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6. Ergebnis und Ausblick - Lernen für die Zukunft

6.1. Die Einschränkungen der Historikerkommission

Die Schwierigkeiten im Umgang mit der Geschichte, der Politik und dem vergangenen, sowie dem geltenden Recht, offenbarte sich gleich zu Beginn aus mehreren Gründen. Die Willensbildung über die Gründung der Historikerkommission erfolgte zu Beginn im politischen Raum.258

Der nächste Schritt bedeutete ein Prozedere zu finden, wie Juristen und Historiker in einem gemeinsamen Umfeld interdisziplinär zusammenarbeiten könnten, ohne sich, ihren Metiers entsprechend, gegenseitig zu blockieren.259

Gerade die juristische Wahrheitssuche ist stets personal, die Arbeit der Historiker zumeist überpersonal und nicht so sehr an den Lebenssachverhalten des einzelnen Individuums orientiert.260

Diese Differenzen offenbarten sich vor allem in der Identifizierung der Opfer und Täter, der Ausgebeuteten und der sog „Ariseure“. Gem Art 8 EMRK261 sind die Privatsphäre und der Schutz personenbezogener Daten ein Grundrecht, das in der Verfassung verankert ist.262 Ebenso hat

256 Präsident des Österreichischen Verwaltungsgerichtshofs 1993-2013, Vorsitzender der Österreichischen Historiker-kommission 1998-2003.

257 Vgl Plassnik, Die Zeit war reif: von den Worten zu den Taten, in Karner/Iber (Hrsg), „Schweres Erbe und Wiedergutmachung“ - Restitution und Entschädigung in Österreich (2015) 247 (257).

258 Vgl Jabloner, Am Beispiel der Historikerkommission 113.

259 Vgl Jabloner, Am Beispiel der Historikerkommission 115.

260 Vgl Jabloner, Am Beispiel der Historikerkommission 120.

261 Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten BGBl 1958/210.

262 Vgl Eisenberger/Faber, Naming Names – Individuelle Namensnennung bei der Aufarbeitung der NS-Zeit am Beispiel der Historikerkommission, juridikum 2003, 27 (27).

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jedermann gem § 1 Abs 1 DSG 2000 (Datenschutzgesetz)263 ein Recht auf die Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten. In manchen Fällen gilt das auch über den Tod hinaus, soweit ein schutzwürdiges Interesse daran besteht.264 Auf die unterschiedlichen Auslegungen der genannten Gesetze wird hier nicht eingegangen, jedoch ist zu erkennen, dass diese speziellen, rechtlichen Hindernisse die Arbeit der Historikerkommission schon zu Beginn massiv behinderten. Die Möglichkeit ein sog „Telefonbuch der Ariseure“ zu erstellen war in dieser Hinsicht unmöglich.265

Allerdings war die Aufgabe der Historikerkommission darauf beschränkt, kein Gericht oder eine Verwaltungsbehörde oder gar eine Ethikkommission im politischen Raum darzustellen, sondern sich als eine Institution der „Geschichtsbarkeit“266 neu zu erfinden.267

In diesem Zusammenhang forderte die Historikerkommission in ihrem Arbeitsprogramm die lückenlose Öffnung und Erhaltung aller zur Verfügung stehenden Archive. Dies betraf zB das Österreichische Staatsarchiv, die Landesarchive, die Gemeindearchive, die Stadtarchive, aber auch die Archive der Interessensvertretungen, politischen Parteien und insbesondere die Archive der Firmen, die in die Verbrechen des NS-Regimes involviert waren.268

Diesem Wunsch zum Schutz und zur Öffnung der Archive, wurde durch einen gemeinsamen Entschließungsantrag aller im Nationalrat vertretenen Parteien entsprochen.269

Bei der Suche und den Nachforschungen nach Unterlagen und Aktenmaterialien der möglichen Quellen, eröffnete sich den Historikern und Juristen das nächste Hindernis. Viele der gesuchten Datenbestände waren bereits skartiert (=vernichtet) oder gelöscht worden. Manches wurde nur durch Zufall wiedergefunden, vieles blieb verschollen.270

Besonders betroffen waren die Datenbestände des Bundesministeriums für soziale Verwaltung in Bezug auf Wohnungsangelegenheiten, sowie die Bestände der Devisenstelle Wien im Hinblick auf den Vermögensentzug der jüdischen Bevölkerung. Auch die sog „Zigeunerkartei“ war unauffindbar.271

263 Bundesgesetz zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten BGBl I 1999/165.

264 Vgl Eisenberger/Faber, Naming Names 27 (28).

265 Vgl Eisenberger/Faber, Naming Names 27 (30).

266 Siehe Kapitel 4.4.

267 Vgl Jabloner, Am Beispiel der Historikerkommission 111 (116).

268 Vgl Republik Österreich Historikerkommission, Arbeitsprogramm 7ff.

269 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 37.

