewicht der Patienten er- fasst. Der Dokumentationsbogen be- inhaltete auch Fragen für Arzt und Patient zur subjektiven Zufrieden- heit mit der Behandlung mit Insulin glargin. Um Hinweise zur Sicherheit und Verträglichkeit der Anwendung von Insulin glargin zu erhalten, wur- den unerwünschte Ereignisse, insbe- sondere Hypoglykämien, auf einem gesonderten Berichtsbogen dokumen- tiert.

Es wurden die Daten von 10 258 Typ- 1- und -2-Diabetikern erfasst, die von 1 629 Ärzten betreut wurden. Alle Pati- enten waren bei der Rekrutierung informiert worden, dass es sich um ein neu zugelassenes Insulin handelt. Die teilnehmenden Ärzte erhielten als Auf-

wandsentschädigung für den Doku- mentationsaufwand einen Betrag von DM 100 (51,28 Euro) pro Patient.

Die per Post zugesandten Daten wur- den von Dokumentationsassistenten der Aventis Pharma Deutschland elek- tronisch gespeichert und auf Plausibi- lität und Vollständigkeit geprüft. Die deskriptive statistische Auswertung er- folgte durch die biometrische Abteilung der Sponsorfirma mithilfe des Program- mpakets SAS (Version 6.12., Cary, USA).

Signifikante Senkung erhöhter

Nüchternblutglukosewerte

Die wichtigsten demographischen Daten der 10 258 Patienten sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Von den typischen Folgeschäden des Diabetes mellitus (Mikro-, Makroalbuminurie, Retinopathie, Neuropathie) waren mit Ausnahme der Retinopathie Typ-2- Diabetiker stärker betroffen als Typ- 1-Diabetiker (Grafik 2). Bei rund zwei Drittel der Patienten (69,5 Prozent) lag die Diagnose des Diabetes bereits mehr als 5 Jahre zurück. Vor Einstel- lung auf Insulin glargin wurde der Großteil der Patienten (71,3 Prozent) bereits mit einem Insulin oder Insulin- analogon therapiert, wobei am häufig- sten Basalinsuline (47,2 Prozent) und Normalinsuline (31,2 Prozent) verab- reicht wurden. 48,7 Prozent der Typ-2- Diabetiker waren mit oralen Antidia-

´ Tabelle 1 ´

Demographische Charakteristika der Studienteilnehmer

Gesamtzahl 10 258

davon Männer 51,0%

davon Frauen 49,0%

Alter (Jahre) 55,1 ± 16,1 BMI (kg/m2) 27,5 ± 5,0 Verteilung Typ 1/Typ 2 D. m. 34,5%/64,4%

Diabetesdauer

< 1 Jahr 7,9%

1–5 Jahre 20,0%

> 5 Jahre 69,5%

Vorbehandlung

orale Antidiabetika 48,7%

Insulin gesamt 71,3%

davon NPH-Insulin 66,2%

D. m., Diabetes mellitus

Primärstruktur von Insulin glargin Grafik 1

(3)

betika, zum überwiegenden Teil Met- formin (30,6 Prozent) oder Glibencla- mid (25,4 Prozent) vorbehandelt.

Die Anfangsdosis von Insulin glar- gin lag durchschnittlich bei 19,1 ± 10,8 I.E. pro Tag, bis zum Ende der Beob- achtungsdauer erhöhte sich die Dosis auf 22,4 ± 11,8 I.E. Neben Insulin glar- gin bekamen 65,9 Prozent der Patien- ten im Verlauf der Beobachtung kurz- wirksame Insuline verordnet, während 43,6 Prozent der Typ-2-Diabetiker weiter orale Antidiabetika erhielten.

Im achtwöchigen Beobachtungs- zeitraum konnte eine Verbesserung al- ler Blutglucoseparameter dokumen- tiert werden. So reduzierte sich der Ausgangswert der Nüchternblutgluco- se von 186,0 ± 55,7 mg/dL auf 128,8 ± 33,7 mg/dL (p < 0,001). Neben einer deutlichen Absenkung des nach einer Stunde postprandial gemessenen Blutzuckerspiegels, verringerte sich auch der Blutzuckerspiegel 2 Stunden postprandial signifikant von 202,6 ± 67,8 mg/dL auf 143,7 ± 38,4 mg/dL (p < 0,001) (Tabelle 2). Der HbA1c- Wert als Langzeitparameter der glykä- mischen Kontrolle konnte bei den Pa- tienten, für die vollständige Daten

vorlagen (n = 7 281) von durchschnittlich 8,6 ± 3,2 Prozent vor Umstellung auf 7,6 ± 2,7 Prozent bei Beob- achtungsende gesenkt wer- den (p < 0,001). Eine Gewichtszunahme der Pati- enten wurde während der Therapie mit Insulin glargin nicht beobachtet, im Mittel reduzierte sich das Gewicht der Patienten geringfügig von 79,8 ± 15,5 kg auf 79,5 ± 15,2 kg (nicht signifikant).

