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Archiv "Datennutzung und Datenschutz in der Krankenversicherung" (28.05.1982)

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Nachbehandelnde oder Konsilia- rien an der Diagnostik oder Thera- pie des betreffenden Patienten be- teiligt sind. Klinische, röntgenolo- gische oder pathologisch-anatomi- sche Konferenzen und Demonstra- tionen sind erlaubt, sollten aber nach vorheriger Absprache der beteiligten Ärzte ohne Namens- nennung des Patienten während der Konferenz oder Demonstration erfolgen."

Krebsregister: Unter ärztlicher Leitung

❑ „Der 85. Deutsche Ärztetag hat beschlossen, darauf hinzuwirken, daß sämtliche zur Forschung erfor- derlichen medizinischen Register, z. B. Krebsregister, unter verant- wortlicher ärztlicher Leitung ste- hen müssen."

Mitteilungspflicht bei Kindesmißhandlungen

❑ „Dem behandelnden Arzt muß es nach Abwägung der jeweiligen Situation erlaubt sein, den erwie- senen Tatbestand einer Kindes- mißhandlung den Strafverfol- gungs- oder anderen zuständigen Behörden (Sozialfürsorge etc.) mitzuteilen. Der Schutz des Le- bens ist das höherwertige Rechts- gut gegenüber der ärztlichen Schweigepflicht."

Datenschutz und Praxisaufzeichnungen

❑ „Der Vorstand der Bundesärz- tekammer wird beauftragt, mit den Ärztekammern eine praktika- ble Regelung, die den Gesetzen und den Berufsordnungen gerecht wird, zur Frage des Verbleibs ärzt- licher Aufzeichnungen, die bei Praxisauflösung nicht einem Kol- legen oder einem sonst Befugten übergeben werden können, zu er- arbeiten."

Die Schweigepflicht des Arztes stellt eine der wesentlichen Kom- ponenten des Arzt-Patienten-Ver- hältnisses dar. In dem Maße, wie automatisierte Datenverarbeitung auch in der Medizin Einzug hält, eröffnen sich auch zahlreiche Möglichkeiten, personenbezoge- ne Daten mißbräuchlich zu ver- wenden. Andererseits kann sich auch der praktisch tätige Arzt den Forderungen nach mehr Effizienz und Transparenz im Gesundheits- wesen nicht entziehen.

Datennutzung und Datenschutz befinden sich in einem komplizier- ten und für den medizinischen Laien kaum mehr durchschauba- ren Spannungsfeld: Die im Sozial- bereich erfaßten und verarbeiteten Daten sind besonders sensibel.

Bei medizinischen Daten, und das ist unumstritten, muß ein beson- derer Schutz gewährleistet sein.

So gesehen ist die ärztliche Schweigepflicht ein Recht zugun- sten des Patienten, das mit dem grundgesetzlich garantierten Per- sönlichkeitsrecht korrespondiert.

Auf das wachsende Spannungs- feld zwischen Datennutzung und Datenschutz in der Krankenversi- cherung hingewiesen zu haben, ist das Verdienst des intensiven, engagierten Meinungsaustauschs zwischen Experten aus Wissen- schaft, Politik, Sprechern der ge- setzlichen Krankenversicherung und im Dialog mit den gewählten Vertretern der ärztlichen Selbst- verwaltung —so geschehen und an die Öffentlichkeit gerichtet wäh- rend der Öffentlichen Veranstal- tung anläßlich der Vertreterver-

sammlung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) am Nachmittag des 11. Mai, am Vor- tag der Eröffnung und der Plenar- beratungen des 85. Deutschen Ärztetages. Das Thema der KBV- Veranstaltung war sinnvoll mit dem Tagesordnungspunkt 1 des Ärztetages abgestimmt worden, der „Ärztliche Schweigepflicht und Probleme des Datenschut- zes" grundsätzlich behandelte.

