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Die Rolle der Historikerkommission bei der Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus unter besonderer Berücksichtigung von Zwangsarbeiterinnen / eingereicht von Michael Pichl

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Academic year: 2021

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JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich jku.at DVR 0093696 Eingereicht von Michael Pichl k7800795 Angefertigt am Institut für

Legal Gender Studies

Beurteilerin Univ.-Prof.in Dr.in Elisabeth Greif Mitbetreuung Mag. Dr. Andreas Hölzl April 2020

Die Rolle der

Historikerkommission

bei der Entschädigung

der Opfer des

Nationalsozialismus

unter besonderer

Berücksichtigung von

Zwangsarbeiterinnen

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Magister der Rechtswissenschaften

im Diplomstudium

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EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw. die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch. Linz, am 20. April 2020

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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis ……….. 5 Vorwort ………...…….... 6 1. Zwangsarbeit ………..…….. 7 1.1. Definition Zwangsarbeit ………..….. 7

1.2. Zwangsarbeit vor der NS-Herrschaft ……….. 8

1.3. Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter - Opfergruppen ………..….. 9

1.3.1. ZivilarbeiterInnen (OST-ArbeiterInnen) ……….. 9

1.3.2. Kriegsgefangene ……… 10

1.3.3. Ungarische Juden ………..…… 11

1.3.4. KZ-Häftlinge ……… 12

1.3.5. Österreichische Roma und Sinti, sog „Zigeuner“………..……… 13

1.3.6. Österreichische RegimegegnerInnen, politisch Verfolgte, religiöse und ethnische Minderheiten, Homosexuelle, Wehrmachtsdeserteure ……… 13

2. Nachkriegsjahre ………..………. 14

2.1. Österreich nach der Befreiung 1945 ……….…….. 14

2.2. Die Rolle der politischen Parteien nach 1945 ……….…….. 15

2.2.1. Entnazifizierungspolitik ………. 15

2.2.2. Restitutions- und Entschädigungspolitik ………..……. 15

2.3. Die Folgen der „Moskauer Deklaration 1943“ ……….……. 17

2.4. Die Rückstellungsgesetzgebung der Nachkriegszeit ……….. 18

2.5. Exkurs: Deutschland nach 1945 – Wege zur Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“ ……… 19

3. Der steinige Weg zur Gerechtigkeit ……… 21

3.1. Nachkriegszeit 1945 – 1955 ……… 21

3.1.1. Das Nichtigkeitsgesetz 1946 (NichtigkeitsG 1946) ………. 21

3.1.2. Das Dritte Rückstellungsgesetz (3. RStG) ……… 21

3.1.3. Das Opferfürsorgegesetz (OFG) ……… 23

3.1.4. Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich (StV) ……….. 23

3.2. Die Entschädigungsgesetzgebung nach 1955 ………. 24

3.2.1. Das Nationalfondsgesetz ………. 24

3.2.2. Das Washingtoner Abkommen ……… ………... 25

3.2.3. Das Versöhnungsfondsgesetz ……… 26

4. Die Historikerkommission ……… 29

4.1. Die Entstehung der Historikerkommission ……… 29

4.2. Die politischen, rechtlichen und formalen Grundlagen ……… 30

4.3. Zusammensetzung und Auftrag der Historikerkommission…...……….. 30

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4

5. Zwangsarbeiterinnen im Dritten Reich ……….. 34

5.1. Gesetzliche Regelungen der Zwangsarbeit im Dritten Reich……….. 34

5.2. Zwangsarbeiterinnen in der Landwirtschaft ……….. 36

5.3. Zwangsarbeiterinnen in der Rüstungsindustrie ……… 38

5.4. Sex-Zwangsarbeit im Dritten Reich ……… 39

5.4.1. Der politische Kontext ……….. 40

5.4.1.1. „Rassenschänderinnen“ ………... 41

5.4.1.2. Zwangssterilisationen ………... 41

5.4.2. Lagerbordelle als Institution der Sex-Zwangsarbeit ……… 41

5.4.3. Zusammenfassung ………... 42

6. Ergebnis und Ausblick - Lernen für die Zukunft ……… 44

6.1. Die Einschränkungen der Historikerkommission ………. 45

6.1.1. Der Umgang mit dem Recht ……… 45

6.1.2. Der moralische und wissenschaftliche Aspekt ………. 47

6.2. Die Auswirkungen auf die Entschädigungen der Zwangsarbeiterinnen ….. 48

6.3. Der Ruf nach einem „Schlussstrich“? ..……….. 48

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5

Abkürzungsverzeichnis

ATS österreichischer Schilling

bez bezüglich

bzw beziehungsweise

ca circa

dh das heißt

Dr. Doktor

Dr.h.c. Doktor honoris causa

€ Euro

engl englisch etc et cetera

gem gemäß

Gestapo geheime Staatspolizei Hon.-Prof. Honorarprofessor/in Hrsg Herausgeber/in Inkl inklusive

KZ Konzentrationslager leg cit legis citatae

max maximal Mio Million(en)

NS nationalsozialistisch

NSDAP nationalsozialistische deutsche Arbeiterpartei o.Univ.-Prof. ordentliche/r Universitätsprofessor/in

ÖZG Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften PhDr. Doctor of Philosophy Rz Randzahl sog so genannt SS Schutzstaffel TÜPL Truppenübungsplatz ua und andere Univ.-Prof. Universitätsprofessor/in Vgl vergleiche zB zum Beispiel

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Vorwort

Mein Großvater war einer der letzten Bewacher des Konzentrationslagers Mauthausen. Er gehörte nicht der SS an. Er war Luftschutzwart in Wien. Luftschutzwarte waren organisatorisch in die Berufsfeuerwehr integriert worden. Zu Kriegsbeginn war er für den Wehrdienst bereits zu alt. Somit wurde mein Opa für den Hilfsdienst rekrutiert.

In den letzten Kriegstagen rückten die Alliierten immer näher an die deutschen Truppen heran. Der Krieg war für das Naziregime bereits verloren. Die SS-Bewacher flohen aus den Konzentrationslagern und überließen die Gefangenen ihrem Schicksal. Aus Wien verlegte man Teile der Feuerwehr nach Mauthausen, um die SS als Bewacher zu ersetzen. Das Bild, das sich meinem Großvater und seinen Kolleginnen und Kollegen bot, als sie im KZ eintrafen, war grauenhaft und unvorstellbar.1

Durch die Erzählungen meines Vaters, der selbst ein „weißer Jahrgang“2 war, interessierte ich

mich schon früh für die Ereignisse der Zeit zwischen 1930 und 1955. Als mir Frau Prof.in Dr.in

Ursula Floßmann mein Diplomarbeitsthema anbot, war ich sehr interessiert, mein Wissen ob der Geschehnisse dieser Zeit zu vertiefen.

Das Schicksal der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter während der Nazizeit näher kennenzulernen, war einerseits sehr interessant, andererseits aber auch bestürzend bis verstörend. Ich hoffe mit meiner Arbeit ein wenig zum Verständnis der Ereignisse dieser dunklen Zeit, sowie mit der näheren Beleuchtung der Tätigkeit der Historikerkommission in Zusammenhang mit der Entschädigung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern, beigetragen zu haben.

Ich danke Frau Prof.in Dr.in Elisabeth Greif und Herrn Dr. Andreas Hölzl für ihre Geduld und die

Betreuung meiner Diplomarbeit. Darüber hinaus danke ich meinem Vater Dir. Günter Pichl für die vielen Erzählungen aus einer Zeit, die ich nicht miterleben musste und meiner Mutter Eva, die schon frühzeitig mein Interesse für Geschichte weckte, sowie meiner Frau Susanne Pichl BA für das Korrekturlesen.

1 Vgl Schirer, Die Militarisierung der Wiener Feuerwehr im Zweiten Weltkrieg (2012) 62.

2 „Weißer Jahrgang“ bezeichnete Männer, die weder im zweiten Weltkrieg als Soldaten dienten, noch danach zum österreichischen Bundesheer zum Wehrdienst eingezogen wurden.

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1. Zwangsarbeit

1.1. Definition Zwangsarbeit

Die „International Labour Organization“ (ILO) definierte bereits 1930 Zwangsarbeit als „jede Form von Arbeit oder Dienstleistung, die von einer Person unter Androhung irgendeiner Strafe verlangt wird und für die sie sich nicht freiwillig zur Verfügung gestellt hat (ausgenommen davon sind Militärdienst, übliche Bürgerpflichten, Strafarbeit aufgrund gerichtlicher Verurteilung und Notstandspflichten)“.3

„Von Zwangsarbeit im Nationalsozialismus ist dann zu sprechen, wenn außerökonomischer Zwang ausschlaggebend dafür war, dass eine Person arbeitete.“4 Es wurden arbeitsrechtliche

Sonderbedingungen geschaffen5, um Personengruppen aus rassistischen, nationalen,

ethnischen, religiösen bzw politischen Gründen bei Strafe zur Arbeit zu zwingen und somit zu diskriminieren. Die betreffenden Personen konnten sich weder die Arbeitsstelle noch den Arbeitgeber aussuchen. Sie waren behördlichen Bestimmungen unterworfen, denen sie mit rechtlichen Einspruchsmöglichkeiten nicht begegnen konnten und durften.6 Weiters führte eine,

von den Nationalsozialisten geschaffene, rassistische Hierarchisierung zu einer massiven Erschwerung der Lebens- und Arbeitsbedingungen der Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter7. Gerade bei den ausländischen ZwangsarbeiterInnen spielten Herkunft,

Geschlecht und Verfolgungsgrund eine wesentliche Rolle. So wirkten sich diese Parameter sowohl auf die Schwere der Arbeit, die materielle Versorgung, die Ernährung und Unterkünfte, die Arbeitszeiten, die Entlohnung, als auch auf die Behandlung durch deren Bewacher aus.8 „Kein

anderes Verbrechen war auf einer derart breiten gesellschaftlichen Basis begangen worden, wie das der Zwangsarbeit.“9

Die Arbeit zum Gelderwerb, zur Versorgung der Familie und der geleistete Beitrag zur Allgemeinheit (zB Reichsarbeitsdienst, Landjahr, Dienstverpflichtungen, etc) spielen in diesen Betrachtungen keine Rolle.10

3 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht der Historikerkommission der Republik Österreich (2003) 187.

