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Die größte Limitation im ersten Teil Literaturübersicht ist die vollständige Identifikation aller relevanten Artikel. Beim Thema Multimorbidität wird sie durch die folgenden Aspekte besonders erschwert. Erstens war Multimorbidität nicht als MeSH-Term bei PubMed registriert. Dieses Defizit wurde bereits von Fortin (2005) kritisiert. Sehr allgemeine Suchalgorhythmen, wie „multiple AND chronic AND disease“ resultierten jedoch in mehr als 20.000 Treffern. Eine Einschränkung durch den Begriff „index“ war nicht erfolgreich, da viele Instrumente zur Erfassung von Multimorbidität auch unter anderen Begriffen wie „measure“ (Fan, 2002) „classification“ (Feinstein, 1970), „scale“ (Crabtree, 2000) oder „score“ (von Korff, 1993) verzeichnet

sind. Da die Begriffe Multimorbidität und Komorbidität besonders in älteren Studien häufig synonym verwendet werden, wurde der abschließende Suchalgorhythmus auf diese beiden konkreten Begriffe beschränkt. Ein weiteres Problem war, dass gerade beim Charlson Comorbidity Index viele kleine Modifikationen vorgenommen (zum Beispiel Romano, 1993 und Deyo, 1992) und als neuer Index publiziert wurden. Aufgrund der schwierigen Abgrenzung zwischen den verschiedenen Versionen wurde jeweils nur das originale Instrument in die Literaturübersicht aufgenommen. Dabei besteht die Gefahr, dass relevante Studien nicht berücksichtigt wurden. Aufgrund der ausgesprochen hohen Heterogenität bei Indizes war es zudem schwierig, geeignete Ein- und Ausschlusskriterien zu definieren.

Das Ziel der Literaturanalyse war, erstens eine systematische Übersicht über bestehende Multimorbiditätsindizes zu geben und zweitens, Gemeinsam-keiten und Unterschiede zwischen den Instrumenten zu beschreiben. Dieser Ansatz kann generell nicht an den hohen methodischen Anforderungen einer Meta-Analyse gemessen werden, deren Qualität vor allem durch die Transparenz und Nachvollziehbarkeit der Ein- und Ausschlusskriterien sowie die Qualität der Studien bestimmt wird.

Für die Auswahl von multimorbiditätsrelevanten Erkrankungen wurden Selektionskriterien definiert und drei Datenquellen ausgewählt, die Informationen über das Krankheitsspektrum in der deutschen Bevölkerung

≥ 65 Jahre enthalten. Zwar wurde dieser Ansatz ausführlich begründet, letztendlich handelt es sich aber um eine Festlegung, die damit auch kritisierbar ist. So hätte als Datenquelle beispielsweise zusätzlich oder ersatzweise die Statistik zur Leistungen der Rehabilitation genutzt werden können, die auf der Internetseite der Gesundheitsberichterstattung des Bundes veröffentlicht wird.

Durch die Zusammenführung der drei ausgewählten Datenquellen wurde jedoch ein praktikabler und transparenter Ansatz entwickelt, die wichtigsten Erkrankungen in der älteren Bevölkerung in Deutschland zu identifizieren. Die Begrenzung auf die 20 häufigsten Diagnosen orientiert sich dabei an den

Ergebnissen der Literaturanalyse, nach denen die meisten Indizes zwischen 6 und 25 Erkrankungen berücksichtigen.

Unter den häufigsten ambulanten und stationären Diagnosen sind vor allem Erkrankungen zu finden, die einer kontinuierlichen Behandlung bedürfen, beziehungsweise auch medizinisch behandelbar sind. Es besteht demnach die Möglichkeit, dass relevante, aber nicht behandelbare chronische Erkrankungen, wie zum Beispiel eine Lähmung, fälschlicherweise nicht berücksichtigt werden.

Bei der Berechnung der Gewichtungsfaktoren können die Angaben zur Prävalenz von Erkrankungen durch den Survivor-Bias verzerrt sein. Menschen mit schwerwiegenden Krankheiten, die häufig zum Tode führen, haben eine geringere Wahrscheinlichkeit, an einer Befragung teilzunehmen, als zum Beispiel Personen mit Hypertonie oder Diabetes mellitus. Die Häufigkeit von schweren Erkrankungen kann daher in den fünf Studien unterschätzt werden.