Es ist das Verdienst der intensiven Diskussion beider ärztlichen Spit- zengremien, die Beteiligten am Gesundheitswesen auf die neural- gischen Punkte dieses Problem- komplexes hingewiesen zu haben und die ärztlichen Kollegen in Wis- senschaft und Praxis noch mehr für einen vitalen Berührungspunkt der ärztlichen Berufsausübung zu interessieren und zu sensibilisie- ren, um im Interesse des Patienten und unter Abwägung von Nutzen und Risiken einer intensivierten Datenverarbeitung einen mög- lichst breiten innerärztlichen Grundkonsensus bei den Grund- anliegen der sowohl Arzt wie Pa- tienten berührenden Fragen zu er- zielen. In der Tat haben die Dis- kussionen gezeigt, daß zwar noch manche Mängel und Lücken vor- handen sind, dennoch Chancen bestehen, Regelungen zu finden, die den berechtigten Forderungen nach Schutz von Patientendaten und Wahrung der Verschwiegen- heitsverpflichtung des Arztes nachkommen, ohne die gleicher- maßen notwendige Erhöhung der Effizienz der Forschung im Ge- sundheitswesen zu beeinträch- tigen.

Öffentliche Veranstaltung der Kassenärztlichen Bundesvereinigung

Datennutzung und Datenschutz in der Krankenversicherung

Experten

zeigen sich um eine Entschärfung des Interessenkonfliktes bemüht

40 Heft 21 vom 28. Mai 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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Nachholbedarf im Sozialbereich Der Bundesbeauftragte für den Datenschutz, Prof. Hans-Peter Bull (Sonn), konstatierte vor der KBV-Vertreterversammlung: Wäh- rend sich der Datenschutz bei den Sicherheitsbehörden allmählich durchsetzt, bereitet dies im Be- reich des Sozialleistungsgesche- hens noch manche Schwierigkei- ten, hier das notwendige Ver- ständnis und die Einsicht zu ge- winnen.

~ Bull trat einem viel verbreiteten Mißverständnis entgegen: Der Da- tenschutz will die Sozial- und Ge- sundheitspolitik nicht unterord- nen, sondern er muß vielmehr in die Zielsetzung der Sozial- und Gesundheitspolitik einbezogen werden. Bei allem Forschungsei- fer und Tatendrang der Experten in der Sozialverwaltung sollte nach Überzeugung des "obersten Datenschützers" der dienende, soziotechnisbhe Charakter des Datenschutzes nicht außer acht gelassen werden.

Auch diese These war bei dem Dis- kussionsforum der KBV während der Ärztetagswoche in Münster unumstritten: Ohne die vielfältige Nutzung von medizinischen Daten wäre ein modernes Gesundheits- wesen kaum denkbar. Sie fördern durch statistische Auswertungen eine zunehmend aktive Rolle der Krankenkassen bei der Gesund- heitsvorsorge und Krankheitsfrüh- erkennung, so interpretierte der ehemalige Parlamentarische Staatssekretär des Bundesmini- steriums für Arbeit und Sozialord- nung, Hermann Buschfort, MdB, eine Zeiterscheinung, die Kran- kenkassen wie Ärzteschaft glei- chermaßen zum Umdenken her- ausfordert. Und die Krankenkas- sen fühlen sich durch viele gesetz- liche "Ermächtigungen" dazu er- muntert, aus ihrer Rolle von reinen Verwaltungs-, Abrechnungs- und Leistungsstellen zunehmend in die "aktive" Rolle des Gestalters und Kontrolleurs des Gesund- heitsgeschahans überwechseln zu sollen. Die immer raffinierter aus-

Datenschutz in der Krankenversicherung

geklügelten Einsatz- und Spiel- möglichkeiten der Datenverarbei- tung (EDV) fördern mit Hilfe stati- stischer Auswertungen diese zu- nehmend "aktive" Rolle der Kran- kenkassen. Sie ermöglichen, so wird vielfach vorgegeben, daß vor- handene Ressourcen wirtschaft- lich und wirksam für die Gesund- heitspolitik eingesetzt werden könnten (so Buschfort).

Gerade diese notwendige intensi- ve Nutzung der Daten erfordert ei- nen sensiblen Datenschutz. Nie- mand wünscht sich den "gläser- nen Menschen" oder das "gläser- ne Sprechzimmer". Deswegen werde seit langem in den verschie- denen Einrichtungen der sozialen Sicherung, insbesondere auch in der Krankenversicherung, der Da- tenschutz respektiert und prakti- ziert. So jedenfalls lauteten die übereinstimmenden Bekundun- gen des SPD-Bundestagsabgeord- neten Buschfort und des Ge- schäftsführers des Bu ndesverban- des der Ortskrankenkassen (BdO}, Dr. Franz Josef Oldiges (Sonn-Bad Godesberg).