4 Vgl Freund/Perz/Spoerer, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen auf dem Gebiet der Republik Österreich 1939-1945 (2004) 16.

5 Siehe Kapitel 5.1.

6 Vgl Herbert, Zwangsarbeiter im „Dritten Reich“ – ein Überblick, in Barwig/Saathoff/Weyde (Hrsg), Entschädigung für NS-Zwangsarbeit (1998) 17 (17).

7 Im weiteren Text ZwangsarbeiterInnen genannt.

8 Vgl Freund/Perz/Spoerer, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen 17.

9 Vgl Wagner, Zwangsarbeit im Nationalsozialismus – ein Überblick, in Hördler/Knigge/Lüttgenau ua (Hrsg), Zwangs-arbeit im Nationalsozialismus, Begleitband zur Ausstellung (2016) 180 (193).

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8 1.2. Zwangsarbeit vor der NS-Herrschaft

Zwangsarbeit als solche ist keine Ausprägung des Nationalsozialismus. Schon im Altertum war die Gesellschaft nicht nach dem Grundsatz „gleiches Recht für alle“ ausgerichtet. Bestimmte Gesellschaftsschichten waren privilegiert und genossen Freiheiten sowie demokratische Rechte. Das Prinzip der freien Geburt galt allerdings nicht für alle Menschen. Gerade nach Kriegen wurden die Besiegten versklavt und mussten die verschiedensten Arbeiten ohne Lohn und unter Zwang verrichten. Diese Zwangsarbeit war zumeist schwer und musste unter härtesten Bedingungen geleistet werden.11

Im Mittelalter wurde die Sklaverei zwar offiziell geächtet, jedoch quasi durch das Institut der Leibeigenschaft prolongiert. Somit waren Unfreiheit und Zwangsarbeit weiterhin legalisiert.12

In der Neuzeit waren durch die zunehmende Kolonialisierung die Arbeitskräfte knapp. Billige ArbeiterInnen wurden für Farmen und Plantagen der Großgrundbesitzer gebraucht. Gerade auf dem neu zu erschließenden amerikanischen Kontinent verschleppten christliche Kolonialisten die sog „heidnischen“ Ureinwohner und versklavten sie zur Zwangsarbeit. Als diese Quelle nicht mehr ausreichte, wurden auch aus Afrika zahllose ZwangsarbeiterInnen per Schiff, unter den unmenschlichsten Bedingungen, nach Europa und Nordamerika verfrachtet.13

Zwangsarbeit als Strafe war ebenso eine einträgliche Möglichkeit, sich billiger Arbeitskräfte zu bedienen und Menschen auf legale Art und Weise auszubeuten. Die Häftlinge wurden zB in Strafkolonien (Australien) zur Zwangsarbeit angehalten, die unter unmenschlichen Bedingungen geleistet werden musste. Zwangsarbeit als Kalkül zur Einschüchterung der Opposition war auch im kommunistischen Russland ein politisches Machtmittel, um das diktatorische Regime zu stärken.14

Vor dem ersten Weltkrieg, im August 1914, kam es im Deutschen Reich durch die Einziehung der männlichen Bevölkerung zum Kriegsdienst zu einem massiven Arbeitskräftemangel. Im Deutschen Reich wurden beispielsweise russisch-polnische Saisonarbeiter in der Landwirtschaft per Rückkehrverbot daran gehindert, nach Hause zurückzukehren.15

In weiterer Folge wurden Kriegsgefangene verschiedenster Nationen zum Arbeitseinsatz in der Industrie und Landwirtschaft gezwungen. Im August 1916 waren über eine Million

11 Vgl Heieck, Zwangsarbeit im Nationalsozialismus – Noch unser Problem? (2003) 4. 12 Vgl Heieck, Zwangsarbeit 5.

13 Vgl Heieck, Zwangsarbeit 6. 14 Vgl Heieck, Zwangsarbeit 6.

15 Vgl Herbert, Fremdarbeiter – Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches (1985) 26.

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9

Kriegsgefangene in diesen beiden Sparten auf deutschem Hoheitsgebiet als Zwangsarbeiter tätig.16

Trotz der zu erwartenden Probleme hinsichtlich der Bewachung, Verpflegung und Arbeitsleistung war der Einsatz der Kriegsgefangenen als Zwangsarbeiter ein lohnender Aufwand, der aus deutscher Sicht den erwarteten Ertrag lieferte.17

Der Einsatz der zivilen Arbeitskräfte und Kriegsgefangenen als Zwangsarbeiter während des ersten Weltkrieges stellte gleichsam einen Probelauf für die Entwicklung der hochtechnisierten und auf Masse ausgerichteten Zwangsarbeits- und Vernichtungsindustrie der Nationalsozialisten nach 1939 dar.18

1.3. Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter - Opfergruppen 1.3.1. ZivilarbeiterInnen (Ost-ArbeiterInnen)

Zu Beginn des zweiten Weltkrieges wurden, da es, wie bereits erwähnt, an Arbeitskräften im „Großdeutschen Reich“ mangelte, Männer und Frauen im benachbarten Ausland angeworben. Diese Maßnahmen erwiesen sich aber bald als unzureichend und sie wurden daher durch Zwangsrekrutierungen in den besetzten Gebieten ersetzt.19

Der NS-Rassenhierarchie entsprechend waren ausländische Arbeitskräfte „von Natur aus“ minderwertig. Die Personen wurden streng voneinander getrennt und unterschiedlich behandelt. An der untersten Stufe standen die sowjetischen zivilen Arbeitskräfte (Ost-ArbeiterInnen). Bei härtesten Bedingungen, bei geringer Bezahlung, ohne Urlaub, mit schlechter Kost, ohne ausreichende ärztliche Hilfe, untergebracht in Barackenlagern fristeten sie ein bedauernswertes Dasein.20

Diese Barackenlager wurden überall im Reich errichtet. Allein in Berlin existierten 500 dieser ZwangsarbeiterInnen - Lager. Im ganzen Land wurden an die 20.000 gezählt.21

Der „Generalbevollmächtigte für den Arbeitseinsatz“ Fritz Sauckel schaffte es in 2,5 Jahren, unterstützt durch die Reichs-Arbeitsämter und die Einsatzstäbe der Deutschen Wehrmacht, 2,5

16 Vgl Herbert, Fremdarbeiter 27. 17 Vgl Herbert, Fremdarbeiter 28. 18 Vgl Herbert, Fremdarbeiter 35. 19 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 190. 20 Vgl Wagner, Zwangsarbeit 187. 21 Vgl Herbert, Zwangsarbeiter 22.

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Mio Zivilisten aus der Sowjetunion ins Deutsche Reich zur Zwangsarbeit deportieren zu lassen.22

Nicht viel besser erging es den 1,7 Mio polnischen ZwangsarbeiterInnen23.

Mehr als die Hälfte der polnischen und sowjetischen ZwangsarbeiterInnen waren Frauen im Durchschnittsalter von 20 Jahren.24 Im Falle einer Schwangerschaft wurden den Frauen die

Neugeborenen weggenommen und in „Säuglingsheimen“ untergebracht, wo sie zumeist an organisierter Vernachlässigung verstarben.25

Die rassistische Ausrichtung der NS-Ideologie war weithin sichtbar und beherrschte über weite Strecken das Handeln der NS-Besetzer.26 Durch den massiven Bedarf an ausländischen zivilen

Arbeitskräften kam es auch zu ideologischen Bedenken gegen den Einsatz dieser ZwangsarbeiterInnen. Diese Widerstände wurden durch diskriminierende Sonderregelungen und Zugeständnisse gegenüber den Hardlinern der Nationalsozialisten kompensiert.27

In Summe wurden ca 8,5 Mio zivile ZwangsarbeiterInnen im Dritten Reich ausgebeutet. Die Mehrheit davon kam aus Osteuropa.28

1.3.2. Kriegsgefangene

Gemäß der „Genfer Konvention“29 durften Kriegsgefangene nur bedingt als ZwangsarbeiterInnen

zum Arbeitseinsatz herangezogen werden. Offiziere waren von jedweder Arbeit befreit, Unteroffiziere verrichteten nur leichten Dienst, Mannschaften wurden nach deren Fähigkeiten eingesetzt und deren Arbeit unterlag gewissen Regeln (Arbeitszeit, Ruhezeit, keine kriegsfördernde Dienste, etc). Da die Sowjetunion die „Genfer Konvention“ nicht ratifizierte, wurde auf deren Kriegsgefangene keine Rücksicht genommen.30 Die Italiener bekamen auch nicht den

Status „Kriegsgefangener“ zuerkannt, da sich Deutschland nicht mit Italien im Krieg befand. Marschall Badoglio verkündetet am 08.09.1943 den Kriegsaustritt Italiens. Die „Achse Berlin-Rom“ war ab diesem Zeitpunkt aufgekündigt. Verschiedene Verbände der Wehrmacht nahmen in Folge italienische Soldaten europaweit und an der Ostfront gefangen. Diese wurden auf Befehl Hitlers als Militärinternierte behandelt, welche ebenfalls nicht der „Genfer Konvention“ unterlagen und somit in der Rüstungsindustrie eingesetzt werden konnten.31

22 Vgl Herbert, Zwangsarbeiter 21. 23 Vgl Herbert, Zwangsarbeiter 23. 24 Vgl Herbert, Zwangsarbeiter 23. 25 Vgl Wagner, Zwangsarbeit 188. 26 Vgl Wagner, Zwangsarbeit 188. 27 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 190.

