A1204 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 104⏐⏐Heft 18⏐⏐4. Mai 2007
P O L I T I K
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undesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) gibt sich bürgerfreundlich: „Die europäische Gesundheitspolitik ist weit voran- gekommen. Sie muss nun in der grenzüberschreitenden Versorgung für alle Bürgerinnen und Bürger praktisch erfahrbar werden.“ Prak- tisch erfahrbar heißt für Schmidt: Es müssen klare Regeln her, um Pro- bleme mit der Kostenerstattung bei Auslandsbehandlungen ebenso zu lösen wie eventuelle Haftungsfra- gen. Auch hält sie das Informations- angebot über Behandlungen im eu- ropäischen In- und Ausland für aus- baufähig. Hierüber ist sich die Mi- nisterin mit ihren Amtskollegen aus den übrigen 26 Staaten der Europä- ischen Union (EU) einig. So ein Er- gebnis der zweitägigen Beratungen der Gesundheitsminister unter deut- scher Ratspräsidentschaft am 19./20. April in Aachen.
Übergreifende Regelungen auf wenige Aspekte beschränken
EU-Gesundheitskommissar Markos Kyprianou fasste dies als klares Signal auf, nunmehr einen Rege- lungsvorschlag auszuarbeiten, mit dem die EU die grenzüberschreiten- de Gesundheitsversorgung rechtssi- cherer und transparenter machen will. „Um dies zu erreichen, ohne die nationale Zuständigkeit für die Gesundheitssysteme anzutasten, be- nötigen wir einen Mix aus gesetzli- chen Vorschriften und darüber hin- ausgehende Maßnahmen“, sagte der Kommissar.Gemeint sind mit Letzterem zum Beispiel Leitlinien, die das Quali- tätsniveau der Versorgung in Europa erhöhen sollen, sowie die finanziel- le Unterstützung von Versorgungs-
maßnahmen mit Mitteln aus den eu- ropäischen Strukturfonds. Noch vor Ende des Jahres will Kyprianou ei- nen Entwurf für ein entsprechendes Gesamtpaket vorlegen, über den dann die EU-Regierungen und das Europäische Parlament (EP) mit zu entscheiden hätten.
Gestärkt sieht sich Kyprianou in seinem Vorhaben auch durch die zahlreichen Zuschriften auf eine Umfrage der Kommission. Von En- de September vergangenen Jahres an hatten sämtliche Akteure aus dem Gesundheitswesen vier Monate lang Gelegenheit, der Brüsseler Behörde ihre Vorstellungen von einem Rege- lungsrahmen für die Gesundheits- dienstleistungen mitzuteilen. Bei der Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz gingen schließlich 276 Antworten von Regierungsstel- len, regionalen Behörden, internatio- nalen Organisationen, Forschungs- einrichtungen, Industrieunternehmen sowie Interessengruppen und Ein- zelpersonen ein.
Das Fazit der Aktion: Rechtliche Vorschriften sind aus Sicht der meisten Teilnehmer grundsätzlich kein Problem – sofern sich diese auf wenige Aspekte beschränken. Somit dürfte einer gesetzlichen Regelung der Kostenerstattung von Auslands- behandlungen im Sinne der Recht- sprechung des Europäischen Ge- richtshofs nichts mehr im Wege ste- hen. Es bliebe allerdings zu klären, ob die Vorschriften in bestehendes europäisches Recht, beispielsweise in die seit 1997 gültige Verordnung zur Koordinierung der Sozialschutz- systeme oder in eine neue, speziell auf die Gesundheitsdienstleistungen zugeschnittene Richtlinie, eingear- beitet werden sollen.
Kyprianou hält sich hier noch be- deckt. „Darüber werden wir in den nächsten Monaten in aller Ruhe nachdenken“, sagte er dem Deut- schen Ärzteblatt. Ebenso wenig will er sich zum jetzigen Zeitpunkt dazu äußern, welche weiteren Aspekte die Kommission rechtsverbindlich re- geln will. Das könnte zum Beispiel für Haftungs- und Schadenersatzfra- gen gelten.
Bei dem Versuch, Haftungsre- geln für Dienstleistungen einzu- führen, hat sich die Kommission al- lerdings schon einmal die Finger verbrannt. Ein Richtlinienentwurf aus dem Jahre 1990 stieß auf derart massive Kritik, dass die Kommissi- on ihn schließlich wieder zurück- zog. Der Protest hatte sich vor allem an dem Vorschlag entzündet, eine Be- weislastumkehr zulasten der Dienst- leistenden einzuführen.
Bei den Akteuren im Gesund- heitswesen gehen die Meinungen hierüber auch noch auseinander. Ei- nige sehen einen gewissen Rege- lungsbedarf; andere wiederum, wie die Bundesärztekammer, die Kassen- ärztliche Bundesvereinigung oder der Bundesverband der Freien Be- rufe, halten die bestehenden rechtli- chen Vorschriften und Möglichkei- ten zur außergerichtlichen Einigung für ausreichend.
Geld aus EU-Töpfen für den Ausbau der Infrastrukturen
Weniger strittig dürfte hingegen der Punkt sein, Mittel aus EU-Töpfen für den Ausbau von Infrastrukturen und die Zusammenarbeit im Ge- sundheitswesen bereitzustellen. Aber auch bei anderen Angelegenheiten ist Fingerspitzengefühl gefragt. Das betrifft beispielsweise Regelungen für die Einrichtung von Zentren zur Behandlung seltener und schwerer Erkrankungen in Europa. Hier se- hen vor allem die Länder die Ge- fahr, dass die EU zu stark in ihre Struktur- und Planungshoheit ein- greifen könnte.Klar ist: Der für Ende des Jahres angekündigte Regelungsvorschlag ist sicherlich nur der erste Schritt zu einem langfristigen und gezielten Ausbau der Gesundheitsversorgung
in Europa. I
Petra Spielberg