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Archiv "Geänderte Indikationen zur Harnableitung" (20.04.2007)

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P

rinzipiell sind radikale Onkochirurgie des Harn- blasenkarzinoms und Harnableitung zwei unab- hängige Maßnahmen, die aber dennoch zwangsweise miteinander verbunden sind. Bei der Tumorbehandlung ist die Frage nach der Art der Harnableitung zunächst sekundär. Sie wird für den Patienten und die ärztliche Indikationsstellung zur Onkochirurgie aber dennoch von höchster Bedeutung. Der Grund für diese unge- wöhnliche Siuation ist die Tatsache, dass in der Vergan- genheit immer das Odium der „verstümmelnden“ Opera- tion die Harnableitung umgeben hat. Das Tragen eines Harnauffangbeutels, ein Stoma, die Abhängigkeit vom Katheterismus, die Angst vor der Leckage, die Infek- tionsgefahr und die hohe Reoperationsrate haben eine

pie gar schlimmer als die Krankheit?“, steht bei der Harnableitung im Raum. Von einer idealen Harnablei- tung sind einwandfreie Kontinenz, der Erhalt der natür- lichen Miktion, ein sicherer, infektfreier oberer Harn- trakt und eine ungestörte Zufriedenheit mit dem Körper- bild („body image“) zu fordern (Kasten 1).

Die Erwartungen an die Harnableitung nach Zystek- tomie haben sich von der einfachen Ableitung ohne Schutz der oberen Harnwege zur anatomischen und funktionellen Wiederherstellung des Harntrakts, die fast dem natürlichen präoperativen Zustand entspricht, ver- ändert. Der Fortschritt verlief über 3 verschiedene Wege: Auf die inkontinente kutane Ableitung (Conduit) folgte die kontinente kutane Ableitung (Pouch) und die ÜBERSICHTSARBEIT

Geänderte Indikationen zur Harnableitung

Teil 6 der Serie zum Harnblasenkarzinom

Richard E. Hautmann, Arnulf Stenzl, Urs E. Studer, Björn G. Volkmer

ZUSAMMENFASSUNG

Einleitung: Die Beratung von Patienten, denen eine Harn- ableitung bevorsteht, soll die größte Sicherheit für die Tumorkontrolle und die wenigsten Komplikationen ge- währleisten. Die Lebensqualität soll möglichst erhalten bleiben. Methoden: Diskussion einer selektiven Literatur- auswahl. Ergebnisse: Von allen Harnableitungsverfahren kommt die Neoblase dem präoperativen Zustand am nächsten. Bei 40 % der Patienten ist die Anlage einer Neoblase aus verschiedenen Gründen nicht möglich. Für 30% der Patienten bleibt ein Conduit die bewährte Harn- ableitungsmethode. Die kontinente Harnableitung mit katheterisierbarem Stoma wird bei 10 % der Patienten durchgeführt. Die Hauptindikation besteht nach Harnröhren- entfernung wegen Krebs. Die Verwendung analsphinkter- kontrollierter Reservoire ist unpopulär. Die Ureter-/Haut- fistel ist erste Wahl für Patienten, die eine Zystektomie tolerieren, denen aber eine Darmresektion nicht zugemutet werden kann. Die perkutane Nephrostomie ist Therapie der Wahl bei Patienten mit kurzer Lebenserwartung und ob- struktivem Nierenversagen aufgrund einer urologischen Erkrankung. Der Doppel-J-Katheter ist bei obstruktivem Nierenversagen und Patienten mit nicht urologischen Beckenmalignomen indiziert. Diskussion: In die Entschei- dung, eine Harnableitung anzulegen, fließen viele Überle- gungen mit ein. Das Für und Wider jeder Behandlung muss mit dem Patienten diskutiert werden.

Dtsch Ärztebl 2007; 104(16): A 1092–7 Schlüsselwörter: Harnableitung, Conduit, Pouch,

Neoblase, palliative Harnableitungen

SUMMARY

METHODS OF URINARY DIVERSION

Introduction: Advice to patients facing a urinary diversion procedure should be directed at maximal tumour control and minimal complications, while aiming for the best possible quality of life. Methods: Selective literature review.