Im Beobachtungszeitraum wurden 321 unerwünschte Ereignisse bei 167 Patienten dokumentiert. Davon wur-

den 251 Ereignisse bei 128 Patienten (1,2 Prozent des Gesamtkollektivs) von den behandelnden Ärzten als mögliche unerwünschte Arzneimittel- wirkungen (UAW) interpretiert. Wie in Tabelle 3 zusammengestellt, wurde bei 43,4 Prozent als Diagnose eine Hy- poglykämie angegeben. Zählt man Symptome einer Hypoglykämie wie vermehrtes Schwitzen (10,4 Prozent), Zittern (6,4 Prozent), Schwindel (2,8 Prozent) und Ruhelosigkeit (2,8 Pro-

zent) hinzu, waren 65,8 Prozent der UAW einer Hypoglykämie oder einem Hypoglykämiesymptom zuzuordnen.

8,4 Prozent der UAW wurden von den Prüfärzten als schwerwiegend einge- stuft, wobei es sich ausschließlich um Hypoglykämien beziehungsweise Hy- poglykämiesymptome handelte. Da- mit lag die Rate einer schweren Hypo- glykämie bei 0,013 pro Patient und Jahr. Während der achtwöchigen Be- obachtungsdauer wurden 7 Todesfälle berichtet. Keiner der Todesfälle stand nach den Angaben der betreuenden Ärzte in ursächlichem Zusammen- hang mit der Insulintherapie. Bei den Todesursachen handelte es sich um zwei ischämische Insulte, eine tödliche Embolie, einen Myokardinfarkt, eine intrazerebrale Blutung, eine Herzin- suffizienz sowie ein Multiorganversa- gen bei Sepsis.

Hohe Therapiezufriedenheit von Arzt und Patient

Bei der Einschätzung der Therapiezu- friedenheit anhand eines strukturier- ten Fragebogens bewerteten 96,4 Pro- zent der behandelnden Ärzte die Ver- träglichkeit von Insulin glargin als

„sehr gut“ oder „gut“ und nur 2,4 Pro- zent bewerteten die Wirksamkeit als nicht ausreichend (Grafik 3). Auch im Vergleich zur Vortherapie wurde die Gabe von Insulin glargin von den be- handelnden Ärzten bezüglich der Pa- rameter Wirksamkeit (84,7 Prozent), Verträglichkeit (43,9 Prozent) und

´ Tabelle 2 ´

Mittelwerte der Nüchternblutglucose- und postprandialen Blutglucosewerte vor und nach Umstellung auf Insulin glargin

Nüchternblutglucosemittelwert ± SD

(mg/dL) (mg/dL)

Beginn 186 55,7

2 Wochen 147,2 41,1

4 Wochen 135,6 34,4

Studienende 128 32,3

Blutglucose 1 Std. pp

Beginn 219,1 68,9

2 Wochen 173,8 47,6

4 Wochen 159,6 39,9

Studienende 151,3 36,4

Blutglucose 2 Std. pp

Beginn 202,6 67,8

2 Wochen 160,3 47,1

4 Wochen 149,1 40,4

Studienende 141,8 38,4

pp, postprandial; ± Standardabweichung (SD) während der 8-wöchigen Beobachtungsphase

Prävalenz diabetischer Folgeschäden in Abhängigkeit vom Diabetestyp. Angaben in Prozent (Mehrfach- nennungen waren möglich; n = 10 258)

Grafik 2

(4)

Therapiesicherheit (77,1 Prozent) gün- stiger beurteilt als die vorherige Dia- betestherapie. Die Gefährdung durch nächtliche Hypoglykämien, die Wirk- dauer und die Qualität der Blutgluco- seeinstellung wurden günstiger als un- ter der Vortherapie eingeschätzt (Gra- fik 4). Die mit Insulin glargin erzielten Therapieerfolge machten sich offen- sichtlich auch in einer gesteigerten Le- bensqualität der Patienten bemerkbar.

