• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Pharmakologie, Toxikologie und Abhängigkeitspotential der Benzodiazepine" (19.11.1981)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Pharmakologie, Toxikologie und Abhängigkeitspotential der Benzodiazepine" (19.11.1981)"

Copied!
8
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

ÜBERSICHTSAU FSATZ

Pharmakologie, Toxikologie und Abhängigkeitspotential der Benzodiazepine

Ulrich Klotz

Aus dem Dr.-Margarete-Fischer-Bosch-Institut für Klinische Pharmakologie, Stuttgart

Das weite Wirkspektrum und die große therapeutische Brei- te der zentral wirksamen Ben- zodiazepine führten in den letzten Jahren zu einem stark ansteigenden „Konsum" die- ser relativ leicht zugänglichen Medikamente. Alle Benzodi- azepine können jedoch, da sie symptomatisch die Patienten von ihren vielfältigen Proble- men und Krankheiten distan- zieren und „befreien", zu ei- ner psychischen und physi- schen Abhängigkeit führen.

1. Einleitung

Etwa 40 Billionen Einzeldosen an Benzodiazepinen werden täglich auf der ganzen Welt konsumiert.

Unter den 1979 in Deutschland am häufigsten verschriebenen zehn Me- dikamenten nehmen drei Benzodi- azepine den 3. (Oxazepam), 6. (Dia- zepam) und 7. (Bromazepam) Rang ein. Dabei werden sie hauptsächlich als Tranquilizer und Anxiolytika ein- gesetzt. Die überragende Bedeu- tung, die sie in diesem Rahmen be- sitzen, hat ihre Ursachen darin, daß sie zum einen eine große therapeuti- sche Breite besitzen und dadurch sicherer als zum Beispiel die früher eingesetzten Barbiturate sind, zum anderen beeinflussen sie kaum das autonome Nervensystem, wie zum Beispiel die sedativ wirkenden Phe- nothiazine, trizyklischen Antidepres- siva oder Diphenhydramin.

1959 wurde die neue Substanzgrup- pe der 1,4-Benzodiazepine paten- tiert, und das erste Medikament kam 1960 unter dem Namen Libriumg auf den Markt.

Da die Reinsubstanz bitter, hygro- skopisch und unstabil war, wurde das Molekül vielfältigen Modifikatio- nen unterzogen. Dabei wollte man auch wirksamere und spezifischere Substanzen erzielen. Dies gelang 1963 teilweise mit Diazepam, das ei- ne besonders geringe Toxizität auf-

wies. 1965 folgt dann bereits Oxaze- pam, das, wie wir später noch sehen werden, den Endmetaboliten des Diazepams darstellt.

Aufgrund sowohl des therapeuti- schen Fortschrittes, der mit diesen Substanzen erreicht werden konnte, als auch durch die steigenden Ver- kaufszahlen angeregt, folgte eine stürmische Weiterentwicklung die- ser Präparategruppe.

Auch wenn heute mehr als 16 ver- schiedene Substanzen auf dem deutschen Markt sind, so ist diese Entwicklung noch nicht abgeschlos- sen, und mit weiteren mehr oder we- niger sinnvollen Präparaten muß ge- rechnet werden.

2. Chemie, Struktur und Nachweismethoden der Benzodiazepine

Aus der Testung von über 3000 Sub- stanzen ergaben sich interessan- te Struktur-Wirkungs-Beziehungen (Darstellung 1); so ist zum Beispiel die Substitution am ankondensier- ten Benzolring durch ein Halogen- atom von entscheidender Bedeu- tung für die Wirkung. Die biologi- sche Aktivität wird verstärkt, wenn am Stickstoffatom 1 eine Methyl- gruppe vorhanden ist. Größere Sub- stituenten, wie zum Beispiel eine ter- tiäre Butylgruppe, führen jedoch zur Wirkungslosigkeit. Die Einführung

weiterer Halogenatome am freien Benzolring führt zu den in geringen Dosen ausschließlich hypnotisch wirkenden Medikamenten Fluraze- pam und Lorazepam. Alle diese Va- riationen des Moleküls können je- doch nicht darüber hinwegtäu- schen, daß die verschiedensten Nachfahren des Diazepams weiter- hin muskelrelaxierend, anxiolytisch, hypnotisch und antikonvulsiv wirk- sam sind. Da jedoch zum Teil deutli- che quantitative Unterschiede beste- hen, besitzen die verschiedenen Substanzen unterschiedliche Indika- tionsschwerpunkte.

Für den Nachweis der Benzodiazepi- ne in Blut und Urin gibt es verschie- dene chemische Nachweismetho- den. Dabei haben sich besonders gaschromatographische Methoden bewährt, die sehr spezifisch und empfindlich die verschiedenen Ben- zodiazepine und ihre wichtigen Me- taboliten messen können.

Ihre Messung gewinnt zunehmend an Bedeutung, denn damit ist es erst möglich, die Angaben der Patienten zu bestätigen bzw. zu widerlegen, was in der Klinik zur Überwachung der verordneten Einnahme (com- pliance) und bei Süchtigen zum Be- weis der Abstinenz außerordentlich wichtig ist. Auch in der Gerichtsme- dizin werden diese Methoden bei der Aufklärung von alkohol- und me- dikamentenbedingten Unfällen an- gewendet.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 47 vom 19. November 1981 2227

(2)

