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5. Zwangsarbeiterinnen im Dritten Reich

5.4. Sex-Zwangsarbeit im Dritten Reich

Der Begriff „Sex-Zwangsarbeit“ kann mit dem Begriff „Zwangsprostitution“ oder gar „Prostitution“

nicht gleichgesetzt werden. Bei der „Prostitution“ ist die Entgeltlichkeit und die Freiwilligkeit zumindest impliziert denkbar. Bei der „Zwangsprostitution“ wird Sex zwar gegen Bezahlung geleistet, aber ohne die Dimension der Freiwilligkeit. Bei der „Sex-Zwangsarbeit“ fallen beide Komponenten weg, es handelt sich dabei um reine, nackte Gewalt gegen Frauen und Mädchen, die oft ihrer Würde beraubt wurden und sich vor lauter Scham und Wut gar nicht getraut haben, offen über ihre erlittenes Unrecht zu sprechen.224

Die sexuelle Ausbeutung von Frauen und Mädchen in Militär-, Zwangsarbeiter- oder KZ-Lagern, war kein NS-spezifisches Vorgehen. Während des Zweiten Weltkriegs wurden beispielsweise in japanischen Wehrmachtsbordellen koreanische Frauen zur Zwangsprostitution angehalten.225

221 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 205.

222Zitat aus der Geheimrede Heinrich Himmlers an seine SS-Gruppenführer in Posen am 4.10.1943.

223 Vgl Hauch, Ostarbeiterinnen 1271 (1272).

224 Vgl Alakus/Kniefacz/Vorberg (Hrsg), Sex-Zwangsarbeit 18.

225 Vgl Alakus/Kniefacz/Vorberg (Hrsg), Sex-Zwangsarbeit in nationalsozialistischen Konzentrationslagern (2006) 17.

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5.4.1. Der politische Kontext

Im Zuge der nationalsozialistischen „Rassenhygiene“ war es undenkbar, dass sich „nichtarisches“,

„unreines Blut“ mit „arischem“ vermischt. Lt Alfred Rosenberg, einem der Chefideologen der NSDAP, war „das Einsickern fremden Blutes“226 die größte Bedrohung für die „deutsche Volksgemeinschaft“. Die Kriterien hierarchischer Bewertungen waren ethnische Zugehörigkeit, Geschlecht, Rasse und Erbanlage.227

Im Rollenverständnis der Nationalsozialisten wurde den Männern die Entschlusskraft und der Intellekt zugeschrieben, sich politisch, militärisch und gesetzgeberisch zu betätigen. Den Frauen blieb nur die gefühlsbestimmte, untergeordnete, opferbereite und dienende Rolle. Dies wurde durch fadenscheinige biologische Argumente untermauert und bekräftigt. Daraus folgte eine pränatalistische, auf die Steigerung der Geburtenrate ausgerichtete Bevölkerungspolitik, mit dem Ziel, die Geburtenrate möglichst in die Höhe zu treiben. Arisches und erbgesundes Gebären war die Pflicht der deutschen Frau. Durch diese Rolle der Mutterschaft erlangte sie gesellschaftliche Anerkennung.228

Organisatorisch wurde diese Politik der Frauendiskriminierung durch diverse Kader-organisationen, wie dem „Bund Deutscher Mädchen“ (BDM) oder dem „Deutschen Frauenwerk“

(DFW) ermöglicht. Körperliches Training der werdenden Mütter, sowie die ideologische Beeinflussung durch das NS-Regime standen im Vordergrund der staatlichen Bemühungen.229

Diese Politik stand im krassen Gegensatz zur sog Rassenhygiene in Bezug auf die ZwangsarbeiterInnen, die, wie bereits erwähnt, den Bemühungen des NS-Regimes im Wege standen, die Reinheit der arischen Rasse zu fördern und zu bewahren. So kam es immer wieder zu Kontakten zwischen „Ariern“ und „rassenfremden Elementen“, sprich „Nicht-Ariern“, dh MitgliederInnen anderer Volkszugehörigkeiten und deutschen Frauen und Männern. Selbst Merkblätter230 und zahlreiche Erlässe der NS-Behörden231 konnten dem keinen Einhalt gebieten.

Diese Merkblätter wurden sowohl für die einheimische, deutsche Bevölkerung in Umlauf gesetzt, als auch für die „fremdvölkischen“ ZwangsarbeiterInnen, die in ihrem näheren Umfeld Kontakt mit der deutschen Bevölkerung hatten.232

226 Vgl Rosenberg, Der Mythus des 20. Jahrhunderts (1938) 116.

227 Vgl Alakus/Kniefacz/Vorberg (Hrsg), Sex-Zwangsarbeit 26.

228 Vgl Alakus/Kniefacz/Vorberg (Hrsg), Sex-Zwangsarbeit 27.

229 Vgl Alakus/Kniefacz/Vorberg (Hrsg), Sex-Zwangsarbeit 29.

230 https://www.duelmen.de/fileadmin/user_upload/duelmen.de/stadtarchiv/pr/zwangsarbeit/quellen_polen5.htm (abgerufen am 19.03.2020).