Results: Despite the fact, that a neobladder provides the ideal method of urinary diversion after cystectomy, many patients treated outside of centers that are dedicated to neobladder reconstruction receive an ileal conduit. Despite a strong desire to offer a neobladder whenever possible, 40 % of patients do not qualify. An ileal conduit remains a safe method in 30 %. Continent diversion to the skin generally is the third choice in 10 % of patients. The main indication is when urethral removal is deemed necessary.

The use of rectal reservoirs is becoming less popular.

Tubeless cutaneous uretero-stomy (UCN) is the first choice for patients who can undergo cystectomy but not tolerate urinary diversion using a bowel segment. Percutaneous nephrostomy (PCN) is the first choice for patients with short life expectancy, who develop obstructive renal failure due to cureless malignancy. The Double-J-catheter may be a valuable aid in patients with obstruction outside the pelvic cavity. Discussion: Many factors go into the decision to perform a urinary diversion and must be kept paramount in discussing each method with the patient.

Dtsch Arztebl 2007; 104(16): A 1092–7.

Key words: urinary diversion, conduit, pouch, neobladder, palliative diversions

Universitätsklinikum Ulm, Abteilung für

Urologie und Kinderurologie: Prof.

Dr. med. Dr. med. h.c.

Hautmann; PD Dr.

med. Volkmer Universitätsklinikum Tübingen, Urologische Klinik und Poliklinik Tübingen: Prof. Dr.

med. Stenzl Inselspital Bern, Urologische Univer- sitätsklinik Bern: Prof.

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oblase, orthotope Rekonstruktion). In den letzten 15 Jahren wurde die Neoblase von einer experimentell- chirurgischen Methode zum Standard an urologischen Zentren. Mit der Beratung von Patienten, die nach Zyst- ektomie mit einer Harnableitung konfrontiert werden, will man die Methode herausfinden, die die größte Si- cherheit für die Tumorkontrolle hat, die geringsten Kurz- und Langzeitkomplikationen aufweist, der Le- bensweise des Patienten am besten entgegenkommt und damit seine Lebensqualität am wenigsten stört (1, 2).

Methode

Eine Expertengruppe, ausgewählt von UICC/ICUD/

SIU/EORTC-GU und WHO, analysierte im Rahmen ei- ner Weltkonsensus-Konferenz des Blasenkarzinoms die englische und deutschsprachige Literatur der letzten 25 Jahre zur Harnableitung unter dem Gesichtspunkt evi- denzbasierter Medizin (4). Unter den 453 ausgewählten Arbeiten über die Harnableitung gibt es keine kontrol- lierte prospektive Studie. Das bedeutet: Alle Empfeh- lungen, die man zur Harnableitung derzeit geben kann,

haben einen niedrigen Evidenzlevel (gutklassige retros- pektive Fall-/Kontrollstudien) und der Grad der Emp- fehlung ist meist Grad C (Expert Opinion). Nach Ab- schluss der Konsensusbildung (4) erbat der Vorsitzende des Komitees „Harnableitung“ die Häufigkeitsvertei- lung und Frequenz der Harnableitungen aus den ver- schiedenen Institutionen der Kommissionsmitglieder, um diese als „Expert Opinion“ mit dem Ergebnis der evidenzbasierten Medizin zu vergleichen (Tabelle).

Beides bildet die Grundlage dieser Arbeit.

Ergebnisse

Bei insgesamt 7 687 Zystektomien, die in den Institu- tionen der Kommitteemitglieder ausgeführt wurden, ist die Neoblase mit rund 50 % die häufigste Form der Harnableitung. Sie wird bei beiden Geschlechtern be- vorzugt (1). Das Conduit ist mit 30 % die zweit- häufigste Form der Harnableitung (Tabelle). Anale und kontinente Harnableitungen mit katheterisierbarem Stoma (Pouch) machen zusammen 20 % aus. Diese Häufigkeitsverteilung stimmt bemerkenswert gut mit dem Konsensusergebnis überein. Sie zeigt, dass die Patientenakzeptanz der Harnableitung weltweit sehr ähnlich ist (Kasten 1).

