A 1650 Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 111|
Heft 39|
26. September 2014STUDIEN IM FOKUS
Wie wirken sich Betablocker auf das Risiko für MACE (Major Ad- verse Cardiac Events) aus bei Pa- tienten mit ischämischer Herzer- krankung, die an anderen Organen als dem Herzen operiert werden müssen? Der Einfluss der periope- rativen Betablockertherapie auf das Risiko für ischämischen Schlagan- fall, Myokardinfarkt, kardiovasku- lär bedingten Tod und Gesamtsterb- lichkeit (30 Tage nach dem Ein- griff) wurde mit Daten von 28 263 Patienten des nationalen dänischen Gesundheitsregisters untersucht.
28,3 % der Patienten wiesen eine Herzinsuffizienz (HF) auf. Mit ei- nem Betablocker behandelt wurden 53,3 % der Patienten mit und 36,6 % der Patienten ohne HF. Im Gesamtkollektiv ergab sich für die Betablockertherapie eine Hazard Ratio (HR) von 0,90 (95-%-Kon- findenzintervall (KI): 0,79–1,02) für das Auftreten von MACE und für die Gesamtmortalität von 0,95 (0,85–1,06). Bei Patienten mit HF war die Betablockergabe hingegen mit einem signifikant geringeren Risiko für MACE (HR 0,75;
95-%-KI: 0,70–0,87) und auch für die Gesamtmortalität (0,80;
0,70–0,92) assoziiert. Dagegen zeigte sich bei Patienten ohne HF keine signifikante Assoziation zwi- schen der Betablockertherapie und dem Auftreten von MACE (1,11;
0,92–1,33) und der Gesamtmortali- tät (1,15; 0,98–1,35). In der Gruppe der Patienten ohne HF ergab sich jedoch ein vermindertes Risiko bei Patienten, die in den letzten zwei Jahren vor dem Eingriff einen Myo- kardinfarkt erlebt hatten, und zwar für MACE mit einer HR von 0,54 (0,37–0,78) und für die Gesamt- mortalität mit einer HR von 0,80 (0,53–1,21).
Fazit: Die Datenanalyse zeigt, dass Betablocker offensichtlich bei Pa- tienten mit dem höchsten Risiko –
also Patienten mit Herzinsuffizienz und ebenso Patienten nach einem
Myokardinfarkt – die Prognose bes- sern, kommentiert Prof. Dr. med.
Christian Schneider, niedergelasse- ner Facharzt für Kardiologie in Köln, das Studienresultat. Es hat aus seiner Sicht Relevanz für Klinik und Praxis insofern, als die Be- handlung mit einem Betablocker preiswert ist und im Bedarfsfall so- gar noch kurz vor einer Operation begonnen werden kann. Relevant ist laut Schneider auch die Er - kenntnis, dass die Behandlung mit einem Betablocker bei KHK-Pa- tienten mit nicht so ausgeprägtem Risiko im Falle einer OP nicht nachteilig ist und somit fortgeführt werden kann. Christine Vetter Andersson C, et al.: Association of β-Blocker therapy with risks of adverse cardiovascular events and death in patients with ischemic heart disease undergoing noncardiac surgery, JAMA 2014; 174: 336–44.
BETABLOCKER BEI KHK UND NICHTKARDIALER OPERATION
Vorteile bei Herzinsuffizienz- und Postinfarktpatienten
Ob die Gabe von Azithromycin das kardiovaskuläre Risiko der Patien- ten erhöht, wird kontrovers disku- tiert. In einer großen retrospektiven Kohortenstudie wurde untersucht, wie sich die Azithromycinbehand- lung älterer hospitalisierter Patien- ten mit Pneumonie auf Gesamt- sterblichkeit und kardiovaskuläre Ereignisse auswirkte. In der po - pulationsbasierten Kohortenstudie wurden retrospektiv Veterans-Ad- ministration-(VA-)Datenbanken aus- gewertet, und zwar von Patienten ab 65 Jahren, die zwischen Oktober 2001 und September 2012 in einem VA-Krankenhaus wegen Pneumo- nie leitliniengerecht mit einer Anti- biotikakombination behandelt wor- den waren. Ausgeschlossen waren Patienten, die ein anderes Makro- lid als Azithromycin erhielten oder Doxycyclin.
73 690 Patienten in 118 Kliniken erfüllten die Einschlusskriterien, das mittlere Alter betrug 77,8 Jahre.
