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Wrongful conception und wrongful birth als privilegierte Behandlungsfehler? / eingereicht von Stefanie Bauernfeind

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Academic year: 2021

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JOHANNES KEPLER UNIVERSITÄT LINZ Altenberger Straße 69 4040 Linz, Österreich www.jku.at Eingereicht von Stefanie Bauernfeind Angefertigt am Institut für Zivilrecht Abteilung Finanzmarktrecht Beurteiler

Univ.-Prof. Dr. Stefan Perner

September 2017

Wrongful conception

und wrongful birth als

privilegierte

Behandlungsfehler?

Diplomarbeit

zur Erlangung des akademischen Grades

Magistra der Rechtswissenschaften

im Diplomstudium

(2)

EIDESSTATTLICHE ERKLÄRUNG

Ich erkläre an Eides statt, dass ich die vorliegende Diplomarbeit selbstständig und ohne fremde Hilfe verfasst, andere als die angegebenen Quellen und Hilfsmittel nicht benutzt bzw die wörtlich oder sinngemäß entnommenen Stellen als solche kenntlich gemacht habe.

Die vorliegende Diplomarbeit ist mit dem elektronisch übermittelten Textdokument identisch.

Linz, 29.09.2017

(3)

Inhaltsverzeichnis

I. Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit ... 5

II. Der Behandlungsvertrag ... 5

III. Das österreichische Schadenersatzrecht ... 7

A. Aufgaben und Ziele des Schadenersatzrechts ... 7

B. Der Behandlungsvertrag als Haftungsansatz ... 9

C. Der Schadensbegriff des ABGB ... 11

D. Ersatz des Schadens und Schadensberechnung ... 13

IV. Ausgangslage bei fehlgeschlagener Familienplanung ... 14

A. Meinungen im Schrifttum ... 17 1. Einheitstheorie ... 17 2. Gemäßigte Einheitstheorie ... 18 3. Trennungstheorie ... 21 4. Eigene Auffassung ... 23 B. Bisherige Rechtsprechung ... 24 1. Zu wrongful birth ... 24 2. Zu wrongful conception ... 28

3. Kritik an der bisherigen Rechtsprechung ... 30

V. Die jüngste Entscheidung ... 32

A. Darstellung des Sachverhalts und der Begehren ... 32

B. Entscheidung des OGH ... 34

C. Kritik an der jüngsten Entscheidung ... 34

D. Zum erhobenen Mitverschuldenseinwand ... 37

VI. Alternative Lösungswege ... 41

A. Lösungsvorschläge der Literatur ... 41

B. Schadenersatzrechts-Änderungsgesetz 2011 ... 43

VII. Zusammenfassung und persönlicher Ausblick... 45

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(5)

I. Problemstellung und Zielsetzung der Arbeit

Der medizinische Fortschritt der letzten Jahrzehnte brachte und bringt nicht nur für erkranke Menschen Neuerungen mit sich, auch im Bereich der Familienplanung und Pränataldiagnostik erweitern sich die Diagnose- und (Be)Handlungsmöglichkeiten. Neben der medizinischen Wissenschaft wird durch diese Weiterentwicklung die österreichische Rechtsordnung mit neuen Problemfeldern und noch nicht diskutierten Rechtsfragen konfrontiert.

Ab dem Jahr 1990 begann der Diskurs um die Frage, wie Aufklärungs- und Behandlungsfehler iZm medizinischen Maßnahmen zur Schwangerschaftsverhütung, Pränataldiagnostik und unerwünschter Elternschaft aus dem Blickwinkel des Schadenersatzrechts zu beurteilen sind.1 In den Jahren 2006 bis 2010 erreichte diese

Diskussion ihren Höhepunkt, seither hat die Intensität des Austauschs abgenommen und scheint derzeit zum Erliegen gekommen zu sein.2

Die vorliegende Arbeit greift den eben geschilderten, mit wrongful conception und wrongful birth bezeichneten Themenkreis wieder auf und fragt danach, ob Behandlungsfehlern bei schwangerschaftsverhütenden Behandlungen bzw im Rahmen der Pränataldiagnostik gegenüber sonstigen Behandlungsfehlern ein schadenersatzrechtlicher Sonderstatus zukommt.

Um diese Frage zu beantworten, wird zunächst der Behandlungsvertrag in relevanten Ausschnitten dargestellt. Im Anschluss daran werden Grundsätze des Schadenersatzrechts erörtert. Nach einem Überblick über den Meinungsstand in der Lit sowie über die bisher ergangene Rsp wird besonders auf die jüngste Entscheidung und die darauf erfolgte Reaktion des Schrifttums eingegangen. Abschließend werden vorgebrachte Lösungswege außerhalb des Schadenersatzrechts sowie mögliche zukünftige Anknüpfungspunkte für ein Wiederaufleben der Diskussion aufgezeigt.

II. Der Behandlungsvertrag

Rechtsgrundlage einer medizinischen Behandlung ist idR ein zw dem Patienten und dem Arzt oder einer Trägergesellschaft, wie etwa einer Gruppenpraxis oder einem Krankenanstaltenträger, abgeschlossener Behandlungsvertrag. Ist eine medizinische Behandlung erforderlich und kann die hilfsbedürftige Person oder ihre gesetzliche

1

Vgl Mirecki, Bemerkungen zum Ersatz des Unterhaltsschadens, ÖJZ 1990, 755, 793. 2

(6)

Vertretung keine wirksame Erklärung abgeben, so sind die Regelungen zur Geschäftsführung ohne Auftrag anzuwenden.3

Im österreichischen Recht findet sich keine Norm, die den Vertrag über die Erbringung medizinischer Behandlungen typisiert. Es handelt sich vielmehr um einen Vertrag sui generis mit Elementen des Werkvertrags, wenn dieser zw Patient und Krankenhausträger abgeschlossen wurde bzw um einen sg freien Dienstvertrag, wenn die Vertragsparteien der Patient und der Arzt sind.4 Für die vorliegende Arbeit kommt

es lediglich darauf an, dass ein Behandlungsvertrag besteht, weshalb nähere Ausführungen zu Unterschieden zw Verträgen von Patienten mit niedergelassenen Ärzten, Ordinationsgemeinschaften, Gruppenpraxen sowie gespaltenen und nicht gespaltenen Krankenhausaufnahmeverträgen unterbleiben.

Der Arzt schuldet aus dem zweiseitigen Vertrag eine dem Stand der ärztlichen Wissenschaft und Erfahrung entsprechende Behandlung sowie eine dem Einzelfall angepasste Aufklärung, Dokumentation und Verschwiegenheit. Die Herbeiführung eines Erfolgs ist jedoch nur in Ausnahmefällen Schuldinhalt.5 Der Begriff der

Behandlung ist auf Grund der Übernahme aus § 110 StGB6 weit zu verstehen und

beinhaltet alle diagnostischen, vorbeugenden und schmerzlindernden Maßnahmen unabhängig davon, ob diese nach schul- oder alternativmedizinischen Methoden erfolgen. Unter den Behandlungsbegriff sind daher auch Maßnahmen der Schwangerschaftsverhütung sowie Pränataldiagnostik, nicht jedoch die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs, zu subsumieren.7 Die Verpflichtung des Arztes zur

Aufklärung des Patienten ergibt sich aus § 51 Abs 1 ÄrzteG8 bzw § 5a Abs 1 Z 2 und 3

KAKuG9 sowie aus dem Behandlungsvertrag selbst. Ziel der Aufklärung ist es den

Patienten in die Lage zu versetzen selbstbestimmt eine Entscheidung über die (Nicht)Vornahme einer medizinischen Maßnahme zu treffen (sg Selbstbestimmungsaufklärung). Die Sicherheitsaufklärung, die eine optimale

3

Vgl Jesser-Huß in Resch/Wallner, Handbuch Medizinrecht² (2015) Kap III Rz 3, 9 f, 19; Nigl, Arzthaftung – Haftung und Schadenersatz im Gesundheitsbereich³ (2017) 23; Kletečka-Pulker in

Aigner/Kletečka/Kletečka-Pulkter/Memmer, Handbuch Medizinrecht für die Praxis (2016) Kap I.1 S 3,

21. 4

Vgl Jesser-Huß in Resch/Wallner, Medizinrecht² Kap III Rz 20; Nigl, Arzthaftung³ 23; Kletečka-Pulker in Aigner et al, Medizinrecht Kap I.1 S 4; RIS-Justiz RS0025546 (T1); RIS-Justiz RS0021339.

5

Vgl Jesser-Huß in Resch/Wallner, Medizinrecht² Kap III Rz 25 f; Nigl, Arzthaftung³ 47 f; Kletečka-Pulker in Aigner et al, Medizinrecht Kap I.1 S 4.