Durchweg bewerteten die Ärzte nach Patientenbefragung den körperlichen Zustand, das Wohlbefinden, die Lei- stungsfähigkeit sowie die Zufrieden- heit des Patienten besser als unter der Vortherapie (Daten nicht gezeigt). Die subjektiv hohe Therapiezufriedenheit von Arzt und Patient zeigte sich auch darin, dass bei 90,3 Prozent der unter- suchten Patienten die Therapie mit In- sulin glargin über das Beobachtungs- ende hinaus weitergeführt wurde.

Die Ergebnisse dieser Anwen- dungsbeobachtung zeigen bei einer großen Gruppe von Patienten mit Typ- 1- und Typ-2-Diabetes, dass der Ein- satz von Insulin glargin auch unter Praxisbedingungen zu einer signifi- kanten Senkung erhöhter Nüchtern- blutglucosewerte führt. Wahrschein- lich als Folge der besseren Ausgangs- werte waren auch die postprandialen Blutzuckeranstiege signifikant niedri- ger. Trotz der relativ kurzen Behand- lungsdauer war damit bereits ein Ab- fall der HbA1c-Werte verbunden.

Aufgrund des Studiendesigns von Anwendungsbeobachtungen ist es nicht möglich, die rasche Besserung der Blutglucoseeinstellung und der HbA1c-Werte auf die Umstellung auf Insulin glargin zurückzuführen. Ohne Kontrollgruppe ist eine solche Aus- sage nicht zulässig. Dabei auftretende Studieneffekte wie zum Beispiel eine intensivere Patientenbetreuung kön- nen nicht von der Wirkung des Medi- kamentes abgegrenzt werden. Dane-

ben könnte die Erhöhung der tägli- chen Dosis von Insulin glargin im Ver- lauf der achtwöchigen Betreuungszeit um durchschnittlich 3,3 I.E. zur Ver- besserung des HbA1c-Werts beigetra- gen haben. Die Anwendungsbeobach- tung wurde aber durchgeführt, um die Wirksamkeit und Sicherheit von Insu- lin glargin unter Praxisbedingungen zu prüfen. Diese Anforderungen konnten unter den beschriebenen Bedingun- gen überzeugend erfüllt werden.

Bemerkenswert in diesem Zusam- menhang war, dass die Zahl un- erwünschter Arzneimittelwirkungen nach Umstellung auf Insulin glargin verhältnismäßig gering war, wobei es sich im Wesentlichen um Hypoglyk- ämien handelte. Die Inzidenz schwer- wiegender Hypoglykämien lag mit 0,013 schweren Hypoglykämien/Pati- ent/Jahr niedriger als die bei den mit Insulin behandelten Patienten in der Interventionsgruppe der UKPD-Stu- die mit 0,018 schweren Hypoglykämi- en/Patient/Jahr (24). Dieses Ergebnis spricht für eine hohe Therapiesicher- heit beim Einsatz von Insulin glargin unter Praxisbedingungen. Die übrigen erfassten Nebenwirkungen waren un- spezifisch und vorübergehender Na- tur. Da eine Kontrollgruppe mit NPH- Insulin fehlte, war es nicht möglich,

´ Tabelle 3 ´

Unerwünschte Arzneimittelwirkungen während der 8-wöchigen Beobachtungsdauer nach Umstellung auf Insulin glargin

Unerwünschte n Prozent

Arzneimittelwirkung

Insgesamt 251 100

Hypoglykämie 109 43,4

Vermehrtes Schwitzen 26 10,4

Zittern 16 6,4

Hyperglykämie 8 3,2

Schwindel 7 2,8

Ruhelosigkeit 7 2,8

Hautjucken 6 2,4

Übelkeit 5 2,0

Überempfindlichkeit 4 1,6

Dermatitis 4 1,6

Gesteigerter Appetit 4 1,6

Sonstige 55 21,8

Gesamtzahl der ausgewerteten Teilnehmer 10 258

Einschätzung der Ärzte von Wirksamkeit, Verträglichkeit, Compliance und Behandlungserfolg durch Insulin Glargin am Ende der achtwöchigen Beobachtungsphase. Angaben in Prozent (n = 10 258)

Grafik 3

(5)

das Nebenwirkungsprofil beider Insu- line direkt zu vergleichen.

