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15. Zusammenfassung der Ergebnisse

15.2 Auswahl multimorbiditätsrelevanter Erkrankungen………. 109

Im zweiten Teil der Arbeit wurden zunächst Kriterien für die Auswahl von multimorbiditätsrelevanten Krankheiten festgelegt. Dazu zählte eine hohe Prävalenz in der Bevölkerung sowie die Chronizität der Erkrankung. Bei

Fragebögen oder persönlichen Interviews sollten zusätzlich laienverständliche Krankheitsbezeichnungen verwendet werden.

Anschließend wurden öffentlich zugängliche Datenquellen recherchiert, die aktuelle Informationen über das Krankheitsgeschehen in Deutschland enthalten. Als geeignet wurden Angaben zu den häufigsten ambulanten und stationären Diagnosen sowie die offizielle Todesursachenstatistik identifiziert. Aus der Schnittmenge dieser drei Datenquellen wurden elf Diagnosen ausgewählt, die zusätzlich die Kriterien für multimorbiditäts-relevante Erkrankungen erfüllen. Dazu gehörten Krebserkrankungen, Diabetes mellitus, Depression, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Durchblutungs-störungen am Herzen, HerzrhythmusDurchblutungs-störungen, Herzschwäche, Schlaganfall, chronisch obstruktive Lungenerkrankung und Arthrose.

Erwartungsgemäß weist das Spektrum dieser ausgewählten Krankheiten sehr große Ähnlichkeiten mit den Ergebnissen der Literaturanalyse auf. Unter den elf Erkrankungen sind die ersten sieben Diagnosen zu finden, die auch in anderen Multimorbiditätsindizes genannt werden.

Hervorzuheben ist, dass es sich bei der Definition Selektionskriterien und der Auswahl von Datenquellen um einen methodischen Ansatz handelt, der eine Weiterentwicklung zu der meist willkürlich erscheinenden Festlegung von multimorbiditätsrelevanten Erkrankungen darstellt. Die neue Methode bietet den Vorteil, dass Diagnosen mit einer hohen Prävalenz und gesellschaftlichen Bedeutung nachvollziehbar ausgewählt werden. Aufgrund der alters- und geschlechtsspezifischen Darstellung der ambulanten und stationären Diagnosen können auch Erkrankungen, die in bestimmten Altersgruppen oder vor allem bei Männern oder Frauen eine große Rolle spielen, gezielt identifiziert werden.

Zusätzlich werden auch aktuelle medizinische Entwicklungen, wie verbesserte Behandlungsmethoden, berücksichtigt. HIV/Aids beispielsweise würde aufgrund seiner niedrigen Prävalenz in Deutschland sowie der fortgeschrittenen Entwicklung von wirksamen, antiretroviralen Medikamenten nach diesen Kriterien nicht in einen Multimorbiditätsindex aufgenommen

werden. Mitte der 80er Jahre erhielt HIV/Aids im bekannten Charlson Comorbidity Index (Charlson, 1987) noch den höchsten Gewichtungsfaktor.

15.3 Berechnung der Gewichtungsfaktoren

Im letzten Teil der Arbeit wurden Gewichtungsfaktoren für jede einzelne Erkrankung anhand ihres Einflusses auf den selbstberichteten Gesundheits-zustand berechnet. Dazu wurden fünf bevölkerungsbezogene Studien genutzt, um die Repräsentativität und Validität der Ergebnisse im Gegensatz zum bisherigen Fokus auf spezifische Bevölkerungsgruppen, wie zum Beispiel Krankenhaus- oder Rehabilitationspatienten, zu verbessern.

Ebenso wie bei der Auswahl von multimorbiditätsrelevanten Erkrankungen wurden für die Berechnung der Gewichtungsfaktoren ausschließlich Personen ≥ 65 Jahre herangezogen, um einen spezifischen Index für die am stärksten von Multimorbidität betroffene Altersgruppe der Senioren und Seniorinnen zu entwickeln.

Die höchsten Auswirkungen auf den selbstberichteten Gesundheitszustand wurden beim Herzinfarkt mit einem gepoolten OR von 3,9 ermittelt. Danach folgten Schlaganfall, Herzschwäche, Depression und die chronisch obstruktive Lungenerkrankung mit gepoolten OR zwischen 3,5 und 3,2.