Der Datenschutz und die ärztliche Schweigepflicht haben insoweit eine neue Bedeutung erlangt, als mit der Einführung der Daten- schutzbestimmungen im Sozialge- setzbuch (Zehntes Buch, § 65 ff.;

zum 1. Januar 1981 in Kraft getre- ten) und mit den seit 1977 gelten- den Bestimmungen des Bun- desdatenschutzgesetzes (BDSG) neue gesetzliche Vorschriften ge- schaffen wurden. Aber auch klas- sische Vorschriften für die ärztli- che Schweigepflicht wie etwa

§ 203 Strafgesetzbuch (StGB) und die Berufsordnungen beinhalten zentrale Regelungen zur Ein- schränkung der Offenbarungsbe- fugnis bei besonders schutzwürdi- gen personenbezogenen Daten.

Die Diskussion in Münster hat er- neut die divergierenden Interes- sen evident werden lassen: Einer- seits gibt es Bestrebungen, das Datennetz noch enger zu knüpfen und für vielfältige Zwecke, etwa die Forschung oder die "Kosten-

dämpfung", dienstbar zu machen. Andererseits gibt es eine zuneh- mende und auch von Kassenex- perten mitgetragene (zumindest verbale} Übereinkunft, das Infor- mationsnetz nur auf das Notwen- digste zu beschränken.

Wird der Körper des Patienten sozialpflichtig?

Ein Schlaglicht auf Rivalität und Tendenzen warf Privatdozent Dr.

med. Friedrich Wilhelm Schwartz, Geschäftsführer des Zentralinsti- tuts für die kassenärztliche Ver- sorgung (ZI), Köln:

Eine Reihe Projekte ließe erken-

nen, daß die Privatsphäre des Pa-

tienten eines Tages "grenzenlos sozialpflichtig" gemacht werden könne. So habe das iunächst im verborgenen betriebene, jetzt in die Schußlinie der öffentlichen Kritik geratene Projekt eines "Da- tenkatalogs zum Mitgliederver- zeichnis" der gesetzlichen Kran- kenkassen, das vom Bundesar- beitsministerium unbeirrt weiter- verfolgt wird und mit Hilfe einer Rechtsverordnung die bisher größte einheitliche personenbezo- gene Datensammlung in der Bun- desrepublik Deutschland begrün- den würde, den Eindruck ver- stärkt, als übten sich der Staat oder andere politische Mächte beim Erfassen des Krankheitsge- schehens der Bürger am wenig- sten in schottischer Abstinenz.

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Weit über den zulässigen Rah-

men des SGB sollen in diesem

"Zukunfts-Projekt" zur Disposi- tion stehen: Details der Sozialge- richtsverfahren des Kassenmit- glieds, Arbeitsunfähigkeitsfälle einschließlich der Diagnosen, aller Heilverfahren einschließlich Dia- gnosen, die Maßnahmen zur Früh- erkennung von Krankheiten, alle sonstigen ambulanten Behandlun- gen einschließlich Diagnosen und der behandelnden und überwei- senden Ärzte, desgleichen aller zahnärztlichen Behandlungen, al- ler verordneten Arzneien-, Ver- band-, Heil- und Hilfsmittel, aller Ausgabe A/8 DEUTSCHES ARZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 21 vom 28. Mai 1982 41

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Das Panel bei der KBV-Veranstaltung über Datennutzung und Datenschutz in der Krankenversicherung (v. I. n. r.): Dr. Franz Josef Oldiges, Geschäftsführer des Bundesverbandes der Ortskrankenkassen; Hermann Buschfort, MdB (ehemaliger Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesarbeitsministerium); Privatdozent Dr.

med. Friedrich Wilhelm Schwartz, Geschäftsführer des Zentralinstituts für die kas- senärztliche Versorgung (ZI); Dr. med. Otfrid Schaefer, der als Moderator fungierte;

Prof. Dr. Hans-Peter Bull, Bundesbeauftragter für den Datenschutz Behandlungen in Kur- oder Spe-

zialeinrichtungen oder alle Fälle von häuslicher Krankenpflege, je- weils einschließlich der Diagnosen und der behandelnden Ärzte.