Auffällig war in dieser Studie auch die hohe Therapiezufriedenheit. Ob- wohl es sich um subjektive Einschät- zungen handelte, ist dieses Ergebnis grundsätzlich plausibel, da es ähnliche Ergebnisse aus einer kontrollierten Studie bestätigt (25). Ein zusätzlicher Grund dafür dürfte sein, dass die Zahl der täglichen Injektionen eines Basal- insulins durch Insulin glargin reduziert werden kann. Statt einer Mehrfachin- jektion von NPH-Insulin reicht in der Regel die Einmalinjektion von Insulin glargin aus.

Trotz der genannten methodischen Limitationen sind Anwendungsbeob- achtungen prinzipiell wertvoll, weil sie die Praxiswirklichkeit gut widerspie- geln (14). Im Vergleich dazu geben Zulassungsstudien aufgrund einer strengen Patientenselektion und eines starren Studienprotokolls wenig Auf- schluss über mögliche Probleme bei der späteren praktischen Anwendung bei großen heterogenen Patienten- gruppen. Die an Anwendungsbeob- achtungen teilnehmenden Ärzte re- präsentieren zudem ein wesentlich weiteres Spektrum als die ausgewähl- ten Studienzentren bei Zulassungsstu- dien. Somit kann eine Anwendungsbe- obachtung bei sorgfältiger Planung und Durchführung sowie bei einer ho- hen Patientenzahl durchaus wichtige Informationen zur praktischen Wirk-

samkeit und Sicherheit eines neuen Arzneimittels liefern und damit in die Bewertung des Nutzen-Risiko-Ver- hältnisses einbezogen werden, wie dies im Falle von Insulin glargin kürz- lich durch das National Institute of Clinical Excellence (NICE) erfolgte (16).

Bisherige Erfahrungen mit Insulin glargin

Das Wirkprofil von Insulin glargin wurde bislang in einer Reihe von kon- trollierten klinischen Studien umfang- reich charakterisiert. Danach zeigte Insulin glargin im Vergleich zu NPH- Insulin eine ähnliche Wirksamkeit ge- messen am HbA1c-Wert (15, 18, 19, 21, 22, 23, 26). Die Mehrzahl der Studien bei Patienten mit Typ-1-Diabetes er- gab bei der Behandlung mit Insulin glargin im Vergleich zu NPH-Insulin eine niedrigere Hypoglykämierate.

Dies gilt besonders für das nächtliche Hypoglykämierisiko (12, 13, 19). In den zitierten kontrollierten Studien zeigten sich bei der Gabe von Insulin glargin im Vergleich zu NPH-Insulin durchwegs niedrigere Nüchternblut- glucosewerte (12, 13, 15, 17, 18, 19).

Bei Patienten mit Typ-2-Diabetes liegen inzwischen ebenfalls mehrere Studien zum Nutzen von Insulin glar- gin, teilweise in Kombination mit ora- len Antidiabetika vor. Im Vergleich zu

einer Behandlung mit NPH-Insulin wurden keine wesentlichen Unter- schiede bezüglich HbA1c, Nüchtern- blutglucose und Hypoglykämiehäufig- keit gefunden (12, 13, 21, 26). Aber auch in diesen Studien war eine Ten- denz zu weniger nächtlichen Hypoglyk- ämien erkennbar.

In einer kürzlich publizierten Stu- die bei Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes erwies sich Insulin glargin als ebenso wirksam und sicher wie NPH-Insulin. Bezüglich der Hypo- glykämierate bestand kein signifikan- ter Unterschied zwischen beiden The- rapieformen, allerdings war die Sen- kung der Nüchternblutzuckerwerte bei der Gabe von Insulin glargin aus- geprägter als unter NPH-Insulin (15, 21). Bei schwangeren Frauen liegen keine größeren Erfahrungen mit Insu- lin glargin vor, sodass eine Anwen- dung in der Schwangerschaft derzeit nicht empfohlen werden kann.

Bezüglich der Langzeitsicherheit von Insulin glargin ist die Datenlage noch ungenügend. Durch die Verände- rung in der Primärstruktur des Insu- linmoleküls wird die Insulinaktivität nicht beeinflusst, allerdings resultiert in vitro eine erhöhte Affinität des In- sulinanalogons an den Rezeptor des insulinähnlichen Wachstumsfaktors IGF-1, die mit einer gesteigerten Sti- mulierung der DNA-Synthese einher- geht (9, 10, 20). Damit besteht die Sor- ge, dass es unter Insulin glargin zu ei- ner IGF-1-vermittelten retinalen Neo- vaskularisierung kommen könnte.