Benzodiazepine-Abhängigkeit

R' I

~~) z.B.Ciobazam R~5 R:CI

~R" R':CH 3

~ R":H

R' I

~~R

Cl'©

z.B.Ciotiazepam R:C2H5

R':CH3

Darstellung 1: Strukturformeln verschiedener Benzodiazepine, die aus drei Ring- systemen bestehen. Bei der weitaus überwiegenden Mehrzahl der Substanzen stehen die beiden Stickstoffatome im Siebenring in Position 1 und 4, was zu ihren Namen 1,4- Benzodiazepine führte. Durch Austausch von Wasserstoffatomen an drei verschiede- nen Stellen durch andere Gruppen (zum Beispiel Halogene wie Chlor, Fluor, Brom oder Methylreste) kann das quantitative Wirkspektrum verändert werden. ln jüngster Zeit wurden auch Variationen im Ringsystem selbst durchgeführt, z. B. führt die Verschiebung der beiden Stickstoffatome zu den sogenannten 1 ,5-Benzodiazepinen und der Ersatz des Benzolringes durch einen Thiophenring zu den Thienodiazepinen

Medazepam Diazepam (ValiumR)

(Nobrium R)

1

Nitrazepam Clorazepat

(MogadanR) ~

J

(TranxilliumR)

Flurazepam L-oesmethyldiazepam

..--J

Prazepam

(DalmadormR)_r bzw. Analoga ---, (DemetrinR)

Flunitrazepam

1

L _ Pinazepam

(RohypnoiR)

Temazepam Oxazepam - - - • Oxazepam- Chlordiazepoxide - - - - (AdumbranR) glucuronid (LibriumR)

Darstellung 2: Gemeinsame Stoffwechselwege einiger bekannter Benzodiazepine

2228 Heft 47 vom 19. November 1981 DEUTSCHES ARZTEBLATT

3. Stoffwechsel der Benzodiazepine

Der Stoffwechsel einiger Benzodia- zepine (Darstellung 2) weist große Ähnlichkeiten auf beziehungsweise mündet bei gemeinsamen Metaboli- ten. Manche Medikamente, wie zum Beispiel Medazepam, Diazepam, Clorazepat, Prazepam bilden alle Desmethyldiazepam, was neuer- dings auch als Nordiazepam be- zeichnet wird. Eine andere Schlüs- selsubstanz stellt das Oxazepam dar, welches den Endmetaboliten mehrerer Benzodiazepine darstellt.

Alle Substanzen werden in der Leber verstoffwechselt, wobei Dealkylie- rungen am Stickstoffatom, Hydroxy- lierungen und Konjugationen mit Glucuronsäure ganz im Vorder- grund stehen. Bei den Nitrogruppen enthaltenden Substanzen werden diese noch zu Aminogruppen redu- ziert und anschließend acetyliert.

Beim Nitrazepam ist diese Acetylie- rungsgeschwindigkeit genetisch de- terminiert. Keine der bisher bekann- ten Substanzen beeinflußt den Stoff- wechsel anderer Medikamente, das heißt es kommt unter einer Therapie mit Benzodiazepinen weder zu einer Induktion noch Hemmung der mi- krosomalen Leberenzyme, die für den Abbau von Arzneimitteln, Hor- monen und Schadstoffen verant- wortlich sind. Alle Benzodiazepine werden nur zu einem verschwin- dend geringen Anteil unverändert über die Nieren ausgeschieden, so daß ihre renale Exkretion gegenüber der metabolischen Elimination von zu vernachlässigender Bedeutung ist.

4. Pharmakakinetik der Benzodiazepine

4.1 Allgemeines

Bei aller Vielfalt der Substanzen sind ihnen doch einige Eigenschaften ge- meinsam: Nach oraler Applikation werden sie gut und ausreichend schnell absorbiert. Maximale Kon- zentrationen werden in aller Regel zwischen 0,5 und 3 Stunden beob- achtet. Aufgrund ihrer ausgeprägten

(3)

Benzodiazepine-Abhängigkeit

Lipophilie verteilen sie sich relativ rasch in alle Gewebe einschließlich des Gehirns und des Feten. Außer Flurazepam werden alle Benzodia- zepine stark an Eiweiße, hauptsäch- lich Albumin, im Plasma gebunden.

Eine pharmakokinetische Einteilung ergibt sich aus der Wirkungsdauer, die von T 1/2 bestimmt wird (Tabel- le 1). Dabei werden die therapeuti- schen beziehungsweise toxischen Wirkungen nicht nur von dem Medi- kament selbst, sondern in vielen Fäl- len auch von den noch biologisch aktiven Metaboliten mit hervorgeru- fen. Deshalb sind die meisten Vertre- ter in der linken Spalte der lang wirk- samen Substanzen zu finden. In der mittellang wirksamen Klasse sind hauptsächlich Vertreter ohne aktive Metaboliten zu finden, während die Neuentwicklung scheinbar zu kurz wirksamen Substanzen geht.

Während T 1/2 den Zeitpunkt be- stimmt, wann ein Medikament wie- der den Körper verlassen hat bezie- hungsweise wann sich bei mehrma- liger Gabe die Gleichgewichtskon- zentration (steady state Spiegel) ein- gestellt hat, charakterisiert die Clea- rance (CI) die metabolische Kapazi- tät (4, 6)*).

Fast alle Benzodiazepine weisen ei- ne niedrige CI auf, und die hepati- sche Elimination ist unabhängig von der Leberperfusion.

Dagegen spielt die Plasmaeiweiß- bindung für die Abbaugeschwindig- keit durch die mikrosomalen Leber- enzyme eine wichtige Rolle.

Die Pharmakokinetik der Benzodi- azepine kann durch eine Vielzahl von Faktoren (Alter, Geschlecht, Le- berfunktion, Arzneimittelinteraktio- nen, Nahrungsmittelaufnahme, App- likationsform, Schwangerschaft) be- einflußt werden, die für die großen intra- und interindividuellen Schwankungsmöglichkeiten in den Blutkonzentrationen verantwortlich sind und die dann für eine „Stan- dard"-Dosis zu verschieden starken Wirkungen führen.