Ein solches multifunktionales wie die finanziellen und personellen Kapazitäten der Krankenkassen weithin überforderndes Verzeich- nis muß aufhorchen lassen, sagte Schwartz, zumal es mit einer ver- harmlosenden, irreführenden Eti- kette bezeichnet werde. Das Mit- gliederverzeichnis sei nicht nur ein Leistungs-, sondern auch Dia- gnose- und Arztverzeichnis in Su- performat. Welche ungeahnten Möglichkeiten eines Datenaustau- sches und -verbunds sich auf der Basis eines solchen Verzeichnis- ses eröffnen, kann man sich nur ausmalen. In Münster haben die Sprecher der Kassenärzteschaft — erstmals öffentlich auch in auffälli- gem Gleichklang damit der Orts- krankenkassensprecher Oldiges — das Projekt als überzogen und nicht praktikabel zurückgewiesen.

Die KBV hat zwar frühzeitig gegen die schonungslose Durchleuch- tung der persönlichen Verhältnis- se der Versicherten protestiert und prophylaktisch den Daten- schutzbeauftragten angerufen, doch ist die Ärzteschaft an der Ausgestaltung des Projektes bis- her nicht unmittelbar beteiligt worden.

Herrschaft der Computer?

Auch im Rahmen der regierungs- amtlichen Forschungen „im Dien- ste der Gesundheit" sind zahlrei- che finanziell hochdotierte, aber nichtdestoweniger überflüssige Forschungsprojekte im Gange, die bis hin zum noch sensibleren Be- reich der Psychiatrie die „Herr- schaft der Computer" (Schwartz) erleichtern sollen. Das Fatale an diesem „Übereifer" ist, daß alle Projekte zumeist mit einem (vor- dergründig) positiven, gemein- wohlorientierten Anstrich „ver- kauft" werden. Nur allzu spät kom- men die wahren Zielsetzungen

solcher Projekte ans Tageslicht, und ein Intervenieren gegen hoch- gezüchtete Informationsmanage- mentsysteme im medizinischen Bereich ist meist nur noch palliativ möglich. Dann aber kann die Da- tensammelsucht auch als Vehikel zur Systemveränderung dienen!

Schwartz registrierte eine weitere

„ideelle Entwicklungslinie" der Datenerhebung und der systemati- schen Informationsbatterien, die aus dem technologischen und informationstheoretischen Be- reich kommt und sehr stark von Investitions- und Verkaufsinteres- sen der Datenverarbeitungsher- steller beflügelt wurden. Die Idee der „Verwaltung durch Verda- tung" hat auch längst im Sozialbe- reich Einzug gehalten. Zwar sind manche euphoristisch betriebene Projekte, wie etwa der bundes- einheitliche Versichertenausweis oder die Personenkennziffer, zum Teil ad acta gelegt oder nur mit Abstrichen realisiert worden.

Doch ist nicht zu bestreiten, so führte Schwartz beweiskräftig aus, daß gewissermaßen „subkutane"

Gesetzgebungsmaßnahmen be- reits in den letzten zehn Jahren zu einer erheblichen Vermehrung der Datenbestände in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ge- führt haben. Namentlich erwähnte Schwartz staatlicherseits geför- derte Projekte der AOK Kiel, Rendsburg-Eckernförde, Dort-

mund, Minden-Lübbecke oder et- wa der Betriebskrankenkasse der Chemischen Werke Hüls.

Oftmals werden die Transparenz- Aktivitäten der Krankenkassen als neuer Service angepriesen. Wenn auch der „Transparenzpara- graph" 223 Reichsversicherungs- ordnung (RVO) die Datenüberprü- fung seitens der Kassenverwaltun- gen nur in den „angezeigten Fäl- len" in Zusammenarbeit mit den KVen und den Vertrauensärztli- chen Diensten zulasse, so sei den- noch Skepsis und Wachsamkeit angebracht, ob die Stoßrichtung solcher Untersuchungen noch mit den vorgegebenen formalen Inten- tionen übereinstimme. Vielfach steht der Nutzen großangelegter Datenerfassungen auch in keinem Verhältnis zu den Kosten, wie der Ortskrankenkassensprecher zuge- stehen mußte. Dies hat das vom Bundesarbeitsministerium betrie- bene Modellprojekt „Versicher- tenausweis" ebenso bewiesen wie die bislang nur zaghafte Aus- schöpfung des § 223 RVO.

