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Entwicklung eines Multimorbiditätsindex zur standardisierten Erfassung von chronischen Erkrankungen in der älteren Bevölkerung

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der Medizinischen Hochschule Hannover

Entwicklung eines Multimorbiditätsindex zur standardisierten Erfassung von chronischen

Erkrankungen in der älteren Bevölkerung

Dissertation

zur Erlangung des Doktorgrades Public Health der Medizinischen Hochschule Hannover

vorgelegt von

Claudia Patricia Diederichs aus Marl

Hannover 2011

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Angenommen vom Senat der Medizinischen Hochschule Hannover am 14.09.2011 Gedruckt mit Genehmigung der Medizinischen Hochschule Hannover

Präsident: Professor Dr. med. Dieter Bitter-Suermann Betreuer: PD Dr. rer. biol. hum. Dorothee Bartels Referent: PD Dr. med. Martin Schlaud

Korreferent: Prof. Dr. med. Klaus Berger Korreferent: Prof. Dr. phil. Ulla Walter

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Zusammenfassung

Titel: Entwicklung eines Multimorbiditätsindex zur standardisierten Erfassung von chronischen Erkrankungen in der älteren Bevölkerung

Hintergrund: Trotz der wachsenden Bedeutung von Multimorbidität, definiert als das gleichzeitige Vorliegen von zwei oder mehreren chronischen Erkrankungen, ist dieser komplexe Gesundheitszustand unzureichend erforscht. Aus methodischer Sicht wird vor allem ein standardisiertes Instrument benötigt, das festlegt, welche Erkrankungen bei der Messung von Multimorbidität berücksichtigt werden sollen. Darüber hinaus gibt es keine valide Methode für die Gewichtung von multimorbiditätsrelevanten Erkrankungen. Ziel der Arbeit war daher die Entwicklung eines einheitlichen Multimorbiditätsindex speziell für ältere Menschen.

Methodik: Im ersten Teil der Arbeit wurde im Rahmen einer systematischen Literaturanalyse eine ausführliche Übersicht über existierende Multimorbiditäts- indizes erstellt. Die Auswahl wurde auf Indizes beschränkt, die entweder Gewichtungsfaktoren für einzelne Erkrankungen enthalten oder explizit den Zusammenhang zwischen Multimorbidität und verschiedenen Endpunkten untersuchen. Im zweiten Teil wurden fünf Kriterien für multimorbiditätsrelevante Krankheiten definiert. Diese umfassen eine hohe Prävalenz in der älteren Bevölkerung, eine Dauer von mindestens einem Jahr, ein kontinuierlicher medizinischer Behandlungsbedarf, schwerwiegende Auswirkungen auf die betroffenen Menschen sowie die Verwendung von laienverständlichen und unterscheidbaren Krankheitsbezeichnungen für primäre Datenquellen.

Anschließend wurden diese Kriterien auf mehrere bevölkerungsbezogene Datenquellen, das heißt jeweils die 20 häufigsten Diagnosen bei 65-jährigen und älteren Menschen im ambulanten und stationären Sektor sowie bei den Todesursachen, angewandt. Auf dieser Basis wurde eine nachvollziehbare Liste mit Erkrankungen im Sinne eines Multimorbiditätsindex erstellt. Im dritten Teil wurde anhand von fünf bevölkerungsbezogenen Studien der Einfluss jeder ausgewählten Erkrankung auf den selbstberichteten Gesundheitszustand anhand von Odds Ratios (OR) berechnet. Die Ergebnisse wurden studienüber-

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greifend mit einer Methode aus der Meta-Analyse zu gepoolten OR zusammengefasst, die als valide Gewichtungsfaktoren für den Multimorbiditätsindex genutzt wurden.

Ergebnisse: Im Rahmen der Literaturanalyse wurden 39 Indizes identifiziert, die sich vor allem durch ihre ausgeprägte Heterogenität auszeichnen. Die Spannweite reicht von 4 bis 102 erfassten Krankheiten. Am häufigsten werden Diabetes mellitus, gefolgt von Schlaganfall, Hypertonie und Krebs berücksichtigt. Auch bei den Gewichtungsmethoden sind große Unterschiede erkennbar. Die Gewichtungsfaktoren beruhen entweder auf Selbstangaben der Studienteilnehmer zum Schweregrad einzelner Erkrankungen oder zu ihren Auswirkungen auf die Durchführung von täglichen Aktivitäten. Sie werden empirisch anhand des Einflusses von Erkrankungen auf verschiedene Endpunkte berechnet oder es werden Kriterien bestimmt, nach denen die Krankheiten bestimmten Schweregraden zugeordnet werden. Im zweiten Teil wurden elf Erkrankungen ausgewählt, die gemäß den fünf Kriterien als multimorbiditätsrelevant bewertet werden. Dazu zählen Krebs, Diabetes mellitus, Depression, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Durchblutungsstörungen am Herzen, Herzrhythmusstörungen, Herzschwäche, Schlaganfall, chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD) und Arthrose. Der studienübergreifend stärkste Einfluss auf den selbstberichteten Gesundheitszustand wurde im dritten Teil der Arbeit für Herzinfarkt mit einem gepoolten OR von 3,9 berechnet. Danach folgten Schlaganfall (gepooltes OR: 3,5), Herzschwäche (gepooltes OR: 3,3) sowie Depression und COPD mit einem gepoolten OR von jeweils 3,2.

Schlussfolgerungen: Es handelt sich hierbei um den ersten systematischen Ansatz, eine umfassende Übersicht über existierende Multimorbiditätsindizes zu geben sowie eine Methode aufzuzeigen, wie die Erfassung von Multimorbidität mit Hilfe eines gewichteten Index standardisiert werden kann.

Als Grundlage für die Berechnung der Gewichtungsfaktoren wurde der selbstberichtete Gesundheitszustand gewählt, der angesichts der zunehmenden Bedeutung von subjektiven Endpunkten in epidemiologischen Studien immer stärker berücksichtigt wird.

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Inhaltsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis………………… 7

Tabellenverzeichnis………………. 8

Abkürzungsverzeichnis………………… 9

A Hintergrund und Ziel……………….. 11

1. Einleitung………………. 11

1.1 Demographischer Wandel………………. 11

1.2 Bedeutung chronischer Krankheiten……..…………………. 14

1.3 Definition von Multimorbidität………………… 16

1.4 Prävalenz von Multimorbidität………………… 17

1.5 Public Health Relevanz von Multimorbidität... 19

2. Multimorbiditätsindizes …………………...…… 22

2.1 Definition von Multimorbiditätsindex……………… 22

2.2 Selektion relevanter Erkrankungen ……………….. 23

2.3 Gewichtung von Erkrankungen ……………… 24

2.4 Vorteile eines standardisierten Multimorbiditätsindex …… 25 3. Ziele der Studie…………………... 27

B Literaturübersicht………………. 30

4. Material und Methoden……………… 30

5. Ergebnisse …………………... 33

5.1 Selektionskriterien für Erkrankungen……………….. 39

5.2 Datenquellen ………………. 40

5.3 Anzahl von Erkrankungen………………… 41

5.4 Art von Erkrankungen………………… 42

5.5 Studienpopulationen………………… 43

5.6 Gewichtungsmethoden………………….. 43

C Auswahl von multimorbiditätsrelevanten Erkrankungen.……….. 46

6. Hintergrund ………………… 46

7. Kriterien für die Auswahl von Erkrankungen………………. 47

7.1 Prävalenz von Erkrankungen…………………. 47

7.2 Die „Chroniker-Richtlinie“ des Gemeinsamen Bundesausschusses …………………. 48

7.3 Unterscheidbarkeit der Erkrankungen……………………… 49

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8. Datenquellen.………………. 50 8.1 Identifizierung häufiger Erkrankungen………………………. 52 8.2 Daten aus dem ambulanten Sektor……………… 53 8.3 Daten aus dem stationären Sektor……………….. 56 8.4 Daten aus der Todesursachenstatistik ……………………… 60

9. Ergebnisse……………… 62

9.1 Multimorbiditätsindex für administrative Datenquellen..… 62 9.2 Multimorbiditätsindex für primäre Datenquellen………….. 64 D Entwicklung eines gewichteten Index……………….. 66 10. Hintergrund………………….. 66 11. Material und Methoden……………… 66 11.1 Studienpopulationen für die Entwicklung eines Index…… 66 11.1.1 Der Bundesgesundheitssurvey1998 (BGS 1998).. 67 11.1.2 Die Dortmunder Gesundheitsstudie (DG-Studie).. 68 11.1.3 Die Memory and Morbidity in Augsburg Elderly

Studie (MEMO-Studie)

69 11.1.4 Der Survey of Health, Ageing and Retirement in

Europe (SHARE-Studie)