28 Vgl Plato, „Es war moderne Sklaverei“, in Plato/Leh/Thonfeld Hitlers Sklaven, Lebensgeschichtliche Analysen zur Zwangsarbeit im internationalen Vergleich (2008) 402 (404).

29 https://www.roteskreuz.at/organisieren/organisation/humanitaeres-voelkerrecht/genfer-abkommen/ (abgerufen am 12.07.2019).

30 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 189 ff.

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Der Einsatz von russischen Soldaten als ZwangsarbeiterInnen kam im Frühjahr 1942 ins Stocken. Die meisten Soldaten waren zu der Zeit bereits entweder verhungert, ermordet oder erfroren. Somit rückte die sowjetische und polnische Zivilbevölkerung ins Zentrum der deutschen „Arbeitseinsatz“-Politik.32

Sowjetische weibliche Kriegsgefangene wurden nicht nach der Genfer Konvention behandelt, sondern von den Nationalsozialisten als Partisaninnen betrachtet und entweder exekutiert oder in das KZ Ravensbrück verbracht.33

Von 4,5 Mio Kriegsgefangenen aus Polen, Frankreich und Italien, wurden 885.000 in den Zivilstatus versetzt (205.000 Polen, 220.000 Franzosen, 460.000 Italiener), zwei Mio waren russischer Herkunft (von den insgesamt 5 Mio Russen kamen ca 3,3 Mio bereits auf dem Weg in die Kriegsgefangenschaft um), die restlichen 700.000 Menschen stammten aus anderen Ländern.34

In der Ostmark35 kamen ca 87.000 Kriegsgefangene unterschiedlicher Nationalitäten als

ZwangsarbeiterInnen zum Einsatz.36

1.3.3. Ungarische Juden

Mehr als 55.000 ungarische Juden wurden 1944 in Fußmärschen zur Zwangsarbeit an den „Südostwall“-Bau, den Reichsschutzstellungen an der Grenze der Ostmark zu Ungarn (im Bereich Niederösterreich, Burgenland, Steiermark), getrieben. Die meisten davon stammten aus Budapest. Ca 1.000 überlebten die Strapazen nicht. Die Unterbringung dieser Zwangsarbeiter erfolgte in KZ-ähnlichen Lagern.37

Diese Lager wurden im März 1945 in Richtung KZ Mauthausen/Gunskirchen/Oberösterreich „evakuiert“. Diese „Evakuierungen“ waren zum Großteil Todesmärsche zu Fuß unter den unmenschlichsten Bedingungen. Zuvor wurden die Kranken und Schwachen in den Lagern entweder ermordet oder einfach sich selbst überlassen. Viele der Massengräber wurden bis heute nicht gefunden. Die Morde forderten mehr als 8.000 Opfer.38 Es überlebten nur 50% der in die

Ostmark verschleppten ungarischen Juden.39

32 Vgl Wagner, Zwangsarbeit 185.

33 Vgl Weitz, „Verbotener Umgang mit Kriegsgefangenen“ vor dem Sondergericht Wien (2006) 50. 34 Vgl Plato, Sklaverei 403.

35 Ostmark = Bezeichnung Österreichs nach dem Anschluss an das Deutsche Reich. 36 Vgl Freund/Perz/Spoerer, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen 151.

37 Vgl Freund/Perz/Spoerer, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen 182 ff. 38 Vgl Freund/Perz/Spoerer, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen 184. 39 Vgl Freund/Perz/Spoerer, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen 186.

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12 1.3.4. KZ-Häftlinge

Ca 200.000 Personen wurden zwischen 1939 und 1945 auf österreichischem Gebiet in die verschiedenen Konzentrationslager deportiert, verschleppt oder in Todesmärschen in die Lager getrieben. Das Hauptlager war bei Mauthausen/Oberösterreich. Es existierten 40 weitere Außenlager, zB Gusen und Gunskirchen. Auch das Lager Dachau/München hatte 13 Außenlager auf westösterreichischem Boden.40

Das Lager Mauthausen wurde zu Beginn als reines Männerlager errichtet. Später wurden auch Frauen interniert. Die in der Umgebung liegenden Steinbrüche sollten den Insassen als Todes- und Arbeitsstätte dienen. Die ungemein anstrengende Arbeit unter katastrophalen Bedingungen und der systematische Terror der SS-Bewacher bedingte die höchste Sterblichkeit in einem KZ im ganzen Reichsgebiet. Die Mortalität betrug 1942 über 43%.41

Das Lager Mauthausen diente auf der einen Seite dem Zweck der Vernichtung politisch-ideologischer Gegner, auf der anderen Seite als ökonomischer Betrieb zum Abbau von Gestein für die Bauindustrie. In der SS-Terminologie wurde Mauthausen in die höchste „Lagerstufe III“ für „kaum noch erziehbare Häftlinge“ eingereiht, was einem Todesurteil für die Häftlinge gleichkam.42

Beispielsweise folgende Betriebe profitierten von den ZwangsarbeiterInnen, die in Mauthausen und dessen KZ-Außenlagern inhaftiert waren:

„Reichswerke Herrmann Göring“/Hütte Linz, heute VOEST. Steyr-Daimler-Puch-AG, das Unternehmen existiert heute noch. Heinkel, Flugmotorenwerke „Ostmark“.43

In den Außenlagern befanden sich Ende 1944 ca 60.000 KZ-Häftlinge, in Mauthausen selbst 10.000. Umgerechnet war das ein Viertel der beschäftigten ZwangsarbeiterInnen und Kriegsgefangenen in der Bauwirtschaft und Industrie auf österreichischem Boden.44

40 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 197.

41 Vgl Perz/Freund, Zwangsarbeit im Nationalsozialismus zwischen 1938 und 1945, in Hördler/Knigge/Lüttgenau ua (Hrsg), Zwangsarbeit im Nationalsozialismus, Begleitband zur Ausstellung (2016) 194 (200).

42 Vgl Freund/Perz/Spoerer, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen 199. 43 Vgl Freund/Perz/Spoerer, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen 200. 44 Vgl Freund/Perz/Spoerer, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen 201.

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13 1.3.5. Österreichische Roma und Sinti, sog „Zigeuner“

In etwa 11.000 Personen, die ihrer Abstammung nach Roma und Sinti waren, wurden von den Nationalsozialisten als „unwert“ zu leben betrachtet und in die KZs, vor allem in das sog „Zigeunerlager“ Lackenbach45, verschleppt. Es überlebten max 2.000.

Die Internierungen begannen bereits zu Beginn 1938. All deren Besitz, in der geschätzten Höhe von 360.000 Reichsmark, wurde enteignet. Sie wurden zu Zwangsarbeit vor allem bei öffentlichen Bauvorhaben angehalten. 46

1.3.6. Österreichische RegimegegnerInnen, politisch Verfolgte, religiöse und ethnische Minderheiten, Homosexuelle, Wehrmachtsdeserteure

Politisch verfolgte ÖstereicherInnen wurden in den meisten Fällen in KZs interniert und zu Zwangsarbeit angehalten. Sie verrichteten klassische Gefängnisarbeiten, wie Schneidern, Nähen, Säckchen kleben, etc. Betroffen waren vor allem Kommunisten, Sozialdemokraten und andere RegimegegnerInnen.47

Homosexuelle Menschen wurden mitunter zu schwerer Zwangsarbeit genötigt. Jeder fünfte wurde in ein KZ eingewiesen. Durch die besondere Kennzeichnung mittels eines rosa Winkels waren sie der Willkür ihrer Mithäftlinge ausgeliefert.48

Wehrmachtsdeserteure wurden oft mit dem Tod, mitunter auch mit Zwangsarbeit bestraft. Der Diskussion, ob diese Vaterlandsverräter und daher nicht entschädigungswürdig seien, hat sich der Versöhnungsfonds nicht angeschlossen. Der Sachverhalt Zwangsarbeit gab auch bei dieser Opfergruppe den Ausschlag, Entschädigungen zu leisten.49

Die „Zeugen Jehovas“ galten zur NS-Zeit als „Sekte“. Da sie grundsätzlich den Wehrdienst verweigerten, gerieten sie in das Fadenkreuz des NS-Regimes. Viele andere religiöse Minderheiten wurden ebenso unter dem Begriff „Sekte“ erfasst und dementsprechend verfolgt, interniert und oft zur Zwangsarbeit angehalten.50

45 Vgl Feichtlbauer, Zwangsarbeit in Österreich 1938-1945 (2005) 278.

46 Vgl Blimlinger, Vermögensentzug – Rückstellungen – Entschädigungen (2004), http://www.demokratiezentrum.org/fileadmin/media/pdf/blimlinger.pdf (14.07.2019) 3. 47 Vgl Feichtlbauer, Zwangsarbeit 282.