Mahnungen und Forderungen Aufgrund von einschlägigen Stu- dien, insbesondere zur Verwert- barkeit von Diagnosen in GKV- Routinedaten, hat das Zentralinsti- tut der Kassenärzteschaft eine Reihe von Thesen und empirisch gesicherte Erkenntnisse zutage 42 Heft 21 vom 28. Mai 1972 79. Jahrgang DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Ausgabe A/B

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gefördert, die Schwartz dem Audi- torium in Münster darlegte:

~ Aus informationstheoretischer und epidemiologischer Sicht sind noch viele Probleme, vor allem medizinischer und individueller sozialer Daten, ungelöst oder bis- her unterbewertet: die Vorselek- tion der Informationen, der Kon- textverlust, ihre durch die DV-ge- rechte Umformung bewirkte De- formierung und Verstümmelung, das Altern der Daten angesichts des raschen und ständigen Wan- dels von Krankheit und Behinde- rung.

~ Die Sozialmedizinische und mi- kroökonomische Nutzbarkeit pa- tientenbezogener Individualdaten im Rahmen umfassender GKV-In- formationssysteme wird über- schätzt. Formal geführte Routine- register, die nicht von Ärzten selb- ständig benutzt werden, zeigen meist geringe Qualität und Aktivi- tät. Sie sind wissenschaftlich steril (,, Datenfriedhöfe' ').

~. Deshalb und aus Gründen des Datenschutzes sowie der Wah- rung des Patientengeheimnisses wird eirie angemessene Datenent- haltsamkeit in der Krankenversi- cherung und eine arbeitsteilige Datennutzung durch die ärztli- chen Körperschaften einerseits und die Krankenkassen anderer- seits gefordert.

~ Das neue Datenschutzrecht im Sozialbereich ist intransparent und lückenhaft. Es wird insbeson- dere ein wirksamer Schutz der Pa- tienten vor unberechtigten oder unangemessenen Datenerhebun- gen gefordert, analog der beab- sichtigten Novaliierung zum Bun- desdatenschutzgesetz (seit Ende April 1982 liegt ein Referentenent- wurf aus dem Bundesinnenmini- sterium vor).

~ Die Gefahr eines Datenüberge- wichts bei den Kostenträgern sei nicht von der Hand zu weisen. Trotz der Beteuerungen über die allein wohlwollende Rolle der Ko- stenträger werde viel zu wenig das

Datenschutz in der Krankenversicherung

Schutzinteresse des Sozialbür- gers beachtet. Das Vertrauensver- hältnis zwischen Arzt und Patient dürfe nicht eine "bloße Durch- gangsstraße für die Informations- bedürfnisse der Sozialversiche- rung werden". Der Sozialstaat dürfe den Bürger nicht vor die Al- ternative stellen, auf die Wahrung seiner Geheimnisse oder auf wirk- same Hilfen zu verzichten.

~ Eine "Gewaltenteilung" im Da- tenschutz kann dort eine ange- messene Lösung sein, wo man die Bereitstellung hochempfindlicher Daten dennoch für notwendig hält. Für Prüfungszwecke notwen- dige Daten werden den Kassen keinesfalls vorenthalten, sondern sie werden vielmehr in kollegialen, paritätischen Prüfgremien zur Dis- kussion gestellt. Eine wirksame und angemessene Überwachung des Wirtschaftlichkeitsgebots der RVO bedarf keinesfalls einer Zen- trierung von EDV-verarbeitenden Daten.

~ Die in der parlamentarischen Beratung befindliche Ergänzung des Sozialgesetzbuches mit einer ärztlichen Auskunftspflicht über die Patienten (§ 103 SGB X) ist nach Auffassung der Ärzteschaft in der derzeitigen Fassung zu weitreichend. Die Mehrfachver- wendung medizinischer Daten für verschiedene Begutachtungs- zwecke und ihre zentrale Speiche- rung darf nicht gesetzlich vorge- schrieben werden, wie dies in den geplanten neuen Vorschriften des SGB (§ 102 SGB X) beabsichtigt wird.