15,9 % mussten auf Intensivstatio- nen behandelt werden. 38 787 Pa- tienten erhielten eine Antibiotika- kombination mit Azithromycin, 34 903 Patienten eine andere Kom- binationstherapie. Für die Analyse wurden in beiden Gruppen nach Propensity Score Matching je 31 863 Patienten eingeschlossen.
Primärer Endpunkt waren 30- und 90-Tage-Sterblichkeit und die Rate kardiovaskulärer Ereignisse binnen 90 Tagen nach Hospitalisierng.
In den ersten 90 Tagen starben 20 % der Patienten, bei 43 % gab es kardiale Ereignisse wie Herzinfarkt oder Herzrhythmusstörungen. Die 90-Tage-Sterblichkeit in der mit Azithromycin behandelten Gruppe lag bei 17,4 %, bei den nicht mit Azithromycin behandelten Patien- ten bei 22,3 % (Odds Ratio [OR]: 0,73; p < 0,001). Auch die 30-Tage-Sterblichkeit war bei Azi- thromycinbehandlung signifikant niedriger (OR: 0,76) als ohne Azi- AZITHROMYCINTHERAPIE BEI ÄLTEREN PNEUMONIEPATIENTEN
Herzinfarktrate ist leicht erhöht, aber Letalität gesenkt
GRAFIK
Überleben herzinsuffizienter Patienten ohne Major Cardio - vascular Event mit und ohne perioperative Betablockertherapie im Verlauf von 30 Tagen nach nicht-kardialer Operation
MACE-Risiko bei Überleben
Zeit (in Tagen) HR 0,76 (95-%-KI: 0,62–0,92) p = 0,02
1,00
0,95
0,90
0,85
0 5 10 15 20 25 30
modifiziert nach: JAMA 2014; 174: 336–44
− ohne Betablocker
− mit Betablockern
M E D I Z I N R E P O R T
Deutsches Ärzteblatt
|
Jg. 111|
Heft 39|
26. September 2014 A 1651 thromycintherapie. 43,0 % der Azi-thromycinpatienten hatten mindes- tens ein kardiovaskuläres Ereig- nis, ohne Azithromycin waren es 42,7 % (p = 0,38). Das Risiko war damit in beiden Gruppen vergleich- bar, auch für Arrhythmien oder Herzinsuffizienz. Ausnahme war das Myokardinfarktrisiko: Es war unter Azithromycin signifikant er- höht (5,1 % vs. 4,4 %, OR 1,17).
Fazit: Bei älteren Patienten, die we- gen einer Pneumonie mit Azithro- mycin behandelt werden, ist im Vergleich zu anderen Antibiotika das Sterberisiko in den ersten drei Monaten niedriger, das Risiko für einen Myokardinfarkt jedoch leicht erhöht. Dies bedeutet, dass zur Ver- hinderung eines Todesfalles inner- halb von 90 Tagen 21 Patienten be- handeln werden müssen und 144,
um einen Herzinfarkt auszulösen.
Statistisch wird für 7 mit Hilfe der Azithromycintherapie verhinderte Todesfälle ein Herzinfarkt durch Azithromycin in Kauf genommen.
Die 90-Tage-Letalität sei im Kol- lektiv älterer, stationärer Patienten mit ambulant erworbener Pneumo- nie unter antibiotischer Kombinati- onstherapie mit Einschluss von Azithromycin in dieser Studie günstig, kommentiert Prof. Dr.
med. Hartmut Lode, Berlin, das Er- gebnis. Die Verträglichkeit – mehr Myokardinfarkte – müsse im Kon- text zweier weiterer Studien bewer- tet werden: In einer retrospektiven, 2012 von Ray et al. publizierten Studie mit 350 000 Patienten wur- de ein leicht erhöhtes Letalitäts - risiko von Azithromycin versus Amoxicillin gefunden, bei kardio- vaskulären Grunderkrankungen war
es deutlich erhöht (1 : 4 000). In ei- ner sehr großen, 2013 von Svan- ström et al. veröffentlichen däni- schen Studie dagegen habe es bei Patienten zwischen 18 und 64 Jah- ren keine Unterschiede zwischen Azithromycin und Penicillin V in der Letalität gegeben. „Makrolide einschließlich Azithromycin gel- ten in der klinischen Praxis als gut verträglich“, meint Lode. „Aller- dings sollten auf Basis der vorlie- genden Daten die Warnhinweise in der Fachinformation von Azithro- mycin befolgt und Patienten mit QT-Verlängerungen oder anderen ernsthaften kardialen Problemen nicht mit Makroliden behandelt werden.“ Dr. rer. nat. Susanne Heinzl
Mortensen E, et al.: Association of azithromy- cin with mortality and cardiovascular events among older patients hospitalized with pneu- monia. JAMA 2014; 311: 2199–208.