*) Die in Klammern stehenden Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis.

BENZODIAZEPINI KEIN MITTEL GEGEN

ALLTAGSÄRGER D ie Benzodiazepine sind -1--• ins Zwielichtgeraten.

Sie gehören zu den Mit- teln, die ein Abhängig- keitspotential besitzen.

Die Verschreibungsusan- cen von Ärzten sollen dazu beigetragen haben; wir müssen uns diesem Vor- wurf stellen. — Eine alte Erfahrung ist, daß Gele- genheit Diebe macht.

Nicht von ungefähr war früher, weil die gesetzli- chen und administrativen Schranken offenbar besser griffen als heute, der Weg zur Sucht meist nur über Personen offen, die im me- dizinalen Bereich tätig wa- ren. Heute gibt es viele Wege, an Suchtmittel zu kommen, aber noch keine Patentlösung, sie zu ver- schließen. — Wir alle ken- nen noch die exzessive Werbung für die einschlä- gigen Stoffe, die angeblich vom Besuch der Schwie- germutter bis zum Ärger im Büro in allen Lebensla- gen helfen. Der Arzt muß sich ganz im Gegensatz da- zu vor der Verschreibung fragen, ob alle Befindlich- keitsstörungen des ge- nannten und ähnlichen Typs Krankheitswert ha- ben oder nicht.

Wir bestehen auf dem In- stitut der Verschreibung von Arzneistoffen, wissen aber genau, daß es keine

EDITORIAL Sicherheit vor Mißbrauch bietet. Wie überall, kran- ken wir auch hier vor al- lem daran, daß zwar ge- setzliche Vorschriften be- stehen, daß sie aber nur lasch oder nicht mehr nachdrücklich genug über- prüft werden. Ein reisen- der Toxomane hat es si- cherlich nicht schwer, un- ter Vorspiegelung welcher Leiden auch immer vom Arzt einschlägige Mittel, Benzodiazepine allemal, zu erhalten. Auch die Schranken, in Apotheken verschreibungspflichtige Mittel ohne Rezept zu er- halten, sind nicht gerade hoch. — Ähnliches gibt es überall, so etwa die Vor- schrift, daß in Wirtschaf- ten Alkohol an Minderjäh- rige nicht ausgeschenkt werden darf; wer aber kontrolliert schon das Al- ter? In den Schulen und Lehrstätten sind die diszi- plinären Maßnahmen so- gar so weit verkümmert, daß nicht einmal mehr der Versuch von Kontrollen gemacht werden könnte. — Wenn wir je den Miß- brauch von Arzneistoffen wirklich ernsthaft ein- schränken wollen, müssen wir uns in erster Linie fra- gen, wie die Rezeptpflicht für Arzneistoffe so präzi- siert und so realisiert wer- den kann, daß sie zu einem Mittel wird, Schaden vom einzelnen Patienten und von der Allgemeinheit ab- zuwenden. Vorläufig kön- nen Arzt und Apotheker noch zu leicht hintergan- gen werden.

Wolfgang Forth

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 47 vom 19. November 1981 2229

(4)

Einteilung der Benzodiazepine nach ihrer Wirkungsdauer

Lang wirksam Mittellang wirksam Kurz wirksam

Desmethyldiazepam*) (Nordiazepam) Clorazepat *) (Tranxillium®) Prazepam*) (Demetrin®)

Diazepam*) (Valium®) Medazepam*) (Nobrium®) Chlordiazepoxid") (Librium®) Flurazepam*) (Dalmadorm®) Flunitrazepam*) (Rohypnoi®) Nitrazepam*) (Mogadan®) Clonazepam **) (Rivotril®) Clobazam*) (Frisium® )

Bromazepam (Lexotani1 8) Oxazepam (Adumbrane, Praxiten®)

Lorazepam (Tavor® ) Clotiazepam**) (Trecal mo®) Camazepam**) (Albega®) Lormetazepam**) (Noctamid®)

Triazolam (Halcion®) Midazolam (noch nicht im Handel)

*) Substanz besitzt aktive Metaboliten, die zum Effekt beitragen

**) über die biologische Aktivität der Metaboliten gibt es unterschiedliche Angaben

Tabelle 1

Benzodiazepine-Abhängigkeit

4.2 Einzelsubstanzen

Beim Chlordiazepoxid (Librium , im Limbatril®), der ersten klinisch ein- geführten Substanz, ist bemerkens- wert, daß die biologisch aktiven Me- taboliten kumulieren und daß die orale Gabe der schmerzhaften intra- muskulären Applikation vorgezogen werden sollte, da die Absorption nach letzterer langsam und erratisch erfolgt. Für die Verteilung spielen die Plasmaproteinbindung (96,5%) und das Geschlecht eine Rolle, da Frauen ein zweimal größeres Vertei- lungsvolumen als Männer zeigten.

Die niedrige Clearance (25-40 ml/

min) und die mittellange Halbwerts-

zeit (10-18 st) sind abhängig vom Alter und der Leberfunktion des Pa- tienten.

Für Diazepam kann ähnliches ge- sagt werden: kumulierende, biolo- gisch aktive Metaboliten (Desme- thyldiazepam), unvorteilhafte intra- muskuläre Applikation, variable Plasmaproteinbindung und Vertei- lungsvolumina. Die normale Elimi- nation (T1/2 = 30-40 st; CI = 20-35 ml/min) ist leberfunktions- und al- tersabhängig und wird von der ho- hen Plasmaproteinbindung (97- 99%) determiniert. Die langsame und erratische Absorption nach in- tramuskulärer Applikation von Dia-

zepam und Chlordiazepoxid hat ihre Ursache in einer Auskristallisation der Substanzen an der Injektions- stelle.

