DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT Spektrum der Woche Aufsätze • Notizen
THEMEN DER ZEIT:
Sachverständigen- kommission beim
Bundesverkehrsministerium:
Thesen für einen
sozialmedizinischen Dienst
DAS BLAUE PAPIER:
Weiterentwicklung der Krankenversicherung Abschnitt D 7 der
„Gesundheits- und sozial- politischen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft"
BLICK ÜBER DIE GRENZEN:
Brief aus Italien:
Kampf um den freien Beruf
BEKANNTMACHUNGEN:
Kassenärztliche Bundes- vereinigung: Beschluß der ständigen Gebühren- ordnungskommission nach
Leitnummer 62 des Abkommens Ärzte/
Berufsgenossenschaften
Die Sachverständigenkommission zur Weiterentwicklung der sozialen Krankenversicherung beim Bun- desarbeitsministerium hat auf Grund der Vorarbeiten einer Unter- kommission Thesen für einen so- zialmedizinischen Dienst der Trä- ger der Sozialversicherung be- schlossen und Ende Oktober 1974 veröffentlicht. Dem Votum zufolge sollen die gesetzliche Kranken- und Rentenversicherung ein- schließlich der Träger der Alters- hilfe der Landwirte in Zukunft ver- pflichtet werden, in den erforderli- chen Fällen Ansprüche und Lei- stungsvoraussetzungen durch Ärzte des sozialmedizinischen Dienstes beurteilen zu lassen. Eine Begut- achtung durch einen Arzt des so- zialmedizinischen Dienstes ist in vier Fällen vorgesehen:
I> zur Sicherung des Heilerfolges oder
> zur Einleitung von Maßnahmen für die Wiederherstellung der Ar- beitsfähigkeit oder
I> bei Maßnahmen zur Rehabilita- tion oder
> zur Klärung der Fragen der Ar- beits-, der Berufs- und Erwerbsun- fähigkeit.
Auch andere Sozialleistungsträger
— insbesondere die Bundesanstalt für Arbeit — sollen für den notwen- digen sozialmedizinischen Bera- tungs- und Begutachtungsbedarf
den neuzuschaffenden sozialmedi- zinischen Dienst in Anspruch neh- men können.
Im einzelnen werden die Aufgaben des „sozialmedizinischen Dien- stes" in sechs Punkten umrissen:
I> Stellungnahmen über medizini- sche Fragen zur Leistungsgewäh- rung durch einen Sozialleistungs- träger durch Berücksichtigung der Frage, ob nach medizinischen Überlegungen auch andere Sozial- leistungsbereiche zuständig sein könnten;
I> Einrichtung einer Dokumenta- tion, insbesondere im Hinblick auf die nachgehende Beobachtung von Krankheitsverläufen und deren sy- stematische Auswertung;
I> medizinische Leit- und Koordi- nierungsfunktion bei der Rehabili- tation im Zusammenwirken mit dem behandelnden Arzt;
I> Beratung des Arbeitgebers und des Betriebsrates und im Zusam- menhang mit dem Betriebsarzt im Rahmen der gesetzlichen Vor- schriften;
I> Abklärung auffälliger Krank- heitsvorkommen hinsichtlich ihres Zustandekommens sowie Entwick- lung von Vorschlägen für geeigne- te Maßnahmen zu ihrer Beseitigung auf Wunsch beziehungsweise im Einvernehmen mit dem Arbeitge- ber, Betriebsrat und im Zusammen- Sachverständigenkommission beim Bundesarbeitsministerium:
Thesen für einen
sozialmedizinischen Dienst
DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 50 vom 12. Dezember 1974 3629
Spektrum der Woche Aufsätze_· Notizen
Sozialmedizinischer Dienst
wirken mit dem Betriebsarzt, den behandelnden Ärzten und gegebe- nenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigen anderer Berei- che;
[> keine Berechtigung, in die Be-
handlung des Kassenarztes einzu- greifen.
Zur versicherungsrechtlichen Trag- weite der Gutachten des sozialärzt- lichen Dienstes heißt es im Presse- dienst des Bundesarbeitsministe- riums: "Die ärztlichen Stellungnah- men des Sozialmedizinischen Dien- stes haben gutachtlichen und be- ratenden Charakter. Sie sind für den Sozialleistungsträger rechtlich nicht verbindlich. Sie berühren nicht die Verpflichtung der Sozial- leistungsträger zur erschöpfenden Aufklärung des Einzelfalles."
Zwischen gesetzlicher Kranken- und Rentenversicherung sollen Vereinbarungen abgeschlossen werden, deren Ziel es ist, einer- seits den Sozialmedizinischen Dienst einheitlich für das Bundes- gebiet einschließlich West-Berlins zu gestalten, andererseits den Dienst so nah wie möglich an den zu Betreuenden heranzuführen.