Nach Ansicht unabhängiger Experten gibt es aber bisher keinen Hinweis für einen direkten Zusammenhang zwi- schen Insulin glargin und der Progres- sion der diabetischen Retinopathie (4, 17). Die dennoch verbleibende Unsi- cherheit lässt sich letztlich nur durch eine prospektive Langzeitstudie klä- ren.

Praktische Hinweise

Insulin glargin wird in Deutschland nur als U-100-Insulin zur Verwendung in Insulinpens angeboten. Ist eine Um- stellung zum Beispiel von zweimaliger NPH-Insulingabe geplant, dann sollte die Anfangsdosis von Insulin glargin, Bewertung von Parametern der Wirkung von Insulin glargin durch die teilnehmenden Ärzte im

Vergleich zur Vortherapie. Angaben in Prozent (n = 10 258) Grafik 4

(6)

wie auch in dieser Anwendungsbeob- achtung praktiziert, um 20 Prozent un- ter die NPH-Gesamtinsulindosis ge- senkt und dann nach den Blutzucker- werten des Patienten angepasst wer- den. Neue Daten zeigen, dass die Gabe von Insulin glargin morgens, vor dem Abendessen oder beim Zubettgehen bei Patienten mit Typ-1-Diabetes, aber auch bei Patienten mit Typ-2-Diabetes unter Sulfonylharnstofftherapie gleich wirksam und sicher ist (6, 7). Insulin glargin liegt in saurer Lösung vor und kann daher bei einer Minderheit der Patienten (6 Prozent) nach Injektion ein leichtes Schmerzgefühl hervorru- fen (18). Der Einsatz von Insulin glar- gin dürfte nach dem derzeitigen Kenntnisstand besonders sinnvoll bei Patienten sein, die unter nächtlichen Hypoglykämien leiden, hohe mor- gendliche Blutzuckerwerte aufweisen beziehungsweise grundsätzlich einen labilen Stoffwechsel haben. Die Er- gebnisse dieser Anwendungsbeobach- tung bestätigen zudem, dass sich Insu- lin glargin mit hoher Therapiesicher- heit auch unter den heterogenen Ver- hältnissen der ärztlichen Praxis einset- zen lässt. Wegen seiner gleichmäßigen und langen Wirkung kommt Insulin glargin als Basalinsulin in Kombinati- on mit schnell wirksamen Insulinen den Anforderungen an eine möglichst physiologische Insulintherapie derzeit am nächsten (17).

Manuskript eingereicht: 11. 6. 2002; revidierte Fassung angenommen: 31. 7. 2003

Zitierweise dieses Beitrags:

Dtsch Arztebl 2003; 100: A 3022–3027 [Heft 46]

Die Zahlen in Klammern beziehen sich auf das Literatur- verzeichnis, das beim Verfasser erhältlich oder im Internet unter www.aerzteblatt.de/lit4603 abrufbar ist.

Anschrift des Verfassers:

Prof. Dr. med. Hans Hauner

Else-Kröner-Fresenius-Zentrum für Ernährungsmedizin Klinikum rechts der Isar der

Technischen Universität München Ismaninger Straße 22

81675 München

E-Mail: hauner@wzw.tum.de

MEDIZINGESCHICHTE(N) )