Für viele Substanzen (Darstellung 1) stellt Desmethyldiazepam den ent- scheidenden Metaboliten dar, und Medikamente wie Clorazepat (Tran- xillium®) oder Prazepam (Deme- trin®) sind nichts anderes als „ver- kapptes" Desmethyldiazepam, da die chemischen Modifikationen am Molekül bereits im sauren Magenmi- lieu (Clorazepat) beziehungsweise bei der ersten Leberpassage (Praze- pam) abgespalten werden und im Blut nur Desmethyldiazepam nach- weisbar ist. Nach intramuskulärer Applikation von Clorazepat beträgt die Halbwertszeit der Umwandlung in Desmethyldiazepam 1 bis 2 Stun- den. Diese Substanz wird zwar schnell, aber wahrscheinlich nicht vollständig resorbiert. Die niedrige, von der Proteinbindung (98%) deter- minierte Clearance (10-20 mIlmin) ist, genauso wie die Halbwertszeit (50-146 st), abhängig vom Alter und der Leberfunktion des Patienten. Es wurde kürzlich gefunden, daß alle drei bisher erwähnten Benzodiaze- pine durch den häufig verordneten H 2-Blocker Cimetidin (Tagamet®) in ihrem Abbau gehemmt werden.

Oxazepam hat gleichermaßen als Arzneimittel (Adumbran®, Praxiten®) wie als Metabolit große klinische Be- deutung. Nach relativ schneller und fast vollständiger (80%) Absorption wird dieses ebenfalls stark protein- gebundene (90-95%) Benzodiaze- pin unabhängig vom Alter, der Le- ber- und Nierenfunktion eliminiert (T 1/2 = 6-15 st; CI = 100-140 ml/min).

Lorazepam (Tavor®), das sich vom Oxazepam nur durch ein zusätzli- ches Chlor-Atom unterscheidet, zeigt sehr ähnliche Eigenschaften.

Auffallend ist hier, daß nach intra- muskulärer Applikation eine schnel- lere Absorption als nach oraler Gabe erfolgt. Die Elimination ist wiederum resistent gegenüber Alter, Leber- und Nierenfunktionsstörungen (T 1/2

= 12-18 st; CI = 50-75 ml/min). Da Oxazepam und Lorazepam bereits eine freie Hydroxylgruppe aufwei- 2230 Heft 47 vom 19. November 1981 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(5)

Pharmakokinetische Charakterisierung einiger Benzodiazepine Substanz Handels- T 1/2, h Clearance Besonderheiten

name ml/min

Medazepam Nobrium 2 Aktive Metaboliten mit langer T1/2

Flurazepam Dalma- 2 Schneller Abbau,

dorm aktive Metaboliten

mit langer T 1/2 Flunitrazepam Rohypnol 10-20 300-425 Hypnotisch wirksam

bei Konzentration 8-10 ng/ml aktive Metaboliten;

Verteilung in „tiefes"

Kompartiment Nitrazepam Mogadan 20-40 50-130 Variable Absorption

(55-90%)

Clonazepam Rivotril 25-40 75-125 „Therapeutischer"

Bereich:

(20) 30-60 (70) ng/ml Clobazam Frisium 10-30 Kumulierender,

aktiver Metabolit Clotiazepam Trecalmo 3-6 Teilweise

aktive Metaboliten Camazepam Albego 21,5 Wenig Literaturdaten

vorhanden Triazolam Halcion 2-4

Lormetazepam Noctamid 10-11 Gute Absorption, teilweiser Abbau zu Lorazepam

Midazolam Noch nicht im Handel

1,5-3,5 250-300 Hepatischer First-pass-Effekt, Korrelation Plasmakonzentra- tion — Wirkung Tabelle 2

trapolationen von einem auf das an- 5. Pharmakodynamik und dere Medikament möglich. therapeutisches Potential

Benzodiazepine-Abhängigkeit

sen, werden beide in Form des bio- logisch unwirksamen Glukuronides ausgeschieden. Für diese Konjuga- tion konnte nachgewiesen werden, daß sie nicht durch Cimetidin ge- hemmt wird.

In zunehmendem Maße wird das re- lativ neue Bromazepam (Lexotanil®) angewendet, das bereits den lang- jährigen „Bestseller" Diazepam überholt hat. In Gegensatz zu den steigenden Verkaufszahlen gibt es nur wenige Literaturdaten über sei- ne Pharmakokinetik. Die Elimina- tionshalbwertszeit liegt zwischen 15 und 20 Stunden und kann bei alten Patienten bis um den Faktor 2 ver- längert sein. Die Substanz wird in der Leber hydroxyliert und mit einer Geschwindigkeit von 25-35 ml/min aus dem Blut extrahiert.

In Tabelle 2 sind, soweit bekannt, die wichtigsten Werte für die Halbwerts- zeit und die Clearance von verschie- denen anderen Benzodiazepinen aufgelistet. Daneben zeigen einige Pharmaka noch einige Besonderhei- ten, die in der rechten Spalte ver- merkt sind. In der Diskussion ist im- mer noch, ob es für die einzelnen Substanzen, ähnlich wie bei den Herzglykosiden oder Antikonvulsiva, sogenannte therapeutische Berei- che gibt. Während für das Antiepi- leptikum Clonazepam (Rivotril®) mit unterschiedlichen Literaturangaben Konzentrationen zwischen 20 und 70 ng/ml als effektiv angenommen werden, sind diese Zusammenhänge für die anderen Benzodiazepine noch nicht klar definiert. Dies liegt vor allem daran, daß die meisten Benzodiazepine biologisch aktive Metaboliten besitzen, die zum ge- wünschten Effekt bzw. zur Toxizität entscheidend beitragen, und oft- mals werden diese langsamer als die Ausgangssubstanzen eliminiert.

