Deutsches Ärzteblatt½½½½Jg. 98½½½½Heft 24½½½½15. Juni 2001 AA1577
S E I T E E I N S
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undesgesundheitsministerin Ul- la Schmidt ist weiterhin über- zeugt, die Beitragssätze zur Ge- setzlichen Krankenversicherung (GKV) stabil halten zu können.Wie die Ministerin dies schaffen will, bleibt ihr Geheimnis. Die jüngsten Ausgabenzuwächse bei den Arzneimitteln soll die Selbst- verwaltung jedenfalls allein in den Griff bekommen. Ärzte und Kas- sen sind aufgefordert, regionale Ausgabenobergrenzen und arzt- individuelle Richtgrößen zu ver- einbaren. Für den Fall, dass dies nicht gelingt, müssten Budgets und Regressforderungen wieder in Kraft treten, hat die gesundheitspoliti- sche Sprecherin der Grünen, Ka- trin Göring-Eckardt, vorsorglich angekündigt.
Zur langfristigen Finanzierung des Gesundheitssystems äußert sich Ulla Schmidt nur punktuell: Die GKV dürfe nicht auf eine Grund- versorgung reduziert werden, Kas- senpatienten dürften keine thera- peutisch notwendigen Leistungen vorenthalten werden. Für Versi- cherte, die aktiv an Präventions- maßnahmen teilnehmen, sei eine Art Bonussystem vorstellbar. Eine Zusatzversicherung für Risikosport- arten lehnt die Ministerin ab. Ein
„Nein“ kommt auch zum Vorschlag der Union, in der Krankenversiche- rung ähnlich wie bei der Rentenver- sicherung ein Element der Privat- vorsorge einzuführen; Krankheit sei im Unterschied zum Eintritt in den Ruhestand nicht vorhersehbar.
Bei der Pflegeversicherung kann
sich Schmidt hingegen durchaus vorstellen, dass ein Teil der Beiträge in einem Kapitalstock angelegt wird.
Auch höhere Beiträge seien hier denkbar.
Kein Verzicht auf Leistungen, kei- ne Erweiterung der Finanzierungs- basis – dies ist offenbar das Signal der Ministerin an den Runden Tisch im Gesundheitswesen, der in Kürze seine Arbeit aufnimmt. Aber wie soll das Expertengremium konstruktive Lösungsvorschläge zur langfristigen Weiterentwicklung des Gesundheits- systems erarbeiten, wenn Ulla Schmidt im Vorfeld solch eng um- rissene Standpunkte vertritt? Es entsteht der Eindruck, dass Schmidt den Runden Tisch einberufen hat, um die Lobbyisten zu beschäftigen und für Ruhe zu sorgen. Jens Flintrop
GKV-Finanzen
Purer Optimismus
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it dem dreifachen Bekenntnis zur historischen Verantwortung – als deutscher Wissenschaftler, als Biowissenschaftler und als Präsident der Max-Planck-Gesellschaft – folge ich der Verpflichtung, die uns die Vergangenheit auferlegt. Daher möchte ich mich für das Leid ent- schuldigen, das den Opfern dieser Verbrechen ... im Namen der Wis- senschaft angetan wurde.“Hubert Markl wird die Rede zur Eröffnung des Symposiums „Bio- wissenschaften und Menschenversu- che an Kaiser-Wilhelm-Instituten – Die Verbindung nach Auschwitz“
nicht leicht gefallen sein. Allzu lange war es die Max-Planck-Gesellschaft (MPG)selbst gewesen, die eine di- rekte Traditionslinie zur Kaiser-Wil-
helm-Gesellschaft von sich wies und die belastende Dokumente in ihren Archiven vor den Augen der Öffent- lichkeit verbarg. Nicht zuletzt die Karriere des Chemie-Nobelpreisträ- gers Adolf Butenandt, Präsident der MPG von 1960 bis 1972, war offen- bar zu eng mit den menschenverach- tenden Forschungen in Kaiser-Wil- helm-Instituten verwoben, als dass von dort Anstöße zur Aufklärung hätten ausgehen können.
Im Jahr 1997 setzte der Präsident der MPG eine unabhängige For- schungskommission ein, um die Ge- schichte der Kaiser-Wilhelm-Gesell- schaft im Nationalsozialismus wis- senschaftlich zu erforschen. Den Mitarbeitern der Kommission wur- de freier Zugang zu allen Akten im
Besitz der MPG gewährt. Ein erster Forschungsschwerpunkt galt der Biomedizin und der rassenbiologi- schen Forschung und Anwendungs- praxis in der NS-Zeit. Die nun vor- liegenden wissenschaftlichen Arbei- ten belegen die geistige Miturheber- schaft und auch aktive Mitwirkung von Direktoren und Mitarbeitern mehrerer biowissenschaftlich ausge- richteter Kaiser-Wilhelm-Institute an den Verbrechen des NS-Regimes (siehe auch DÄ, Heft 19/2001). Für den Historiker Wolfgang Schieder, Köln, zeigt sich hier der „Befund ei- ner enthemmten medizinischen For- schung, die um eines vermeintlich wissenschaftlichen Fortschritts wil- len alle ethischen Maßstäbe aufge- geben hat“. Thomas Gerst