231Allgemeine Erlass-Sammlung des Chefs der Sicherheitspolizei und des SD 2 A III f, 24-35, Anlage 1, https://www.bundesarchiv.de/zwangsarbeit/files/rd19-3_erl-osta-kennz-sw.pdf (abgerufen am 19.03.2020).

232 Vgl Grützbauch, Zwangsarbeit und Sexualität – Nationalsozialistische Strategien der Kontrolle (2003) 20ff.

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5.4.1.1. „Rassenschänderinnen“

Diese, oft besonders detailreich ausgeführten Erlässe, dienten nicht nur dazu, den Zwangs-arbeiterInnen Angst einzuflößen, sondern auch als Repressionsinstrument gegen die eigene deutsche Bevölkerung. Speziell die deutsche Frau war als prädestinierte Beute des Sexualtriebs der ausländischen männlichen Zwangsarbeiter identifiziert worden und bekam somit als mögliche

„Rassenschänderin“ besondere Aufmerksamkeit. Die Konsequenz daraus, waren nicht nur Gefängnisstrafen, sondern auch öffentliche Anprangerungen.233

5.4.1.2. Zwangssterilisation

„Asozialität“ stellte im Dritten Reich einen Auffangtatbestand dar, um damit missliebige Personen auf legalem Wege verfolgen zu können. Arbeitsverweigerung, mangelnde soziale Anpassung, aber auch Prostitution oder die Vermutung auf zerrüttete, familiäre Verhältnisse, sowie der verbotene Umgang mit ZwangsarbeiterInnen gehörten zu den konstruierten Tatbeständen.234

Im Zuge der Verfolgung der sog „Asozialen“, „rassisch Minderwertigen“, aber auch gegen

„Minderwertige“ des eigenen Volkes, des weiteren gegen psychisch Kranke und „Verbrecher“, wurde vom NS-Regime seit 1934 das Instrument der Zwangssterilisation gegen diese bedauernswerten Menschen eingesetzt, dessen Anwendung im Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses235 geregelt wurde. Besonders betroffen waren Frauen und Männer, die wegen des Verkehrs mit „fremdvölkischen Individuen“ bestraft wurden. Allein der Verdacht war schon ausreichend.236

5.4.2. Lagerbordelle als Institution

Nicht nur rassenhygienisches Kalkül, sondern auch wirtschaftliche Überlegungen, führten zu der Entwicklung eines sexualpolitischen Konzepts in Form von staatlich kontrollierten Bordellen in KZs, sowie in Unterbringungslagern von Zwangsarbeitern.237

In den KZs erhofften sich die Nationalsozialisten, insbesondere der Reichsführer SS Heinrich Himmler, eine Produktionssteigerung durch Motivation.238

233 Vgl Grützbauch, Zwangsarbeit und Sexualität 52.

234 Vgl Lessing/Meissner, Wege der Versöhnung 577 (584).

235 Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses RGBl I 1933/529.

236 Vgl Alakus/Kniefacz/Vorberg (Hrsg), Sex-Zwangsarbeit 54.

237 Vgl Grützbauch, Zwangsarbeit und Sexualität 66.

238 Vgl Alakus/Kniefacz/Vorberg (Hrsg), Sex-Zwangsarbeit 125.

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Himmler äußerte sich zum Thema Lagerbordelle insofern, als er es begrüßte, dass nunmehr diese Millionen Ausländer nicht mehr auf die deutsche Frau losgehen würden. Er errichte diese Bordelle nur, um größeres Unheil zu verhindern und um dieses „unappetitliche Problem“ zu lösen.239

Diese Motivation sollte durch verschiedene Arten der Vergünstigung im Hinblick auf produktive Leistungen (Akkordarbeit) erreicht werden. Dazu gehörte auch die Errichtung von Lagerbordellen, die in der Fachsprache „Häftlings-Sonderbau“ genannt wurden. Das erste dieser Bordelle wurde im KZ Mauthausen in Baracke 1 am 11. Juni 1942 eröffnet. Ein weiteres folgte im Herbst 1942 im KZ Gusen. Jeweils zehn Frauen wurden in beiden Lagern zur Sex-Zwangsarbeit gezwungen.240