4.3 Pharmakokinetische Schlußfolgerungen

Die Beeinflussung durch exoge- ne (zum Beispiel Arzneimittelinter- aktionen) und endogene (zum Bei- spiel Patientenalter, Leberfunktion) Faktoren sind abhängig von der je- weiligen Substanz. Es sind keine Ex-

b) keine aktiven Metaboliten auf- weist, da dann die Zusammenhänge zwischen Dosis — Plasmakonzentra- tion — Wirkung übersichtlicher sind.

(;) Gründlich untersuchte Substan- zen und umfangreiches Wissen über ihre Pharmakokinetik führen zu ei- ner sicheren Therapie.

Die ersten Benzodiazepine wurden als Tranquilizer entwickelt, um toxi- schere Substanzen wie Meprobamat oder die Barbiturate zu ersetzen. In Tierversuchen zeigten Chlordiaze- poxid und Diazepam potente sedati- ve, muskelrelaxierende, zähmende (antiaggressive) und antikonvulsive Eigenschaften. Erste klinische Stu- dien demonstrierten einen starken angst- und spannungslösenden (an- xiolytischen) Effekt. In der Folge wurde nun versucht, Substanzen zu Vorteilhaft erscheint ein Pharma- 5.1 Pharmakologisches Spektrum kon, das

a) eine relativ kurze T 1/2 besitzt, was eine bessere Steuerbarkeit be- deutet.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 47 vom 19. November 1981 2231

(6)

Benzodiazepine-Abhängigkeit

entwickeln, bei denen die sedativ- hypnotische Wirkkomponente von der anxiolytischen Wirkung differen- ziert werden konnte, beziehungs- weise Medikamente zu finden, bei denen die antikonvulsive Potenz im Vordergrund stand.

5.2 Wirkungsmechanismus Kürzlich wurden von zwei unabhän- gigen Arbeitsgruppen stereospezifi- sche Bindungsproteine für Benzo- diazepine isoliert, denen die Rolle von Rezeptoren zugesprochen wird.

Harman, ein endogenes ß-Carbolin, ist ein potenter Inhibitor dieser spe- zifischen Benzodiazepinbindung.

Spekuliert wird nun, ob ähnlich wie bei den endogenen Morphinen, den Endorphinen, auch für die Benzo- diazepine im Organismus entspre- chende endogene Substanzen vor- handen sind, die beim Wirkungsme- chanismus beteiligt sind (8). Vor we- nigen Wochen wurde auch von spe- zifischen Benzodiazepinantagoni- sten berichtet. Der postulierte Ben- zodiazepinrezeptor steht in enger Verbindung mit dem Rezeptor für den Neurotransmitter y-Aminobut- tersäure (GABA) und einem Chlorid- kanal. Es wird vermutet, daß ß-Car- boline am Benzodiazepin-GABA-Re- zeptorkomplex als endogene Ligan- den angreifen (erregende Agoni- sten) und Benzodiazepine als Ant- agonisten fungieren. Es ist sehr wahrscheinlich, daß letzten Endes die Wirkung der Benzodiazepine auf der postsynaptischen Verstärkung von GABA-ergen inhibitorischen Ef- fekten beruht.

5.3 Anwendungsgebiete

Aus den pharmakologischen Wir- kungen lassen sich die Indikationen für die Benzodiazepine ableiten. Sie werden eingesetzt bei ängstlichen und depressiven Neurosen, Psycho- sen und Depressionen, Schlafstö- rungen und Narkoseprämedikation, Epilepsie und Fieberkrämpfen, Alko- holismus, zur Muskelrelaxation bei Spasmen und unter der Geburt. In das breite Anwendungsgebiet (Ta- belle 3) passen eine zunehmende

Anzahl von Patienten, so leidet zum Beispiel jeder fünfte Bundesbürger an Schlafstörungen, die belasten- den Einflüsse aus Berufsalltag, Fa- milie und Umwelt führen zu Anspan- nung, Angst und Streß.

Zur Bewältigung dieser Probleme werden leider oft nicht die kausalen exogenen und psychischen Fakto- ren ausgeschaltet, sondern es wird versucht, die Symptome mit Benzo- diazepinen zu behandeln.

Dabei muß man bedenken, daß Wir- kungen, wie angst- und spannungs- lösend, sedativ und hypnotisch, flie- ßende Übergänge besitzen und do- sisabhängig sind. Somit ist eine Un- terscheidung in anxiolytische und hypnotische Benzodiazepine sehr schwierig und oft zweifelhaft.

Benzodiazepine reduzieren den REM-Schlaf und das Tiefschlafsta- dium 4 nur sehr gering, ein Wir- kungsverlust wird nicht beobachtet und bei Derivaten mit relativ kurzer Halbwertszeit und inaktiven Metabo- liten treten keine störenden „hang- over"-Effekte am nächsten Morgen auf.

Die schlaffördernden Benzodiazepi- ne gelten ansonsten nicht primär als Hypnotika, sondern die angst- und spannungslösende Komponente steht ganz im Vordergrund.

Durch diese anxiolytische Wirkung kann natürlich der Patient oft auch schneller zu seinem Schlaf finden.

Dabei ist zu berücksichtigen, daß Angst- und Spannungszustände oft einen phasischen beziehungsweise episodischen Verlauf mit Remissio- nen und Exazerbationen darstellen.

Unter diesen Umständen sollten kür- zer wirksame Substanzen, wie Oxa- zepam und Lorazepam eingesetzt werden, da dann schneller effektive Dosen adjustiert werden können.