48 Vgl Feichtlbauer, Zwangsarbeit 287. 49 Vgl Feichtlbauer, Zwangsarbeit 288. 50 Vgl Feichtlbauer, Zwangsarbeit 289.

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2. Nachkriegsjahre

2.1. Österreich nach der Befreiung 1945

Nach dem sog „Anschluss“ Österreichs 1938 an das Deutsche Reich wurde in Wien eine eigene Wiedergutmachungsstelle für die Opfer des „Systems Dollfuß-Schuschnigg“ eingerichtet. Ehemalige illegale Nazis und Verfolgte des austrofaschistischen Regimes erhielten Ent-schädigungen vor allem aus dem Vermögen jüdischer Familien oder durch Vertreibung von Juden von deren Arbeitsplätzen und Wohnungen.51

Das gleiche Recht wurde den enteigneten, entrechteten, geschundenen und ihrer Würde beraubten Menschen unterschiedlicher Provenienz nach 1945 und somit nach dem Untergang des „Tausendjährigen Reiches“ nicht zu Teil. Zumindest mussten viele lange darauf warten und noch mehr überlebten diese Wartezeit nicht.

Allein 66.000 österreichische Juden wurden Opfer des Holocaust und über 100.000 wurden aus ihrer Heimat vertrieben, indem ihnen die Flucht in einen anderen Staat gelang. Dieses Vorgehen wurde den ausgewanderten Familien oft als „bequemes“ Überdauern des Krieges angelastet. In Wahrheit hat sich die Mehrheit dieser Menschen von ihren Familien, Freunden, ihrer Arbeitsstätte und Ausbildung verabschieden müssen und erlitt somit einen massiven „Knick in der Lebenslinie“. Viele Überlebende der Naziherrschaft, die wegen ihrer politischen, religiösen Überzeugung oder ihrer sexuellen Orientierung verfolgt wurden, warteten auf ein Zeichen der Entschädigung und Wiedergutmachung nach Beendigung des zweiten Weltkrieges. Ebenso betroffen waren die Familien der Roma und Sinti, die sich massiven Repressalien ausgesetzt sahen.52

Den unzähligen ZwangsarbeiterInnen, Kriegsgefangenen und Überlebenden der KZs des Naziregimes wurde nach 1945 wenig Mitgefühl entgegengebracht. Deren Ansprüche auf Wiedergutmachung und Entschädigung wurden sowohl rechtlich, als auch moralisch verneint. Die Generalisierung des Opferbegriffes auf die gesamte österreichische Bevölkerung gewährte eine distanzierte Sicht der Dinge. Die Vergangenheit sollte ruhen, und der Blick auf die Zukunft gerichtet sein.53

51 Vgl Karner/Iber (Hrsg), „Schweres Erbe und Wiedergutmachung“ - Restitution und Entschädigung in Österreich (2015) 23.

52 Vgl Karner/Iber (Hrsg), „Schweres Erbe und Wiedergutmachung“ 25.

53 Vgl Freund, Zwangsarbeit in Österreich 1939-1945, in Steininger (Hrsg), Vergessene Opfer des Nationalsozialismus (2000) 99 (126).

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15 2.2. Die Rolle der politischen Parteien nach 1945

2.2.1. Entnazifizierungspolitik

Die Vertreter der politischen Parteien SPÖ, ÖVP und KPÖ proklamierten am 27. April 1945 das Wiedererstehen der Republik Österreich. Was danach geschah, ist aus heutiger Sicht mit den jetzigen Informationsmöglichkeiten, wie Digitalisierung, Internet, etc schwer nachzuvollziehen. Österreich begab sich in eine Opferrolle, die durch die „Moskauer Deklaration 1943“ überhaupt erst ermöglicht wurde.54

In diesem Zusammenhang war die sog. Entnazifizierung der Bürger Österreichs durch die Alliierten ein schwieriges Unterfangen. Als erste Handhabe wurde das Verbotsgesetz55 erlassen.

Alle Bürger, die aktive Mitglieder der Verbände des Naziregimes (NSDAP, SA, SS, etc.) waren, mussten sich registrieren und in Listen eintragen lassen. Es wurde von den politischen Parteien vereinbart, zwischen „schuldigen Nazis“ und „Mitläufern“ zu unterscheiden. Folgende Konsequenz ergab sich daraus: allen Betroffenen wurde das Wahlrecht aberkannt.56 Nun ging es darum, diese

Wählerstimmen nicht brachliegen zu lassen.

Ab 11. Februar 1946 übertrug der Alliierte Rat die Durchführung der Entnazifizierung der österreichischen Bundesregierung.57 Diese novellierte das Verbotsgesetz58 mehrmals mit dem

Ergebnis, dass Ausnahmeregelungen für Personen und Personengruppen geschaffen wurden (Gruppenamnestie).59

Nach Abschluss der Entnazifizierung 1949 beschloss die österreichische Bundesregierung die sog. „Minderbelasteten“ zur Nationalratswahl zuzulassen. Das waren immerhin über 440.000 Stimmen, um die sich die Parteien bemühten.60 Es kandidierten SPÖ, ÖVP, KPÖ und als neue

Partei der VdU (Verband der Unabhängigen), der vor allem von ehemaligen Nazis gegründet wurde. Dieser errang vom Start weg gleich 16 Mandate. Die Regierung bildete in weiterer Folge die erste große Koalition aus ÖVP und SPÖ.61

2.2.2. Restitutions- und Entschädigungspolitik

Im Dunstkreis dieser Entwicklungen war kein Platz für einen Blick zurück. Die Maxime des Handelns der österreichischen Bundesregierung (bestehend aus der Koalition von ÖVP und SPÖ)

54 Siehe Kapitel 2.3.

55 Verfassungsgesetz vom 8. Mai 1945 über das Verbot der NSDAP StGBl 1945/13.

56 Vgl Feichtlbauer, Der Fall Österreich – Nationalsozialismus, Rassismus: Eine notwendige Bilanz (2000) 128. 57 Vgl Feichtlbauer, Der Fall Österreich 130.

58 StGBl 1946/16.

59 Vgl Feichtlbauer, Der Fall Österreich 132. 60 Vgl Feichtlbauer, Der Fall Österreich 141. 61 Vgl Feichtlbauer, Der Fall Österreich 145 ff.

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war, dass dem Staat Österreich aus Restitution und Wiedergutmachung keinerlei finanzielle Nachteile erwachsen sollten.62 Es wurde beschlossen, ausschließlich Naturalrestitution zu

leisten.63

Die Konsequenz daraus war, dass arisierte Betriebe nach einem Eigentumsübergang, im Sinne einer „Strukturbereinigung der Wirtschaft“, bereits liquidiert wurden. Eine Wiederherstellung der Existenz der Beraubten war in diesem Fall nicht mehr möglich. Einzig für verloren gegangenen Hausrat und Geschäftseinrichtungen wurde per Gesetz (Kriegs- und Verfolgungssachschäden-gesetz - KVSG)64 eine Möglichkeit der finanziellen Abgeltung geschaffen.65

Auch bei der Rückstellung von geraubten beweglichen und unbeweglichen Sachen aus noch vorhandenem Eigentum, bereiteten die Umstände für die Anspruchsberechtigten große bis unüberwindbare Schwierigkeiten. Den aus den KZs heimgekehrten Opfern wurden große Hürden in den Weg gelegt. Diese waren oft mittellos, hatten ihre Verwandten und Freunde verloren und konnten auf kein Netzwerk der finanziellen Unterstützung und Fürsorge zurückgreifen. Der gesetzliche Rahmen per Rückstellungsgesetze66 war zwar geschaffen, jedoch gestaltete sich das

Prozedere als äußerst langwierig und kostspielig für die Betroffenen. Von 34.539 angestrebten Verfahren waren 1954 noch 5.181 anhängig.67

Die politischen Opferverbände berechneten 1972, auf Grundlage des Ausgleichszulagen-richtsatzes68, einen Verlust an Lebensverdienstsumme für die sieben Jahre der Verfolgung in der

Höhe von ÖS 68.000.-. 1997 hätte dieser Betrag eine Kaufkraft von über ÖS 330.000.- gehabt. Ausbezahlt wurden aber nur ÖS 70.000.- pro Opfer.69

Ein völlig ungelöstes Kapitel war die Entschädigung der ZwangsarbeiterInnen. Die 1946 von Simon Wiesenthal (damals Präsident des Jüdischen Zentralkomitees für die US-Zone in Österreich; Sitz in Linz) angestrengten Bemühungen, ZwangsarbeiterInnen durch finanzielle Leistungen der Konzerne, die davon profitierten, zu entschädigen, trug keine Früchte.70

62 Vgl Bailer-Galanda, Die Opfer des Nationalsozialismus und die so genannte Wiedergutmachung, in Talos/Hanisch ua (Hrsg), NS-Herrschaft in Österreich (2000) 884 (888).