Der Anti-VEGF-Antikörper Beva- cizumab ist in der EU zur Behand- lung von fortgeschrittenen kolorek- talen, Ovarial- und Nierenkarzino- men zugelassen. Fragestellung der GOG-240-Studie, einer vom US- National Cancer Institute geförder- ten Untersuchung der Gynecologic Oncology Group, war, ob die Kom- bination einer Zweifachchemothe- rapie plus Bevacizumab effektiver ist als die jeweiligen Chemothera- pien alleine. 452 Patientinnen mit
rezidiviertem oder metastasiertem Zervixkarzinom wurden in vier Studienarme randomisiert: Cispla- tin (50 mg/m2) plus Paclitaxel (135 oder 175 mg/m2; n = 114), Topote- can (0,75 mg/m2; Tag 1–3) plus Pa- clitaxel (175 mg/m2; n = 111) und in den anderen beiden Gruppen jeweils diese Zweifachchemothera- pien plus Bevacizumab (15 mg/kg;
n = 115 und n = 112). Circa 70 % der Frauen hatten zuvor eine platin- basierte Chemoradiotherapie erhal- ten. 11 % der Gesamtgruppe spra- chen primär nicht ausreichend an, bei 72 % war es zum Rezidiv ge- kommen. Primärer Endpunkt war das mediane Gesamtüberleben. Es betrug 13,3 Monate bei Chemothe- rapien (beide Gruppen gemeinsam) und 17,0 Monate unter der Dreier- kombination (beide Gruppen ge- meinsam; Hazard Ratio [HR]: 0,71;
98-%-Konfidenzintervall [98-%-KI]:
0,54–0,95; p = 0,004). Die häufigs- ten Nebenwirkungen von Bevaci- zumab waren Abgeschlagenheit, Appetitmangel, arterielle Hyper - tonie, Hyperglykämie, Hypomag- nesiämie, Harnwegsinfektionen,
Kopfschmerzen und Gewichtsver- lust. Perforationen des Gastrointes- tinaltrakts sowie enterovaginale Fisteln wurden unter Bevacizumab häufiger beobachtet als unter Che- motherapie alleine.
Fazit: Das Hinzufügen des Angio- genesehemmers Bevacizumab zu einer taxanbasierten Chemothera- pie verlängert Daten einer prospek- tiven, randomisierten Studie zufol- ge bei Frauen mit fortgeschrittenem Zervixkarzinom das Gesamtüberle- ben um median 3,7 Monate, nach Meinung der Studienautoren eine klinisch relevante Verbesserung.
„Die Studie weist erstmals die über- legende Wirksamkeit eines Biologi- cals beim fortgeschrittenen Zervix- karzinom nach“, erläutert Prof. Dr.
med. Wolfgang Janni, Ärztlicher Direktor der Universitätsklinik Ulm. Beim Zervixkarzinom sollte zwar weiterhin die Prävention im Vordergrund stehen. „Für Patientin- nen mit fortgeschrittener Erkran- kung aber könnte dies der Beginn der Weiterentwicklung der Thera- pie sein.“
Dr. rer. nat. Nicola Siegmund-Schultze
Krishnansu S, Tewari MD, Sill MW, et al.: Im- proved survival with bevacizumab in advanced cervical cancer. NEJM 2014; 370: 734–43.
REZIDIVIERTES ZERVIXKARZINOM
Bevacizumabtherapie verlängert medianes Überleben
GRAFIK
Gesamtüberleben von Frauen mit fortgeschrittenem Zervixkarzinom unter Chemotherapie alleine und Chemo - therapie plus Bevacizumab (Bev)
Überlebenswahrscheinlichkeit
Monate seit Randomisierung 1,0
0,8
0,6 0,4 0,2
0
0 6 12 18 24 30 36
− Chemotherapie
− Chemotherapie+Bev HR 0,71 (98 % KI, 0,54–0,95)
modifiziert nach: NEJM 2014; 370: 734–43