Diese Praxis wurde im ganzen Deutschen Reich umgesetzt. Sogar im berüchtigtsten KZ des Dritten Reiches, in Auschwitz (Polen), wurde ein Häftlingsbordell eingerichtet. Es folgten weitere in Auschwitz-Birkenau, Buchenwald (nahe München), Sachsenhausen und an vielen anderen Orten.241

Die Frauen, die Sex-Zwangsarbeit leisten mussten, waren meist zwischen 20 und 30 Jahre alt.242 Sie erhielten zumeist höhere Lebensmittelzulagen und waren mitunter bessergestellt als ihre Mithäftlinge (Kleidung, Verpflegung, Hygiene, Krankenversorgung). Durch diese scheinbare

„Bevorzugung“ änderte sich aber nichts am Zwangscharakter der Erniedrigungen.243

Jene Bordelle wurden nicht nur in KZs, sondern auch in der Nähe von Industriebetrieben, die Zwangsarbeiter beschäftigten und in Zwangsarbeiterlagern errichtet. In der Theorie sollte die staatliche Kontrolle und Organisation die Prostitution in geordnete Bahnen lenken, doch die unterschiedlichen Zugänge der örtlichen Behörden zu diesem heiklen Thema in der Öffentlichkeit, sowie die nackte Realität des sog „Marktes“, regelte Himmlers „unappetitliches Problem“ in eigener Art und Weise.244 Die Frau wurde zu einem reinen Sexualobjekt degradiert, der eigenen Persönlichkeit beraubt, der Mann als Individuum auf das, was den animalischen Trieb ausmacht, reduziert.245

5.4.3. Zusammenfassung

Um all das zu würdigen, was diese Frauen und Mädchen zu ertragen hatten, fehlen Männern die Worte. Selbst nach Bekanntwerden der einzelnen Martyrien im Zuge der Entnazifizierung nach

239Vgl Schwarze, Kinder, die nichts zählten: Ostarbeiterinnen und ihre Kinder im Zweiten Weltkrieg (1997) 113.

240 Vgl Alakus/Kniefacz/Vorberg (Hrsg), Sex-Zwangsarbeit 133.

241 Vgl Alakus/Kniefacz/Vorberg (Hrsg), Sex-Zwangsarbeit 134.

242 Vgl Alakus/Kniefacz/Vorberg (Hrsg), Sex-Zwangsarbeit 137.

243 Vgl Grützbauch, Zwangsarbeit und Sexualität 69.

244 Vgl Grützbauch, Zwangsarbeit und Sexualität 74.

245 Vgl Schwarze, Kinder, die nichts zählten 114.

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1945, wurde die Opferrolle der Zwangsprostituierten im Hinblick auf eine sog „Freiwilligkeit“ ihres Erleidens mit Füßen getreten. Das Muster der Legitimation war – „Die wollten doch als Prostituierte arbeiten“.246

Dies wurde auch durch die Argumentation untermauert, dass sich vorwiegend inhaftierte, ehemalige Prostituierte freiwillig meldeten, um als Sex-Zwangsarbeiterinnen zu arbeiten. Diese unterstellte Freiwilligkeit ehemaliger „Gewerblicher“ war auch der Grund dafür, dass das Thema

„Sex-Zwangsarbeit“ lange nach 1945 nicht als Zwangsarbeit im eigentlichen Sinne angesehen und identifiziert wurde. Selbst ehemalige männliche KZ-Häftlinge verklärten die Sicht der Dinge in der Rückschau auf „schöne gemeinsame Zeiten“ mit den Sex-Zwangsarbeiterinnen.247

Die österreichische Schriftstellerin Elfriede Jelinek bringt in einer Rede, gehalten im Jüdischen Museum Wien am 23.06.2004, die Traurigkeit auf den Punkt:

„(…) Sie sprechen, wie ich jetzt, darum herum, als ob das Ausradierte nie mehr wieder beschrieben werden könnte, im wahrsten Sinn des Wortes, be-schrieben, als ob durch das dem Verstand eben zuwiderlaufende Demütigen und Auslöschen von Menschen in derart großer Zahl ein blinder Fleck, ein schwarzes Loch entstanden wäre, das alles schluckt. Es hält kein Schreiben mehr, wo durch Radieren ein Loch entstanden ist. Das, was ich sagen könnte, kann ja gar nicht halten. Aber diese Frauen mussten es aus-halten, (…)“.248

246 Vgl Eschebach/Jedermann, Sex-Zwangsarbeit in NS-Konzentrationslagern, Feministische Studien 2007 25/1, 122 (124).

247 Vgl Eschebach/Jedermann, Sex-Zwangsarbeit 122 (124).

248 https://www.elfriedejelinek.com/fopfer.htm (abgerufen am 21.12.2019).

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