Menschen mit Arthrose, Diabetes mellitus, Krebs und Bluthochdruck hatten eine 2,7- bis 1,9- fach erhöhte Chance, einen mittelmäßigen bis schlechten Gesundheitszustand zu berichten im Vergleich zur Referenzgruppe ohne die jeweilige Erkrankung. Für Durchblutungsstörungen am Herzen und Herzrhythmusstörungen konnten keine gepoolten OR, sondern aufgrund der eingeschränkten Datenlage nur Odds Ratios auf Grundlage einer einzigen Studienpopulation berechnet werden.

Für jede einzelne Erkrankung wurde zudem eine Heterogenitätsprüfung der einzelnen OR anhand des I² nach Higgins (2003) durchgeführt. Für Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Herzinfarkt, Herzschwäche, chronisch obstruktive Lungenerkrankung und Arthrose waren die Ergebnisse mit I²-Werten zwischen 0,0 % und 33,5 % (p > 0,05) relativ homogen. Das heißt, für diese

Erkrankungen können die gepoolten OR als valide Gewichtungsfaktoren für den Multimorbiditätsindex verwendet werden.

Eine kleine Einschränkung ist, dass die Berechnung der gepoolten OR für Herzschwäche nur anhand von zwei Studien erfolgte. In der MEMO-Studie zeigte der Hosmer-Lemeshow Test für das entsprechende logistische Regressionsmodell zudem eine geringe Anpassungsgüte. Es ist daher notwendig, den Einfluss von Herzschwäche auf den selbstberichteten Gesundheitszustand anhand von weiteren, bevölkerungsbezogenen Daten zu überprüfen.

Dies gilt auch für alle Erkrankungen, bei denen I²-Werte ≥ 50 % eine ausgesprochen hohe Heterogenität zwischen den einzelnen Studienergebnissen zeigten. Dazu zählen Depression, Schlaganfall und Krebs (siehe Abbildung 10).

Für die Validierung der Ergebnisse wurden Daten von 14.850 Personen aus der SHARE-Studie mit Ausnahme der deutschen Teilpopulation genutzt.

Konkret wurden drei multivariable Regressionsmodelle erstellt und das Akaike Informationskriterium (AIC) und das Bayesian Informationkriterium (BIC) miteinander verglichen. In das erste Modell wurden alle multimorbiditätsrelevanten Erkrankungen einzeln aufgenommen, während die Erkrankungen im zweiten und dritten Modell als ungewichteter und als gewichteter Multimorbiditäts-Score zusammengefasst waren. Anhand des AIC und BIC konnte gezeigt werden, dass der Informationsverlust bei den beiden aggregierten Scores im Vergleich zur aufwendigen Erfassung von einzelnen Erkrankungen sehr gering ist. Der gewichtete Multimorbiditäts-Score erzielte dabei bei beiden Informationskriterien niedrigere Werte als der ungewichtete Score. Dies spricht für eine bessere Modellanpassung.

Als zusätzliches Validierungsverfahren wurde der Zusammenhang zwischen einer steigenden Anzahl von Erkrankungen und der Chance (OR) für einen mittelmäßigen bis schlechten Gesundheitszustand anhand des ungewichteten und des gewichteten Multimorbiditäts-Scores betrachtet.

Beim ungewichteten Score gleicht die Assoziation eher einer exponentiell

verlaufenden Kurve, während beim gewichteten Score ein relativ linearer Verlauf, zumindest bis zu einem Multimorbiditäts-Score von 9 zu beobachten ist. Mit einem gewichteten Index kann daher der tatsächliche Beitrag von einzelnen Erkrankungen zu einer Verschlechterung des selbstberichteten Gesundheitszustandes besser abgebildet werden. Da die Anwendung eines Index mit Gewichtungsfaktoren zudem keinen Mehraufwand im Vergleich zur einfachen Summe von Erkrankungen darstellt, empfiehlt sich daher in jedem Fall der Einsatz eines gewichteten Multimorbiditätsindex.