69 11.1.5 Die Study of Health in Pomerania (SHIP-Studie)… 70 11.2 Studienpopulation für die Validierung des Index…………. 71 11.3 Einflussvariablen…………………. 71 11.3.1 Soziodemographischer Hintergrund………………. 71 11.3.2 Chronische Erkrankungen………………… 72 11.4 Selbstberichteter Gesundheitszustand als Zielgröße..……. 74 11.5 Statistische Auswertungsmethoden ……………… 75 11.5.1 Einfluss von Erkrankungen ………………… 75 11.5.2 Berechnung der gepoolten Odds Ratios………… 76 11.5.3 Validierung der Ergebnisse……………….. 78 11.6 Anwendung des gewichteten Index………………………... 81

12. Ergebnisse……………… 81

12.1 Beschreibung der Studienpopulationen…………………… 81 12.2 Prävalenz von chronischen Krankheiten…………………… 83 12.3 Selbstberichteter Gesundheitszustand……………………… 86 12.4 Einfluss von Erkrankungen auf den Gesundheitszustand… 87 12.5 Berechnung von gepoolten Odds Ratios………………... 89 12.5.1 Gepooltes OR für Krebserkrankungen…………… 90

(7)

12.5.2 Gepooltes OR für Diabetes mellitus……………… 91

12.5.3 Gepooltes OR für Depression……………………… 92

12.5.4 Gepooltes OR für Bluthochdruck…………………. 93

12.5.5 Gepooltes OR für Herzinfarkt………………………. 94

12.5.6 Gepooltes OR für Herzschwäche……………….... 95

12.5.7 Gepooltes OR für Schlaganfall……………………. 96

12.5.8 Gepooltes OR für chronisch obstruktive Lungenerkrankung…………………... 97

12.5.9 Gepooltes OR für Arthrose……………….. 98

12.6 Gewichtungsfaktoren für Erkrankungen……………………. 98

13. Validierung des Index……………….. 102

13.1 Vergleich von Informationskriterien .……………… 102

13. 2 Vergleich des ungewichteten und des gewichteten Multimorbiditäts-Scores……………… 103

14. Beispielhafte Anwendung des gewichteten Index……….. 105

E Diskussion..………………… 107

15. Zusammenfassung der Ergebnisse………………... 107

15.1 Ergebnisse der Literaturübersicht……………….…. 107

15.2 Auswahl multimorbiditätsrelevanter Erkrankungen………. 109 15.3 Berechnung der Gewichtungsfaktoren…………………….. 111

16. Einbettung der Ergebnisse in den aktuellen Forschungsstand………………… 113

17. Limitationen der Studie………………….……… 121

18. Ausblick und Empfehlungen………………….……. 125

F Referenzen………………… 129

G Anhang……………….. 148

Anhang 1: Erkrankungen in Multimorbiditätindizes………………... 148

Anhang 2: Erkrankungen in gewichteten Multimorbiditätindizes. 151 Anhang 3: Auswahl multimorbiditätsrelevanter Erkrankungen……………….. 154

Anhang 4: Überprüfung der Anpassungsgüte…………………….. 156

H Danksagung………………. 158

I Lebenslauf ………………… 159

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Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1 Die Altersstruktur der deutschen Bevölkerung in den

Jahren 2008 und 2060 …………………. 13 Abbildung 2 Anzahl von chronischen Erkrankungen nach Alter im

Jahr 2002 in Deutschland………………….. 18 Abbildung 3 Suchalgorithmus für die Literaturrecherche……………. 31 Abbildung 4 Dokumentation und Ergebnisse der Suchstrategie…… 32 Abbildung 5 Selektionskriterien für multimorbiditätsrelevante

Erkrankungen…………………. 40 Abbildung 6 Anzahl von Erkrankungen in Multimorbiditätsindizes

(n=39)………………… 41 Abbildung 7 Häufigkeit von Erkrankungen in Multimorbiditätsindizes 42 Abbildung 8 Kriterien für die Auswahl von Erkrankungen…………….. 49 Abbildung 9 Berechnungsformel für gepoolte Odds Ratios…………. 77 Abbildung 10 Bewertung der Heterogenität…………………... 78 Abbildung 11 Formel für die Berechnung des AIC……………………… 79 Abbildung 12 Formel für die Berechnung des BIC………………………. 80 Abbildung 13 Forest-Plot Analyse für den Einfluss einer

Krebserkrankung auf den Gesundheitszustand………... 90 Abbildung 14 Forest-Plot Analyse für den Einfluss von Diabetes

mellitus auf den Gesundheitszustand……………………. 91 Abbildung 15 Forest-Plot Analyse für den Einfluss von Depression auf

den Gesundheitszustand……………… 92 Abbildung 16 Forest-Plot Analyse für den Einfluss von Bluthochdruck

auf den Gesundheitszustand……………… 93 Abbildung 17 Forest-Plot Analyse für den Einfluss eines Herzinfarktes

auf den Gesundheitszustand……………… 94 Abbildung 18 Forest-Plot Analyse für den Einfluss von Herzschwäche

auf den Gesundheitszustand…………………... 95 Abbildung 19 Forest-Plot Analyse für den Einfluss eines Schlagfanfalls

auf den Gesundheitszustand……………… 96 Abbildung 20 Forest-Plot Analyse für den Einfluss von COPD auf den

Gesundheitszustand……………… 97 Abbildung 21 Forest-Plot Analyse für den Einfluss von Arthrose auf

den Gesundheitszustand……………… 98 Abbildung 22 Zusammenhang zwischen Multimorbidität und dem

Gesundheitszustand………………. 104 Abbildung 23 Gewichteter Multimorbiditäts-Score nach Geschlecht 105 Abbildung 24 Gewichteter Multimorbiditäts-Score nach Alter……….. 106

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Tabellenverzeichnis

Tabelle 1 Durch nicht übertragbare Krankheiten bedingte Krankheitslast und Todesfälle in der Europäischen

Region in 2005………………..………… 15 Tabelle 2 Indizes zum Einfluss von Multimorbidität auf

verschiedene Zielgrößen………………….. 33 Tabelle 3 Gewichtete Indizes……………….. 36 Tabelle 4 Häufigste Diagnosen im ambulanten Sektor bei

≥ 65-jährigen Versicherten der GEK in Deutschland

(2008)... 54 Tabelle 5 Häufigste Diagnosen im stationären Sektor bei

≥ 65-Jährigen in Deutschland (2008)……………………... 57 Tabelle 6 Häufigste Todesursachen bei ≥ 65-Jährigen in

Deutschland (2007)……………….. 61 Tabelle 7 Multimorbiditätsrelevante Erkrankungen für

administrative Daten……………… 63 Tabelle 8 Generierung von laienverständlichen

Krankheitsbezeichnungen ………………… 65 Tabelle 9 Erfasste Erkrankungen in fünf Studien…………..………... 73 Tabelle 10 Übersicht über die Studien und soziodemographische

Merkmale der Studienpopulationen…………………….. 82 Tabelle 11 Prävalenz von chronischen Erkrankungen……………… 85 Tabelle 12 Selbstberichteter Gesundheitszustand der

Studienteilnehmer ………………... 86 Tabelle 13 Odds Ratio für einen weniger guten bis schlechten

Gesundheitszustand bei verschiedenen chronischen

Erkrankungen…………………. 88 Tabelle 14 Übersicht über die gepoolten Odds Ratios…………….. 100 Tabelle 15 Berechnung eines ungewichteten und gewichteten

Multimorbiditäts-Scores………………... 101 Tabelle 16 Beschreibung der drei Regressionsmodelle…………….. 102

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Abkürzungsverzeichnis

ADL Actitivies of Daily Living (Instrument zur Erfassung der körperlichen Funktionsfähigkeit)

AIC Akaike Informationskriterium BGS Bundesgesundheitssurvey BIC Bayesian Informationskriterium

BMBF Bundesministerium für Bildung und Forschung BMG Bundesministerium für Gesundheit

CDS Chronic Disease Score (Instrument zu Erfassung von Multimorbidität)

CIRS Cumulative Illness Rating Scale (Instrument zu Erfassung von Multimorbidität)

COPD Chronisch obstruktive Lungenerkrankung

DALY Disability Adjusted Life Years (Maß für Lebenszeit, die mit

Behinderung gelebt oder durch frühzeitigen Tod verloren wird) DAX Deutscher Aktien Index

DG-Studie Dortmunder Gesundheitsstudie

EORTC European Organization for Research and Treatment on Cancer

EQ-5D EuroQuol with 5 Dimensions (Instrument zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität)

GBA Gemeinsamer Bundesausschuss GBE Gesundheitsberichterstattung GEK Gmünder Ersatzkasse