Neoblase/orthotope Rekonstruktion

Bei der Indikation und Patientenselektion zur Harnablei- tung ist ein Paradigmenwechsel eingetreten: 2007 sind zunächst alle Zystektomiepatienten Kandidaten für eine Neoblase, und man muss diejenigen herausfinden, für die eine Neoblase weniger ideal ist (1, 2). Wie die Tabelle zeigt, sind an großen Zentren mindestens 50 % der Patienten dafür geeignet. Eine absolute Kontraindikation für jegliche kontinente Harnableitung sind gestörte Nierenfunktion (Serumkreatinin > 150 bis 200 µmol/L), schwere Leberfunktionsstörungen und intestinale Er- krankungen (4). Eine absolute Kontraindikation für die orthotope Rekonstruktion besteht bei allen Patienten, bei denen eine simultane Urethrektomie durchgeführt wer- den muss. Die Indikation für die totale Urethrektomie si- multan mit der Zystektomie hat sich wesentlich geändert:

TABELLE

Verteilung der Harnableitungsformen in den Kliniken der Teilnehmer des World-Konsensus-Meetings 2004 (4) Anzahl der Zeitraum Neoblase Conduit Anale Harn- Kontinente (Trans-) Andere Zystektomien (Prozent) (Prozent) ableitung kutane Pouches Uretero-Cutaneo-

(Prozent) (Prozent) stomie (Prozent)

Ann Arbor 643 02/95–09/04 45,1 53,5 0,0 1,4 0,0 0,0

Bern 885 04/85–09/04 52,0 41,0 2,0 4,0 1,0 –

Dallas 228 01/99–09/04 30,0 64,0 0,0 6,0 0,0 0,0

Kobe 87 02/89–09/04 46,0 10,3 0,0 2,3 41,4 0,0

Los Angeles 1 359 08/71–12/01 51,6 22,3 0,0 25,8 0,0 0,3

Lund 119 01/00–09/04 28,6 40,3 0,0 31,1 0,0 0,0

Mansoura 3 157 01/80–01/04 39,1 34,4 23,1 3,5 0,0 0,0

Ulm 1 209 01/86–09/04 66,2 22,6 1,5 0,5 8,9 0,4

Gesamt 7 687 48,9 32,7 10,6 7,6 2,0 0,1

KASTEN 1

Harnableitung – Patientenakzeptanz

nniieeddrriigg::

Auffangbeutel Stoma Katheterismus Reoperationsrate Infektion hhoocchh::

ungestörtes „body image“

natürliche Miktion Kontinenz

sicherer oberer Harntrakt

(3)

Beim Mann wurde in der Vergangenheit die Urethrek- tomie bei multifokalem Harnblasenkarzinom, diffusem Carcinoma in situ und Tumorbeteiligung der prostatischen Harnröhre durchgeführt. Heute ist bekannt, dass lediglich die Tumorinvasion des Prostatastromas und ein diffuses Carcinoma in situ der prostatischen Harnröhre primäre Ri- sikofaktoren sind. Auch die bislang übliche präoperative Biopsie der prostatischen Harnröhre ist nicht mehr erfor- derlich. Die Schnellschnittuntersuchung des Resektions- rands der Harnröhre während der Zystektomie entscheidet darüber, ob sie belassen werden kann und die Anlage einer Neoblase möglich ist (4).

Bei der Frau wurde bisher die Harnröhre definitions- gemäß zusammen mit der Harnblase entfernt. Neuere Ar- beiten zeigen, dass eine Tumorbeteiligung der Harnröhre bei Biopsie-bewiesenen Blasenkarzinomen aller Grade und Stadien nach einem mittleren Follow-up von 5,5 Jah- ren nur 2 % beträgt. Heute ist bekannt, dass auch bei der Frau die Harnröhre sicher erhalten werden kann. Es besteht kein Risiko für ein urethrales Rezidiv, wenn das Blasenkarzinom den Blasenhals nicht miterfasst hat (5).

Die Bedeutung von relativen Kontraindikationen und Komorbidität (mentale Störungen, Fehlfunktionen von Sphinkter und Harnröhrenstrikturen) nimmt stetig ab; eine Neoblase ist prinzipiell möglich, es bedarf aber der kriti- schen Abwägung, ob durch das Vorliegen dieser ungünsti- geren Umstände nicht durch eventuell erforderliche Zweit- und Dritteingriffe die Lebensqualität des Patienten mehr gestört wird, als durch den Verzicht auf eine Neobla- se. Voraussetzung für die Anlage einer Neoblase ist der Pa- tientenwunsch. Er muss ausreichend motiviert sein, die möglicherweise auftretenden Unannehmlichkeiten der nächtlichen Inkontinenz zu ertragen. Die meisten Patien- ten akzeptieren diese vorübergehenden Beschwerden für den Vorteil, Katheter und Stoma des Pouches zu vermei- den. Das gilt jedoch nicht für alle Patienten. Realistische Erwartungen über das funktionelle Ergebnis sind sowohl für den Operateur, als auch für die Behandelten essenziell.