270 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 51ff.

271 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 53.

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6.1.2. Der moralische und wissenschaftliche Aspekt

Die Historikerkommission wurde, das zeichnete sich recht bald nach Beginn ihrer Tätigkeit ab, viel zu spät eingesetzt. Die Opfer waren zumeist betagte Menschen, viele von ihnen waren bereits verstorben. Das Ausmaß der zu erforschenden Materien war riesig. Der Vorwurf stand im Raum, die Historikerkommission wäre nur ein Instrument mehr, „die Sache in die Länge zu ziehen“.272

Es galt nun, die Themenkreise den Notwendigkeiten anzupassen. Zu Beginn wurde sofort das Augenmerk auf die Zwangsarbeiterthematik gelegt. Bereits nach kurzer Zeit wurde das Versöhnungsfondsgesetz273 aus der Taufe gehoben. Vielen ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern konnte somit noch geholfen und ihre Leiden dementsprechend gewürdigt werden.274 Insgesamt wurden bis 18. Dezember 2002 insgesamt 91.281 Opfer entschädigt.275

Gerade dieses zügige Arbeiten und das Engagement des Forschungsteams, erlaubte die Fertigstellung der verschiedenen Forschungsberichte in nur vier Jahren. In einem Interview mit der „Neuen Züricher Zeitung“ vom 10.03.2003 zeichnet Clemens Jabloner die vielen Facetten der Entstehung des 14.000 Seiten starken Abschlussberichts der Historikerkommission folgendermaßen nach:276

Zu Beginn der Forschungen gab es nur Vermutungen über das Ausmaß der Gräueltaten rund um die Thematik des Vermögensentzuges. Gerade die Beraubung des einzelnen Opfers, entweder durch einen brutalen Übergriff, oder durch einen organisierten Raub, bis hin zur „organisierten Kriminalität“ des NS-Regimes, erschütterte die Wissenschaftler und die Juristen in gleichem Maße. Vernichtung und Beraubung gingen Hand in Hand. Das einzelne Opfer wurde auf dem Weg bis zur Vernichtung ständig beraubt und zum Schluss wurde dem entwürdigten Menschen auch noch das Leben genommen. Seltsamerweise kam es im Zuge der Arisierungen in Österreich zu Beginn der NS-Herrschaft zu einem massiven Ausbruch der Gewalt, der vom NS-Regime kaum beherrscht wurde. Das Element der „Plötzlichkeit“ war ein rein österreichisches Phänomen, das vom Mob ausgelöst und gesteuert wurde.

Jabloner stellte auch klar, dass die Zeit, in der die Forschungen abgeschlossen sein sollten, eine wesentliche Rolle spielte und sich die Historikerkommission in keiner Weise von der Politik in dieser Hinsicht beeinflussen lassen wollte. Mit zügig veröffentlichten Berichten und raschen Maßnahmen gelang es den Historikern und Juristen, sowohl die politische, als auch die juristische Meinungsbildung in die richtige Richtung zu lenken. Die ruhig geführte Debatte und die an den

272 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 34.

273 BGBl I 2000/74.

274 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 34.

275 Vgl Jabloner/Bailer-Galanda/Blimlinger ua (Hrsg), Schlussbericht 35.

276 https://www.nzz.ch/article8PNZ4-1.223981 (abgerufen am 12.01.2020).

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Tag gelegte Sachlichkeit der Forschungsergebnisse ersparte Österreich eine emotionale Debatte, wie sie in der Schweiz stattgefunden hat und somit eine weitere Verzögerung der Maßnahmen.

Gefragt nach einem „Schlussstrich“ unter das Kapitel der Debatten um die Vorgänge während der NS-Herrschaft meinte Jabloner, dass es im Sinne der Wissenschaft keinen Schlussstrich geben könnte. Die einzelnen Fälle, die Opfer, die Täter, stellen eine schiere Masse dar, die in ihrer Gesamtheit kaum zu begreifen sei.

Die Opfer des Holocausts werden durch den Positivismus der Zahlen und des Rechts anonymisiert. Der Einzelne steht vor dem Dilemma, dass die Suche nach seiner Geschichte in den Forschungen der Historikerkommission nur in einer Enttäuschung enden kann. Jabloner bedauert, dass über 200.000 persönliche Schicksale in den Forschungsberichten nicht einzeln historisch bearbeitet und dokumentiert werden können. Darüber hinaus reduziert sich bei näherer Betrachtung die historische Forschung auf die juristische Sachverhaltsdarstellung, die wiederum nicht von Historikern bearbeitet werden kann. Historische Forschung kann somit die Justiz nicht ersetzen.

Jabloner endet mit dem Resümee, dass die Arbeit der Historikerkommission die Mitverantwortung Österreichs für das verübte Unrecht des NS-Regimes in Österreich hervorhebt und bestätigt.