Psychoanalyse Selbstanalyse

Zitat:„Bei den psychoanalytischen Ar- beiten habe ich gemerkt, daß die psy- chische Verfassung des Mannes, wel- cher nachdenkt, eine ganz andere ist als die desjenigen, welcher seine psychi- schen Vorgänge beobachtet. Beim Nachdenken tritt eine psychische Akti- on mehr ins Spiel als bei der aufmerk- samsten Selbstbeobachtung, wie es auch die gespannte Miene und die in Falten gezogene Stirne des Nachdenkli- chen im Gegensatz zur mimischen Ru- he des Selbstbeobachters erweist. In beiden Fällen muß eine Sammlung der Aufmerksamkeit vorhanden sein, aber der Nachdenkende übt außerdem eine Kritik aus, infolge deren er einen Teil der ihm aufsteigenden Einfälle ver- wirft, nachdem er sie wahrgenommen hat, andere kurz abbricht, so daß er den Gedankenwegen nicht folgt, welche sie eröffnen würden,und gegen noch ande- re Gedanken weiß er sich so zu beneh- men, daß sie überhaupt nicht bewußt, also vor ihrer Wahrnehmung unter- drückt werden. Der Selbstbeobachter hingegen hat nur die Mühe, die Kritik zu unterdrücken; gelingt ihm dies, so kommt ihm eine Unzahl von Einfällen zum Bewußtsein,die sonst unfaßbar ge- blieben wären. Mit Hilfe dieses für die Selbstwahrnehmung neu gewonnenen Materials läßt sich die Deutung der pa- thologischen Ideen sowie der Traumge- bilde vollziehen.Wie man sieht, handelt es sich darum, einen psychischen Zu- stand herzustellen,der mit dem vor dem Einschlafen [...] eine gewisse Analogie in der Verteilung der psychischen Ener- gie [...] gemein hat. Beim Einschlafen treten die „ungewollten Vorstellungen“

hervor durch den Nachlaß einer gewis- sen willkürlichen (und gewiß auch kriti- schen) Aktion, die wir auf den Ablauf unserer Vorstellungen einwirken las- sen; als Grund dieses Nachlasses pfle- gen wir „Ermüdung“ anzugeben; die auftauchenden ungewollten Vorstel- lungen verwandeln sich in visuelle und akustische Bilder. Bei dem Zustand, den man zur Analyse der Träume und pathologischen Ideen benützt, verzich-

tet man absichtlich und willkürlich auf jene Aktivität und verwendet die er- sparte psychische Energie (oder ein Stück derselben) zur aufmerksamen Verfolgung der jetzt auftauchenden un- gewollten Gedanken,die ihren Charak- ter der Vorstellungen (dies der Unter- schied gegen den Zustand beim Ein- schlafen) beibehalten. Man macht so die „ungewollten“ Vorstellungen zu

„gewollten [...]“.

Und doch ist ein „solches Zurück- ziehen der Wache von den Toren des Verstandes“, wie Schiller es nennt, ein derartiges sich in den Zustand der kriti- klosen Selbstbeobachtung Versetzen keineswegs schwer.Die meisten meiner Patienten bringen es nach der ersten Unterweisung zustande; ich selbst kann es sehr vollkommen, wenn ich mich da- bei durch Niederschreiben meiner Ein- fälle unterstütze.“

Sigmund Freud: Die Traumdeutung. Leipzig, Wien: 1900.

In: Gesammelte Werke. Bd. 2/3, S. 106 ff. – Freud (1856–1939) begründete wesentlich durch die Selbst- analyse seiner eigenen Träume das Konzept der Psycho- analyse. Er beschreibt hier seine Technik der „kritiklosen Selbstbeobachtung“, die in der späteren Behandlungs- technik der Psychoanalyse der „freien Assoziation“ des Analysanden beziehungsweise der „gleichschwebenden Aufmerksamkeit“ des Analytikers entspricht. Freuds Hauptwerk entstand in der zweiten Hälfe der 1890er- Jahre. Selbstbewusst legte er für sein Jahrhundertwerk das Erscheinungsdatum 1900 fest (trotz seiner Fertig- stellung im Herbst 1899).

AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT AUSGEWÄHLT UND KOMMENTIERT VON H. SCHOTT

Balneologie Karlsbad

Zitat:„Wie es dampft und braust und sprühet

Aus der unbekannten Gruft!

Von geheimem Feuer glühet Heilsam Wasser, Erd' und Luft.

Hilfsbedürftge Schar vermehrt sich Täglich um den Wunderort, Und im Stillen heilt und nährt sich Unser Herz an Freundes Wort.“

Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832) verfasste als Kurgast in Karlsbad am 10. Juli 1806 dieses Ge- dicht. Am Tag zuvor hatte er eine chemische Analyse des Karlsbader Sprudels in sein Tagebuch eingetra- gen. – Vergleiche auch: Richard Koch: Der Zauber der Heilquellen. Eine Studie über Goethe als Badegast.

Stuttgart: 1933; S. 17.

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Selbstverständ- lich ist richtig, dass nicht jeder Typ-1-Dia- betiker mit einer einmaligen täglichen Injektion von Insulin Glargin auskommt (rund 20 Prozent benötigen eine zweima-

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