63 Vgl Bailer-Galanda, Die Opfer des Nationalsozialismus 884 (889).

64 Bundesgesetz vom 25. Juni 1958, über die Gewährung von Entschädigungen für durch Kriegseinwirkung oder durch politische Verfolgung erlittene Schäden an Hausrat und an zur Berufsausübung erforderlichen Gegenständen BGBl 1959/99.

65 Vgl Bailer-Galanda, Die Opfer des Nationalsozialismus 884 (889). 66 Siehe Kapitel 2.4.

67 Vgl Bailer-Galanda, Die Opfer des Nationalsozialismus 884 (890).

68 https://www.oesterreich.gv.at/themen/arbeit_und_pension/pension/Seite.270224.html (abgerufen am 24.08.2019). 69 Vgl Bailer-Galanda, Die Opfer des Nationalsozialismus 884 (898).

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Österreichische Opfer des Holocausts konnten in dieser Hinsicht aus dem Opferfürsorgegesetz (OFG)71 eine Unterstützung erhalten. Die ZwangsarbeiterInnen anderer Nationalitäten gingen leer

aus. Erst 1998, über fünfzig Jahre nach dem Ende des zweiten Weltkriegs, wurde ein Prozess zur Lösung dieses Dilemmas in Gang gesetzt.72

2.3. Die Folgen der „Moskauer Deklaration 1943“

Aus unterschiedlichsten Gründen kam es zur Gründung der österreichischen Historikerkommission.73 Einen wesentlichen Faktor dabei bildete der Sichtwechsel im Hinblick auf

die sog Opferthese. Nach dieser These wurde Österreich am 15. März 1938 von deutschen Truppen okkupiert und hörte bis 1945 auf zu existieren.74 Die Alliierten Mächte der USA,

Großbritanniens und der Sowjetunion erklärten die Annexion Österreichs (=engl annexation) durch Deutschland in der „Moskauer Deklaration 1943“ für null und nichtig.75 Gem der

„Annexionstheorie“ wäre Österreich ein Teil des Deutschen Reichs geworden und der selbständige Staat Österreich wäre untergegangen.76

Der Staat Österreich wurde hingegen gem der „Okkupationstheorie“ durch den Einmarsch der deutschen Truppen in das Deutsche Reich eingegliedert. Hitlerdeutschland zwang in weiterer Folge die österreichische Staatsführung mit Gewalt zum Rücktritt. Der Staat Österreich konnte somit zwischen 1938 und 1945 keine rechtsverbindlichen Handlungen mehr setzen. Bedingt durch diese Vorgangsweise des NS-Regimes, wurde 1955 ein Staatsvertrag und kein Friedensvertrag zwischen Österreich und den Siegermächten geschlossen.77

Mit Hilfe dieser Argumentation konnte sich Österreich, völkerrechtlich korrekt und zielführend, dem Zugriff auf Deutsches Eigentum auf österreichischem Gebiet, sowie allfälligen Gebietsansprüchen der Signatarmächte des Staatsvertrages erfolgreich entziehen.78

Die Aussage des damaligen Bundesministers für Inneres Oskar Helmer, er wäre dafür, die Sache in die Länge zu ziehen, war signifikant für die vorherrschende Grundeinstellung nach 1945, den Rückstellungs- und Entschädigungsprozess vorerst einmal hintanzuhalten und auf Zeit zu spielen.79

71 Bundesgesetz vom 4. Juli 1947 über die Fürsorge für die Opfer des Kampfes um ein freies, demokratisches Österreich und die Opfer politischer Verfolgung BGBl 1947/183.

72 Vgl Bailer-Galanda, Die Opfer des Nationalsozialismus 884 (890). 73 Siehe Kapitel 4.

74 Vgl Jabloner, Am Beispiel der Historikerkommission: Zeitgeschichtliche Forschung in juristischer Perspektive*, ÖZG 2005, 111 (111).

75 Vgl Feichtlbauer, Zwangsarbeit 22.

76 Vgl Arbeitsgemeinschaft Österreichische Rechtsgeschichte (Hrsg), Rechts- und Verfassungsgeschichte2 (2012) Rz 1968.

77 Vgl Feichtlbauer, Zwangsarbeit 24. 78 Vgl Feichtlbauer, Zwangsarbeit 24.

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Diese ausgefeilte juristische Konstruktion war nach außen hin korrekt, jedoch innenpolitisch und moralisch höchst fragwürdig. Mit dieser Argumentation konnten sowohl Rückstellungs- als auch Entschädigungsansprüche leicht zurückgewiesen werden, obwohl Österreich in der „Moskauer Deklaration 1943“ eine Verantwortung „für die Teilnahme am Kriege an der Seite Hitler-Deutschlands“ zugesprochen wurde. Ein Gutteil der Österreicherinnen und Österreicher waren Opfer des Naziregimes. Allerdings gab es auch Täter und Profiteure unter der Bevölkerung. Der Umstand, dass sich die beiden letztgenannten Gruppen der Verantwortung entziehen könnten, durfte nicht so hingenommen werden.80

Erst durch die Waldheim-Debatte, durch die Aufarbeitung des Gedenkjahres 1988 (50 Jahre Anschluss Österreichs an das Deutsche Reich), sowie durch die Erklärungen des damaligen Bundeskanzlers Franz Vranitzky 1991 vor dem Nationalrat und der Rede des Bundespräsidenten Thomas Klestil 1994 vor der Knesseth in Israel, wurde die moralische Mitverantwortung Österreichs am Holocaust und den Gräueltaten des NS-Regimes in den Focus der Weltöffentlichkeit gerückt.81

2.4. Die Rückstellungsgesetzgebung der Nachkriegszeit

Gem der Londoner Deklaration vom 05. Jänner 1943 verpflichteten sich die Alliierten alles, was in ihrer Macht steht zu tun, um den Enteignungen der Staaten, mit denen sie Krieg führen, zu begegnen und diese für null und nichtig zu erklären.82

Aus diesen Bestrebungen resultierte in Österreich nach 1945 eine nicht geringe Anzahl an Rückstellungs- und Entschädigungsgesetzen. Auf das Nichtigkeitsgesetz 1946 (NichtigkeitsG 1946)83 folgten sieben Rückstellungsgesetze, die als dessen Ausführungsgesetze dienten und

somit die Geltendmachung von Ansprüchen ermöglichten.

Der Vollständigkeit halber seien diese hier zitiert:

a) Erstes Rückstellungsgesetz (1. RStG)84 b) Zweites Rückstellungsgesetz (2. RStG)85 c) Drittes Rückstellungsgesetz (3. RStG)86 80 Vgl Jabloner, ÖZG 2005, 111 (112). 81 Vgl Jabloner, ÖZG 2005, 111 (112).

82 Vgl Meissl, Unrechtsbewältigung durch Rechtsgeschichte? juridikum 2003, 42 (42).

83 Bundesgesetz vom 15. Mai 1946 über die Nichtigerklärung von Rechtsgeschäften und sonstigen Rechtshandlungen, die während der deutschen Besetzung Österreichs erfolgt sind BGBl 1946/106.

84 Bundesgesetz vom 26. Juli 1946 über die Rückstellung entzogener Vermögen, die sich in Verwaltung des Bundes oder der Bundesländer befinden BGBl 1946/156.

85 Bundesgesetz vom 6. Februar 1947 über die Rückstellung entzogener Vermögen, die sich im Eigentum der Republik Österreich befinden BGBl 1947/53.

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d) Viertes Rückstellungsgesetz (4. RStG)87

e) Fünftes Rückstellungsgesetz (5. RStG)88

f) Sechstes Rückstellungsgesetz (6. RStG)89

g) Siebentes Rückstellungsgesetz (7. RStG)90

Der Bogen spannte sich von der Rückstellung von Vermögen des Bundes, von Vermögen von Kriegsverbrechern, die als Täter verfolgt wurden, über allgemeine Regelungen entzogenen Vermögens bis hin zu geänderten oder gelöschten Firmennamen, sowie entzogenen Vermögen juristischer Personen und der Rückstellung gewerblicher Schutzrechte und zum Schluss der Wiederherstellung der Rechte aus Ansprüchen aus Privatdienstverhältnissen.91

Diese Flut an Gesetzen, sowie die Not der Flüchtlinge, die in ihre Heimat zurückkehrten, war für viele Opfer entweder abschreckend, oder sie konnten sich es finanziell nicht leisten, einen Anwalt einzuschalten, der ihre Interessen vertrat. Der träge Behördenapparat trug seinerseits nicht zur Verbesserung und Beschleunigung der Situation bei. Daraus resultierend, blieben die Rückstellungs- und Entschädigungsgesetzein der Nachkriegszeit ziemlich zahnlos.92

2.5. Exkurs: Deutschland nach 1945 – Wege zur Stiftung „Erinnerung, Verantwortung, Zukunft“

Erst 60 Jahre nach dem zweiten Weltkrieg, nach dem Ende des geteilten Europas und dem Zusammenschluss von BRD und DDR zu einem Deutschen Staat, wurde es möglich, über eine Entschädigung der Opfer des Naziregimes zu beraten. Gerade die Frage der Wiedergutmachung von erlittenem Unrecht an ZwangsarbeiterInnen durch zahlreiche deutsche Konzerne (zB VW, IG Farben, Thyssen, Siemens, etc) und die damit verbundene Verantwortung der jeweiligen Rechtsnachfolger, wurde recht kontroversiell diskutiert.93

Mit dem Zwei-plus-Vier-Vertrag änderten sich die rechtlichen Rahmenbedingungen in Hinsicht auf die Entschädigungszahlungen Deutschlands an ausländische ZwangsarbeiterInnen. Der damalige deutsche Bundeskanzler Helmuth Kohl bestand darauf, dass der Vertrag nicht das Wort

87 Bundesgesetz vom 21. Mai 1947, betreffend die unter nationalsozialistischem Zwang geänderten oder gelöschten Firmennamen BGBl 1947/143.