6

BGBl 1975/60. 7

Vgl Jesser-Huß in Resch/Wallner, Medizinrecht² Kap IV Rz 60; Kletečka-Pulker in Aigner et al,

Medizinrecht Kap I. S 3; Reischauer in Rummel, Kommentar zum Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch II/2a³ (2007) § 1299 Rz 26.

8

BGBl I 1998/169 idgF. 9

(7)

Mitwirkung des Patienten an der Herbeiführung und Sicherung des Behandlungserfolgs zum Ziel hat, ist Teil der ärztlichen Behandlung und zählt nicht zur Aufklärung ieS. Um die Selbstbestimmtheit der Patientenentscheidung zu sichern, muss die Aufklärung vor Durchführung der jeweiligen Maßnahme erfolgen. Zudem ist dem Patienten eine Überlegungsfrist zu gewähren. Art und Umfang der Aufklärung sowie die Länge der Überlegungsfrist sind dabei einzelfallspezifisch je nach konkretem Krankheitsbild, Risiken der Maßnahme, Bestehen alternativer Behandlungsmöglichkeiten, psychischer Verfassung des Patienten und Dringlichkeit der Behandlung festzulegen.10

Pflichten des Patienten aus dem Behandlungsvertrag sind etwa die Mitwirkung an der Behandlung, bspw Bekanntgabe behandlungsrelevanter Informationen sowie die Zahlung des Honorars.11

III. Das österreichische Schadenersatzrecht

A. Aufgaben und Ziele des Schadenersatzrechts

„Der bloße Zufall trifft denjenigen, in dessen Vermögen oder Person er sich ereignet.“12

§ 1311 ABGB13 legt in seinem ersten Satz die Grundregel fest, dass jeder das Risiko

für seine Güter, die sg Sachgefahr, selbst zu tragen hat. Die weiteren Normen des Schadenersatzrechts bilden die Ausnahme von diesem Grundsatz.14

Faktisch ist es nicht möglich einen einmal eingetretenen Nachteil zu beseitigen, er kann aber bei Vorliegen besonderer Gründe auf eine andere Person als die Geschädigte übertragen werden. Dabei gilt es zu bedenken, dass mit dem Schutz der Rechtsgüter einer Person die Freiheiten anderer eingeschränkt werden, da diese Personen gehalten sind sich so zu verhalten, dass geschützte Rechtsgüter nicht beeinträchtigt werden. Bei der Beantwortung der Frage, ob die geschädigte Person ihren Nachteil auf eine andere Person übertragen kann, sind daher die Interessen der geschädigten Person und der Person, die Ersatz zu leisten hat, gegeneinander abzuwägen sowie die Interessen der Allgemeinheit zu berücksichtigen. Untechnisch ausgedrückt kommt eine Schadenüberwälzung dann in Betracht, wenn der Schaden einer anderen Person „näher steht“ als der geschädigten Person. Dies ist insb dann

10

Vgl Jesser-Huß in Resch/Wallner, Medizinrecht² Kap IV Rz 68 f, 74, 78 ff; Nigl, Arzthaftung³ 101 ff;

Memmer in Aigner et al, Medizinrecht Kap I.3 S 73 f, 76, 86 ff; Justiz RS0026413 sowie T11;

RIS-Justiz RS0118651; RIS-RIS-Justiz RS0026529. 11

Vgl Jesser-Huß in Resch/Wallner, Medizinrecht² Kap III Rz 25 f. 12

§ 1311 ABGB idF JGS 1811/946. 13

Folgende § ohne nähere Bezeichnung sind solche des ABGB JGS 1811/946 idgF. 14

Vgl Koziol, Grundfragen des Schadenersatzrechts (2009) Rz 1/1; Reischauer in Rummel, II/2a³ § 1311 Rz 1.

(8)

der Fall, wenn die ersatzpflichtige Person den Schaden verursacht hat. Verursachung eines Schadens ist das zentrale Haftungselement des ABGB.15

§ 1295 spricht davon verursachte Schäden zu ersetzen. Daraus wird - im Einklang mit dem kontinentaleuropäischen Rechtssystem - gefolgert, dass es Ziel des Schadenersatzrechts des ABGB ist einen vollen Ausgleich für erlittene Schäden herbeizuführen und zugleich zu vermeiden, dass der geschädigten Person aus dem Schadensausgleich ein Vorteil erwächst. Dieser Ausgleichsgedanke wohnt dem gesamten österreichischen Schadenersatzrecht unabhängig vom jeweils geltend gemachten Zurechnungsgrund inne und stellt eine wesentliche Grundwertung des Schadenersatzrechtes dar.16

Die heute hA geht davon aus, dass das Schadenersatzrecht neben der primären Funktion des Ausgleichs auch eine präventive Komponente enthält. Der Gedanke der Präventionsfunktion beruht auf der Idee, dass die abstrakte Androhung einer Ersatzpflicht Personen dazu anhält sich gegenüber Rechtsgütern anderer Personen sorgfältig zu verhalten und so Schädigungen zu vermeiden (sg negative Generalprävention) bzw dass ein konkreter Schädiger durch die Auferlegung einer Ersatzpflicht motiviert wird zukünftig keine weiteren Schäden mehr zu verursachen (sg Spezialprävention).17 Über diesen Gedanken der Präventionsfunktion wird dem

Schadenersatzrecht mittelbar auch eine Qualitätssicherungsfunktion, etwa hinsichtlich medizinischer Behandlungen, zugesprochen.18

Koziol gibt bzgl der Präventionsfunktion jedoch zu bedenken, dass eine Anknüpfung

am Schadenseintritt für die Realisierung dieser Idee zu spät sei, die Konsequenz müsste demnach schon mit der Ausführung des missbilligten Verhaltens erfolgen. Da der Eintritt eines Schadens die Voraussetzung für einen entsprechenden Ersatzanspruch bildet, dürfe die präventive Komponente auch nicht als primärer Zweck missverstanden werden. Die Vermeidung von Schäden habe vielmehr durch die gesamte Rechtsordnung, etwa durch Schutznormen des öffentlichen Rechts, das Strafrecht sowie zivilrechtliche Ansprüche auf Unterlassung bzw Beseitigung, zu erfolgen. Die generalpräventive Komponente sei bloß als zwangsläufiger Nebeneffekt

15

Vgl Koziol, Schadenersatzrecht Rz 1/2 f. 16

Vgl Koziol, Österreichisches Haftpflichtrecht I³ (1997) Rz 1/13; ders, Schadenersatzrecht Rz 1/6, 3/1;

F. Bydlinski, System und Prinzipien des Privatrechts (1995) 187; RIS-Justiz RS0022586.

17

Vgl Koziol, Haftpflichtrecht I³ Rz 1/15; ders, Schadenersatzrecht Rz 3/4 f; Kodek in Kletečka/Schauer,

ABGB-ON1.02 Vor § 1293 Rz 4 (Stand 01.01.2016, rdb.at); F. Bydlinski, Prinzipien, 190 ff; Kletečka,

Aktuelle Fragen der Medizinhaftung, in FS Iro zum 65. Geburtstag (2013) 35 (36). 18

Vgl Kletečka in FS Iro 38; Hinghofer-Szalkay, Schadenersatzrechts-Änderungsgesetz 2011: Wrongful

(9)

der Ausgleichsfunktion anzusehen.19 Auch der Ansatz der negativen Generalprävention

erfährt Kritik. So wurde etwa im Bereich des Strafrechts aufgezeigt, dass ein Einfluss einer abstrakten Sanktionsdrohung auf das Verhalten von Personen nicht nachgewiesen werden kann.20

Kletečka geht davon aus, dass das Schadenersatzrecht zudem eine Sanktionsfunktion

enthält. Dies ergebe sich ua daraus, dass das ABGB einen nach Verschulden abgestuften Schadensbegriff kenne und bei Bestehen eines schadenersatzrechtlichen Anspruchs jedenfalls der objektive Wert zu ersetzen sei, etwa auch dann, wenn die geschädigte Person durch die Schädigung keine Vermögenseinbuße erlitten habe, weil sie die zerstörte Sache ohnehin wegwerfen wollte. Betrachte man den nach Zurechnungsgrund abgestuften Umfang der Ersatzpflicht aus funktioneller Perspektive, so könne er keinen Unterschied zum Zuspruch von Strafschadenersatz erkennen.21