Manche Patienten sind mit einem Conduit besser behan- delt als mit einer Neoblase. Argumente von Betroffenen gegen eine Neoblase sind fehlende Motivation („so schnell wie möglich nach Hause“ und „das Leben über- wiegend im Sitzen verbringen“), soziale Isolation und feh- lendes Interesse am „body image“ (2). Die Erfahrungen mit dem orthotopen Blasenersatz lassen onkologische Gesichtspunkte, wie fortgeschrittenes lokales Tumor- stadium, positive, aber resektable Lymphknoten und ei- ne gesteigerte lokale Rezidivrate oder Metastasierungs- wahrscheinlichkeit, nicht mehr als Kontraindikation erscheinen. Es gibt keinen Hinweis, dass Patienten mit einer Neoblase eine adjuvante Chemotherapie schlechter vertragen oder dass ein lokales Rezidiv mit einer Neo- blase schwieriger zu behandeln ist als bei einem Conduit.

Die Behandelten dürfen heute eine normale Neoblasen- funktion erwarten (1).

Eine Kontroverse beim orthotopen Blasenersatz ergab die Frage, ob die Harnleiter-/Darmanastomose refluxiv erfolgen muss (5, 6, 7). Es bestand annähernd Überein- stimmung, dass eine einfache, frei refluxive End-zu-Seit-

Technik der Harnleiter-Neueinpflanzung; Nutzung eines 3 bis 4 cm langen afferenten Darm- segments beidseits und einer einfachen frei refluxiven Ureter-/Darmanastomose

GRAFIK 1

GRAFIK 2

(4)

druckreservoirs – kombiniert mit regelmäßiger Miktion und korrekter Nachbeobachtung – die Methode mit der ge- ringsten Komplikationsrate ist (Grafik 1 und 2). Der po- tenzielle Nutzen einer konventionellen antirefluxiven Harnleiterimplantation in eine Neoblase ist durch eine mindestens doppelt so hohe Reoperationsrate bei ileo- ureteraler Stenose aufgehoben (4). Nach über zehnjähriger Verlaufsbeobachtung von Neoblasen mit einem afferen- tem Schenkel ist bekannt, dass der Verlust an Nierenfunk- tion allenfalls minimal ist (6). Ein engmaschiges Follow- up ist aber in jedem Fall erforderlich, um eine mögliche ileoureterale Stenose mit einem begleitenden Harnwegs- infekt frühestmöglich zu erkennen und zu korrigieren.

Das höchste Risiko einer Nierenfunktionsverschlechte- rung haben die Patienten mit einem vorbestehenden Stau- ungsschaden der Nieren. Patienten mit normaler Darm- und Nierenfunktion und regelmäßigem Follow-up sind über lange Zeit frei von metabolischen Folgeschäden.

Rund 50 % der Patienten werden eine geringe kom- pensierte, symptomlose Azidose entwickeln und bedür- fen einer Bicarbonatsubstitution. Wenn die Bauhinsche

Klappe reseziert wird, werden viele Patienten 3 bis 5 Jah- re nach der Operation eine Vitamin-B-12-Substitution benötigen. (8).