88 Bundesgesetz vom 22. Juni 1949 über die Rückstellung entzogenen Vermögens juristischer Personen des Wirtschaftslebens, die ihre Rechtspersönlichkeit unter nationalsozialistischem Zwang verloren haben BGBl 1949/164. 89 Bundesgesetz vom 30. Juni 1949 über die Rückstellung gewerblicher Schutzrechte BGBl 1949/199.

90 Bundesgesetz vom 14. Juli 1949 über die Geltendmachung entzogener oder nicht erfüllter Ansprüche aus Dienst-verhältnissen in der Privatwirtschaft BGBl 1949/207.

91 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 254 ff.

92 Vgl Bailer-Galanda, Die Opfergruppen und deren Entschädigung, in Forum Politische Bildung (Hrsg), Wieder gut machen? (1999) 90 (93).

93 Vgl Niethammer, Von der Zwangsarbeit im Dritten Reich zur Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“, in Jansen/Saathoff (Hrsg), „Gemeinsame Verantwortung und moralische Pflicht“ – Abschlussbericht zu den Auszahlungsprogrammen der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ (2007) 13 (13).

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Friedensvertrag enthielt, es wären dann Reparationszahlungen an die ehemaligen Alliierten fällig geworden. Da es aber ein „de facto“ Friedensvertrag war, konnte das einzelne Opfer mittels Klage individuelle Entschädigungsansprüche geltend machen.94

Was danach folgte war eine regelrechte Flut an Klagen von zum Großteil amerikanischen Anwälten, der bekannteste ist wohl Ed Fagan, die den Entschädigungsprozess massiv vorantrieben. Durch die Unberechenbarkeit der Entwicklung von Sammelklagen ehemaliger Opfer und den ökonomischen Druck auf deutsche Konzerne, den diese Klagen auslösten, wurde nach einer Lösung des Dilemmas gesucht.95

Stuart Eizenstat, der Sonderbeauftragte der US-Regierung (Administration Clinton), versuchte die deutsche Regierung davon zu überzeugen, dass eine gemeinsame und schonende Lösung nur durch die Einbeziehung der osteuropäischen Länder und des Staates Israel möglich wäre.96

In weiterer Folge wurde im Jahr 2000 die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gegründet, die dem einzelnen Opfer zwischen DM 5000.- und DM 15.000.- (umgerechnet ca € 2.560.- bis € 7.670.-) zusicherte. Die Entschädigten verzichteten auf alle weiteren Ansprüche an die betroffenen Konzerne und die damit verbundenen Rechtswege in Deutschland.97

94 Vgl Hense, Entstehung und Konzeption der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ für die Opfer von Zwangsarbeit und „Arisierung“, in Kramer/Uhl/Wagner (Hrsg), Zwangsarbeit im Nationalsozialismus und die Rolle der Justiz (2007) 103 (107).

95 Vgl Hense, Entstehung und Konzeption 103 (109 ff). 96 Vgl Eizenstat, Unvollkommene Gerechtigkeit (2003) 275. 97 Vgl Hense, Entstehung und Konzeption 103 (116 ff).

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3. Der steinige Weg zur Gerechtigkeit

Wie bereits erwähnt, erklärten die Alliierten 1943 in der „Londoner Deklaration“, obwohl der zweite Weltkrieg noch immer andauerte, dass alle Enteignungen und scheinlegalen Vermögens-übertragungen, die während der nationalsozialistischen Herrschaft erfolgten, für nichtig erklärt werden würden.98

Nach Kriegsende erfolgte der Erlass mehrerer Gesetze, die diese Thematik regeln sollten. Die Opfer des Naziregimes erhielten die Möglichkeit im Zuge des Rechtsweges, ihr unrechtmäßig verlorenes Vermögen (zB durch Raub oder Enteignung) wieder zurückzuerlangen. Diese Gesetze gingen von der Prämisse aus, dass Österreich nicht die Rechtsnachfolge des Deutschen Reichs antritt und somit nicht verantwortlich für alle unter der Naziherrschaft erlittenen Schäden sei. Im Übrigen dienten die Rückstellungsgesetze nur der Restitution von vorhandenem Vermögen. Eine volle materielle Wiedergutmachung wurde von vornherein von der Politik ausgeschlossen.99

In der Folge wird eine Auswahl jener nationalen Rechtsgrundlagen beleuchtet, die eine zentrale Rolle in der Rückstellungs- und Entschädigungsdebatte eingenommen haben.

3.1. Nachkriegszeit 1945 – 1955

3.1.1 Das Nichtigkeitsgesetz 1946 (NichtigkeitsG 1946)

Das NichtigkeitsG 1946100 wurde im Mai 1946, ziemlich genau ein Jahr nach Beendigung des

zweiten Weltkriegs in Europa, vom Nationalrat verabschiedet. Es lehnte sich an die Forderungen der „Londoner Deklaration“ an und anerkannte somit deren Prinzipien. Dieses Gesetz verweist in § 2 leg cit auf weitere Ausführungsgesetze, die die Ansprüche der Opfer des Dritten Reiches regeln sollten.101

3.1.2. Das Dritte Rückstellungsgesetz (3. RStG)

Von den oben genannten sieben Restitutionsgesetzen102 war das 3. RStG103 das mit den meisten

Anspruchsberechtigten. Das 3. RStG war eines jener Gesetze, das den Opfern gem § 2 NichtigkeitsG 1946 eine allgemeine Grundlage bot, ihr ihnen geraubtes Vermögen aus privater Hand zurückzufordern. Dieses Gesetz wies jedoch viele Mängel auf. Beispielsweise war der 98 Siehe Kapitel 3.1.1. 99 Vgl Meissl, juridikum 2003, 42 (42). 100 BGBl 1946/106. 101 Vgl Meissl, juridikum 2003, 42 (42). 102 Siehe Kapitel 2.4. 103 BGBl 1947/54.

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„Ariseur“, im Gesetz „der Erwerber“ genannt, bessergestellt als das Opfer, im Gesetz „der geschädigte Eigentümer“ genannt. Erwähnt sei auch der Passus betreffend die enteigneten Wohnungen: der Gesetzestext verweist dabei auf weitere zu erlassende Regelungen, die nie in vollem Umfang in Kraft traten. Trotz der vielen Mängel wurde dem Gesetz, auch auf Drängen der Legal Division der US-Besatzungsbehörden, die Zustimmung erteilt.104

Die Verfahren stellten im Wesentlichen ein Außerstreitverfahren vor den, auf der Ebene der Landesgerichte eingerichteten, Rückstellungskommissionen dar. Ca 40.000 Verfahren wurden abgewickelt, allein 30.000 davon in Wien.105

Diese Rückstellungskommissionen unterstanden dem Ministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung. In diesem Ministerium arbeiteten jedoch viele ehemalige Nationalsozialisten als Konsulenten und mit Sonderverträgen ausgestattete Beamte. In der Folge kam es zur Verschleppung der Verfahren, bzw zu krassen Benachteiligungen der Geschädigten in der Rückstellungspraxis. Beispielsweise musste das Opfer, oft bedingt durch die Pflicht zur „Rückstellung der Gegenleistungen, was es zur eigenen Verfügung erhalten habe“, das geraubte Gut de facto zurückkaufen. Das galt auch, wenn der erhaltene Betrag sofort wieder als „Reichsfluchtsteuer“ abgeführt wurde, da der Betrag ja dem Opfer zugutegekommen wäre. In vielen Fällen mussten die Opfer Kredite aufnehmen, um ihr geraubtes Gut wieder zurückkaufen zu können. Gelang dies nicht, wurde öffentlich versteigert und viele ehemalige „Ariseure“ kauften so ihre unrechtmäßigen erlangten Güter auf legalem Weg wieder zurück.106

Politischen Rückenwind bekamen die sog „Rückstellungsbetroffenen“, die einen Verband gleichen Namens gründeten, durch den Umstand, dass Nationalratswahlen bevorstanden. Die Parteien bemühten sich besonders um die Stimmen der ehemaligen Nationalsozialisten und sicherten viele Zugeständnisse, auch die Rückstellungen betreffend,107 zu. Ein Gesetzesentwurf, der vorsah,

dass Ariseure in gewissen Härtefällen aus nichtbeanspruchtem jüdischen Vermögen (von ermordeten Juden) entschädigt werden sollten, erlangte nach massiven Protesten der Israelitischen Kultusgemeinde und dem damaligen US-Hochkommissär Keyes keine Rechtskraft.108

Das Problem der nicht zurückgestellten „arisierten“ Wohnungen blieb weiter virulent. Die Politik, an der Spitze Bundeskanzler Leopold Figl, war nicht bereit Zugeständnisse in diese Richtung zu machen. Das Versprechen, das Gesetz einer Novellierung zuzuführen, blieb unerfüllt. Viele

104 Vgl Bailer-Galanda, „ohne den Staat weiter damit zu belasten…“, in Forum Politische Bildung (Hrsg), Wieder gut machen? (1999) 103 (105).