Die hA und Rsp sprechen sich gegen eine Sanktionsfunktion des Haftungsrechts aus. Bspw wendet Koziol ein, dass im österreichischen Rechtssystem die Sanktionsfunktion dem Strafrecht zugeordnet sei und der Wortlaut des § 1295 Abs 1, der vom Ausgleich des erlittenen Schadens spricht, eine derartige Auslegung nicht zulasse. F. Bydlinski zufolge habe Strafe habe im Schadenersatzrecht keinen Platz und Kodek verweist ua darauf, dass bereits der Verfasser des ABGB punitive damages abgelehnt habe, weshalb der Ansicht, dem Schadenersatzrecht käme eine Sanktionsfunktion zu, nicht gefolgt werden könne.22

B. Der Behandlungsvertrag als Haftungsansatz

Wie auch der Behandlungsvertrag an sich ist auch Haftung iZm diesem Vertrag nicht eigenständig geregelt. Es sind daher die allgemeinen schadenersatzrechtlichen Bestimmungen des ABGB, insb jene zur Verschuldenshaftung, anzuwenden. Voraussetzung für das Bestehen eines Schadenersatzanspruchs des Patienten gegen seinen Vertragspartner ist das Vorliegen eines ersatzfähigen Schadens, der durch ein rechtswidriges und schuldhaftes Verhalten des Vertragspartners bzw einer dem Vertragspartner zuzurechnenden Person kausal verursacht wurde.23

19

Vgl Koziol, Schadenersatzrecht Rz 3/5; ders, Abschreckung als primäres Ziel des Schadenersatzrechts? in Gamauf, Symposium zum 80. Geburtstag Herbert Hausmaninger (2017) 109 (116).

20

Vgl Ebner in Höpfel/Ratz, WK² StGB Vor §§ 32-36 Rz 22 mwN (Stand 01.09.2014, rdb.at). 21

Vgl Kletečka, Punitive damages - Der vergessene Reformpunkt? ÖJZ 2008, 785 (787 f).

22

Vgl Koziol in Gamauf 110; F. Bydlinski, Prinzipien, 190 FN 190; Kodek in Kletečka/Schauer1.02 Vor § 1293 Rz 6; OGH 03.03.2015, 1 Ob 248/14y.

23

Vgl Jesser-Huß in Resch/Wallner, Medizinrecht² Kap IV Rz 1; Rieder, Zivilrecht IV Gesetzliche Schuldverhältnisse4 (2015) Rz 2/8.

(10)

Aus dem Behandlungsvertrag entspringende Ansprüche auf Schadenersatz bestehen grundsätzlich nur zw den jeweiligen Vertragsparteien. Lehre und Rsp gestehen darüber hinaus – mittels der Rechtsfigur des Vertrags mit Schutzwirkung zugunsten Dritter – weiteren Personen, die objektiv vorhersehbar von der Erbringung der vertraglichen Hauptleistung berührt und der Interessensphäre eines Vertragspartners zuzuordnen sind, vertragliche Schadenersatzansprüche zu. Bei einem Behandlungsvertrag zw einer Schwangeren und einem Gynäkologen zählen etwa der Nasciturus und dessen Vater zum derart geschützten Personenkreis.24

Das Vorliegen eines ersatzfähigen Schadens ist eine Grundvoraussetzung für das Bestehen eines schadenersatzrechtlichen Anspruchs. IZm medizinischen Behandlungen stehen va Körperverletzungen und Tötungen im Focus der Betrachtung.25 Schwerpunkt der Diskussion im Problemkreis fehlgeschlagener

Familienplanung ist die Frage, ob überhaupt ein ersatzfähiger Schaden vorliegt. Aus diesem Grund wird der Schadensbegriff im Kapitel III. C. gesondert behandelt.

Liegt der Primärschaden in einer Körperverletzung, so sind iaR die Heilungskosten, etwaiger Verdienstentgang bzw eine abstrakte Rente, Schmerzen und Verunstaltungen zu ersetzen. Hinsichtlich des Schmerzengelds ist zu beachten, dass dieses auch dann gebührt, wenn aufgrund medikamentöser Behandlung (etwa durch Verabreichung von Analgetika) oder neurologischen Krankheitsbildern (etwa bei Vorliegen eines apallischen Syndroms) keine Schmerzen empfunden werden.26

Ob ein Verhalten als rechtswidrig zu qualifizieren ist, ist anhand der gesamten Rechtsordnung zu prüfen. Im Falle einer vertraglichen Verschuldenshaftung kann die Rechtswidrigkeit eines Verhaltens in der Verletzung eines Schutzgesetzes iSd § 1311 S 2, eines absolut geschützten Rechtsguts oder einer vertraglich begründeten Pflicht liegen. IZm medizinischen Behandlungen kommen als Verletzung vertraglicher Pflichten va Fehler bei der Aufklärung und/oder Behandlung in Betracht.27

Ein Behandlungsfehler liegt vor, wenn bei der Behandlung gegen Regeln der ärztlichen Kunst verstoßen wurde oder wenn bei Bestehen alternativer Behandlungsmethoden die Auswahl der angewandten Vorgehensweise nicht lege artis erfolgt ist. Gibt es für eine bestimmte Behandlung noch keine Regeln der ärztlichen Kunst, so ist ein

24

Vgl Jesser-Huß in Resch/Wallner, Medizinrecht² Kap IV Rz 54 f; RIS-Justiz RS0112111. 25

Vgl Kletečka in Aigner et al, Medizinrecht Kap II.1 S 15. 26

Vgl §§ 1325 f ABGB; Kletečka in Aigner et al, Medizinrecht Kap II.1 S 15 ff; RIS-Justiz RS0031232.

27

Vgl Kodek in Kletečka/Schauer1.02

§ 1294 Rz 7; Wittwer in Schwimann, ABGB Taschenkommentar³ (2015) § 1294 Rz 4 f; Karner in Koziol/Bydlinski/Bollenberger, Kurzkommentar zum ABGB5 (2017) § 1294 Rz 4 f; Wagner in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar VI4 (2016) § 1294 Rz 11, 15;

(11)

Verhalten dann als Behandlungsfehler zu qualifizieren, wenn die behandelnde Person die im Einzelfall objektiv gebotene Sorgfalt nicht eingehalten hat.28 Die Vornahme einer

medizinischen Behandlung geht iaR mit einem Eingriff in die körperliche Integrität der zu behandelnden Person einher. Erst die Einwilligung des Patienten in die Vornahme einer konkreten medizinischen Maßnahme nach ordnungsgemäßer Aufklärung rechtfertigt die Verletzung dieses geschützten Rechtsguts. Erfolgt keine oder bloß eine mangelhafte Aufklärung, so liegt eine eigenmächtige, rechtswidrige Heilbehandlung vor. Verwirklicht sich nun bei der Durchführung einer rechtswidrigen medizinischen Behandlung ein Risiko, so haftet der Arzt auch dann, wenn die Behandlung an sich lege artis vorgenommen wurde und ihm der Beweis, dass der Patient auch bei korrekter Aufklärung in die Vornahme der Behandlung eingewilligt hätte, nicht gelingt.29

Mangels Sonderbestimmungen begründet bereits leicht fahrlässiges Fehlverhalten eine Haftung. Medizinisches Personal ist als Sachverständiger gem § 1299 einzustufen und hat als solches das durchschnittliche Fachwissen einer Person des jeweiligen Fachgebietes zu vertreten.30

C. Der Schadensbegriff des ABGB

Wie zuvor bereits angesprochen ist das Bestehen eines ersatzfähigen Schadens Grundvoraussetzung für das Entstehen eines Schadenersatzanspruchs. Daher ist zunächst die Frage, was unter Schaden zu verstehen ist, zu beantworten.31

§ 1293 legt fest: „Schade heißt jeder Nachtheil, welcher jemanden an Vermögen,

Rechten oder seiner Person zugefüget worden ist. Davon unterscheidet sich der Entgang des Gewinnes, den jemand nach dem gewöhnlichen Laufe der Dinge zu erwarten hat.“32 Aus der breiten Formulierung dieser Norm folgt, dass das ABGB von

einem weiten Schadensbegriff ausgeht. Das Gesetz fasst sowohl den realen, als auch den rechnerischen Schaden unter den Schadensbegriff, erwähnt diese Differenzierung

28

Vgl Kletečka in Aigner et al, Medizinrecht Kap II.1 S 12 f; Karner in Koziol/Bydlinski/Bollenberger5 § 1299 Rz 6.

29

Vgl Jesser-Huß in Resch/Wallner, Medizinrecht² Kap IV Rz 87 f, 90; Reischauer in Rummel II/2a³ § 1299 Rz 23a, 23b.

30

Vgl Jesser-Huß in Resch/Wallner, Medizinrecht² Kap IV Rz 1; Reischauer in Rummel II/2a³ § 1299 Rz 25; Karner in Koziol/Bydlinski/Bollenberger5 § 1299 Rz 2; Wittwer in Schwimann³ § 1299 Rz 23; RIS-Justiz RS0026237.