Handelt es sich dagegen um chroni- sche Krankheitsbilder, sind Sub- stanzen mit längerer Halbwertszeit und eventuell biologisch aktiven Metaboliten, wie zum Beispiel Diaze- pam, angebrachter.

6. Nebenwirkungen und Toxikologie

der Benzodiazepine

Die Benzodiazepine können als re- lativ sichere Arzneimittel mit großer therapeutischer Breite betrachtet werden.

Sehr hohe Dosen (bis 2 g Diazepam), oft in suizidaler Absicht eingenom- men, führten nicht zu einer lebens- bedrohlichen Depression der respi- ratorischen, kardiovaskulären und zentralen Funktionen.

Klinisch manifestierten sich haupt- sächlich Müdigkeit, Schlaf und Stu- por. Die zentrale Regulation der Atemfunktion scheint am ehesten von den hypnotisch wirkenden Ben- zodiazepinen beeinträchtigt zu werden.

Trotzdem weisen die Benzodiazepi- ne auch unerwünschte Nebenwir- kungen auf, die sich zum Teil aus den Hauptwirkungen ableiten lassen und den intensiveren Ausdruck des gewünschten pharmakologischen Effektes darstellen.

Die Dämpfung der ZNS-Aktivität führt zu Gleichgültigkeit, „Wurstig- keit", Konzentrationsschwäche, Se- dation und Müdigkeit. Die Reak- tionszeit wird verlängert, und damit ist die Fahrtüchtigkeit einge- schränkt, oftmals noch am Morgen nach der abendlichen Tablettenein- nahme. Autofahrer, die unter Benzo- diazepinen stehen, haben ein 4,9fach höheres Unfallrisiko. Die Muskelrelaxation führt zu Gang- unsicherheit und Ataxie. Selten, vor allem bei älteren Patienten, können paradoxe Erregungs- und Verwirrt- heitszustände mit Halluzinationen auftreten.

Eine besonders auffallende Sympto- matik mit paranoiden Reaktionen, Depersonalisation, akuter und chro- nischer Angst, Depressionen, Sui- zidneigung wurde in Holland nach Triazolam (Halcion®) beobachtet.

Über Amnesie, hauptsächlich nach intravenöser Applikation, wurde auch bei anderen Benzodiazepinen berichtet.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 2232 Heft 47 vom 19. November 1981

(7)

Besonders ist darauf zu achten, daß Benzodiazepine, Hypnotika und Al- kohol sich gegenseitig in ihren zen- tral dämpfenden Wirkungen verstär- ken. Dies ist zum Teil darauf zurück- zuführen, daß Alkohol die Absorp- tion der Benzodiazepine verbessert und ihre Elimination verzögert- bei- de Phänomene führen zu erhöhten Arzneimittelkonzentrationen. Zu- sätzlich werden am gemeinsamen Wirkort die pharmakadynamischen Effekte gegenseitig verstärkt.

Die Beeinträchtigung der Leistungs- fähigkeit am Morgen nach vorherge- gangener abendlicher Einnahme von Benzodiazepinen ( .. hang-over"- Effekte) hängt von der Eliminations- geschwindigkeit des jeweiligen ver- wendeten Benzodiazepines und von der Existenz aktiver Metaboliten ab.

Sie wurde beobachtet mit therapeu- tischen Dosen von Nitrazepam (5-10 mg), Flurazepam (15-30 mg), Fluni- trazepam (1-2mg), Chlorazepat (15 mg), Diazepam (15 mg), Lorazepam (2,5 mg), Medazepam (15 mg) und Oxazepam (45 mg).

Einige wenige Fallberichte deuten darauf hin, daß es zu kongenitalen Malformationen (Spaltlippe und/

oder -gaumen) kommen kann, was eine vorsichtige Anwendung wäh- rend des ersten Trimesters nahelegt Ferner sollte beachtet werden, daß Benzodiazepine in beträchtlichem Ausmaß in den Fetus und die Mutter- milch übergehen. Dies erklärt das sogenannte .,floppy infant"-Syn- drom bei Neugeborenen von Müt- tern, die vor oder unter der Geburt Benzodiazepine erhielten. Diese Symptomatik ist gekennzeichnet durch Hypothermie, Atem- und Saugstörungen, Muskelrelaxation, Hypotonie.

Da bei Neugeborenen die Arzneimit- tel nur sehr verlangsamt abgebaut werden, verbleiben die Substanzen bis zu etwa 10 Tagen im Körper.

Auch über Entzugssymptome beim Neugeborenen (Tremor, Hyperrefle- xie, Durchfall, Erbrechen, Tachy- pnoe) bei plötzlichem Absetzen von Chlordiazepoxid und Diazepam wur- de berichtet.

Benzodiazepine-Abhängigkeit

Anwendungen der Benzodiazepine

~ Psychiatrie psychoreaktive, psychogene oder neurotische Störungen

depressive Reaktionen (

+

Antidepressiva) Entzugsarschainu ngen (Alkohol, Pharmaka)

~ Neurologie Epilepsie; spastische und myoklonische Zustände

~ Anästhesie Prämedikation

~ Gynäkologie Geburtshilfe

~ Innere Medizin Sedierung und Anxiolyse (Herzinfarkt, Elektrokardioversion)

~ Allgemeinmedizin psychosomatische und vegetative Störungen; Schlafstörungen;

Myalgien und Muskelspasmen

Tabelle 3

7. Benzodiazepine und Abhängigkeit

7.1 Mißbrauch

Der weltweite enorme Verbrauch von Benzodiazepinen hat in letzter Zeit das Interesse der Öffentlichkeit auf sich gelenkt. Der höchste Ver- brauch an Benzodiazepinen wurde in den siebziger Jahren bei Perso- nen zwischen 40 bis 59 Jahren (40 Prozent), 20 bis 39 Jahren (28 Pro- zent) und über 65 Jahre (21 Prozent) beobachtet, wobei Frauen doppelt so häufig wie Männer diese Medika- mente einnahmen.