105 Vgl Meissl, juridikum 2003, 42 (42).

106 Vgl Bailer-Galanda in Forum Politische Bildung 103 (106). 107 Vgl Bailer-Galanda in Forum Politische Bildung 103 (107). 108 Vgl Bailer-Galanda in Forum Politische Bildung 103 (108).

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Rückkehrer lebten auf Grund des Zögerns der Politik lange Jahre in Massen- und Elendsquartieren.109

3.1.3. Das Opferfürsorgegesetz (OFG)

Das OFG110 stellte neben den Rückstellungsgesetzen die zweite Säule der

Wieder-gutmachungsgesetze dar. Die Entschädigung sollte aus einer fortlaufenden Rentenzahlung bestehen, die bestimmten Voraussetzungen unterworfen war. Diese Prämissen waren in sich nicht schlüssig und wurden oft willkürlich festgelegt. So musste zB der Anspruchsberechtigte im Zeitpunkt der Inanspruchnahme Österreicher oder Wieder-Österreicher sein. Emigranten wurden stigmatisiert und aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten ausgeschlossen.111

Roma und Sinti wurden wegen des Vorurteils ihrer angeblich „kriminellen“ Neigungen durch die OF-Behörden nicht bedacht. Es wurde nicht berücksichtigt, dass deren Verfolgung aus rassistischen Gründen auf der Hand lag.112 Ebenso wurden Opfer des politischen Widerstands

gegenüber denen, die rassistische Gründe geltend machten, eher bevorzugt.113

Die ausgezahlten Beträge waren, obwohl die Opfer meist an der Armutsgrenze lebten bzw oft mittellos und arbeitsunfähig waren, weit unter der Summe, die für reguläre Alterspensionen ausbezahlt wurden.114

3.1.4. Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich (StV)

Der StV115 von 1955 sah in Art. 25 vor, dass die Republik Österreich alle Verpflichtungen den

Staaten der Vereinten Nationen gegenüber erfüllen muss, die sich aus Restitutionsforderungen ergeben. Der Zustand des Jahres 1938 sollte vollumfänglich wiederhergestellt werden. Es wurden dazu allerdings keine weiteren gesetzlichen Maßnahmen zur Erfüllung der genannten Verpflichtungen getroffen. Die Rechtsprechung verwies im Übrigen auf das 3. RStG. Die diesbezüglichen Ansprüche würden unter den Anwendungsbereich leg cit fallen. Verletzungen des Art. 25 StV könnten nur im konkreten Fall beurteilt werden.116

109 Vgl Bailer-Galanda in Forum Politische Bildung 103 (109). 110 BGBl 1947/183.

111 Vgl Bailer-Galanda in Forum Politische Bildung 90 (90). 112 Vgl Bailer-Galanda in Forum Politische Bildung 90 (92). 113 Vgl Bailer-Galanda in Forum Politische Bildung 90 (91). 114 Vgl Bailer-Galanda in Forum Politische Bildung 90 (90).

115 Staatsvertrag betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich BGBl 1955/152. 116 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 375.

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Art. 26 StV normierte, dass Sammelstellen für herrenloses Raubgut geschaffen werden sollten, um mit dem so erzielten Vermögen anderen hilfsbedürftigen Opfern Entschädigung leisten zu können. Die Verfahren allerdings wurden oft fehlerhaft geführt. Die Sammelstellen waren im Hinblick auf die Rückstellungsgesetze nicht legitimiert, erbenloses, bzw nicht beanspruchtes, entzogenes Vermögen gesetzeskonform im Sinne der Rückstellungsgesetze zu restituieren.117

Dies stellte weitere Hindernisse dar, die die Opfer auf ihrem langen Weg zu mehr Gerechtigkeit ausräumen mussten. Das Spiel auf Zeit wurde prolongiert.118

3.2. Die Entschädigungsgesetzgebung nach 1955 3.2.1. Das Nationalfondsgesetz

50 Jahre nach der Errichtung der Zweiten Republik wurde der Nationalfonds per Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus (Nationalfondsgesetz)119 gegründet. Der Zweck und das Ziel der Gründung war die moralische

Anerkennung der Opfer des Nationalsozialismus. Bundeskanzler Franz Vranitzky legte am 8. Juli 1991 in einer Rede vor dem Nationalrat den Grundstein zum Bekenntnis Österreichs für die Mitverantwortung an den Verbrechen des Dritten Reiches.120

Die Gründungsinitiative ging von den ehemaligen Bewohnern des „Döllersheimer Ländchens“ aus, deren Grund und Boden seinerzeit von den Nationalsozialisten enteignet und in einen Truppenübungsplatz (jetzt TÜPL Allentsteig) umgewidmet wurde. Die Bewohnerinnen und Bewohner wurden zwangsabgesiedelt.121

Im Zuge des Nationalfonds konnten nicht nur politische, religiöse, nationalitätsabhängige, die sexuelle Orientierung betreffende oder geistige oder körperliche Behinderungen betreffende Gründe genannt werden, auch die sog „Asozialen“ wurden wegen ihrer Verfolgung bedacht. Roma und Sinti, abschätzig oft als „Zigeuner“ bezeichnet, fielen auch in diese Opfergruppe.122 Im

weiteren Verlauf der Arbeit wird diese Klassifizierung als Opfergruppe noch näher erklärt und beleuchtet werden.123

117 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 375f. 118 Siehe Kapitel 2.3.

119 Bundesgesetz über den Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus BGBl 1995/432. 120 Vgl Lessing/Meissner, Wege der Versöhnung - Zehn Jahre Nationalfonds der Republik Österreich für Opfer des Nationalsozialismus, in Kohl/Ofner/Burkert-Dottolo ua (Hrsg), Österreichisches Jahrbuch für Politik (2004) 577 (578). 121 1350 der Beilagen XVIII. GP – Ausschussbericht NR:

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XVIII/I/I_01350/imfname_262685.pdf (abgerufen am 19.03.2020). 122 Vgl Lessing/Meissner, Wege der Versöhnung 577 (584).

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Als symbolische Gestenzahlung wurde den Opfern aus dem Nationalfonds eine Leistung in der Höhe von umgerechnet € 5.087,10 zugedacht.124 Insgesamt haben von 30.372 Antragstellern

28.124 Personen eine Entschädigung in genannter Höhe als Einmalzahlung aus dem Nationalfonds erhalten.125

Das Nationalfondsgesetz wurde am 23. Februar 2001 novelliert.126 Im Zuge dieser Novelle wurden

die Bestandsrechte, die den Opfern während der Zeit von 1938 bis 1945 gewaltsam entzogen wurden, per Antrag in der Höhe von umgerechnet € 7.630.- per Einmalzahlung abgegolten.127

Dies war insofern eine wichtige Tatsache, da es zur angekündigten Rückstellung der entzogenen Miet- und Bestandsrechte im Rahmen des 3. RStG nie gekommen war.128 Mittels des

Nationalfondsgesetzes wurde auch hier eine Lücke geschlossen.

3.2.2. Das Washingtoner Abkommen

Das Washingtoner Abkommen129 legte mit seiner Unterzeichnung den Grundstein für die

Rechtssicherheit im Hinblick auf die anhängigen Klagen US-amerikanischer Anwälte, die österreichischen Firmen im Zusammenhang mit den Verbrechen der Nationalsozialisten drohten. Es wurde ein umfassendes Maßnahmenpaket beschlossen, das den Rechtsfrieden auf immer sichern sollte. Die beteiligten Parteien waren die Republik Österreich, die USA, die Conference on Jewish Material Claims, die österreichischen israelitischen Kultusgemeinden, österreichische Wirtschaftsunternehmen und die besagten US-amerikanischen Anwälte der Opfer.130

Verschiedene Punkte dieses „joint statement“ waren in erster Linie die oben genannte Novelle zum Nationalfondsgesetz131 bezüglich der Bestandsrechte, sowie verschiedene soziale

Maßnahmen und die Entwicklung des Bundesgesetzes über die Einrichtung eines Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus und über Restitutionsmaßnahmen (EF-G)132. Dieses Gesetz bedachte vor allem die zu Unrecht liquidierten Betriebe, enteignete

Immobilien und Bankkonten, sowie die Rückstellung von Leistungen aus Versicherungspolizzen.

124 Vgl Lessing/Meissner, Wege der Versöhnung 577 (580). 125 Vgl Lessing/Meissner, Wege der Versöhnung 577 (581). 126 BGBl I 2001/11.

127 Vgl Lessing/Meissner, Wege der Versöhnung 577 (587). 128 Vgl Lessing/Meissner, Wege der Versöhnung 577 (586).

129Abkommen zwischen der Österreichischen Bundesregierung und der Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika zur Regelung von Fragen der Entschädigung und Restitution für Opfer des Nationalsozialismus BGBl III 2001/121.

130 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 440. 131 Siehe Kapitel 3.2.1.

132 Bundesgesetz über die Einrichtung eines Allgemeinen Entschädigungsfonds für Opfer des Nationalsozialismus und über Restitutionsmaßnahmen BGBl I 2001/12.

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Ebenso wurden Fragen der Naturalrestitution auf Bundesländerebene geregelt. Als Beispiel sei hier das Landesgesetz über Restitutionsmaßnahmen für Opfer des Nationalsozialismus (Oö. Restitutionsgesetz)133 genannt.