~ Die Ärzteschaft ist nicht gegen jedwede Information. Vielmehr be- nötigt gerade der Kassenarzt In- formationen, nicht zuletzt auch zur wirksamen Selbstkontrolle sei- nes Tuns. Hierzu reichen jedoch im allgemeinen anonymisierte Durchschnittswerte im Vergleich zu Kollegen mit ähnlichen Versor- gungsaufgaben völlig aus. Sinn- volle Datenbeschränkung und ar- beitsanteiliger Datenschutz kön- nen auch im Sozialleistungsbe- reich die vielfältigen lnteressenge-

gensätze überbrücken (so ein wei- teres Postulat von Dr. Schwartz).

~ Die Patientenrechte sind im Zuge der Novellierungsabsichten zu den Bestimmungen des Sozial- geheimnisses zu konkretisieren und mit den medizinischen Erfor- dernissen sowie den Obliegen- heitspflichten des Arztes in Ein- klang zu bringen. Eine Datenerhe- bung und Verarbeitung um ihrer selbst Willen geht an diesem Ziel messerscharf vorbei. ln der Güter- abwägung und in der ethischen Selbstverpflichtung, auch im Be- zug auf die Schweigepflicht, müs- se der Arzt stets Verbündeter und sachverständiger lnteressenwah- rer, Anwalt und Vertrauensperson des Patienten, des Kranken und des Mitbürgers sein.

~ Die Patienteninteressen zu schützen, bedeutet aber auch, dem Patienten konkrete Handha- ben zur Durchsatzung seines Rechts (einschließlich einer ver- schuldansunabhängigen Scha- denersatzregelung für materielle und immaterielle Schäden) einzu- räumen.

~ Der Datenschutz darf nicht noch mehr zu einem Problem und Aktionsfeld der Gesetzesmacher und der Spezialisten werden. Eine angemessene öffentliche und poli- tische Diskussion der Datennut- zung und Datengrenzen in der GKV und der dadurch berühmten Versichertenrechte und Struktur- veränderungen ist dringend not- wendig (Schwartz).

Auch Krankenkassen wollen "abschwören"

Während der Bundesbeauftragte für Datenschutz, Professor Bull, schon von Amts wegen darauf be- dacht ist (und in Münster diese Absichten unterstrich}, daß die Pa- tienteninteressen durch einen wirksamen Datenschutz gewahrt werden, war der Sprecher der Ortskrankenkassen sichtlich be- müht, einen Interessengleichklang auch der Krankenversicherungs- Ausgabe A/B DEUTSCHES ARZTEBLATT 79. Jahrgang Heft 21. vom 28. Mai 1982 43

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träger herzustellen. Die Thesen des BdO-Geschäftsfü h rers lauten:

"Die Krankenkassen bejahen den Datenschutz, vor allem die Rege- lungen zum Sozialgeheimnis und unternehmen alles, daß die rechtli- chen Vorschriften strikt eingehal- ten werden und die notwendigen organisatorischen Maßnahmen getroffen werden, um die Daten zu sichern und einen Mißbrauch zu vermeiden."

Bestrebungen einzelner Kassen müßten sorgsam beobachtet und stets daraufhin abgeklopft wer- den, ob der Datenschutz hinrei- chend gesichert ist. Der Vertrau- ensschutz müsse auch zuneh- mend zu einem" Gütesiegel für die Krankenkassen" werden.

Jede Offenbarung muß sich aus der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben ableiten und darf das Maß des hierzu Erforderlichen nicht überschreiten. Die Kranken- kassen legen nach eigenen Be- kundungen die Vo~schrift des So- zialgesetzbuches zur Offenbarung a" Außenstehende eng aus. Dies gelte insbesondere für medizini- sche Daten, die die Krankenkas- sen aufgrund von Arztinformatio- nen erhalten haben. Diese dürften nur im Rahmen der gesetzlichen Aufgabenerfüllung unter densel- ben Voraussetzungen weitergege- ben werden, wie sie für den Arzt selbst gelten.

Ein Mindestfundus an Daten und eine genaue Kenntnis der Krank- heitsdatenbestände sei für Versi- cherungen ebenso notwendig, wie sie die Grundvoraussetzung für das Einzelleistungsvergütungssy- stem darstellen. Die Überprüfung der befugten Leistungsinan- spruchnahme sei ein Gebot einer sparsam arbeitenden Solidarge- meinschaft.

