Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 108|
Heft 36|
9. September 2011 A 1859 Programme zu Krebsfrüherken-nungsuntersuchungen werden als sinnvoll erachtet, wenn sie die Ge- samtsterblichkeit oder zumindest die krankheitsspezifische Mortali- tät senken.
Ob der Nutzen von Screenings die Risiken überwiegt, wird für die verschiedenen Tumorentitäten und die für ihre Früherkennung ange- wandten Methoden kontrovers dis- kutiert. Bislang gibt es nur wenige Studien aus dem Bereich der Ver- sorgungsforschung zu der Frage, welche Effekte eine evidenzbasier- te Aufklärung auf Wissen und Ak- zeptanz der Vorsorgeuntersuchun- gen hat.
Eine randomisierte Untersu- chung mit 572 australischen Er- wachsenen niedrigen Bildungs- stands ergab: Die Information über Darmkrebsvorsorge nach dem Stand der wissenschaftlichen Er- kenntnisse erhöht die Fähigkeit, ei- ne informierte Entscheidung über die Inanspruchnahme von Tests auf okkultes Blut im Stuhl zu tref- fen im Vergleich zu Kontrollen, die nur die Standardinformation er- hielten (1). In der Interventions- gruppe war die Bereitschaft zur Teilnahme am Screening geringer als bei den Kontrollen.
Eine Arbeitsgruppe um die Gesundheitswissenschaftlerin Prof.
Dr. med. Ingrid Mühlhauser, Uni- versität Hamburg, hat jetzt die Ef- fekte einer evidenzbasierten Patien- teninformation im Vergleich zur Standardinformation des nationalen Darmkrebsvorsorgeprogramms un- tersucht. 1 577 gesetzlich Versi- cherte (Gmünder Ersatzkasse) im Alter von 50 bis 75 Jahren wurden in zwei Gruppen randomisiert: Die Interventionsgruppe erhielt eine von den Hamburger Forschern ent- wickelte, 38-seitige Broschüre mit evidenzbasierter Information. Darin werden der potenzielle Nutzen und die potenziellen Risiken der Scree- ningmethoden beschrieben, inklu - sive statistischer Daten zur Ver - meidung eines Darmkrebs-Todes- falls unter 1 000 Teilnehmern über
zehn Jahre durch den Okkultbluttest und zu statistischen Risiken der dia - gnostischen Endoskopie (www.ge sundheit.uni-hamburg.de/upload/Alt Darmkrebsinternet.pdf). Eine Kolo- skopie alle zehn Jahre wird alterna- tiv zum Okkultbluttest angeboten oder nach dessen positivem Ergeb- nis. Zusätzlich konnte die Interven- tionsgruppe zwei interaktive Inter- netmodule nutzen. Die Kontroll- gruppe erhielt das Informationsblatt des Gemeinsamen Bundesaus- schusses zur Darmkrebsfrüherken- nung. Es enthält keine quantitativen Angaben über den Nutzen oder die Risiken der Screeningmethoden.
Primärer Endpunkt war die infor- mierte Entscheidung für oder gegen ein Darmkrebsscreening. In diesen Parameter gingen Wissen und Ein- stellung gegenüber der Krebsfrüh- erkennung und die tatsächliche oder geplante Teilnahme am Screening ein. Wissen und Einstellung zum Screening wurden mit Hilfe eines Fragebogens nach sechs Wochen erfasst, die Frage nach der Teilnah- me am Screening sechs Monate nach Einschluss in die Studie.
In der Interventionsgruppe trafen 44 % eine informierte Entschei- dung, in der Vergleichsgruppe 12,8 % (p < 0,001). Gut informiert waren 59,6 % in der Interventions- gruppe und 16,2 % im Vergleichs- arm (p < 0,001). Die positive Ein- stellung zum Screening war in bei- den Gruppen hoch, aber signifikant unterschiedlich: 93,4 % in der Inter- ventions- und 96,5 % in der Kon- trollgruppe (p < 0,01). Im Gegen- satz zur australischen Studie wirkte sich die evidenzbasierte Informa - tion auf die tatsächliche oder ge- plante Teilnahme nicht aus (72,4 % in der Interventions- respektive 72,9 % in der Vergleichsgruppe, p = 0,87).
Fazit: Eine evidenzbasierte Patien- teninformation über Darmkrebs- screening erhöht die Rate derer, die eine informierte Entscheidung tref- fen und verbessert das Wissen. Sie verändert aber nicht die Teilnahme-
rate. „Erfreulich ist, wie leicht das Wissen der Bürger verbessert wer- den kann“, kommentiert Prof. Dr.
med. Bernt-Peter Robra vom Insti- tut für Sozialmedizin und Gesund- heitsökonomie der Universität Magdeburg. „Je weniger dringlich ein medizinischer Eingriff ist, und je mehr Behandlungswege offenste- hen – einschließlich des Abwartens – , desto höher müssen die Anforde- rungen sein, die an eine ausreichen- de Aufklärung des Patienten gestellt werden.“ Nach dieser allgemeinen Regel verlange die Einladung symptomloser Versicherter zur Teil- nahme an einem Krebsfrüherken- nungsprogramm eine besonders gründliche Selbstbestimmungsauf- klärung.
Die Entscheidung zur Teilnahme an einer Krebsfrüherkennungsmaß- nahme gilt deswegen mit Recht als „präferenz-sensitiv“. Offen blei- be, weshalb das neue Wissen Ein- stellungen und Verhalten nicht ver- ändere, kommentiert Robra. Es müsse für Verhaltensänderungen offenbar weitere Determinanten ge- ben. Der Nationale Krebsplan beim Bundesministerium für Gesundheit habe deswegen das undifferenzierte Ziel, die Teilnahme am Krebsfrüh- erkennungsprogramm der gesetzli- chen Krankenversicherung zu stei- gern, bereits modifiziert: Ziel sei es nun, den Anteil derjenigen zu erhö- hen, die in der Lage sind, eine in- formierte Entscheidung für oder gegen die Inanspruchnahme von Krebsfrüherkennungsmaßnahmen zu treffen (3).
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
1. Smith SK, Trevana L, Simpson JM, et al.: A decision aid to support informed choices about bowel cancer screening among adults with low education: a randomised controlled trial. BMJ 2010; 341: c5370.
2. Steckelberg A, Hülfenhaus C, Haastert B, Mühlhauser I: Effect of evidence based risk information on „informed choice“ in colo- rectal cancer screening: randomised con- trolled trial. BMJ 2011; 342: d3193 3. http://www.bmg.bund.de/fileadmin/datei
en/Downloads/K/Krebs/Nationaler_Krebs plan/Ziel_1_Inanspruchnahme_der_Krebs frueherkennung.pdf
DARMKREBSVORSORGEUNTERSUCHUNG