Betrachtet man die Kontinenzergebnisse, muss man Tages- und Nachtkontinenz, sowie Mann und Frau sepa- rat beurteilen. 90 % der Männer erreichen eine perfekte Tageskontinenz und 65 % eine einlagefreie Nachtkonti- nenz (9). Die Wahrscheinlichkeit, dass der Patient den Miktionsvorgang nicht erlernt und den sterilen Einmal- katheterismus ausüben muss, beträgt 10 bis 15 %. Bei den Frauen sind die Kontinenzergebnisse tendenziell besser, die Retentionsrate beträgt aber 30 %. Zystektomie und Harnableitung sind ausgedehnte chirurgische Maß- nahmen. Die frühen und späten Reoperationsraten be- tragen 5 beziehungsweise 15 % (10). Bei den Kompli- kationen dieser Eingriffe unterscheidet man zwischen Früh- (während der ersten 30 Tage) und Spätkomplika- tionen. Außerdem wird unterschieden, ob die Probleme harnableitungsbezogen (Lymphadenektomiefolge) oder nicht (Zystektomiefolge) sind. Kasten 2 zeigt für das je- weilige Harnableitungsverfahren typische Komplika- tionen, die man kennen und diagnostizieren sollte, um nennenswerte Schäden zu vermeiden. Sie alle stel- len Gründe dar, warum Harnableitungspatienten eng- maschig nachbehandelt werden müssen. Die Folgen in Kasten 2 sind nicht nach ihrer Häufigkeit, sondern nach ihrem Risiko für den Patienten ausgewählt. Nur rund ein Drittel der Patienten bleibt ohne jegliche Schwierigkeiten. Ein weiteres Drittel erleidet kleine Komplikationen, die den Krankenhausaufenthalt nicht verlängern. Die anderen Patienten beklagen nennens- werte Symptome.

Neoblase und sexualitäterhaltende Zystektomie Bei dieser Operation werden die Apex der Prostata, die Prostatakapsel, die gesamte Prostata und unter Umständen auch Samenblasen und Ductus deferentes belassen. In den letzten 15 Jahren berichteten weltweit 13 Zentren über Er- fahrungen mit oberflächlichem oder zumindest organbe- grenztem Blasenkarzinom (11). Die lokale Rezidivrate entspricht der nach radikaler Zystektomie. In 6 % der Fälle verbleibt ein Prostatakarzinom (12), und es zeigt sich ein ungewöhnliches Metastasenmuster. Mindestens 5 % der Patienten weisen eine nicht durch das Tumor- stadium erklärte Fernmetastasierung auf (13). Die Ta- geskontinenz entspricht der nach radikaler Zystektomie, die nächtliche Kontinenz ist tendenziell besser, dafür ist aber die Retentionsrate höher. Deutlich günstiger ist aller- dings die Erhaltung der Sexualität im Vergleich zur radi- kalen Zystektomie. Fazit ist wegen der deutlich schlechte- ren onkologischen Ergebnisse, dass diese Operation nicht beim Harnblasenkarzinom, sondern nur bei Zystektomie aus anderer Ursache und bei sehr jungen Männern ange- wendet werden sollte.

Kontinente kutane Harnableitung

Selbst an den großen Zentren, an denen die kontinente kutane Harnableitung einst die Methode der Wahl war (zum Beispiel Los Angeles, Tabelle), wird sie heute deutlich seltener ausgeführt. Weniger als 10 % der KASTEN 2

Typische harn- ableitungsbezogene Spätkomplikationen

N Neeoobbllaassee

>Stenose der ureterointestinalen Anastomose

> metabolische Azidose

> Ruptur

> Mucustamponade

> Harnwegsinfektion

> Harnverhalt/Restharn K

Koonnttiinneennttee kkuuttaannee HHaarrnnaabblleeiittuunngg

> Steinbildung (Stapler)

> Harnwegsinfektion/Azidose

> parastomale Hernie

> Stomastenose

> Nippelfehlfunktion C

Coonndduuiitt

> parastomale Hernie

> Stomastenose

> Harnwegsinfektion

> Nierenfunktionsverlust A

Annaallee HHaarrnnaabblleeiittuunngg

> Karzinogenese

> Harnwegsinfektion

> Inkontinenz

> Reflux

> ureterokolische Stenose

> metabolische Azidose

(5)

Patienten erhalten diese Form der Behandlung. Dies betrifft ausschließlich die Harnableitung beim Bla- senkarzinom. Beruht die Indikation auf anderen Diagnosen, wie zum Beispiel neurogene Blase (Mye- lomeningocele), Harninkontinenz (Hypospadie/Ek- strophie, Urethraverlust der Frau et cetera) sowie kom- binierten Blasen-/Sphinkterdysfuntionen (radiogen, interstitielle Zystitis), ist die Indikation zur kontinen- ten kutanen Harnableitung anders zu stellen. Sie wird beim Blasenkarzinom hauptsächlich gestellt, wenn gleichzeitig mit der Zystektomie die Harnröhre wegen eines erhöhten urethralen Rezidivrisikos entfernt wer- den muss.