GI Glykämischer Index

GKV Gesetzliche Krankenversicherung HMO Health Maintenance Organization HR Hazard Ratio

HRQoL Health-Related Quality of Life

IADL Instrumental Activities of Daily Living (Instrument zur Erfassung der körperlichen Funktionsfähigkeit)

ICED Index of Coexisting Diseases(Instrument zur Erfassung von Multimorbidität)

ICD-10 Internationale Klassifikation der Krankheiten, Version 10 KHStatV Krankenhausstatistikverordnung

KI Konfidenzintervall

MEMO Memory and Morbidity in Augsburg Elderly Study

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MeSH Medical Subject Heading

MONICA Monitoring Trends and Determinants in Cardiovascular Disease NEADL Nottingham Extended Activities of Daily Living (Instrument zur

Erfassung der körperlichen Funktionsfähigkeit) NHIS National Health Interview Survey

NHP Nottingham Health Profile (Instrument zur Erfassung der subjektiven Gesundheit)

OR Odds Ratio

QLQ-C30 Quality of Life Questionnaire with 30 items (Instrument zur Erfassung der Lebensqualität)

PAVK Periphere arterielle Verschlusskrankheit PKV Private Krankenversicherung

RCT Randomized controlled trial RKI Robert Koch-Institut

SF-36 Short-Form with 36 questions (Instrument zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität)

SGB Sozialgesetzbuch

SHARE Survey of Health, Ageing and Retirement in Europe SHIP Study of Health in Pomerania Study

SVR Sachverständigenrat für die konzertierte Aktion im Gesundheitswesen

VA Veterans Affairs

WHO World Health Organization

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A. Hintergrund und Ziel

1. Einleitung

Ziel dieser Arbeit ist es, ein standardisiertes Instrument zur Erfassung von Multimorbidität bei älteren Menschen zu entwickeln. Eine angemessene Einführung in die Thematik erfordert zunächst eine kurze Beschreibung der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die zu einer steigenden Anzahl von chronischen Erkrankungen geführt haben. Anschließend wird das komplexe Phänomen Multimorbidität mit seinen Ursachen und Auswirkungen auf betroffene Menschen erläutert. Ein besonderer Fokus wird dabei auf die

„Public Health“-Relevanz des Forschungsthemas gelegt. Zum Schluss werden die methodischen Schwierigkeiten bei der Erfassung von mehreren, gleichzeitig vorliegenden Krankheiten als Kernthema dieser Arbeit im Detail beschrieben.

1.1 Demographischer Wandel

„We r ke ine Kraft zu e ine m sittlic h g ute n und g lüc kse lig e n Le b e n in sic h se lb st träg t, de m ist je de s Le b e nsalte r e ine Last; we r ab e r a lle s Gute vo n sic h se lb st ve rlang t, de m kann nic hts, was das Naturg e se tz zwang släufig mit sic h b ring t, als e in Üb e l e rsc he ine n. Dazu g e hö re n in e rste r Linie das Alte r; alle wünsc he n e s zu e rre ic he n; hab e n sie e s de nn e rre ic ht, dann b e klag e n sie sic h darüb e r;

so inko nse q ue nt und unlo g isc h sie sind, die To re n“ (Cicero, 45/44 v. Chr.) Mit der Realität im römischen Reich hatte diese durchaus positive Betrachtung des Alters, die von Cicero aus dem ersten Jahrhundert vor Christus stammt, vermutlich wenig gemeinsam. Damals lag die mittlere Lebenserwartung bei nur 30 bis 40 Jahren, wie Altersangaben auf Grabsteinen vermuten lassen (Bartels, 1994). Zudem ist bekannt, dass die alternde römische Bevölkerung neben Tuberkulose und Gicht vor allem an sehr schmerzhaften, degenerativen Erkrankungen der Knochen und Gelenke litt (Eckart, 2000).

Mehr als 2000 Jahre später haben männliche und weibliche Neugeborene in Deutschland eine durchschnittliche Lebenserwartung von 77,2 Jahren, beziehungsweise 82,4 Jahren (Statistisches Bundesamt, 2009). Zum Vergleich

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liegt Deutschland damit innerhalb von Europa an mittlerer Position, hinter Ländern wie Schweden, Frankreich, Österreich und Spanien (Wirtschaftskammern Österreichs, 2010). Noch im Jahr 1871, bei Einführung der ersten Periodensterbetafeln im Deutschen Reich, wurden Männer im Durchschnitt 35 und Frauen 38 Jahre alt. Diese erhebliche Verlängerung der Lebenszeit ist in erster Linie auf Fortschritte in der medizinischen Versorgung, der Hygiene und Ernährung sowie auf Verbesserungen der Wohn- und Arbeitssituationen und den gestiegenen materiellen Wohlstand zurückzu- führen (Riley, 2001). Wird sich dieser Trend fortsetzen, dann wird Prognosen zufolge die Lebenserwartung im Jahr 2060 für Männer bei 85 bis 87,7 Jahren und Frauen sogar bei knapp 89,2 bis 91,2 Jahren liegen (Statistisches Bundesamt, 2009). Insgesamt führt der kontinuierliche Anstieg der Lebenserwartung zu einer wachsenden Anzahl von älteren Menschen.

Dieser Prozess wird durch eine konstant niedrige Geburtenziffer, das heißt die durchschnittliche Kinderzahl pro Frau, verstärkt. Die Geburtenziffer ist trotz gewisser Einschränkungen der am besten geeignete Indikator für die Beschreibung der Geburtenhäufigkeit im Zeitverlauf (Statistisches Bundesamt, 2007). Seit der Nachkriegszeit wurde die höchste Geburtenziffer mit 2,5 Kindern pro Frau Anfang der 60er Jahre während des sogenannten „Baby- Booms“ erreicht. Seitdem hat die Zahl der Geburten in Deutschland deutlich abgenommen und lag im Jahr 2008 bei 1,38 Kindern pro Frau (Statistisches Bundesamt, 2010). Im Vergleich zu den alten Mitgliedsstaaten der Europäischen Union (EU) weisen heute nur Griechenland und Italien niedrigere Geburtenziffern als Deutschland auf. Die übrigen Länder hingegen liegen zwischen 1,4 Kindern je Frau in Spanien, Portugal und Österreich und 1,9 Kindern in Frankreich (Statistisches Bundesamt, 2007).

Aufgrund dieser beiden Entwicklungen – der steigenden Lebenserwartung und sinkenden Geburtenzahlen – befindet sich die Bevölkerung in Deutschland in einem fortschreitenden Alterungsprozess, dem so genannten demographischen Wandel. Ein weiterer Einflussfaktor ist die Differenz zwischen Zuzügen nach und Fortzügen aus Deutschland, die auch kurz als Wanderungssaldo bezeichnet wird. Für verschiedene Annahmen zu den drei

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Einflussfaktoren wurden im Rahmen der aktuellen Bevölkerungsvoraus- berechnung aus dem Jahr 2009 Szenarien präsentiert, wie sich die zukünftige Altersstruktur in Deutschland entwickeln wird. Unter Annahme einer

„günstigen“ Prognose wird damit gerechnet, dass der Anteil der über 65- Jährigen von 20 % im Jahr 2008 auf circa 34 % im Jahr 2060 anwachsen wird.

Über 80-jährige Menschen werden dann etwa 14 % der Bevölkerung ausmachen. Ihr Anteil lag im Jahr 2008 noch bei etwas über 5 % (Abbildung 1). Zudem wird das mediane Alter der Bevölkerung von heute 43 auf circa 52 Jahre ansteigen, das heißt, dass im Jahr 2060 die Hälfte der Bevölkerung 52 Jahre und älter sein wird (Statistisches Bundesamt, 2009). Auf gesellschaftlicher Ebene bedeutet dies, dass ein wachsender Anteil von älteren und hochbetagten Menschen einer kleiner werdenden Anzahl von erwerbsfähigen Personen gegenübersteht (Sachverständigenrat zur Begut- achtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, 2009).