31

Vgl Koziol, Haftpflichtrecht I³ Rz 2/1. 32

(12)

– im Vergleich zur Unterscheidung zw Vermögensschäden und ideellen Schäden – jedoch nicht.33

Eine nähere Präzisierung, was nun genau unter Nachteil zu verstehen ist, trifft das ABGB nicht. Durch die Vornahme einer Legaldefinition, Anerkennung objektiv abstrakter Schäden und Differenzierung bei Vermögensschäden in erlittenem Schaden und entgangenem Gewinn folgert Koziol im Einklang mit dem Schrifttum und der Rsp, dass Schaden nicht iSe natürlichen, sondern iSe rechtlichen Begriffes zu verstehen sei. Die Frage, ob ein Schaden vorliegt, ist somit anhand rechtlicher Wertungen zu klären.34 Die Jud spricht in Anlehnung an Wolff davon, dass jeder Zustand, an dem ein

geringeres rechtliches Interesse als am bisherigen besteht, als Schaden zu verstehen sei.35 An dieser Formulierung wird bemängelt, dass sie die Schadensexistenz mit

rechtlichen Wertungen vermische.36 Dieser Kritik entgegnet Kodek, dass es sich bei

dem Schadensbegriff, auch wenn das ABGB von einem natürlichen Verständnis ausgehe, um einen Rechtsbegriff handle. Aus diesem Grund ist die Frage, ob ein Schaden vorliegt, seiner Auffassung nach mittels rechtlicher Wertungen zu klären.37

Die Unterscheidung zw positivem Schaden und entgangenem Gewinn erfolgt anhand des Umstands, ob ein bereits tatsächlich bestehendes Rechtsgut negativ in seiner physischen oder psychischen Substanz beeinträchtigt wurde oder ob die Realisierung einer Gewinnchance, die nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge zu erwarten war, vereitelt wurde. Da die Beeinträchtigung einer rechtlich gesicherten Position als positiver Schaden gewertet wird, bringt die og Abgrenzung in der Praxis erhebliche Schwierigkeiten mit sich. Innerhalb der Gruppe der positiven Schäden wird weiter danach differenziert, ob ein Rechtsgut mit oder ohne Vermögenswert beeinträchtigt wird. Keinen Vermögenswert besitzen etwa die Rechtsgüter körperliche Integrität, Leben, Freiheit und Ehre. Im ersten Fall wird von einem Vermögensschaden, im Zweiten von einem immateriellen Schaden gesprochen. Die Beeinträchtigung eines Vermögensguts kann bspw durch die Zerstörung einer Sache, Entzug eines Forderungsrechts oder Entstehen einer Verbindlichkeit erfolgen.38

33

Vgl Koziol, Haftpflichtrecht I³ Rz 2/2 f; Kodek in Kletečka/Schauer1.02

§ 1293 Rz 1; Karner in

Koziol/Bydlinski/Bollenberger5 § 1293 Rz 1 ff. 34

Vgl Koziol, Haftpflichtrecht I³ Rz 2/6, 2/8, 2/15; ders, Schadenersatzrecht Rz 5/6; Kodek in

Kletečka/Schauer1.02

§ 1293 Rz 2; RIS-Justiz RS0022537. 35

Vgl RIS-Justiz RS0022537. 36

Vgl Reischauer in Rummel II/2a³ § 1293 Rz 1. 37

Vgl Kodek in Kletečka/Schauer1.02

§ 1293 Rz 2. 38

Vgl Reischauer in Rummel II/2a³ § 1293 Rz 2; Wagner in Schwimann/Kodek VI4 § 1293 Rz 11; Kodek in

Kletečka/Schauer1.02

(13)

Die Qualifikation des jeweils eingetretenen Nachteils entscheidet darüber, unter welchen Voraussetzungen dieser auszugleichen ist. So ist etwa ein Ersatz immaterieller Schäden nur ausnahmsweise in ausdrücklich erwähnten Fällen vorgesehen. Der Ersatz entgangenen Gewinns hat, im Gegensatz zum Ausgleich positiver Schäden, nicht bereits ab leichter, sondern erst ab grober Fahrlässigkeit zu erfolgen.39

D. Ersatz des Schadens und Schadensberechnung

§ 1323 S 1 normiert den Grundsatz der Naturalrestitution, dh die geschädigte Person ist faktisch so zu stellen, wie sie ohne das schädigende Ereignis stünde. Geldersatz ist nur dann zu leisten, wenn eine Naturalrestitution unmöglich oder untunlich ist. Die Höhe des zu leistenden Geldersatzes für Vermögensschäden kann konkret anhand des subjektiven Schadens der geschädigten Person sowie abstrakt anhand des gemeinen Wertes im Zeitpunkt der Schädigung berechnet werden. Ein Teil der Lehre geht unter Berufung auf den Rechtsfortsetzungsgedanken davon aus, dass bei einer Schädigung infolge leicht fahrlässigen Verhaltens die abstrakte Berechnungsmethode anzuwenden sei. Bei grobem Verschulden sei der konkrete Schaden mittels Differenzrechnung zu ermitteln. Da der Vorwurf grober Fahrlässigkeit bzw Vorsatzes auch den Vorwurf leichter Fahrlässigkeit umfasse, könne die geschädigte Person in diesen Fällen verlangen die abstrakte Berechnungsmethode anzuwenden.40

Reischauer hingegen vertritt die Ansicht, dass eine Herstellung des vorigen Standes

grundsätzlich nur konkret erfolgen könne. § 1332 und § 1323 verfolgten dasselbe Ziel, nämlich den vorigen Zustand wiederherzustellen. Die Wortfolge „nach dem gemeinen

Wert“ sei daher als Richtmaß zu verstehen und die konkrete Schadensberechnung als

Grundprinzip anzusehen.41

Der Ersatz ideeller Schäden erfolgt mittels Geldleistung. Ziel des Zuspruchs von Schmerzengeld ist es sich Annehmlichkeiten als Ersatz für den Entzug von Lebensfreude leisten zu können. Bei der Bewertung ist darauf zu achten, dass sowohl im Verhältnis zu anderen ideellen Nachteilen, wie auch zu Nachteilen betreffend desselben Rechtsguts eine angemessene Relation eingehalten wird. In der Praxis liegen die Schwierigkeiten zum einen bei der Beurteilung, ob und wenn ja in welchem Ausmaß ein ideeller Nachteil eingetreten ist und zum anderen wie dieser monetär zu

39

Vgl § 1324 ABGB; Koziol, Schadenersatzrecht, Rz 8/2; Kodek in Kletečka/Schauer1.02

§ 1293 Rz 3. 40

Vgl Koziol, Schadenersatzrecht Rz 3/8, 5/34 ff; Karner in Koziol/Bydlinski/Bollenberger5 § 1293 Rz 1, 8 ff;

Wittwer in Schwimann³ § 1293 Rz 5, 18; RIS-Justiz RS0030117; RIS-Justiz RS0022818.

41

(14)

bewerten ist.42 Die Bemessung des gem § 1325 gebührenden Schmerzengelds erfolgt

mittels Pauschalbemessung. In der Praxis hat sich ein Tagsatzsystem als Bemessungshilfe herausgebildet: Je nach Grad der Schmerzen wird pro Tag Geldersatz iHv EUR 100,- bis EUR 350,- zugesprochen.43

IV. Ausgangslage bei fehlgeschlagener Familienplanung

Die Terminologie wrongful conception und wrongful birth stammt aus dem angloamerikanischen Rechtskreis und wurde in Österreich, wie auch in anderen Ländern Kontinentaleuropas, übernommen.44 Unter wrongful birth werden zumeist

folgende Fallkonstellationen subsumiert:

 Eine Schwangere lässt Pränataluntersuchungen durchführen. Dabei unterläuft dem Arzt ein ihm vorwerfbarer Behandlungsfehler, infolge dessen eine Behinderung des Fötus unentdeckt bleibt. In weiterer Folge kommt es zur unerwünschten Geburt eines Kindes mit Behinderung, denn die Frau hätte bei Kenntnis der Beeinträchtigung einen gem § 97 Abs 1 Z 2 2. Fall StGB (sg embryopathische Indikation) straffreien Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen.

