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2. Multimorbiditätsindizes

2.4 Vorteile eines standardisierten Multimorbiditätsindex …… 25

Ein „Gold Standard“ für die Erfassung von Multimorbidität hat drei wesentliche Einsatzgebiete. Erstens kann die Auswahl von multimorbiditätsrelevanten Erkrankungen, die in wissenschaftlichen Untersuchungen erhoben werden, standardisiert werden. Dies ist besonders wichtig bei der Auswertung von umfangreichen, administrativen Datenbanken, die es erfordert, eine große Menge von Variablen zu einer aussagekräftigen und vor allem praktikablen Auswahl zusammenzufassen. Bei diesem Selektionsprozess sind die Vorteile einer Vereinfachung größer als ihre Risiken (Schneeweiss, 2000).

Darüber hinaus sollte ein „Gold Standard“ etabliert werden, um den Einfluss von chronischen Krankheiten in der epidemiologischen und klinischen Forschung zu kontrollieren, beziehungsweise um ein einheitliches Instrument für die Adjustierung von Erkrankungen zu schaffen. Die Verwendung eines Index ist vor allem in Studien von Bedeutung, in denen Teilnehmer zufällig und nicht gezielt aufgrund von bestimmten Eigenschaften, wie zum Beispiel spezifische

Krankheitskombinationen, ausgewählt werden. Hier ist eine nachträgliche, statistische Adjustierung für verschiedene Einflussfaktoren notwendig, wie zum Beispiel für Alter, Geschlecht und weitere, vorliegende Erkrankungen (Byles, 2005). Die Adjustierung erfolgt meistens in komplexen, multivariablen Modellen. Hier ist der Einsatz eines aggregierten Multimorbiditäts-Scores statistisch effizienter im Vergleich zur Modellierung jeder einzelnen Erkrankung (Schneeweis, 2000). Gewichtete Indizes haben zudem den großen Vorteil, dass sie in Regressionsmodellen die durch Multimorbidität erklärte Varianz der Zielgröße erhöhen (Tooth, 2008).

Drittens wird durch die Standardisierung eines Index die Prävalenz von Multimorbidität zwischen verschiedenen Studien vergleichbar. Bei ≥ 65-jährigen Senioren in allgemeinmedizinischen Praxen reicht die Spannweite der Angaben zur Häufigkeit von Multimorbidität von 23 % in den Niederlanden (Schellevis, 1993) bis zu 98 % bei männlichen und 99 % bei weiblichen Patienten in Kanada (Fortin, 2005). Die ähnlichen Studienpopulationen legen den Rückschluss nahe, dass diese Unterschiede in erster Linie auf die Verwendung von verschiedenen Indizes zurückzuführen sind. Während in der niederländischen Studie fünf multimorbiditätsrelevante Erkrankungen erfasst werden, beruht die Ermittlung der Multimorbidität in Kanada auf der

„Cumulative Illness Rating Scale (CIRS)“, die den Erkrankungsgrad von 14 Organsystemen bewertet (Linn, 1986).

Zusammengefasst kann ein standardisierter Multimorbiditätsindex die Auswahl von multimorbiditätsrelevanten Krankheiten in umfangreichen administrativen Daten erleichtern und einen studienübergreifenden Vergleich der Prävalenz von Multimorbidität ermöglichen. Eine zusätzliche Gewichtung der Erkrankungen im Hinblick auf die interessierende Zielgröße kann zudem die Vorhersagekraft von Indizes erhöhen.

3. Ziele der Studie

In der Einleitung wurde zusammenfassend dargestellt, welche methodischen Schwierigkeiten im Hinblick auf das Thema Multimorbidität bestehen. In der Realität werden diese ungelösten Herausforderungen vor allem im Fehlen eines standardisierten Instrumentes zur Erfassung und Bewertung des Krankheitsspektrums von älteren, multimorbiden Menschen sichtbar.

Vor diesem Hintergrund hat die vorliegende Arbeit drei wesentliche Ziele. In der Literaturübersicht soll im Rahmen einer systematischen Literaturanalyse ein Überblick über bestehende Multimorbiditätsindizes gegeben werden.