Etwa 20 Prozent der im Kranken- haus eingelieferten Patienten stehen unter Benzodiazepinen, und 30 Pro- zent aller stationären beziehungs- weise etwa 50 Prozent der ambulan- ten Patienten erhalten Benzodiaze- pine.

Die Motivationen für diesen enor- men Konsum sind unterschiedlich:

45 bis 67 Prozent werden wegen der tranquillisierenden Wirkung verord- net, nur 30 Prozent der Patienten haben psychische Beschwerden, Sedation und Schlaf werden in 8 bis 29 Prozent der Fälle gesucht, 16 Pro-

zent werden bei Patienten mit kar- diovaskulärer Symptomatik einge- setzt, wobei in 62 Prozent dieser Fäl- le eine Abnahme des Blutdruckes berichtet wurde (1 ).

7.2 Toleranz

Toleranz macht Dosissteigerungen notwendig, und diese können zu ei- ner Abhängigkeit führen. Bei länge- rer Therapie mit Benzodiazepinen werden solche notwendigen Dosis- steigerungen sehr selten beobach- tet. Es fällt jedoch ein anderes Phä- nomen auf, das als Rezeptortoleranz beschrieben werden kann: Bei ein- maliger Applikation oraler Dosen sind die psychomotorischen Beein- trächtigungen und die Müdigkeit stärker ausgeprägt während des an- fänglichen Zeitraumes, wenn die Konzentrationen im Blut ansteigen, als vergleichsweise bei den gleichen Konzentrationen während des späteren Konzentrationsabfalles.

Weiter fällt klinisch auf, daß zu Be- ginn einer Therapie mit Benzodiaze- pinen die Patienten während der er- sten Tage sich müder fühlen als nach 3 oder 4 Tagen. Diese Empfin- dung verschwindet häufig vollstän- dig, obwohl die Konzentrationen

DEUTSCHES ARZTEBLATT

Heft 47 vom 19. November 1981 2233

(8)

Benzod iazepi ne-Abhängigkeit

während der mehrmaligen Gabe an- gestiegen sind. Diese Beobachtun- gen deuten darauf hin, daß sich der Benzodiazepinrezeptor, oder Teile davon, an diese Substanzen adaptie- ren kann.

7.3 Abhängigkeit

Die ersten Berichte von physischer Abhängigkeit wurden bereits 1961 publiziert.

Bei 36 stationären psychiatrischen Patienten, die für 1 bis 7 Monate täglich mit 100 bis 600 mg Chlordia- zepoxid behandelt wurden, wechsel- te man abrupt in einem einfach-blin- den Versuch bei 11 Patienten auf ein Placebo über. Bei 10 dieser 11 Pa- tienten entwickelten sich objektive und subjektive Anzeichen von Ent- zugserscheinungen. Die meisten Symptome entwicklten sich erst 4 bis 8 Tage nach Absetzen des Ben- zodiazepines und waren etwa nach dem 10. Tag wieder verschwunden.

Dieses späte Einsetzen der Entzugs- symptomatik ist typisch für diese Substanzklasse, da die Benzodiaze- pine und besonders ihre oft noch langsamer eliminierten aktiven Met- aboliten noch tagelang nach Abset- zen in wirksamen Konzentrationen vorliegen.

Zwischen 1963 und 1972 wurden 9 weitere Fälle von Abhängigkeit in der Literatur erwähnt, wobei 4mal Diazepam, 2mal Chlordiazepoxid, 2mal Oxazepam und einmal Nitraze- pam verantwortlich gemacht werden konnten. Die Mehrzahl der Patienten hatte sehr hohe Dosen über einen längeren Zeitraum eingenommen.

Die Entzugserscheinungen reichten von Reizbarkeit, Tachykardie, Schlaflosigkeit, Appetitlosigkeit zu Halluzinationen, Psychosen und Krämpfen (2).

Bei einer Vielzahl von Patienten wer- den die nach längerer Einnahme von hohen Dosen Benzodiazepinen we- niger stark ausgeprägten Abstinenz- erscheinungen wie Angst, Span- nung, Zittern, geringer Appetit, Schwäche oder Schwindel nur schwer zu unterscheiden sein von der ursprünglichen Symptomatik,

für welche das Benzodiazepin an- fänglich verschrieben wurde und die nun wieder durchbricht.

In einer detaillierten Studie stellte Marks (1978) für mehrere Länder die bekannt gewordenen Fälle von Benzodiazepinabhängigkeit zusam- men. Für die gesamte Bundesrepu- blik wurden dabei für die Jahre 1960 bis 1977 44 publizierte und 54 regi- strierte Fälle genannt. Marks folger- te daraus, daß das Abhängigkeitsri- siko gering ist, daß aber nach lan- gem Gebrauch hoher Dosen, beson- ders bei Patienten mit instabiler Per- sönlichkeit, eine psychische und physische Abhängigkeit auftreten kann. Insgesamt gesehen wurden seit 1957 weniger als 500 Fälle von Abhängigkeit gesehen, was bei den Verschreibungen in Billionenhöhe bei Millionen von Patienten als äu- ßerst wenig angesehen werden muß.

Das Risiko erhöht sich mit der Höhe der Dosis und der Länge der Einnah- medauer. Personen, die bereits vor- her von anderen Medikamenten und/

oder Alkohol abhängig waren, sind besonders gefährdet.