 Eine Schwangere wird im Rahmen der Schwangerschaftsvorsorge nicht oder nicht ausreichend über die Möglichkeit pränataler Untersuchungen bzw die Bedeutung und Tragweite von Untersuchungsergebnissen aufgeklärt. Aus diesem Grund unterlässt sie weitere Untersuchungen, bei denen eine diagnostizierbare Beeinträchtigung des Ungeborenen festgestellt worden wäre. Bei Kenntnis der konkreten Beeinträchtigung hätte die Schwangere eine straffreie Abtreibung vornehmen lassen, auf Grund der Unkenntnis kommt es zur unerwünschten Geburt eines behinderten Kindes.45

Kletečka versteht den Begriff wrongful birth weiter und subsumiert unter diesen alle

Fälle, in denen die Eltern aufgrund eines rechtswidrigen Verhaltens des behandelnden Arztes keine Möglichkeit hatten einen legalen Schwangerschaftsabbruch, also auch

42

Vgl Danzl in Koziol/Bydlinski/Bollenberger5 § 1325 Rz 26; Koziol, Schadenersatzrecht, Rz 5/12 ff; RIS-Justiz RS0031075.

43

Vgl Kletečka in Aigner et al, Medizinrecht Kap II.1 S 16; Huber in Schwimann³ § 1325 Rz 117.

44

Vgl Schauer, Wrongful Birth – ein Prüfstein nicht nur für das ärztliche Gewissen! in Kröll/Schaupp, System – Verantwortung – Gewissen der Medizin (2012) 53.

45

Vgl Wagner in Schwimann/Kodek VI4 § 1293 Rz 33; Schauer in Kröll/Schaupp 53; Nigl, Arzthaftung³ 122 ff; OGH 25.05.1999, 1 Ob 91/99 k; OGH 07.03.2006, 5 Ob 165/05 h.

(15)

einen Abbruch im Rahmen der sg Fristenlösung gem § 97 Abs 1 Z 1 StGB, vornehmen zu lassen.46

Von wrongful conception spricht man, wenn es im Rahmen einer empfängnisverhütenden Maßnahme zu Fehlern bei der Aufklärung oder Behandlung und in weiterer Folge zu einer unerwünschten Schwangerschaft und Geburt eines Kindes kommt.47

Beiden Sachverhalten ist immanent, dass es durch einen Aufklärungs- oder Beratungsfehler seitens des medizinischen Personals zur Geburt eines Kindes kam, zu der es ohne den zuvor unterlaufenen Fehler nicht gekommen wäre. Der Unterschied in den Fallkonstellationen liegt in dem Zeitpunkt, in dem die Fehlleistung erfolgt ist. Während bei Fällen von wrongful birth bereits eine Schwangerschaft bestand und diese fortgesetzt wird, führt der Fehler bei Fällen von wrongful conception erst zum Eintritt der Schwangerschaft.48

Als Folge dieses Unterschieds sehen manche die haftungsrechtliche Beurteilung von wrongful conception Fällen aus ethischer wie rechtlicher Sicht weniger problematisch als in Fällen von wrongful birth. Denn bei wrongful conception stelle sich – mangels Erfordernis der Einwendung – die Frage der rechtlichen Qualifikation des Schwangerschaftsabbruchs nicht.49

Bislang von der Rsp beurteilte Sachverhalte, bei denen es bei schwangerschaftsverhütenden Maßnahmen zu einem Behandlungsfehler iwS und in Folge dessen zur unerwünschten Geburt eines Kindes gekommen ist, betrafen die Geburt gesunder Kinder.50 Offen bleibt, wie Fälle, in denen die Grundkonstellation jener

von wrongful conception entspricht, es jedoch zur Geburt eines kranken oder behinderten Kindes kommt, bezeichnet würden. Unklar ist auch, ob danach differenziert würde, ob diese Beeinträchtigung eine embryopathische Indikation iSd § 97 Abs 1 Z 2 2. Fall StGB darstellt.

ME sollen auch diese Fälle unabhängig von Art und Ausmaß einer etwaigen gesundheitlichen Beeinträchtigung mit wrongful conception bezeichnet werden.

46

Vgl Kletečka, Wrongful birth, wrongful conception Zur aktuellen Diskussion über den

Familienplanungsschaden, JBl 2011, 749 (750). 47

Vgl Wagner in Schwimann/Kodek VI4 § 1293 Rz 33; Nigl, Arzthaftung³ 126; OGH 29.01.2015, 9 Ob 37/14 b.

48

Vgl Wagner in Schwimann/Kodek VI4 § 1293 Rz 33; Karner, Unerwünschte Zeugung und ungeplante Geburt - (k)eine Rechtsprechungsdivergenz? EF-Z 2009, 91 (92).

49

Vgl Kletečka, JBl 2011, 761; Griss, Unerwünschte Geburt – Ein Fall für die Gerichte? in FS Koziol zum

70. Geburtstag (2010) 639 (644). 50

Vgl OGH 29.01.2015, 9 Ob 37/14 b; OGH 07.08.2008, 6 Ob 148/08 w; OGH 31.11.2006, 2 Ob 172/06 t; OGH 14.09.2006, 6 Ob 101/06 f.

(16)

Anknüpfungspunkt des Terminus sollte das Ziel der medizinischen Maßnahme bzw der Zeitpunkt, in welchem es zu dem Behandlungsfehler iwS kam, sein und nicht der Gesundheitszustand des Kindes.

Sowohl bei wrongful birth, als auch bei wrongful conception stellt sich die Frage, wie die Sachverhalte und deren Folgen aus schadenersatzrechtlicher Sichtweise zu beurteilen sind. Voraussetzung für einen auf den Behandlungsvertrag gestützten haftungsrechtlichen Ersatzanspruch ist, wie bereits in den Punkten II. und III. C. erörtert, das Vorliegen eines ersatzfähigen Schadens. Da der Terminus Schaden in diesem Zusammenhang als rechtlicher Begriff zu verstehen, ist danach zu fragen, ob bspw Unterhaltsverbindlichkeiten der Eltern oder Schmerzen der Mütter bei der Geburt iSd Rechtsordnung als Schaden zu qualifizieren sind.51

Lit und Rsp gehen übereinstimmend davon aus, dass das Kind selbst nicht als Schaden zu qualifizieren sei. Umstritten und in Lehre wie Rsp rege diskutiert wurde die Frage, ob die durch die Geburt des Kindes entstandene Unterhaltsverbindlichkeit der Eltern gegenüber dem Kind als Schaden geltend gemacht werden kann. Auch die Ersatzfähigkeit weiterer mit der Geburt eines Kindes einhergehenden Folgen, etwa Schmerzen iZm der Geburt, Verdienstentgang oder schwangerschafts- und/oder geburtsbedingte psychische Erkrankungen, wird uneinheitlich beurteilt.52

Die entwickelten Lösungsansätze können grob in zwei Strömungen unterteilt werden. Die Rsp und überwiegende Stimmen der Lit gehen davon aus, dass eine rechtliche Beurteilung der Sachverhalte anhand der derzeit geltenden Rechtslage grundsätzlich möglich sei. Andere hingegen sind der Auffassung, dass die derzeit in Kraft stehenden Normen eine rechtliche Lösung nicht zuließen. Die erstgenannte Richtung kann wiederum grob in drei Argumentationslinien gegliedert werden. 53

Im Folgenden werden die hinter diesen Linien stehenden Theorien des Schrifttums samt Ansätzen ausgewählter Vertreter und im Anschluss daran die Rsp sowie die daran geübte Kritik dargestellt. Das darauffolgende Kapitel setzt sich mit der bisherigen Jud, insb mit der jüngsten Entscheidung, auseinander.

51 Vgl FN23; 34. 52 Vgl Kodek in Kletečka/Schauer1.02 § 1293 Rz 40; Karner in Koziol/Bydlinski/Bollenberger5 § 1293 Rz 14;

Koziol, Haftpflichtrecht I³ Rz 2/22; F. Bydlinski, Das Kind als Schadensursache im Österreichischen

Recht, in Magnus/Spier, European Tort Law - Liber amicorum for Helmut Koziol (2000) 29 (46);

Pletzer, "Recht auf kein Kind?" - Überlegungen anlässlich der jüngsten Entscheidung des OGH zu

"wrongful birth", JBl 2008 490; Reischauer, Ersatz wegen Geburt? Haftungsrisiko führt zu Abtreibungsdruck, Die Presse 2011/03/03; OGH 25.05.1999, 1 Ob 91/99 k; OGH 11.12.2007, 5 Ob 148/07 m; OGH 29.01.2015, 9 Ob 37/14 b.

53

Vgl Wagner in Schwimann/Kodek VI4 § 1293 Rz 42; OGH 25.05.1999, 1 Ob 91/99 k; OGH 29.01.2015, 9 Ob 37/14 b.