..,.. Auch bei selektiver Verfügbar- keit und wachsenden Nutzungs- möglichkeiten der EDV dürfe der Datenschutz das Gleichgewicht der Informationen zwischen Kran- kenkassen und Ärzten nicht ver- schieben.

Das Mitgliedschaftsverzeichnis der Krankenkassen (§ 319 a RVO) sei nicht unproblematisch, da mit Hilfe von arzt- und patientenbezo- genen Daten ein Langzeitprofil der Behandlung und der Persönlich- keit des Patienten erstellt werden könne. Dies sei nicht im Interesse der Krankenkassen, und sie hätten sich ebenso wie die Kassenärzte- schaft gegen ein solches Projekt ausgesprochen.

Das Interesse der Krankenkassen, die Inanspruchnahme von Lei- stungen in "angezeigten Fällen"

zu überprüfen und sowohl den Arzt als auch den Versicherten über die Kosten zu unterrichten, dürfe nicht in Frage gestellt wer- den. Andererseits dürften die Pra- xiscomputer nicht so ausgespielt und programmiert werden, daß bei Eingabe von Diagnosen das "je- weilige Maximum an Gebührenpo- sitionen ermittelt und der jeweilige Abstand vom Falldurchschnitt si- gnalisiert" wird.

Die Krankenkassen widersetzen sich allen Bestrebungen, die die EDV nicht am medizinischen Be- darf orientieren, sondern vorder- gründig "das vergütungsmäßige Maximum" ermitteln wollen (eine überspitzte These des Ortskran- kenkassen-Mannes, die prompt auf Protest der ärztlichen Dele- gierten stieß).

Die Krankenkassen lehnen es ab, zentrale Sozialdatenbanken auf- zubauen und peffionenbezogene Informationen weiterzuleiten. Ein Übermaß an Datenerfassung ebenso wie die Zentrierung von Daten sei abträglich und nicht mit dem Auftrag der Krankenversiche- rung vereinbar.

Das Bewußtsein für die politische Dimension schärfen

Als Fazit der Referate, Diskussio- nen und sachkundigen Beratun- gen bei der Sitzung der KBV-Ver- treterversammlung bleibt festzu- halten:

• Der Datenfundus im medizini- schen Bereich wächst stetig, und die Gefahren des Mißbrauchs und Unterlaufens der ärztlichen Schweigepflicht steigen mit Ein- satz automatisierter Datenverar- beitungsmöglichkeiten exponen- tiell.

• Gefahrenmomente einer frak- tionierten Datenherrschaft beste- hen bereits bei einer unkontrollier- ten und unmotivierten Daten- sammlung und -erfassung.

• Das Bewußtsein in der Ärzte- schaft wie in der Öffentlichkeit muß weiter geschärft bleiben für die Probleme, die sich, offenbar von vielen unbemerkt (!), im So- zialbereich aufgetan haben.

Information ist

Beherrschungsmöglichkeit ...

Dem Moderator des KBV-Panels, dem Kasseler Internisten und me- dizinischen Informatiker Dr. Otfrid P. Schaefer, blieb es vorbehalten, mit einem treffenden Zitat des Re- gensbu rger Datenschutzexperten ' und Rechtsinformatikers Profes-

sor Dr. jur. Werner Steinmüller die politische Dimension des Themas aufzuzeigen:

"Information ist Beherrschungs-

möglichkeit. Potentielle Herr- schaft über andere und Technik- gestützte Informationssysteme sind potenzierte Beherrschungs- möglichkeiten. Sie läßt sich tech- nisch-industriell vervielfältigen. Wenn also Informationssysteme oder ein Ensemble von Informa- tionssystemen so strukturiert sind, daß der Bürger mangels Möglich- keit der Strukturkenntnis seine in- dividuellen und parlamentari- schen Rechte nicht mehr wahr- nehmen kann, dann ist die von der Verfassung gezogene Grenze er- reicht, wo das System beziehungs- weise die in ihm stattfindende Da- tenerhebung verfassungswidrig wird: Eine Grundrechtsausübung durch den mündigen Bürger (sei es eine Person, sei es in Stellver- tretung durch die Legislative) ist dann nicht mehr möglich." HC 44 Heft 21 vom 28. Mai 1982 79. Jahrgang DEUTSCHES ARZTEBLATT Ausgabe AlB

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