Quelle: Statistisches Bundesamt (2009) Abbildung 1: Die Altersstruktur der deutschen Bevölkerung in den Jahren 2008 und 2060

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1.2 Bedeutung chronischer Krankheiten

Neben demographischen Veränderungen hat seit Anfang des letzten Jahrhunderts eine Verschiebung des Krankheitsspektrums von den klassischen Infektionskrankheiten, wie Tuberkulose oder Diphtherie, zu einer wachsenden Bedeutung von chronischen Erkrankungen stattgefunden. So ist in Deutschland unten den 20 häufigsten Todesursachen bei ≥ 70-Jährigen heute nur noch die Lungenentzündung als Infektionskrankheit zu finden (Statistisches Bundesamt, 2010). Chronische Erkrankungen, zu denen die Weltgesundheits- organisation (WHO) nicht näher spezifizierte Herzkreislauf-Erkrankungen, Krebs, Atemwegserkrankungen, Diabetes, neuropsychiatrische Erkrankungen, Erkrankungen der Sinnesorgane, Erkrankungen des Verdauungssystems, Erkrankungen des Muskel-Skelett-Systems und Mundhöhlenerkrankungen, wie zum Beispiel Rachenkrebs, zählt, sind mittlerweile nicht nur in Deutschland, sondern weltweit die Hauptursache für Behinderung und Tod. Im Jahr 2005 waren nicht übertragbare Krankheiten für 60 % aller 58 Millionen Todesfälle weltweit verantwortlich (WHO, 2005). In der europäischen Region der WHO, die 53 Staaten mit einer Gesamtbevölkerung von etwa 885 Millionen Menschen umfasst, werden sogar 86 % der Todesfälle und 77 % der Krankheitslast, gemessen in „disability adjusted life years (DALYs)“, durch chronische Erkrankungen verursacht (WHO, 2006). Ein DALY entspricht einem Jahr, das durch vorzeitigen Tod oder Behinderung verloren wurde.

Tabelle 1 bietet eine Übersicht über nicht übertragbare Krankheiten, die am häufigsten zu Tod oder Behinderung führen. An erster Stelle stehen Herzkreislauf-Erkrankungen, die für mehr als die Hälfte aller Todesfälle in der Europäischen Union verantwortlich sind. Dann folgen bösartige Neubildungen, die 19 % aller Todesursachen ausmachen.

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Tabelle 1: Durch nicht übertragbare Krankheiten bedingte Krankheitslast und Todesfälle in der Europäischen Region in 2005

Ursachengruppe Todesfälle (in Tausend)

Anteil (%) an allen Ursachen

Krankheits- last in DALYs (in Tausend)

Anteil (%) an allen Ursachen

Herzkreislauf-Erkrankungen 5.067 52 % 34.421 23 %

Krebs (bösartige

Neubildungen) 1.855 19 % 17.025 11 %

Atemwegserkrankungen 420 4 % 6.835 5 %

Erkrankungen des

Verdauungssystems 391 4 % 7.117 5 %

Neuropsychiatrische

Erkrankungen 264 3 % 29.370 20 %

Diabetes mellitus 153 2 % 2.319 2 %

Erkrankungen des Muskel-

Skelettsystems 26 0 % 5.745 4 %

Sinnesorganerkrankungen 0 0 % 6.339 4 %

Mundhöhlenerkrankungen 0 2 % 1.018 1 %

Alle nichtübertragbaren

Krankheiten 8.210 86 % 115.339 77 %

Alle Ursachen 9.564 100 % 150.322 100 %

Quelle: WHO (2006)

Da sich chronische Erkrankungen vor allem in der zweiten Lebenshälfte manifestieren, wird ihre Bedeutung angesichts der steigenden Anzahl von älteren (65 + Jahre) und hochbetagten (85 + Jahre) Menschen (Peters, 2010) in der Zukunft weiter zunehmen. Auch deshalb hat die Weltgesund- heitsorganisation den demographischen Wandel als eine „der größten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“ bezeichnet (WHO, 2002).

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1.3 Definition von Multimorbidität

Bereits heute leiden viele ältere Menschen nicht nur an einer, sondern an zwei oder mehreren chronischen Erkrankungen gleichzeitig. Dieser Gesundheitszustand wird auch als multimorbide bezeichnet.

Der Begriff Multimorbidität wurde zum ersten Mal in den 70er Jahren verwendet, um zunächst vor allem in der Gerontologie (siehe zum Beispiel Gsell, 1973 und Franke, 1974) den Gesundheitszustand von älteren Menschen zu beschreiben. „Im Se mium hat man e s mit vie le n Le ide n, e ine r Po lypathie , o de r mit Vie lfac hkrankhe ite n, das he ißt e ine r Multimo rb idität zu tun. Die se s Ne b e ne ina nde r me hre re r krankhafte r Vo rg äng e und Zustände ist für das b io lo g isc he Ve rhalte n Be tag te r g e rade zu ke nnze ic hne nd“ (Franke, 1974).

Heute wird Multimorbidität allgemein als „the c o e xiste nc e o f two o r mo re c hro nic dise ase s“ definiert (Van den Akker, 1996), die als gleichwertig betrachtet werden. Die Beschränkung auf chronische Erkrankungen wird nicht allgemein angewendet, so werden vereinzelt auch akute Krankheiten mit eingeschlossen: „ the c o -o c c ure nc e o f multiple c hro nic o r ac ute dise ase s a nd me dic al c o nditio ns within o ne pe rso n“ (Marengoni, 2008). Diese Definitions- erweiterung ist darauf zurückzuführen, dass die Grenzen zwischen akuten und chronischen Krankheitszuständen oftmals fließend verlaufen.

Das Konzept der Multimorbidität leitet sich von dem Begriff Komorbidität ab.

Darunter wird „the e xiste nc e o r o c c urre nc e o f any distinc t additio nal e ntity during the c linic al c o urse o f a p atie nt who has the inde x dise a se unde r study“

verstanden (Feinstein, 1970). Bei der Komorbidität steht damit immer eine konkrete Indexerkrankung im Mittelpunkt, dessen Therapie, Versorgung und Prognose durch eine weitere oder mehrere vorliegende Erkrankungen beeinflusst wird (Van den Akker, 2001).

Bis heute werden die beiden Begriffe jedoch noch synonym, beziehungsweise nicht einheitlich verwendet (Fortin, 2005). Vielfach wird Multimorbidität fälschlicherweise als Komorbidität bezeichnet (siehe zum Beispiel Cesari, 2006;

Elixhauser, 1998; Fillenbaum, 2000).

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Im Gegensatz zur Komorbidität ist Multimorbidität jedoch immer als ein eigenständiges Phänomen, beziehungsweise als ein spezifischer Krankheitszustand zu betrachten. Diese Sichtweise hat sich allerdings erst in den letzten Jahren verstärkt in der Forschung durchgesetzt (Vogeli, 2007).

Darüber hinaus wird von einigen Wissenschaftlern der gesamte Ansatz, Multimorbidität durch eine einfache Summierung von Erkrankungen zu definieren, in Frage gestellt. Da das Vorliegen von zwei oder mehr Krankheiten häufig die Norm bei älteren Menschen ist, sollten nach Mercer (2009) auch andere Faktoren, wie soziale, emotionale und psychologische Begleiterschei- nungen erfasst werden. Eine ähnlich ganzheitliche Perspektive nimmt auch Byles (2005) ein, die Multimorbidität als einen komplexen, durch viele verschiedene Einflüsse bedingten Gesundheitszustand beschreibt.

Zusammengefasst wird unter Multimorbidität heute im allgemeinen das gleichzeitige Vorhandensein von mindestens zwei chronischen Erkrankungen verstanden.

1.4 Prävalenz von Multimorbidität

Insgesamt liegen in Deutschland bislang nur unzureichend Informationen über die Prävalenz von Multimorbidität von. Entsprechende Angaben stammen vor allem aus dem Deutschen Alterssurvey (Wurm, 2005), den Bundesgesundheits- surveys (BGS) des Robert Koch-Institutes (RKI, 2003; Wiesner, 2005) und der Berliner Altersstudie (Steinhagen-Thiessen, 1996). Aufgrund der unterschied- lichen Anzahl und Art der berücksichtigten Erkrankungen variieren die Angaben jedoch erheblich.

Laut Bundesgesundheitssurvey aus dem Jahr 1998 beträgt die jährliche Prävalenzrate für Multimorbidität in der 18- bis 79-jährigen Bevölkerung 39,2 % für Männer und 57,3 % für Frauen (Wiesner, 2005). Bei den über 70-Jährigen leiden 69,0 % der Männer und 81,0 % der Frauen an mindestens zwei Erkrankungen gleichzeitig (RKI, 2003). Nach den Ergebnissen der Berliner Altersstudie liegt die Prävalenz von Multimorbidität bei den 70- bis 85-Jährigen sogar bei bis zu 88,0 % (Steinhagen-Thiessen, 1996). Gemäß des Deutschen

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Alterssurveys leiden in der 40- bis 54-jährigen Bevölkerung 39,0 % an zwei oder mehr Erkrankungen, während bei den 70- bis 84-Jährigen bereits 80,0 % betroffen sind. In der gleichen Altersgruppe liegt der Anteil von Menschen mit fünf oder mehr Erkrankungen bei 24,0 % (Wurm, 2005).