3.2.3. Das Versöhnungsfondsgesetz

Das zentrale Thema der vorliegenden Arbeit umfasst die Entschädigung der ZwangsarbeiterInnen, die mittels des Bundesgesetzes über den Fonds für freiwillige Leistungen der Republik Österreich an ehemalige Sklaven- und Zwangsarbeiter des nationalsozialistischen Regimes (Versöhnungsfondsgesetz)134 geregelt wurde.

Die Erfassung der Anzahl der ZwangsarbeiterInnen wurde durch die Arbeit der Historikerkommission, die unter der Regierung Schüssel eingesetzt wurde135, erst ermöglicht. Der

Fonds, aus welchem die Sklaven- und ZwangsarbeiterInnen eine Entschädigung in unterschiedlichen Höhen, je nach Härtegrad des erlittenen Leids gestaffelt (von € 1.453,46 bis € 7.630,65 als Einmalzahlung)136, zugesprochen bekamen, wurde von der österreichischen

Regierungsbeauftragten Maria Schaumayer „Fonds für Versöhnung, Frieden und Zusammenarbeit (Versöhnungsfonds)“ benannt.137

Die bisher unbedachte und ausgeblendete Opfergruppe der Sklaven- und ZwangsarbeiterInnen wurde erstmals durch die Arbeit eines Historikers, Ulrich Herbert138, in den Fokus der Öffentlichkeit

gerückt.139

Im Laufe der Diskussion in Politik und Wissenschaft wurde der Ruf nach einer gerechten Entschädigung für das erlittene Unrecht durch Sklaven- und Zwangsarbeit immer hörbarer. Sammelklagen aus den USA verschärften den Druck auf die betroffenen Regierungen der einzelnen Staaten. Diese erreichten ua auch Österreich, Polen und Deutschland.140

Im Jahr 2000 kam es dann in Deutschland, wie bereits in einem Exkurs behandelt, zur Gründung der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“.141

133 Landesgesetz über Restitutionsmaßnahmen für Opfer des Nationalsozialismus LGBl 2002/29.

134 Bundesgesetz über den Fonds für freiwillige Leistungen der Republik Österreich an ehemalige Sklaven- und Zwangsarbeiter des nationalsozialistischen Regimes BGBl I 2000/74.

135 Siehe Kapitel 4.3.

136 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 439. 137 Vgl Feichtlbauer, Zwangsarbeit 205.

138 Vgl Herbert, Fremdarbeiter – Politik und Praxis des „Ausländer-Einsatzes“ in der Kriegswirtschaft des Dritten Reiches (1985).

139 Vgl Herko, Die Frage der ehemaligen Zwangsarbeiter unter nationalsozialistischem Regime auf dem Gebiet der Republik Österreich (2002) 60.

140 Vgl Herko, Die Frage der ehemaligen Zwangsarbeiter 62f. 141 Siehe Kapitel 2.5.

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1999 wurde nach den Nationalratswahlen beschlossen, die Koalition aus SPÖ und ÖVP nicht fortzusetzen. Die ÖVP begab sich in eine Regierungsbeteiligung mit der FPÖ unter Susanne Riess-Passer. Im Koalitionsabkommen ÖVP-FPÖ wurde folgendes Statement aus einem ehemaligen Koalitionsabkommen von SPÖ-ÖVP übernommen: „…Was den Bereich der

NS-Zwangsarbeit betrifft, wird die Bundesregierung im Lichte des Zwischenberichts der österreichischen Historikerkommission unter Berücksichtigung der primären Verantwortung der betroffenen Unternehmen um sachgerechte Lösungen bemüht sein.“142 Diese Formulierung findet

sich in der Regierungserklärung des Bundeskanzlers Schüssel fast wortwörtlich wieder.143

Wie bereits erwähnt wurde Maria Schaumayer zur Regierungsbeauftragten für Zwangsarbeiter-fragen ernannt, um die Ereignisse voranzutreiben. In den folgenden Verhandlungen mit den USA, der Wirtschaft, sowie mit den verschiedenen religiösen Verbänden und Opfervereinigungen konnte, wie bereits erwähnt, die Klagesflut beseitigt und die Rechtssicherheit hergestellt werden. Wichtig dabei war die Gleichbehandlung mit Deutschland und die Trennung von Restitution und der Entschädigung erlittenen Leids durch Sklaven- und Zwangsarbeit. Letztere führte zu einer wesentlichen Beschleunigung des Entschädigungsprozesses, da viele der Anspruchsberechtigten bereits ein hohes Alter erreicht hatten.144

Gemeinsam mit dem ersten Präsidenten des Nationalrats Heinz Fischer, gelang es Maria Schaumayer die Verhandlungen rasch voranzutreiben. Dem ersten Entwurf des Versöhnungsfondsgesetzes vom 27. April 2000 folgte am 31. Mai 2000 ein zweiter, bis schlussendlich kaum drei Monate später, am 7. Juli 2000, das Gesetz im Nationalrat von allen vier Parteien einstimmig beschlossen und am 19. Juli 2000 vom Bundesrat verabschiedet wurde.145

Der Fonds wurde lt § 6 Abs 1 Versöhnungsfondsgesetz mit ATS 6 Milliarden (umgerechnet ca € 463 Millionen) dotiert. Davon steuerte die Wirtschaft ca € 130 Millionen bei.146 Die Differenz wurde

aus den zu erwartenden Überschüssen des Insolvenzsicherungsfonds finanziert.147

In ihrer Rede am Tage der Abschlusserklärung am 24. Oktober 2000 hielt Maria Schaumayer fest, dass Österreich keine staatlich zurechenbare rechtliche Verantwortung, aber sehr wohl eine moralische an den damaligen Geschehnissen im Dritten Reich übernehmen muss. Ohne die ZwangsarbeiterInnen in der Landwirtschaft hätte die Kriegsgeneration nicht überlebt und die

142 Vgl Herko, Die Frage der ehemaligen Zwangsarbeiter 73. 143 Vgl Herko, Die Frage der ehemaligen Zwangsarbeiter 77. 144 Vgl Herko, Die Frage der ehemaligen Zwangsarbeiter 84. 145 Vgl Herko, Die Frage der ehemaligen Zwangsarbeiter 92f.

146 Vgl Eichtinger, Der Versöhnungsfonds – Österreichische Leistungen an ehemalige Sklaven- und Zwangsarbeiter des NS-Regimes, in Kohl/Ofner/Burkert-Dottolo ua (Hrsg), Österreichisches Jahrbuch für Politik (2000) 193 (229). 147 Vgl Eichtinger, Der Versöhnungsfonds 193 (240).

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Erbengeneration wäre nie geboren worden. Ohne die ZwangsarbeiterInnen in der Industrie wäre ein Entwicklungsschub in Richtung Industrieland nicht möglich gewesen.148

Bundeskanzler Wolfgang Schüssel nützte seine Rede zum Eingeständnis, dass die Frage der Entschädigung der Opfer des Nationalsozialismus in der Zweiten Republik nur sehr zögerlich begegnet wurde und die Einsicht gefehlt habe, die ZwangsarbeiterInnen als Opfergruppe in die Überlegungen miteinzubeziehen.149

Bis Mitte 2005 wurden 132.000 Anträge ehemaliger Sklaven- und ZwangsarbeiterInnen genehmigt. Die Opfer erhielten für erlittenes Leid in Summe ca € 352 Millionen aus dem Versöhnungsfonds ausbezahlt.150

148 Vgl Eichtinger, Der Versöhnungsfonds 193 (236). 149 Vgl Eichtinger, Der Versöhnungsfonds 193 (238). 150 Vgl Feichtlbauer, Zwangsarbeit 299.

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4. Die Historikerkommission

4.1. Die Entstehung der Historikerkommission

Durch die Beschlagnahme von vier Schiele Bildern Ende 1997 aus der Sammlung Leopold begann in Österreich eine folgenschwere Diskussion über die zentralen Themen Restitution von Sachwerten und Vermögensrückstellung.

Die Schweiz hatte bereits mittels einer „Unabhängigen Expertenkommission“, die vom schweizerischen Parlament eingesetzt wurde, Ende 1996 mit der Untersuchung des Verbleibs von Vermögenswerten aller Art aus ungeklärter (NS-) Provenienz begonnen.151

In Deutschland begannen ernste Beratungen nach dem Abschluss des 2+4 Vertrags, der abschließenden Regelung über die Wiedervereinigung Deutschlands, über die Maßnahmen zur Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter während der NS-Zeit. Sammelklagen in den USA gegen bedeutende deutsche Unternehmen mit dortigen Niederlassungen beschleunigten den Vorgang.152

Die Österreichische Postsparkasse unter dem Generaldirektor Max Kothbauer begann 1998 ihre NS-Vergangenheit mittels einer Historikerkommission aufzuarbeiten.153

Im Herbst 1998 drohte der US-Anwalt Ed Fagan der Rechtsnachfolgerin der Creditanstalt, der Bank Austria, mit einer Sammelklage wegen zweifelhafter Vermögenswerte.154

Ariel Muzicant, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde Wien, forderte seinerseits im September 1998 eine Historikerkommission, die die Themenbereiche „Arisierung“ und „Rückstellung“ bearbeiten sollte.155

Im November 1998 wurde die Historikerkommission von der österreichischen Bundesregierung eingesetzt, sicher auch, um den möglicherweise drohenden Klagen aus den USA zu begegnen.156

151 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 17. 152 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 18. 153 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 18. 154 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 18. 155 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 18. 156 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 18.

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