Angesichts der Heterogenität der Instrumente wird die Analyse auf Studien beschränkt, die entweder einen methodischen Schwerpunkt haben, das heißt, die sich mit der Entwicklung eines gewichteten Multimorbiditätsindex beschäftigen oder den Zusammenhang zwischen Multimorbidität und verschiedenen Zielgrößen ausschließlich in bevölkerungsbezogenen Daten untersuchen. Konkret sollen dabei die folgenden Fragen beantwortet werden.

1) Nach welchen Kriterien werden Krankheiten, die in einen Multimorbiditätsindex einfließen, ausgewählt?

2) Welche Datenquellen werden genutzt?

3) Wie viele Erkrankungen werden in bestehenden Indizes berücksichtigt?

4) Welche Erkrankungen werden genannt?

Darüber hinaus sollen auf der Grundlage der Studien, die sich mit der Entwicklung von gewichteten Indizes befassen, zwei weitere Fragestellungen untersucht werden.

5) Welche Studienpopulationen werden für die Entwicklung von gewichteten Indizes genutzt?

6) Welche Gewichtungsmethoden werden eingesetzt?

Während im ersten Teil der Arbeit der aktuelle Forschungsstand zum Thema Multimorbidität beschrieben wird, geht es im zweiten und dritten Teil um die Entwicklung eines neuen Modells zur Erfassung von Multimorbidität.

Der Teil Auswahl von multimorbiditätsrelevanten Erkrankungen beschäftigt sich mit der grundlegenden Frage, nach welchen nachvollziehbaren und objektiven Kriterien chronische Erkrankungen, die in einen Multimorbiditäts-index einfließen, ausgewählt werden können. Angesichts der gesellschaftlichen Bedeutung von Multimorbidität wird der Fokus auf gesundheitssystemrelevante Erkrankungen gelegt. Für die Auswahl werden verschiedene Datenquellen genutzt, darunter die Todesursachenstatistik oder häufige Diagnosen in der ambulanten oder stationären Versorgung. Zusätzlich wird eine Definition des Gemeinsamen Bundesausschusses herangezogen, um die Auswahl auf chronische Erkrankungen zu beschränken. Ziel ist es, eine Liste mit Krankheiten im Sinne eines „Gold Standards“ zu erstellen.

Im Teil Entwicklung eines gewichteten Index wird eine Methode vorgestellt, nach der die ausgewählten Erkrankungen hinsichtlich ihres Einflusses auf den selbstberichteten Gesundheitszustand gewichtet werden können. Dazu werden fünf verschiedene bevölkerungsbezogene Datenquellen aus Deutschland genutzt, um die Validiät der errechneten Gewichtungsfaktoren zu erhöhen.

Da die drei Teilbereiche dieser Arbeit sich im Hinblick auf die angewandten Forschungsmethoden unterscheiden, werden sie getrennt beschrieben und enthalten jeweils die zugrundeliegende Methodik sowie die Ergebnisse. Dies dient sowohl einer besseren Lesbarkeit und ist darüber hinaus der Tatsache geschuldet, dass die beiden letzten Teile zum Teil auf den Ergebnissen der Literaturanalyse aufbauen. Die abschließende Diskussion und das Fazit der Arbeit werden jedoch für alle drei Teile zusammen erstellt.

Die folgenden Punkte sind für das bessere Verständnis dieser Arbeit von Bedeutung. Komorbidität und Multimorbidität werden als zwei unterschiedliche Ansätze betrachtet. Da es in der vorliegenden Studie darum geht, generell das Krankheitsspektrum zu erfassen, ohne dass der Fokus auf einer bestimmten Indexerkrankung liegt, beschränkt sich diese Arbeit auf das Phänomen Multimorbidität.

Darüber hinaus sind vor allem ältere Menschen von Multimorbidität betroffen (Wurm, 2005). Vor diesem Hintergrund werden für die Auswahl von multimorbiditätsrelevanten Erkrankungen und die Berechnung der Gewichtungsfaktoren ausschließlich Daten von Menschen ≥ 65 Jahre genutzt.

B. Literaturübersicht