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A. Meinungen im Schrifttum

1. Einheitstheorie

Vertreter der Einheitstheorie gehen davon aus, dass die aus diversen materiellen und immateriellen Komponenten bestehende Eltern-Kind-Beziehung im Familienrecht abschließend geregelt sei. Der Unterhaltsbedarf des Kindes bilde mit ihm eine untrennbare Einheit und könne daher nicht isoliert betrachtet werden. Aus diesem Grund könne keine schadenersatzrechtliche Lösung des Problemkreises erfolgen.54

Reischauer spricht sich grundsätzlich gegen die Ersatzfähigkeit der Unterhaltsaufwendungen in Fällen von wrongful conception aus. Er plädiert dafür die seines Erachtens rechtspolitische und nicht rechtsdogmatische Frage, wer den behinderungsbedingten Mehrbedarf eines Kindes in Fällen von wrongful birth zu tragen hat, nicht mit den Instrumenten des Schadenersatz-, sondern mit jenen des Sozialrechts zu lösen. Die Gesellschaft, die sich für die Anerkennung behinderter Personen ausspricht, solle helfen diese Mehrkosten zu tragen. Seines Erachtens verstößt es gegen Grundwertungen der Rechtsordnung jemandem eine Ersatzpflicht für die Nichtverhinderung der Geburt eines Menschen aufzubürden.55

Schauer verweist darauf, dass die Würde des Menschen ein allgemeiner,

ungeschriebener Wertegrundsatz der österreichischen Rechtsordnung sei. Auch der VfGH betone, dass kein Mensch jemals zum bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht werden dürfe. Seiner Ansicht nach sind Schuld und Unrecht sowie ein damit verbundenes Unwerturteil die Grundpfeiler des österreichischen Schadenersatzrechts. Der Zuspruch von Schadenersatz in Fällen von wrongful birth sei zwingend damit verbunden die Geburt und Existenz eines Menschen mit Behinderung als verursachendes Element für den Eintritt eines Schadens zu betrachten. Angeborene Behinderungen seien Bestandteil der untrennbaren Einheit der Leib-Seele eines Menschen, würden die Persönlichkeit gestalten und biographische Entscheidungen beeinflussen. Diese Folgen könnten keinem Verursacher zugeschrieben werden und seien nicht über naturwissenschaftliche Ansätze erklärbar. Aus diesem Grund könne niemals ein Schaden entstehen, die Lösung der mit der Behinderung einhergehenden Herausforderungen sei Aufgabe des Solidarsystems. Folglich sei die Rsp des OGH in Fällen von wrongful birth dem Grunde nach abzulehnen, wenn sie auch aus Billigkeitsgründen zu verstehen sei. Der Gesetzgeber ziele mit der Regelung bzgl

54

Vgl Kletečka, JBl 2011, 750 f.

55

Vgl Reischauer in Rummel II/2a³ § 1299 Rz 27a; ders, Schadenersatzreform - Verständnis und Missverständnisse Eine Antwort auf Koziol (JBl 2008, 348) (2. Teil) (Fortsetzung aus JBl 2009, 405), JBl 2009, 484 (490); ders, Die Presse 2011/03/03.

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indizierten Schwangerschaftsabbrüchen auf eine Abwägung der Rechtsgüter der physischen und psychischen Gesundheit der Schwangeren sowie des Fötus in seiner unmittelbar bevorstehenden rechtlichen Existenz ab. Es sei nicht Ziel dieser Regelung das Selbstbestimmungsrecht der Frau in den Vordergrund zu stellen, weshalb der Ansicht des OGH, wonach der Schutz des Vermögens der Frau innerhalb des Normzwecks des § 97 Abs 1 Z 2 2. Fall StGB liegt, entschieden entgegenzutreten sei.56

Hollaender sieht in der Trennung zw der Existenz eines Kindes und der

Unterhaltsverpflichtung der Eltern eine methodisch unzulässige und bloß begriffliche Aufspaltung. Der Staat sei im Rahmen seiner Rechtsordnung und deren Anwendung verpflichtet die Existenz und Würde jedes Menschen zu wahren. Positives abzuspalten und für negative Folgen Schadenersatz zu fordern sei nicht möglich, ein Ereignis könne nicht teilweise schadensbegründend sein. Stephen Hawkins sei ein Beispiel dafür, dass sogar eine schwerpunktmäßig materialistische Betrachtung dazu führen könne die Geburt eines behinderten Kindes insgesamt als positiv zu bewerten. Mangels Schadens sei eine Lösung der Problematik auf dem schadenersatzrechtlichen Weg nicht möglich.57

2. Gemäßigte Einheitstheorie

Die gemäßigte Einheitstheorie, die auch als vermittelnde Ansicht bezeichnet wird, bildet einen Mittelweg zw der Einheits- und der im Anschluss dargestellten Trennungsthese. Demnach sei unter Berücksichtigung der Personenwürde und der Familienfürsorge iaR eine schadenersatzrechtliche Lösung ausgeschlossen. Stelle jedoch der Kindesunterhalt für die Eltern eine ganz außergewöhnliche Belastung dar und lägen die haftungsrechtlichen Zurechnungskriterien vor, gingen die schadenersatzrechtlichen Regelungen vor. In diesem Fall bestehe ausnahmsweise ein Ersatzanspruch. Während manche Vertreter der gemäßigten Einheitstheorie davon ausgehen, dass eine ganz außergewöhnliche Belastung dann vorliege, wenn die verfügbaren finanziellen Mittel das Existenzminimum erreichen, stellen andere auf eine deutliche Verschlechterung des Lebensstandards im Vergleich zu den bisherigen Verhältnissen ab.58

56Vgl Schauer, „Wrongful birth“ in der Grundsatzentscheidung des OGH – Eine rechtsethische Betrachtung, RdM 2004, 18 (20 ff); Schauer in Kröll/Schaupp 60ff.

57

Vgl Hollaender, Die Geburt als schadenstiftendes Ereignis - Schadenersatz für "wrongful birth" bei Behinderung? RdM 2007, 7 (8 f).

58

(19)

F. Bydlinski vertritt die Ansicht, dass es nicht Zweck des Schadenersatzrechtes sei bloß

Nachteile, die eine Seite der Existenz eines Kindes und dessen personalen Eigenwerts darstellten, zu überwälzen. Aus diesem Grund seien die Grundsätze der Personenwürde und Familienvorsorge gegen jene des Schadenersatzrechtes abzuwägen und den Erstgenannten ein Vorrang einzuräumen. Die Prinzipien des Schadenersatzrechtes drängen erst durch, wenn der Unterhalt für die Eltern eine ganz außergewöhnliche Belastung darstelle, denn erst dann könne nicht mehr davon gesprochen werden, dass die Eltern ihre normalen elterlichen Unterhaltsbelastungen auf Dritte abwälzen wollten. Vieleher gehe es in diesen Fällen darum eine

„personal-existenzielle Notsituation“ abzuwenden. Die ganz außergewöhnliche Belastung sei als

subjektives Kriterium zu verstehen und auf die Zumutbarkeit im Einzelfall abzustellen. Als Maßstab schlägt F. Bydlinski die Grenzen des Lohnpfändungsrechts oder den sozialversicherungsrechtlichen Ansatz über die Ausgleichszulagenrichtsätze vor. Diese seien als Faustregeln für mittlere Einkommensverhältnisse anzuwenden, im Einzelfall bedürfe es einer weiteren Eingrenzung. Bei sehr einkommensstarken Eltern müsse es nicht zu spürbaren Beeinträchtigungen der Lebensverhältnisse kommen, wenn die Mehrbelastung durch ein behindertes Kind bedingt sei. Bei sehr einkommensschwachen Familien könne hingegen auch schon der normale Unterhaltsbedarf für das Kind unabhängig von einem etwaigen behinderungsbedingten Mehrbedarf zu einer „ganz außergewöhnlichen Belastung“ führen.59

Koziol plädiert dafür das Vorliegen eines Vermögensschadens nicht zu verneinen und

betont, dass allgemein anerkannt sei, dass eine Belastung mit einer Verpflichtung einen positiven Schaden darstelle und für Unterhaltsverpflichtungen gleiches zu gelten habe. Der Schädiger schaffe aber nicht bloß eine Belastung durch eine Unterhaltsverpflichtung, sondern auch eine umfassende familienrechtliche Beziehung mit verschiedenen materiellen und immateriellen Komponenten. IaR könne die Eltern-Kind-Beziehung in ihrer Gesamtheit nicht als Vermögensnachteil verstanden werden, weshalb die Unterhaltspflicht nicht isoliert betrachtet werden dürfe. Nur wenn aufgrund ganz außergewöhnlicher Belastungen der materielle und immaterielle Lebensstandard der Familie durch die (zusätzliche) Unterhaltsbelastung wesentlich gemindert werde, könne die Eltern-Kind-Beziehung insgesamt als als nachteilig beurteilt werden. In derart gelagerten Fällen sei der entstandene Nachteil vom verantwortlichen Schädiger auszugleichen. Der Auffassung, wonach nicht zw dem Kind und dem Unterhaltsaufwand unterschieden werden könne, wendet Koziol folgendes Beispiel ein: Kauft ein Vertreter weisungswidrig ein Luxusfahrzeug, so liegt der Schaden in der