Gelegentlich verlangen Patienten eine kontinente Harnableitung, weil sie das Risiko einer Urinleckage der Neoblase fürchten. Auf der Konsensuskonferenz wurde einstimmig beschlossen, dass das entscheiden- de Element eines katheterisierbaren Pouches, der Inva- ginationsnippel, als überholte Operation angesehen wird. Es wird empfohlen, als Kontinenzorgan für einen katheterisierbaren Pouch, ein Appendix-Stoma oder ein entsprechend verschmälertes und gestapeltes Ileumsegment zu verwenden. Funktionssicherheit, metabolische Sicherheit und Komplikationsrate des katheterisierbaren Pouches entsprechen dem orthoto- pen Blasenersatz. Die Reoperationsrate ist jedoch vor allem bei Verwendung invaginierter Nippel noch deut- lich höher (14, 15, 16).

Inkontinente kutane Harnableitung

Das Ileumconduit wurde 1950 von Bricker (17) be- schrieben und ist seitdem die Standard-Harnableitung, an der alle anderen Verfahren gemessen werden müs- sen. Es gibt immer noch eine nennenswerte Zahl von Patienten, denen mit einem Conduit besser geholfen ist, als mit jeder anderen Form der Harnableitung.

Trotz des Wunsches, dem Patienten die orthotope Re- konstruktion anzubieten, findet man auch an großen Zentren (Tabelle) immer noch ein Drittel der Patienten, die eine Harnableitung benötigen und für die ein Conduit eine sichere und vollkommen ausreichende Methode darstellt. Deswegen muss man mit dem Pati- enten und seiner Familie Pro und Contra jedes Harn- ableitungsverfahrens diskutieren. Die Anlage eines Conduits ist technisch einfacher als eine kontinente Rekonstruktion. Dennoch sind sowohl die Früh- als auch die Spätkomplikationen mindestens genauso häu- fig, wie nach orthotopem Blasenersatz. Einige Lang- zeitstudien zeigen sogar, dass die Komplikationen im Bereich des oberen Harntraktes mit der Länge des Follow-up zunehmen und insgesamt deutlich häufi- ger sind, als bei anderen Harnableitungsverfahren (18). Wie bei allen Harnableitungsverfahren ist eine lebenslange Nachbehandlung nötig. Auf die Kontrol- le durch einen Stomatherapeuten und auf eine regel- mäßige Nachsorge muss besonders hingewiesen werden. Für Länder der Dritten Welt stellt dieses Ver- fahren wegen der Stomaproblematik, insbesondere auch der Kosten für den Auffangbeutel, ein unüber-

Anale Harnableitungen

Theoretisch haben diese Methoden vor allen Dingen im Vergleich mit einem Conduit Vorteile:

>willkürliche Kontrolle der Miktion

>Vermeidung eines externen Stomas und seiner Komplikationen

>kein Auffangbeutel

>kürzere Operationsdauer

>einfachere Operationstechnik

>bessere Patientenakzeptanz.

Obwohl die frühere Morbidität und Mortalität nach der analen Harnableitung beträchtlich reduziert wurden, blei- ben einige Komplikationen weiterhin problematisch: ins- besondere die komplexe Metabolik, das Karzinomrisiko im Bereich der ureterocolischen Anastomose, das Infek- tionsrisiko und der Kontinenzverlust mit zunehmendem Alter (4). Wie die Tabelle zeigt, führen die meisten Zen- tren keine anale Harnableitung durch. Dieser Trend wird durch den verstärkten Einsatz der orthotopen Reservoire bei Mann und Frau, der Verfügbarkeit von kontinen- ten kutanen Reservoiren sowie aus emotionalen Gründen noch verstärkt. Als Nachfolgeoperation der Ureterosigmoidostomie steht der Mainz Pouch II auch bei Indikationen zur Harnableitung außerhalb des Blasenkarzinoms zur Verfügung (19, 20), zum Beispiel beim fehlgeschlagenen Ekstrophieverschluss.