Weiterhin ist ein potentieller Selektionseffekt in den fünf Studienpopulationen zu erwähnen. Da insbesondere kranke und sehr alte Personen häufig nicht mehr in der Lage sind, an persönlichen oder telefonischen Befragungen teilzunehmen, wurden vor allem die Angaben gesünderer Menschen genutzt, um den Einfluss von Erkrankungen auf den selbstberichteten Gesundheitszustand zu berechnen. Insgesamt kann der Selektionseffekt dazu führen, dass die krankheitsbedingten Beeinträchtigungen eher unterschätzt werden. Dies sollte bei der Anwendung der Gewichtungsfaktoren in der älteren Gesamtbevölkerung berüchtigt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass in den fünf Studien keine Aussagen über die „Non-Responder“ gemacht werden. Eine entsprechende Analyse liegt allerdings nicht im methodischen Fokus dieser Arbeit.

Für die Berechnung der Gewichtungsfaktoren wurden jeweils Querschnittsdaten verwendet. Dieses Studiendesign erlaubt es nicht, die Kausalität des Zusammenhangs zwischen Krankheiten und dem selbst-berichteten Gesundheitszustand zu überprüfen (Groll, 2005). Der aktuelle medizinische Kenntnisstand legt jedoch den Rückschluss nahe, eine oder

mehrere chronische Erkrankungen als Ursache eines schlechten Gesundheits-zustandes zu betrachten und nicht umgekehrt. Da der Multimorbiditätsindex zudem für eine standardisierte Erfassung von chronischen Erkrankungen und ihre Adjustierung eingesetzt werden soll, ist die Bestimmung des kausalen Zusammenhangs an dieser Stelle nicht zwingend erforderlich.

Aus methodischer Sicht wäre es sinnvoll, bei die Berechnung der gepoolten Odds Ratios für den Einfluss von Erkrankungen auf den selbstberichteten Gesundheitszustand vollständig gesunde Personen ohne vorliegende Erkrankungen als Referenzgruppe auszuwählen. Da den fünf Studien ein sehr unterschiedliches Krankheitsspektrum erfasst wurde, konnte dieser Ansatz jedoch nicht umgesetzt werden.

Das Ziel war, gepoolte Odds Ratios als Gewichtungsfaktoren auf einer möglichst hohen Anzahl von repräsentativen Datenquellen zu berechnen.

Während für Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Herzinfarkt und Schlaganfall fünf Studienpopulationen zur Verfügung standen, wurden Durchblutungs-störungen am Herzen und HerzrhythmusDurchblutungs-störungen in nur einer einzigen Studie erfasst. Die Validität der Gewichtungsfaktoren unterscheidet sich daher zwischen den einzelnen Erkrankungen erheblich. Dies wird durch die Tatsache, dass nur bei fünf Krankheiten (Diabetes mellitus, Bluthochdruck, Herzschwäche, chronische obstruktive Lungenerkrankung und Arthrose) homogene Ergebnisse zwischen den Studien erzielt wurden, verstärkt.

Als weitere Einschränkung der Studie ist der Informationsverlust bei der Umwandlung von fünf Antwortkategorien auf die Frage nach dem Gesundheitszustand in einen binären Endpunkt zu betrachten. Die erste Wahl bei der Suche nach einem geeigneten Instrument waren komplexe Test-Verfahren, die wie der SF-36 verschiedene Dimensionen der gesundheitsbezogenen Lebensqualität messen. Keiner dieser standar-disierten Verfahren wurde einheitlich in allen fünf Studien durchgeführt. Als einziger gemeinsamer subjektiver Endpunkt wurde der selbstberichtete Gesundheitszustand identifiziert und für die Berechnung der Gewichtungs-faktoren genutzt.

Abschließend ist es wichtig herauszustellen, dass die inhärenten Eigenschaften eines Index selbst zu gewissen Einschränkungen führen, da der Einsatz eines Index immer zu einer Vereinfachung und damit zu einem Verlust von Informationen führt (Tooth, 2008).