In den USA leidet Schätzungen zufolge rund ein Viertel der Bevölkerung, das heißt 75 Millionen Menschen, unter Multimorbidität (Warshaw, 2006). In Hausarztpraxen stellen von Multimorbidität betroffene Menschen die weitaus größte Patientengruppe dar. Eine Studie in Kanada zeigte, dass der Anteil der mehrfach erkrankten Patienten bei den 18- bis 44-Jährigen bei 69 %, bei den 45- bis 65-Jährigen bei 93 % und den über 65-jährigen Patienten sogar bei 98 % lag (Fortin, 2005a).

Übereinstimmend berichten alle Untersuchungen, dass der Anteil von multimorbiden Menschen mit steigendem Alter deutlich zunimmt.

Quelle: Deutscher Alterssurvey (Wurm, 2005) Abbildung 2: Anzahl von chronischen Erkrankungen nach Alter im Jahr 2002 in Deutschland

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1.5 Public Health Relevanz von Multimorbidität

Trotz seiner hohen sozialmedizinischen und gesundheitsökonomischen Bedeutung ist das komplexe Thema Multimorbidität immer noch unzureichend erforscht (Scheidt-Nave, 2010; Parekh 2010).

Bislang wurden vor allem die Auswirkungen von Multimorbidität auf individuelle Personen und ihre Angehörigen als auch auf das Gesundheitssystem näher untersucht. Insbesondere der Zusammenhang zwischen der Anzahl der vorliegenden Erkrankungen und einem erhöhten Mortalitätsrisiko wurden bereits vielfach belegt (siehe zum Beispiel Menotti, 2001 oder Newman, 2008). Weiterhin ist Multimorbidität auch mit Einschränkungen der körperlichen und geistigen Funktionsfähigkeit (Bayliss, 2005), einer Verschlechterung der Lebensqualität (Fortin, 2004), Behinderung (Marengoni, 2009a) sowie einer wachsenden sozialen Isolierung (van den Aker, 2000) assoziiert.

Multimorbidität ist zudem verantwortlich für eine verlängerte Krankenhaus- aufenthaltsdauer und postoperative Komplikationen (Librero, 1999), für die gleichzeitige Einnahme von mehreren Medikamenten (Junius-Walker, 2007), widersprüchliche medizinische Behandlungsempfehlungen (Vogeli, 2007) eine erhöhte Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen (Yu, 2003, Kühlein, 2008) und entsprechend höheren Kosten für das Gesundheitswesen. In den USA beliefen sich im Jahr 1999 die durchschnittlichen Pro-Kopf-Gesundheits- ausgaben für Mitglieder der staatlichen Krankenversicherung Medicare mit einer chronischen Erkrankung auf $ 211 bis $ 13.973 für Versicherte mit vier oder mehr chronischen Krankheiten (Wolff, 2002). In Deutschland entfallen etwa 80 % der Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherungen (GKV) auf 20 % ihrer Mitglieder mit einer oder mehreren chronischen Erkrankungen (Bertelsmann Stiftung, 2005).

Auch in der ambulanten Versorgung spielt Multimorbidität eine wesentliche Rolle. Etwa 80 % aller Beratungen in der Hausarztpraxis betreffen die Anliegen von chronisch kranken, und meist multimorbiden Patienten (Murphy, 2004;

Wilson, 2005). In einer amerikanischen Studie konnte zudem gezeigt werden,

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dass Patienten mit Multimorbidität häufiger Fachärzte in Anspruch nehmen, auch für Erkrankungen, die normalerweise von Hausärzten versorgt werden (Starfield, 2005).

Im Gegensatz zu den zum Teil erforschten Auswirkungen von Multimorbidität existieren wesentliche Erkenntnislücken vor allem zum Zusammenwirken von bestimmten Erkrankungen. Auch über die Häufung von chronischen Erkrankungen gibt es nur wenige Untersuchungen. Marengoni (2009) konnte anhand von bevölkerungsbezogenen Daten aus Schweden zeigen, dass am häufigsten die Krankheitskombination Bluthochdruck und Herzinsuffizienz gemeinsam auftreten. Darüber hinaus sind Demenz und Depression nicht nur miteinander assoziiert, sondern treten vor allem mit Hüftfrakturen und zerebrovaskulären Erkrankungen auf. Australische Hausarztpatienten sind vor allem von der Kombination chronische Rückenschmerzen und vaskuläre Erkrankungen betroffen, gefolgt von chronischen Rückenschmerzen und psychischen Problemen (Britt, 2008). Entsprechende Forschungsergebnisse kommen vor allem aus Studien, die nicht Multimorbidität, sondern Komorbiditäten bei Patienten mit spezifischen Indexerkrankungen untersuchen. So wurde nachgewiesen, dass Asthmatiker überdurchschnittlich häufig an Diabetes leiden, jedoch von Übergewicht weniger oft betroffenen sind als Menschen ohne Asthma (Ben-Noun, 2001).

Auch zu den Ursachen und Risikofaktoren von Multimorbidität gibt es nur unzureichende Erkenntnisse. Unter anderem wurde nachgewiesen, dass Frauen und Menschen mit einem niedrigen sozialen Status besonders häufig von Multimorbidität betroffen sind (Uijen, 2008; Mcleod, 2004). Insgesamt zeigt eine Literaturanalyse, dass in nur 3 % der multimorbiditätsrelevanten Studien der Fokus auf den Entstehungsursachen von Mehrfacherkrankungen liegt (Fortin, 2005).

Die Ursachen für den unzureichenden Erkenntnisstand zum Thema Multimorbidität liegen vor allem darin begründet, dass von gleichzeitig vorliegenden Erkrankungen vor allem ältere Menschen betroffen sind (RKI, 2003). Diese sind in wissenschaftlichen Studien jedoch oftmals unterrepräsentiert.

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Erstens sind ältere, multimorbide Menschen aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustandes häufig in Pflegeeinrichtungen untergebracht.

Institutionalisierte Personen werden in vielen bevölkerungsbezogenen Studien jedoch a priori ausgeschlossen. Ein Beispiel hierfür ist der Bundesgesundheits- survey (BGS) 1998, in dem „Personen in Kasernen, Altersheimen, Krankenhäusern und Heil- und Pflegeanstalten“ (Stolzenberg, 2000) nicht berücksichtigt werden. Allein in Pflegeeinrichtungen leben jedoch zwischen 13,9 % und 28,0 % der 85- bis 94-Jährigen (Diederichs, 2010).

Zweitens ist in der Studienrekrutierungsphase ihre Teilnahme aufgrund von spezifischen Eigenschaften, wie eine eingeschränkte Mobilität, kognitive Defizite und allgemeine Verständnisprobleme, erschwert (Habicht, 2007). Von Seiten der behandelnden Ärzte sind die Sorge vor schwer wiegenden Nebenwirkungen und Komplikationen sowie ein erhöhter Dokumentations- aufwand Gründe für ihren Ausschluss (Goede, 2007). Zudem gelten multimorbide Patienten als komplex und aufwendig und ihre therapeutischen Möglichkeiten als eingeschränkt (Beyer, 2007).

Drittens sind auch methodische Einschränkungen Ursache für die geringen Erkenntnisse über das komplexe Phänomen Multimorbidität. In klinischen Studien werden Patienten mit mehrfach chronischen Erkrankungen aufgrund von engen Einschlusskriterien häufig nicht aufgenommen (Alexander, 2003).

Zusammengefasst sind sowohl die schwierigere Rekrutierung von älteren Menschen, der Ausschluss von institutionalisierten Personen und vor allem methodische Einschränkungen Ursache dafür, dass ältere und multimorbide Menschen in der epidemiologischen und klinischen Forschung noch immer unterrepräsentiert sind. Dies spiegelt sich auch in der wissenschaftlichen Literatur wider, denn in etwa einem Drittel der Publikationen, die in Fachzeitschriften erscheinen, werden Senioren aus nicht näher erläuterten Gründen ausgeschlossen (Bugeja, 1997). Eine ähnliche Untersuchung aus dem Jahr 2004 bestätigte trotz leichter Verbesserungen dieses Ergebnis (McMurdo, 2005). Insgesamt ist auch die Zahl der Studien, die sich speziell an höhere Altersgruppen richten, gering. Entsprechend eingeschränkt ist insgesamt die Studienlage zur Multimorbidität. Für jede Veröffentlichung mit dem Fokus auf

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Multimorbidität wurden 94 Studien zum Bluthochdruck, 74 zu Asthma und 38 zum Diabetes mellitus publiziert (Fortin, 2004).

Daher ist Multimorbidität heute im Hinblick auf den zunehmenden Anteil älterer Menschen in der Gesamtbevölkerung zu einem neuen Forschungs- schwerpunkt in Deutschland geworden. Ein Beispiel hierfür ist das aktuelle Förderprogramm des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF)

„Gesundheit im Alter“, an dem mehr als 25 Universitäten und Institute beteiligt sind (Bundesministerium für Bildung und Forschung, 2010).