Palliative Harnableitungen

Eine stentlose Ureter-/Hautfistel ist immer noch erste Wahl für Patienten, die eine Zystektomie tolerieren, aber denen keine Harnableitung unter Verwendung von Darm- segmenten zugemutet werden kann. Die Ureter-/Haut- fistel wurde wegen ihrer hohen Komplikationsrate, hauptsächlich Stomastenose und Harnwegsinfektion, fast nicht mehr durchgeführt. Dennoch haben verschiedene Verbesserungen in der chirurgischen Technik und Fort- schritte der laparoskopischen Operationstechnik sie bei Blasenkarzinompatienten unter bestimmten Vorausset- zungen wieder zu einer Behandlungsmöglichkeit werden lassen (4). Man muss bedenken, dass die Prognose eines inoperablen Blasentumorpatienten, der eine palliative Harnableitung benötigt, weit schlechter ist als die eines Prostatakarzinompatienten oder bei Patientinnen mit gynäkologischen Tumoren. In diesem Sinne ist die perku- tane Nephrostomie bei fortgeschrittenen Blasentumorpa- tienten eine realistische Harnableitungsoption. Sie ist die erste Wahl bei Patienten mit kurzer Lebenserwartung, die auf der Basis eines unheilbaren Malignoms ein obstrukti- ves Nierenversagen entwickeln. Ein Doppel-J-Katheter ist eine Alternative bei obstruktivem Nierenversagen bei Pa- tienten mit nicht urologischen Beckentumoren, wie zum Beispiel einem Zervixkarzinom (4).

Ausblick

Prothetische Organe werden in vielen Teilen des mensch- lichen Körpers eingesetzt. Wenn ein komplexes Organ wie das Herz durch eine mechanische Pumpe ersetzt werden kann, sollte man annehmen, dass ein simples biologisches Reservoir wie die Harnblase problemlos mechanisch ver-

(6)

Jahren ist dieses Ziel noch immer nicht erreicht. Auch die funktionelle Rekonstruktion mit den Möglichkeiten des Tissue Engeneering ist über eine Vergrößerung der Blase bislang nicht hinaus gekommen. Die Transplantation der Harnblase ist prinzipiell möglich, befindet sich aber noch im tierexperimentellen Stadium.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass kein Interessenkonflikt im Sinne der Richtlinien des In- ternational Committee of Medical Journal Editors besteht.

Manuskriptdaten

eingereicht: 17. 1. 2006, revidierte Fassung angenommen: 6. 7. 2006

Danksagung

UICC/SIU/ICUD/EORTC-GU/WHO-Consensus Conference on Bladder Cancer 2004:

Urinary Diversion; Richard E. Hautmann (Urologische Universitätsklinik Ulm, Deutschland); Hassan Abol-Enein (Department of Urology, Urology-Nephrology Center, Mansoura, Egypt); Khaled Hafez (Section of Urology, University of Michi- gan, Ann Arbor, Michigan, USA); Isao Hara (Department of Urology, Kobe University School of Medicine, Kobe, Japan); Wiking Mansson (Department of Urology, Uni- versity Hospital Lund, Lund, Schweden); Robert D. Mills (Department of Urology, Norfolk and Norwich University Hospital, Norwich, United Kingdom); James D.

Montie (Section of Urology, University of Michigan, Ann Arbor, Michigan, USA); Ar- thur I. Sagalowsky (Department of Urology, UT Southwestern Medical Center, Dal- las, Texas, USA); John P. Stein (Norris Comprehensive Cancer Center, USC, Los An- geles, California, USA); Arnulf Stenzl (Universitätsklinik für Urologie, Tübingen, Deutschland); Urs E. Studer (Department of Urology, University of Bern, Switzer- land); Björn G. Volkmer (Urologische Universitätsklinik Ulm, Deutschland)

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Anschrift für die Verfasser

Dr. med. Dr. med. h.c. Richard E. Hautmann Urologische Universitätsklinik Abteilung für Urologie und Kinderurologie Prittwitzstraße 43, 89075 Ulm

E-Mail: richard.hautmann@uniklinik-ulm.de

The English version of this article is available online:

www.aerzteblatt.de/english

@

Berichtigung

In dem Artikel „Diagnostik und Therapie des nicht invasiven Harnblasenkarzinoms“ von vom Dorp et al. in Heft 12/2007 wurde in Grafik 1 fälschlicher- weise < T1 dargestellt. Korrekt ist > T1. Außerdem wurden die Bildunterschriften von Grafik 2 und Gra- fik 3 versehentlich vertauscht. MWR

Schematische Darstellung der Diagnostik des nichtinvasiven und fortgeschrittenen Harnblasenkarzinoms

GRAFIK 1

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