59

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Verbindlichkeit des Vollmachtgebers zur Zahlung des Kaufpreises; wird die Verbindlichkeit als Nachteil qualifiziert, so werde damit sicherlich kein negatives Werturteil über das Fahrzeug selbst gefällt. Der Argumentation, dass bei Zuspruch eines Schadenersatzes dem Kind dessen Unerwünschtheit drastisch vor Augen werde geführt und deswegen ein derartiger Anspruch nicht zuerkannt werden könne, hält er entgegen, dass das Kind die mangelnde Akzeptanz noch viel drastischer zu spüren bekäme, wenn die Eltern die finanzielle Belastung aufgrund der Verneinung eines Schadenersatzanspruchs vollständig selbst zu tragen hätten.60

Hirsch sieht in der den Eltern durch die Geburt des Kindes entstehenden

Unterhaltsverbindlichkeit eine negative Änderung deren Vermögens. Schaden sei jedoch iSe Rechtsbegriffs zu verstehen, weshalb eine rein mathematische Differenzrechnung nicht geboten sei. Vielmehr habe eine teleologische Interpretation gem des Normzwecks sowie anhand des Ausgleichgedankens des Schadenersatzrechts zu erfolgen. In dem hier erörterten Problembereich träfen zwei vollkommen unterschiedlich gestaltete Rechtsgebiete aufeinander. Deshalb habe eine Lösung sowohl die Wertungen des Familien-, als auch jene des Schadenersatzrechts zu berücksichtigen und dabei Wertungswidersprüche hintanzuhalten. Beiden Rechtsgebieten sei die Verankerung des Existenzminimum Prinzips gemein, ein Lösungsansatz habe sich daher an diesem Prinzip zu orientieren. Es sei zulässig Unterhaltsverbindlichkeiten in dem hier diskutierten Kontext anders als sonstige Verbindlichkeiten zu behandeln, da die Rechtsordnung Unterhaltsansprüchen auch außerhalb des Familienrechts eine Sonderstellung einräume. Weiters sei zu berücksichtigen, dass die Unterhaltsleistung in keinem Austauschverhältnis stehe. Insb erhielten die Eltern keine Gegenleistung seitens des Kindes. Hirsch betont, dass das Entstehen einer komplexen Eltern-Kind-Beziehung von diversen materiellen und immateriellen Rechten und Pflichten geprägt sei und sich so von anderen, rein schuldrechtlichen Verbindungen abhebe. Eine Aufrechnung immaterieller Vorteile komme nicht in Betracht, weil diese einer Bewertung in Geld nicht zugänglich seien und auch das Familienrecht eine derartige Abwägung nicht kenne. Eine partielle Fokussierung auf den Unterhaltsanspruch des Kindes, der nur ein Teil der komplexen Eltern-Kind-Beziehung sei, ließe diese Einbettung unbeachtet und werde zudem dem ideellen Wert des Kindes nicht Gerecht. Auch aus der Präventions- und Sanktionsfunktion des Schadenersatzrechts könne keine Ersatzfähigkeit abgeleitet werden, da diese sekundäre Funktionen seien und der Frage, ob ein ersatzfähiger Schaden vorliege, nachgingen. Aufgrund dieser Überlegungen sei die

60

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Unterhaltsverbindlichkeit der Eltern gegenüber dem Kind grundsätzlich nicht als ersatzfähiger Vermögensschaden zu qualifizieren. Anders sei die Situation zu beurteilen, wenn die (zusätzliche) Unterhaltsverpflichtung der Eltern die Familie in massive finanzielle Schwierigkeiten bringe. In derart gelagerten Fällen trete die sonst im Hintergrund stehende Unterhaltsverbindlichkeit ausnahmsweise in den Vordergrund.61

3. Trennungstheorie

Der Trennungstheorie zufolge stellen die Unterhaltsverbindlichkeit der Eltern gegenüber dem Kind einen Vermögensschaden dar und sind bei Vorliegen der schadenersatzrechtlichen Zurechnungskriterien ersatzfähig ist. Eine einheitliche Meinung über den Umfang der Ersatzfähigkeit besteht jedoch nicht.62

Für Bernat besteht kein Zweifel daran, dass die Unterhaltsverpflichtung der Eltern gegenüber dem Kind einen Vermögensschaden iSd Differenztheorie darstellt. Dass die Entstehung bzw Existenz menschlichen Lebens per se nicht als Schaden verstanden werden dürfe habe nicht zur Konsequenz, dass der Unterhaltsanspruch nicht getrennt von der biologischen Konnexität durch die Eltern-Kind-Beziehung betrachtet werden könne. So zeige etwa die Regelung des § 1327, wonach der Schädiger im Falle einer ihm vorwerfbaren Tötung einer unterhaltsverpflichteten Person der unterhaltsberechtigten Person den dadurch entgangenen Unterhalt zu ersetzen habe, dass auch gesetzlich eine getrennte Betrachtung von der Unterhaltsbelastung sowie der biologischen Konnexität der Eltern-Kind-Beziehung normiert sei. Bernat plädiert für die Anerkennung einer Ersatzpflicht, wenn im jeweiligen Einzelfall für die behandelnde Person erkennbar war, dass die schwangerschaftsverhütende Maßnahme bzw pränatale Untersuchung (auch) den Zweck hatte eine (zusätzliche) Unterhaltsverbindlichkeit hintanzuhalten und dieses Ziel folglich innerhalb des Rechtswidrigkeitszusammenhangs lag.63

Nicht nachvollziehbar sei, weshalb der OGH zw gesund und behindert geborenen Kindern unterscheide, da auch der Unterhaltsaufwand für gesunde Kinder einen Vermögensschaden darstelle und sich auch die haftungsbegründende Kausalität in den

61

Vgl Hirsch, Arzthaftung bei fehlgeschlagener Familienplanung (2002) 65 ff, 70, 72 ff. 62

Vgl Kletečka, JBl 2011 751.

63Vgl Bernat, Unerwünschtes Leben, unerwünschte Geburt und Arzthaftung: der österreichische „case of first impression“ vor dem Hintergrund der angloamerikanischen Rechtsentwicklung, in FS Krejci zum 60. Geburtstag (2001) Bd II, 1041 (1062, 1071 f, 1075); ders, „Wrongful Conception“ - Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes kann keinen Schaden im Rechtssinne bedeuten, RdM 2015, 149 (151 f); ders, Wrongful Birth - Risikoschwangerschaft und ärztliche Aufklärungspflicht, EF-Z 2006, 53 (55).

(22)

Fällen von wrongful conception und wrongful birth decke. Familienplanungsschäden seien bei Vorliegen der haftungsbegründenden Umstände unabhängig von der finanziellen Lage der Eltern ersatzfähig, denn der Gleichheitssatz verbiete es eine Differenzierung anhand der Vermögensverhältnisse vorzunehmen. Erst bei der Frage der Höhe der Ersatzleistung sei dieser Faktor entscheidend, da sich der Unterhaltsanspruch des Kindes auch nach der finanziellen Leistungsfähigkeit der Eltern bemesse.64

Zunächst war der Autor der Auffassung, dass in Fällen von wrongful birth - entsprechend dem im Haftungsrecht verankerten Gedanken des Gesamtausgleichs - der gesamte Unterhalt als ersatzfähiger Schaden zu qualifizieren sei.65 Nunmehr

vertritt Bernat die Meinung, dass idR bloß der Mehrbedarf zugesprochen werden solle. Er begründet seine Auffassung damit, dass die embryopathische Indikation nach § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StGB ihrem Thelos nach nicht auch den Schutz der Eltern vor Beeinträchtigung von Vermögen umfasse und diese ein Kind nicht grundsätzlich ablehnten. Der geltend gemachte Anspruch sei nach subjektiv-konkreten Gesichtspunkten zu bewerten und dabei zu berücksichtigen, dass die Eltern – im Unterschied zu Fällen von wrongful conception – bereit gewesen seien den Basisunterhalt eines Kindes zu tragen.66