Neuere Arbeiten schätzen das Risiko jedoch wesentlich höher ein. In ei- ner Studie von Tyrer (1980) hatten Patienten über mindestens 4 Monate therapeutische Dosen von Loraze- pam oder Diazepam regelmäßig ein- genommen. Nach plötzlichem Ab- setzen entwickelte sich vorüberge- hend bei 27 Prozent der Patienten ein Entzugssyndrom. Daher sollte je- der Patient vom Arzt darüber aufge- klärt werden, daß Abhängigkeit möglich ist. In einer Analyse der Krankheitsgeschichte stationärer Patienten der Psychiatrischen Uni- versitätsklinik Göttingen fanden Kemper et al. (1980) ein größeres Suchtpotential als bisher angenom- men. Zwar waren die meisten der an Hand von 22 Kriterien als benzodia- zepinabhängig eingestuften Patien- ten „Umsteiger", jedoch wurde zu- nehmend auch primäre Benzodiaze- pinabhängigkeit beobachtet. Von 173 Suchtkranken wurde bei 45 (26 Prozent) ein isolierter Benzodiaze- pinmißbrauch festgestellt. Die am häufigsten eingenommenen Medi- kamente (Mehrfachnennung mög-

lich) waren Lorazepam (20), Diaze- pam (19), Oxazepam (12) und Brom- azepam (7). Dabei fällt im Vergleich zum relativ niedrigen Verbrauch von Lorazepam seine sehr häufige Nen- nung auf. Scheinbar besitzt diese Substanz ein besonders hohes Suchtpotential.

Schlußfolgerungen

Von der Vielzahl der zur Verfügung stehenden Substanzen sollten hauptsächlich die zwei oder drei Me- dikamente angewendet werden, die am gründlichsten untersucht sind und über die der verschreibende Arzt am besten Bescheid weiß. Da- bei sollte er nur geringe Mengen ver- ordnen und kritisch das Nutzen/Risi- ko-(Abhängigkeit-)Verhältnis abwä- gen. Da nachgewiesenermaßen Ben- zodiazepine, wenn auch relativ sel- ten, zur Abhängigkeit führen kön- nen, sollte der Patient darüber auf- geklärt werden. Fundierte Studien zur Abhängigkeitsentwicklung (ein- schließlich prädiktiver Tiertests) sind weiterhin notwendig.

Literatur

(1) Bellantuono, C.; Reggi, V.; Tognoni, G.;

Garattini S.: Benzodiazepines: Clinical phar- macology and therapeutic use, Drugs 19 (1980) 195-219 — (2) Greenblatt, D. J.; Shader, R. Dependence, tolerance and addiction to benzodiazepines: Clinical and pharmacokine- tic considerations, Drug Metabol. Rev. 8 (1978) 13 —28 — (3) Kemper, N.; Poser, W.; Poser, S.:

Benzodiazepin-Abhängigkeit, Dtsch. Med.

Wschr. 105 (1980) 1707-1712 — (4) Klotz, U:

Klinische Pharmakokinetik, G. Fischer Verlag, Stuttgart (1979) — Klotz, U.; Kangas, L.; Kanto, J.: Clinical pharmacokinetics of ben- zodiazepines. Progr. in Pharmacol. 3 (1980) G.

Fischer Verlag, Stuttgart — (6) Kurz, H.: Prinzi- pien der rationalen Arzneidosierung Dtsch.

Arztebl. 75 (1978) 2335-2341 — (7) Marks, J.:

The benzodiazepines: Use, overuse, misus, abuse. MTS Press, London (1978) — (8) Rom- melspacher, H.; Nanz, C.; Borbe, H. 0.; Fehs- ke, K. J.; Müller, W. E.; Wollert, U.: 1-Methyl-ß- carboline (harmane), a potent endogenous in- hibitor of benzodiazepine receptor binding, Naunyn-Schmiedeberg's Arch. Pharmacol 314 (1980) 97-100 — (9) Tyrer, P.: Dependence an Benzodiazepines, Brit. J. Psych. 137 (1980) 576-577

Anschrift des Verfassers:

Privatdozent Dr. rer. nat. U. Klotz Dr.-Margarete-Fischer-Bosch-Institut für Klinische Pharmakologie Auerbachstraße 112

7000 Stuttgart 50 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

2234 Heft 47 vom 19. November 1981

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

(Antragstellerinnen / Antragsteller Huwiler, Andrea ; Pfeilschifter, Josef M. ). Sphingosylphosphorylcholine and its contribution to pathophysiological processes in

- Für sämtliche Personen (Schüler*innen, Lehrpersonen, Verwaltungs- und Betriebsangestellte sowie Dritte), gilt die generelle Maskentragpflicht ohne

Allerdings sind hier noch ein- gehende Untersuchungen des zeitli- chen Verlaufs derartiger Mobilisa- tionen und vor allem der Zugäng- lichkeit bestimmter Körperkompar- timente

Becker, Ham- burg, konnte diese positiven Ergebnisse der Wirksamkeit des Pollen-Extrakts in einer klinischen Studie mit 109 BPH-Patienten der Stadien II und III bestätigen: Beim

Mit 34,00 Euro ist das Buch bezogen auf den Inhalt als aus- gesprochen preiswert zu bezeichnen und kann jedem Studen- ten der Medizin/Zahnmedizin, aber auch dem praktisch täti-

Viele dieser Filme würden sich durch eine einseitig systemkritische Auseinander- setzung mit einer Reihe von Entwicklungsländern auszeichnen, die in der Konsequenz nicht gerade zu

Aus Bonn kommt seltsame Mär: wäh- rend in jedem Betrieb erwartet wird, daß Arbeiter und Angestellte nach besten Kräften für das Wohl des Unternehmers arbeiten, aus dessen

Verbinde die Wörter in den Planeten mit den Vorsilben in den Sonnen, damit sinnvolle Wörter entstehen... Vorsilben „be“