Zwischen den Spitzenverbänden der Krankenversicherung und dem Verband Deutscher Rentenversi- cherungsträger (VOR) soll ein spe- zieller Bundesmantelvertrag ge- schlossen werden; Einzelvereinba- rungen sollen den Bundesmantel- vertrag im einzelnen ausfüllen.
Der Bundesmantelvertrag soll die paritätische Sei bstverwaltung durch die Träger der Krankenversi- cherung einerseits und die Träger der Rentenversicherung anderer- seits sicherstellen. Nicht zuletzt soll die verantwortliche Mitwir- kung der betroffenen Arztgruppen, insbesondere der Kassenärztlichen Vereinigungen, der Krankenhaus- ärzte und der Ärzte des Sozialmedi- zinischen Dienstes (etwa in Form eines Fachbeirates) gewährleistet werden. (Vgl. auch DEUTSCHES ÄRZTEBLATT, Heft 2/74; 3/74; 36/74
und 44/74). WZ/DÄ
DAS BLAUE: PAPIER
Weiterentwicklung
der Krankenversicherung
Das Blaue Papier: Abschnitt D 7 der "Gesundheits-
und sozialpolitischen Vorstellungen der deutschen Ärzteschaft"*)
a) Die Bundesregierung hat in dem von ihr vorgelegten Sozialbericht 1973 folgende Leitlinien für den Ausbau des Systems der sozialen Sicherung festgelegt:
[>Verbesserung der sozialen Lei-
stungen, insbesondere für bisher nicht genügend geschützte Perso- nenkreise,
[>Anpassung der sozialen Leistun-
gen an die wirtschaftliche Entwick- lung,
[> Modernisierung des Leistungs- rechts,
[>Ausbau von Vorsorgemaßnah-
men.
Diese Leitlinien werden von der Ärzteschaft auch als Grundsätze für die Weiterentwicklung der ge- setzlichen Krankenversicherung für richtig anerkannt.
Angesichts der zu beobachtenden Tendenz, die gesetzliche Kranken- versicherung, ungeachtet der fi- nanziellen Belastbarkeit der Versi- chertengemeinschaft, mit immer neuen Aufgaben zu betrauen, die z. T. weit über die Zielsetzung ei- ner sozialen Krankenversicherung hinausgehen, weist die Ärzteschaft jedoch darauf hin, daß bei jeder Erweiterung des Aufgabenbereichs der gesetzlichen Krankenversiche- rung
[>geprüft werden muß, ob eine
Leistungserweiterung gesundheits- politisch sinnvoll, medizinisch zweckmäßig und finanziell tragbar ist;
[> beachtet werden muß, daß die
gesetzliche Krankenversicherung im Rahmen des Gesamtsystems der sozialen Sicherung nur Lei-
stungen zur Verhütung, Früherken- nung und Behandlung von Krank- heiten zur Verfügung zu stellen hat und daher nicht mit Kosten für an- dersartige Leistungsbereiche bela- stet werden darf.
b) Das gegliederte System der ge- setzlichen Krankenversicherung und das sie tragende Prinzip der Selbstverwaltung hat sich bewährt.
Die Erhaltung eines größtmögli- chen Freiheitsspielraums für den Versicherten in der Wahl eines sei- nen Berufs-, Tätigkeits- und Le- bensbedingungen entsprechenden Versicherungsschutzes muß daher auch Grundlage für die Weiterent- wicklung des Rechts der gesetzli- chen Krankenversicherung sein.
..,.. Das System der gegliederten Krankenversicherung, in dem auf der Basis gemeinsamer Berufs- merkmale, ähnlicher Lebenslagen und gleichartiger Anspruchsmerk- male Versichertengemeinschaften gebildet werden können, garantiert die für das Solidaritätsbewußtsein der Versicherten notwendige Versi- chertennähe der Krankenkasse.
Eine Einheitsversicherung für die Gesamtbevölkerung würde sich demgegenüber von einem staatli- chen Versorgungssystem nur da- durch unterscheiden, daß der Bür- ger seinen Beitrag zur Finanzie- rung dieses Systems nicht an das Finanzamt, sondern an die Ein- heitskasse abführen müßte.
..,.. ln der gegliederten Krankenver- sicherung besteht im Rahmen der gesetzlichen Bestimmungen die
Möglichkeit eines freien Wettbe-
*) Die vorausgehenden Abschnitte des
Blauen Papiers wurden in den Hef-
ten 25, 28, 31, 32, 33, 36, 37, 38, 40, 41, 43, 44, 47 sowie in Heft 48/1974 ver- öffentlicht.
3630 Heft 50 vom 12. Dezember 1974 DEUTSCHES ARZTEBLA'IT