2. Multimorbiditätsindizes

Neben den beschriebenen Forschungsdefiziten zum Thema Multimorbidität konnte bislang auch die grundlegende, methodische Frage nicht geklärt werden, wie Multimorbidität überhaupt gemessen wird. Denn bis heute besteht kein Konsens darüber, wie viele und welche chronische Erkrankungen bei der Erfassung von Multimorbidität zu berücksichtigen sind (Scheidt-Nave, 2010).

Zwar gibt es seit den 70er Jahren vielfältige Ansätze, den komplexen Gesundheitszustand zu messen, wie den Kaplan-Feinstein Index (Kaplan, 1974) oder den Charlson Comorbidity Index (Charlson, 1987), ein einzelnes standardisiertes Instrument im Sinne eines Multimorbiditätsindex konnte sich bislang jedoch nicht allgemein durchsetzen. Multimorbiditätsindizes sind eine Aufstellung von (gewichteten) Erkrankungen, die als multimorbiditätsrelevant beurteilt werden. Bestehende Indizes zeichnen sich vor allem durch ihre große Heterogenität bei der Anzahl, Art und Gewichtung von Erkrankungen aus (de Groot, 2008).

2.1 Definition von Multimorbiditätsindex

Ein grundsätzliches Problem bei der Standardisierung von Multimorbiditätsindizes ist, dass es keine einheitliche Definition für den Begriff Index gibt. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird Index einerseits im Sinne eines „Anzeigers“ genutzt, um komplexe Daten, Texte oder Sachverhalte

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möglichst einfach und zusammenfassend abzubilden. Dies geschieht in der Regel durch eine Maßzahl, wie zum Beispiel den Glykämischen Index (GI) oder den Deutschen Aktienindex (DAX).

Andererseits wird Index häufig synonym für die Wörter Liste, Register oder Stichwortkatalog verwendet. Ein Beispiel ist der „Index Medicus“, ein regelmäßig erscheinendes Verzeichnis der aktuellen medizinischen Fachliteratur (US National Library of Medicine, 2004).

Diese nicht eindeutige Begriffsdefinition spiegelt sich auch in der aktuellen Literatur zur Multimorbidität wider. Unter Index wird sowohl eine aggregierte Maßzahl (Byles, 2005), das heißt die Summe der Erkrankungen, als auch eine schlichte Liste mit Krankheiten (Tooth, 2008) verstanden.

In der folgenden Arbeit werden zwei voneinander zu unterscheidende Begriffe genutzt. Ein Multimorbiditätsindex ist demnach eine Liste mit Erkrankungen. Die Summe der (gewichteten) Krankheiten wird hingegen als Multimorbiditäts-Score definiert, der entweder die Anzahl der vorliegenden Erkrankungen beschreibt, oder die Anzahl der Erkrankungen, die jeweils mit einem bestimmten Gewichtungsfaktor multipliziert werden.

2.2 Selektion relevanter Erkrankungen

Ein methodischer Grund für die Heterogenität bei Multimorbiditätsindizes liegt in der inhärenten Eigenschaft von Indizes begründet, die am Beispiel des Glykämischen Index oder des DAX näher erläutert werden. Über eine einzige Kennziffer gibt der GI Auskunft darüber, welchen Einfluss einzelne Lebensmittel auf den Blutzuckerspiegel haben (Deutsche Gesellschaft für Ernährung, 2004).

Der DAX spiegelt die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der 30 größten, an der Frankfurter Wertpapierbörse gelisteten Unternehmen wider. In beiden Beispielen werden die Faktoren, die den GI bestimmen, oder die Unternehmen, die den DAX bilden, festgelegt oder Kriterien für ihre Auswahl bestimmt.

Dieses Konstruktionsprinzip gilt auch für Multimorbiditätsindizes. Hier kann die Anzahl und Auswahl von Erkrankungen zwar nachvollziehbar begründet

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werden, wie zum Beispiel durch ihre hohe Prävalenz in der Bevölkerung und ihren Einfluss auf die Mortalität wie beim Elixhauser Index (Elixhauser, 1998), eine allgemeingültige und vor allem unkritisierbare Festlegung gibt es jedoch nicht.

Eine Standardisierung wird durch unterschiedliche Verwendungszwecke von Indizes mit verschiedenen Studienpopulationen und Zielgrößen sowie die eingeschränkte Verfügbarkeit von Daten zusätzlich erschwert (de Groot, 2008).

2.3 Gewichtung von Erkrankungen

Zudem werden in vielen Multimorbiditätsindizes die einzelnen Erkrankungen unterschiedlich gewichtet. Für die Berechnung der Gewichtungsfaktoren gibt es ebenfalls kein standardisiertes Verfahren, so dass für die gleichen chronischen Erkrankungen je nach Endpunkt zum Teil sehr unterschiedliche Gewichtungsfaktoren berechnet werden. Tooth (2008) konnte beispielsweise für Eisenmangel eine hohe Gewichtung hinsichtlich der Anzahl der Hausarztbesuche ermitteln, die Erkrankung hatte allerdings nur einen geringen Einfluss auf die Sterblichkeit.

Darüber hinaus sind Indizes mit zum Beispiel mortalitätsbezogenen Gewichtungsfaktoren nicht zwangsläufig geeignet, andere Zielgrößen, wie die Dauer oder Anzahl von Krankenhausaufenthalten vorherzusagen. Dies konnte Byles (2005) in einer Untersuchung von amerikanischen Kriegsveteranen und Witwen zeigen.

Eine wesentliche Einschränkung ist zudem, dass die meisten Gewichtungsfaktoren auf der Grundlage einer einzigen Studienpopulation entwickelt werden, die zudem nicht repräsentativ sind wie zum Beispiel stationär aufgenommene Patienten (Charlson, 1987.) Die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf andere Bevölkerungsgruppen und ihre Vorhersagekraft in Bezug auf andere Zielgrößen ist somit eingeschränkt (Schneeweiss, 2000).

Insgesamt gewinnen zunehmend subjektive Endpunkte, insbesondere die gesundheitsbezogene Lebensqualität, an Bedeutung (Cesari, 2006;

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Michelson, 2001). Grund hierfür ist, dass bei Menschen mit mehrfachen chronischen Erkrankungen vor allem der Erhalt der körperlichen, emotionalen und sozialen Funktionsfähigkeit als Dimensionen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (Fortin, 2006) ein wesentliches Therapieziel darstellt (Bayliss, 2005).

Dieser neue Fokus ist auch dadurch bedingt, dass sich in den vergangenen Jahren das gesellschaftliche Bild vom alten Menschen erheblich gewandelt hat. Durch eine kontinuierliche Verlängerung der behinderungsfreien Lebenszeit reduziert sich die Zeit nach der Erwerbstätigkeit nicht mehr auf eine bloße „Restlebenszeit“ (Wurm, 2005), sondern wird zu einer planbaren und aktiven Lebensphase. Zusätzlich zu einem guten Gesundheitszustand erreichen die heutigen Senioren das Alter mit höheren Qualifikationen und einer besseren materiellen Absicherung als die Generationen vor ihnen (Kohli, 2003). Vor diesem Hintergrund bekommt der Erhalt einer hohen Lebensqualität eine größere Bedeutung.

2.4 Vorteile eines standardisierten Multimorbiditätsindex

Ein „Gold Standard“ für die Erfassung von Multimorbidität hat drei wesentliche Einsatzgebiete. Erstens kann die Auswahl von multimorbiditätsrelevanten Erkrankungen, die in wissenschaftlichen Untersuchungen erhoben werden, standardisiert werden. Dies ist besonders wichtig bei der Auswertung von umfangreichen, administrativen Datenbanken, die es erfordert, eine große Menge von Variablen zu einer aussagekräftigen und vor allem praktikablen Auswahl zusammenzufassen. Bei diesem Selektionsprozess sind die Vorteile einer Vereinfachung größer als ihre Risiken (Schneeweiss, 2000).

Darüber hinaus sollte ein „Gold Standard“ etabliert werden, um den Einfluss von chronischen Krankheiten in der epidemiologischen und klinischen Forschung zu kontrollieren, beziehungsweise um ein einheitliches Instrument für die Adjustierung von Erkrankungen zu schaffen. Die Verwendung eines Index ist vor allem in Studien von Bedeutung, in denen Teilnehmer zufällig und nicht gezielt aufgrund von bestimmten Eigenschaften, wie zum Beispiel spezifische

(27)

Krankheitskombinationen, ausgewählt werden. Hier ist eine nachträgliche, statistische Adjustierung für verschiedene Einflussfaktoren notwendig, wie zum Beispiel für Alter, Geschlecht und weitere, vorliegende Erkrankungen (Byles, 2005). Die Adjustierung erfolgt meistens in komplexen, multivariablen Modellen. Hier ist der Einsatz eines aggregierten Multimorbiditäts-Scores statistisch effizienter im Vergleich zur Modellierung jeder einzelnen Erkrankung (Schneeweis, 2000). Gewichtete Indizes haben zudem den großen Vorteil, dass sie in Regressionsmodellen die durch Multimorbidität erklärte Varianz der Zielgröße erhöhen (Tooth, 2008).

Drittens wird durch die Standardisierung eines Index die Prävalenz von Multimorbidität zwischen verschiedenen Studien vergleichbar. Bei ≥ 65- jährigen Senioren in allgemeinmedizinischen Praxen reicht die Spannweite der Angaben zur Häufigkeit von Multimorbidität von 23 % in den Niederlanden (Schellevis, 1993) bis zu 98 % bei männlichen und 99 % bei weiblichen Patienten in Kanada (Fortin, 2005). Die ähnlichen Studienpopulationen legen den Rückschluss nahe, dass diese Unterschiede in erster Linie auf die Verwendung von verschiedenen Indizes zurückzuführen sind. Während in der niederländischen Studie fünf multimorbiditätsrelevante Erkrankungen erfasst werden, beruht die Ermittlung der Multimorbidität in Kanada auf der

„Cumulative Illness Rating Scale (CIRS)“, die den Erkrankungsgrad von 14 Organsystemen bewertet (Linn, 1986).

Zusammengefasst kann ein standardisierter Multimorbiditätsindex die Auswahl von multimorbiditätsrelevanten Krankheiten in umfangreichen administrativen Daten erleichtern und einen studienübergreifenden Vergleich der Prävalenz von Multimorbidität ermöglichen. Eine zusätzliche Gewichtung der Erkrankungen im Hinblick auf die interessierende Zielgröße kann zudem die Vorhersagekraft von Indizes erhöhen.

(28)

3. Ziele der Studie

In der Einleitung wurde zusammenfassend dargestellt, welche methodischen Schwierigkeiten im Hinblick auf das Thema Multimorbidität bestehen. In der Realität werden diese ungelösten Herausforderungen vor allem im Fehlen eines standardisierten Instrumentes zur Erfassung und Bewertung des Krankheitsspektrums von älteren, multimorbiden Menschen sichtbar.

Vor diesem Hintergrund hat die vorliegende Arbeit drei wesentliche Ziele. In der Literaturübersicht soll im Rahmen einer systematischen Literaturanalyse ein Überblick über bestehende Multimorbiditätsindizes gegeben werden.

Angesichts der Heterogenität der Instrumente wird die Analyse auf Studien beschränkt, die entweder einen methodischen Schwerpunkt haben, das heißt, die sich mit der Entwicklung eines gewichteten Multimorbiditätsindex beschäftigen oder den Zusammenhang zwischen Multimorbidität und verschiedenen Zielgrößen ausschließlich in bevölkerungsbezogenen Daten untersuchen. Konkret sollen dabei die folgenden Fragen beantwortet werden.

1) Nach welchen Kriterien werden Krankheiten, die in einen Multimorbiditätsindex einfließen, ausgewählt?

2) Welche Datenquellen werden genutzt?

3) Wie viele Erkrankungen werden in bestehenden Indizes berücksichtigt?

4) Welche Erkrankungen werden genannt?

Darüber hinaus sollen auf der Grundlage der Studien, die sich mit der Entwicklung von gewichteten Indizes befassen, zwei weitere Fragestellungen untersucht werden.

5) Welche Studienpopulationen werden für die Entwicklung von gewichteten Indizes genutzt?

6) Welche Gewichtungsmethoden werden eingesetzt?

Während im ersten Teil der Arbeit der aktuelle Forschungsstand zum Thema Multimorbidität beschrieben wird, geht es im zweiten und dritten Teil um die Entwicklung eines neuen Modells zur Erfassung von Multimorbidität.

(29)

Der Teil Auswahl von multimorbiditätsrelevanten Erkrankungen beschäftigt sich mit der grundlegenden Frage, nach welchen nachvollziehbaren und objektiven Kriterien chronische Erkrankungen, die in einen Multimorbiditäts- index einfließen, ausgewählt werden können. Angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung von Multimorbidität wird der Fokus auf gesundheitssystemrelevante Erkrankungen gelegt. Für die Auswahl werden verschiedene Datenquellen genutzt, darunter die Todesursachenstatistik oder häufige Diagnosen in der ambulanten oder stationären Versorgung. Zusätzlich wird eine Definition des Gemeinsamen Bundesausschusses herangezogen, um die Auswahl auf chronische Erkrankungen zu beschränken. Ziel ist es, eine Liste mit Krankheiten im Sinne eines „Gold Standards“ zu erstellen.

Im Teil Entwicklung eines gewichteten Index wird eine Methode vorgestellt, nach der die ausgewählten Erkrankungen hinsichtlich ihres Einflusses auf den selbstberichteten Gesundheitszustand gewichtet werden können. Dazu werden fünf verschiedene bevölkerungsbezogene Datenquellen aus Deutschland genutzt, um die Validiät der errechneten Gewichtungsfaktoren zu erhöhen.

Da die drei Teilbereiche dieser Arbeit sich im Hinblick auf die angewandten Forschungsmethoden unterscheiden, werden sie getrennt beschrieben und enthalten jeweils die zugrundeliegende Methodik sowie die Ergebnisse. Dies dient sowohl einer besseren Lesbarkeit und ist darüber hinaus der Tatsache geschuldet, dass die beiden letzten Teile zum Teil auf den Ergebnissen der Literaturanalyse aufbauen. Die abschließende Diskussion und das Fazit der Arbeit werden jedoch für alle drei Teile zusammen erstellt.

Die folgenden Punkte sind für das bessere Verständnis dieser Arbeit von Bedeutung. Komorbidität und Multimorbidität werden als zwei unterschiedliche Ansätze betrachtet. Da es in der vorliegenden Studie darum geht, generell das Krankheitsspektrum zu erfassen, ohne dass der Fokus auf einer bestimmten Indexerkrankung liegt, beschränkt sich diese Arbeit auf das Phänomen Multimorbidität.

(30)

Darüber hinaus sind vor allem ältere Menschen von Multimorbidität betroffen (Wurm, 2005). Vor diesem Hintergrund werden für die Auswahl von multimorbiditätsrelevanten Erkrankungen und die Berechnung der Gewichtungsfaktoren ausschließlich Daten von Menschen ≥ 65 Jahre genutzt.

(31)

B. Literaturübersicht

4. Material und Methoden

Für die Literaturanalyse wurde die Datenbank MedLine der US National Library of Medicine genutzt. Die Suche war auf Studien, die sich schwerpunktmäßig entweder mit der Entwicklung eines gewichteten Index befassen, oder den Einfluss von Multimorbidität auf verschiedene Zielgrößen in bevölkerungs- bezogenen Daten untersuchen, beschränkt. Eingeschlossen wurden Studien, die sich auf Multimorbidität im Sinne von „the c o e xiste nc e o f two o r mo re c hro nic c o ndito ns“ (van den Aker, 1996) beziehen. Indizes, die ausschließlich für die Erfassung von Komorbiditäten bei einer bestimmten Indexerkrankung entwickelt wurden (Feinstein, 1970), wurden hingegen nicht berücksichtigt. Als weiteres Einschlusskriterium wurde ein Veröffentlichungsdatum zwischen dem 1. Januar 1960 und 31. August 2009 in deutsch- und englischsprachigen Zeitschriften festgelegt.

Für die Entwicklung des Suchalgorithmus wurde zunächst überprüft, ob die Begriffe “multimorbid“, „multimorbidity“ oder „multimorbidities“ als Medical Subject Headings (MeSH) in MedLine registriert waren. Dies war nicht der Fall.

Eine Eingabe dieser drei Begriffe über die logische Verknüpfung „OR“ in alle Suchfelder ergab eine geringe Trefferzahl, so dass sie ohne weitere Einschränkungen für den Suchalgorithmus verwendet werden konnten.

Da der Begriff Komorbidität häufig synonym für das gleichzeitige Vorliegen von chronischen Erkrankungen, das heißt für Multimorbidität, verwendet wird (siehe zum Beispiel Fried, 1999 und Groll, 2005), wurde zusätzlich das als MeSH registrierte Wort „comorbidities“ in MedLine eingegeben. Mit einer Verknüpfung durch „OR“ wurden die beiden Themenbereiche in einem gemeinsamen Suchalgorithmus zusammengefasst, um a priori doppelte Nennungen auszuschließen. Abbildung 3 bietet eine Übersicht über den Suchalgorithmus.

(32)

Abbildung 3: Suchalgorithmus für die Literaturrecherche

Nach einer sorgfältigen Durchsicht aller Titel und Abstracts wurden Reviews, Editorials, Letters to the Editor sowie alle Studien, die sich schwerpunktmäßig nicht mit dem Thema Multimorbidität beschäftigen, ausgeschlossen.

In einem zweiten Auswahlprozess wurden die vollständigen Publikationen überprüft. Ein wesentliches Einschlusskriterium war, dass die Indizes durch eine Aufzählung der einzelnen Erkrankungen explizit beschrieben wurden.

Aufgrund der hohen Anzahl von Studien, die häufig angewandte Indizes miteinander vergleichen (Perkins, 2004), oder ihre Validität in Bezug auf andere Zielgrößen oder Populationen überprüfen (Di Bari, 2006) oder leicht modifizierte Indizes einsetzen (Rius, 2004), wurde jeweils nur die Originalstudie berücksichtigt. Abbildung 4 bietet eine detaillierte Übersicht über den Selektionsprozess.

("1960/01/01"[PDAT] : "2009/08/31"[PDAT]) AND ("Comorbidity"[MeSH Major Topic] OR multimorbid OR multimorbidity OR multimorbidities) AND ("humans"[MeSH Terms] AND (English[lang] OR German[lang]))

(33)

Abbildung 4: Übersicht und Ergebnisse der Suchstrategie

Abbildung 4: Dokumentation und Ergebnisse der Suchstrategie Suchstrategie:

("1960/01/01"[PDAT] :

"2009/08/31"[PDAT]) AND

"Comorbidity"[MeSH Major Topic] OR multimorbid OR multimorbidity OR multimorbidities AND ("humans"[MeSH Terms] AND (English[lang] OR

German[lang]))

Anzahl Suchtreffer n = 1.120

Ausschluss n = 899

-Ko- /Multimorbidität nicht im Mittelpunkt n = 871 -keine Originalstudie n = 28 Sichtung der vollständigen Artikel

n = 221 Ausschluss n = 189

-Ko- /Multimorbidität nicht im Mittelpunkt n = 75 -keine Nennung von Krankheiten n = 25 -Erfassung von

Komorbiditäten n = 22 -Vergleich von Indizes n = 15 -mehrfach verwendete

Indizes n = 52

Einfluss von Multimorbidität auf verschiedene Zielgrößen n = 21

Entwicklung eines gewichteten Multimorbidätsindex

n = 18 Eingeschlossene Studien n = 39

Identifizierung über Suchstrategie in MedLine

n = 32

Identifizierung über Sichtung der Referenzen

n = 7

(34)

5. Ergebnisse

Die Recherche ergab insgesamt 1.120 Literaturquellen. Davon wurden 32 Studien als relevant eingestuft. Aufgrund referenzierter Literaturangaben wurden weitere sieben Beiträge identifiziert, so dass 39 Studien in die systematische Übersicht aufgenommen wurden.

Von 39 ausgewählten Artikeln untersuchen 21 (53,8 %) den Zusammenhang zwischen Multimorbidität und verschiedenen Endpunkten. In Tabelle 2 werden die Studien mit dem Erstautor und dem Jahr der Veröffentlichungen, der Art und Größe (n) der zugrundeliegenden Studienpopulation, Altersbeschrän- kungen bei den Teilnehmern, die Anzahl der erfassten Krankheiten sowie die zu untersuchenden Zielgrößen beschrieben.

Tabelle 2: Indizes zum Einfluss von Multimorbidität auf verschiedene Zielgrößen

Autor Population n Alter

Anzahl Krank- heiten

Zielgröße

CDC (1989) Bevölkerung 13.807 ≥60 9 Prävalenz, Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) Cesari M

(2006)

Bevölkerung 364 ≥79 13 (instrumentelle) Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL, IADL)

Fillenbaum G (2000)

Bevölkerung 4.034 ≥65 5 Mortalität

Forman- Hoffman VL (2008)

Bevölkerung 10.150 53-63 8 Depression,

Gewichtsveränderung

Forrest KY (1997)

Weibliche Bevölkerung

1.768 ≥65 21 Fahrverhalten

Fried LP (1999)

Weibliche Bevölkerung

3.841 ≥65 14 Körperliche Funktionsfähigkeit

Fuchs Z (1998)

Bevölkerung 1.820 75-94 14 (instrumentelle) Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL, IADL)

Fung CH (2007)

Bevölkerung 15.709 - 16 Qualität der Arzt-Patienten Kommunikation

Grimby A (1997)

Bevölkerung 565 ≥70 16 Gesundheitsbezogene Lebensqualität (NHP)  

(35)

Tabelle 2: Indizes zum Einfluss von Multimorbidität auf verschiedene Zielgrößen (Fortsetzung)

Autor Population n Alter

Anzahl Krank- heiten

Zielgröße

Guralnik J (1989)

Bevölkerung 13.807 ≥55 9 Prävalenz, Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) Higashi T

(2007)

Bevölkerung und

Veteranen

7.680 ≥35 19 Qualität der Versorgung

Holman CDJ (2005)

Bevölkerung 693.001 - 102 Mortalität,

Krankenhausaufenthalts- dauer, Wiedereinlieferung Hudon C

(2008)

Bevölkerung 16.782 18-69 25 Körperliche Funktionsfähigkeit

Marengoni A (2008)

Bevölkerung 1.099 ≥75 22 Mortalität, Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL) Menotti A

(2001)

Männliche Bevölkerung in 3 Ländern

716;

857; 682

65-84 9 Mortalität

Merikangas KR (2007)

Bevölkerung 5.962 - 30 Soziale Funktionsfähigkeit

Michelson H (2001)

Bevölkerung 4.000 18 13 Gesundheitsbezogene Lebensqualität (EORTC QLQ- C3)

Min LC (2007)

Bevölkerung 372 ≥65 8 Qualität der Versorgung

Patel KV (2006)

Bevölkerung (2 Daten- sätze)

3.050;

4.872

≥65 7 Prävalenz, Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL)

Schoen- berg NW (2007)

Bevölkerung 8.180 ≥65 8 Selbstausgaben für medizinische Hilfs- und Heilmittel

Verbrugge LM (1989)

Bevölkerung 16.148 ≥55 13 Körperliche Einschränkungen, (instrumentelle) Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL, IADL)

(Abkürzungen: ADL=activities of daily living, IADL=instrumental activities of daily living, NHP=Nottingham Health Profile, EORTC=European Organisation for Research and Treatment on Cancer)

(36)

Darüber hinaus wurden 18 Studien mit einem methodischen Fokus auf die Entwicklung eines gewichteten Multimorbiditätsindex identifiziert. Eine Übersicht über die Studien bietet Tabelle 3 mit detaillierten Informationen zum Namen des Index, Jahr der Veröffentlichung, Art und Größe (n) der Studienpopulation, Anzahl von Krankheiten, Gewichtungsmethoden sowie zu den Zielgrößen.

(37)

Tabelle 3: Gewichtete Indizes

Autor Name des Index Population n Alter

Anzahl Krank- heiten

Gewichtungsmethode Zielgröße

Bayliss (2005)

- HMO Mitglieder 156 ≥65 25 Selbstangaben:

Beeinträchtigung der täglichen Aktivitäten

Gesundheitszustand, körperliche Funktionsfähigkeit, Depression, Selbstwirksamkeitsüberzeugung Byles

(2005)

- Veteranen,

Kriegswitwen

1.541 ≥70 25 Selbstangaben: Schweregrad der Erkrankung

Berechnung: Mortalität und Krankenhausaufenthalte

Mortalität,

Krankenhausaufenthalte, gesundheitsbezogene Lebensqualität

Charlson (1987)

Charlson

Comorbidity Index

Krankenhaus- patientinnen mit Brustkrebs

685 - 19 Algorithmus Mortalität

Crabtree (2000)

Comorbidity Symptom Scale

Geriatrische Krankenhaus- patienten

50 ≥65 22 Selbstangaben: Schweregrad der Erkrankung

Aktivitäten des täglichen Leben (NEADL), Gesundheitszustand.

Depression Fan

(2002)

Seattle Index of Comorbidity (SIC)

Patienten in VA- Zentren

10.947 ≥50 24 (25) Algorithmus Mortalität,

Krankenhausaufenthalte George

(2006)

Medication-Based Disease Burden Index

Krankenhaus- patienten

317 55 20 Klassifikation: Einfluss auf die DALYS

Mortalität,

Krankenhausaufenthalte

Referenzen

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