Der zutreffenden österreichischen Rechtsauffassung nach sei ein Vorteil nur dann zu berücksichtigen, „wenn er eine Förderung des verletzten Rechtsgutes oder der

verletzten Vertragspflicht bedeutet“. Freuden der Eltern am Kind förderten den

Vertragszweck, der eben darin liege, kein Kind zu bekommen, nicht. Außerdem stehe einer Vorteilsanrechnung entgegen, dass materielle Nachteile und immaterielle Vorteile mangels Vergleichbarkeit nicht anrechnungsfähig seien. Auch zu beachten sei, dass nicht jede adäquate Folge der Verletzung im Rahmen der Vorteilsanrechnung berücksichtigt werden dürfe. So könne etwa ein Entführer der Geisel nicht entgegenhalten, dass die Medienberichterstattung über die Entführung einen finanziellen Vorteil für die Geisel gebracht habe und daher deren Schadenersatz entsprechend zu kürzen sei.67

Der Zuspruch von Schadenersatz führe nicht – wie von manchen Autoren vorgebracht - zu einer Verletzung der Kindesinteressen, indem ihm seine Unerwünschtheit vor Augen geführt werde. Es sei nicht nachvollziehbar, warum diese Interessensbeeinträchtigung

64 Vgl Bernat in FS Krejci Bd II 1073 f. 65 Vgl Bernat in FS Krejci Bd II 1073. 66 Vgl Bernat, EF-Z 2006, 55. 67

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erst mit Klagseinbringung entstehen solle, wenn das Kind doch bereits im Zeitpunkt der Zeugung ungewollt gewesen sei. Schadenersatzleistungen dienten vielmehr dazu die Interessen des Kindes zu wahren. Es sei weiters zu berücksichtigen, dass Ersatzleistungen zu einer Verbesserung der finanziellen Situation der Eltern und derart zu einer Förderung des Kindeswohls führten. 68

Bernat kritisiert die vom dt BGH vorgenommene Einschränkung von Ersatzleistung mit

dem sg Regelbedarf als systemwidrig. Auch in anderen Bereichen werde die Höhe des Anspruchs subjektiv berechnet und im Falle von Familienplanungsschäden bestehe kein Anlass von diesem Grundsatz abzuweichen.69

Auch Pletzer spricht sich für die Anwendung der Trennungstheorie sowie für die Qualifikation der embryopathischen Indikation gem § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StBG als Rechtfertigungsgrund aus. Im Unterschied zu Bernat tritt sie in Fällen von wrongful birth dafür ein, auch den Basisunterhalt als ersatzfähig zu qualifizieren. Der Gesetzgeber habe mit § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StBG ein Bündel von Interessen, die mit einer schweren Behinderung eines Kindes einhergingen, schützten wollen. Daher sei vom Thelos dieser Norm nicht bloß die Gesundheit der werdenden Mutter, sondern auch deren finanzielle Interessen geschützt. Doch selbst wenn man davon ausgehe, dass vermögensrechtliche Interessen außerhalb des Schutzbereichs des § 97 Abs 1 Z 2 Fall 2 StBG lägen, könnten diese vom Schutzbereich des Vertrags über die Durchführung der pränataldiagnostischen Maßnahmen erfasst sein. Der Behandlungsvertrag habe das Ziel allfällige Fehlentwicklungen des Ungeborenen zu erkennen und aufgrund der Untersuchungsergebnisse eine Entscheidungsbasis für oder gegen die Fortsetzung der Schwangerschaft zu bieten. Werde eine Abtreibung durchgeführt, so entstehe den Eltern gar keine Unterhaltsverbindlichkeit, dies sei für den Arzt auch objektiv vorhersehbar. Die Tatsache, dass die Eltern den Basisunterhalt für ein gesundes Kind akzeptiert hätten, schade der Vorhersehbarkeit nicht. Für Pletzer ist es daher nicht nachvollziehbar, weshalb der Schutzzweck des Vertrags über die Durchführung der Pränataldiagnostik bloß den behinderungsbedingten Mehrbedarf umfassen soll.70

4. Eigene Auffassung

MAn ist der sg Trennungstheorie zu folgen, da zum einen die Unterhaltsverbindlichkeit die Merkmale eines Vermögensschadens erfüllt und zum anderen in § 1327 eine

68

Vgl Bernat in FS Krejci Bd II 1062 f; ders, RdM 2015, 152. 69

Vgl Bernat in FS Krejci Bd II 1074. 70

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getrennte Betrachtung der Unterhaltsverbindlichkeit von der biologischen Eltern-Kind-Beziehung normiert ist. Dem Argument, wonach eine generelle Ersatzfähigkeit von Unterhaltsverbindlichkeiten nicht auf § 1327 gestützt werden könne, da in diesem Fall die familienrechtliche Beziehung der unterhaltsverpflichteten mit der unterhaltsberechtigten Person aufgehoben werde und der Gesetzgeber mit dieser Norm lediglich die Versorgung des Kindes sicherstellen wollte,71 halte ich die

historische Einbettung der Regelung entgegen. § 1327 wurde seit der Einführung des ABGB im Jahre 1811 bisher nur einmal, nämlich 1911, novelliert. Verlässliche, medizinische Verhütungsmethoden waren zu dieser Zeit kaum vorhanden: Bloß das Kondom und der coitus interuptus galten als zuverlässige Methoden zur Empfängnisverhütung und die Sterilisation der Frau wurde in Deutschland ob des Risikos des Eingriffs nur zu medizinischen Zwecken zur Abwendung von Lebensgefahr, nicht jedoch bei gesunden Frauen angewendet.72 Der Einsatz von Ultraschall im

medizinischen Bereich oder gar im Rahmen einer Pränataldiagnostik war noch nicht erfunden.73 In dieser Arbeit dargestellte Fallkonstellationen von wrongful conception

bzw wrongful birth waren somit im Zeitpunkt der Novelle im Jahre 1911 faktisch nicht bzw kaum denkbar. Weiters gilt es mAn zu berücksichtigen, dass § 97 StGB, wonach in bestimmten Fällen die Vornahme eines Schwangerschaftsabbruchs straffrei ist, erst 1975 eingeführt wurde. Bis dahin stand einer Klage aufgrund von wrongful birth nicht nur ein faktisches Hindernis, nämlich das Fehlen entsprechender Ultraschalltechnik, sondern auch ein rechtliches Hindernis74 entgegen.

ME kann aus § 1327 daher nicht gefolgert werden, dass der Intention des Gesetzgebers nach Unterhaltsschäden nur ausnahmsweise im Falle des Entzugs der unterhaltsverpflichteten Person als ersatzfähige Schäden iSd § 1293 anzusehen sind.

B. Bisherige Rechtsprechung

1. Zu wrongful birth

Der erste Fall einer unerwünschten Geburt wurde im Jahre 1990 an den OGH herangetragen. Mit der Frage, ob und wenn ja in welchem Umfang durch die Geburt ein Schaden entstanden ist, musste sich das Höchstgericht in diesem, wie auch in

71

Vgl Hirsch, Arzthaftung, 49 f, 79. 72

Vgl Bloch, Das Sexualleben unserer Zeit in seinen Beziehungen zur modernen Kultur9 (1909), 768 f (abgerufen durch http://bib.muvs.org/sites/default/files/nainuwa_pdf/mvs_004079.pdf am 31.08.2017). 73

Vgl http://www.degum.de/degum/historie-museum/geschichte-der-diagnostischen-sonographie.html-(10.09.2017).

74

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weiteren Fällen, mangels Aufklärungs- oder Behandlungsfehlern nicht auseinandersetzen.75

Erstmals äußerte sich der OGH in der Entscheidung 1 Ob 91/99 k zur Frage, ob und wenn ja in welchem Umfang durch die Geburt eines Kindes ein Schaden entsteht. Die Eltern begehrten ua von der erstbeklagten Partei, dem Rechtsträger einer Universitätsfrauenklinik, den Ersatz sämtlicher künftiger behinderungsbedingter Mehraufwendungen sowie sämtlicher Vermögensnachteile, die ihnen wegen der Behinderung ihres Kindes entstanden seien sowie Ersatz für den Schockschaden im Zusammenhang mit dem unvorbereiteten Anblick des behinderten Neugeborenen unmittelbar nach der Geburt. Das Kind kam ohne obere Extremitäten, beidseitigen Klumpfüßen sowie mit einem um eine halbe Oberschenkellänge verkürzten Bein zur Welt. Der Behandlungsfehler lag darin, dass diese Fehlbildungen im Rahmen der Ultraschalluntersuchungen schuldhaft unerkannt blieben. Eine intrauterine Behandlung der Fehlbildungen wäre weder im Zeitpunkt der Schwangerschaft im Jahre 1987/88, noch im Zeitpunkt des Urteils des OGH im Jahre 1999 möglich gewesen.76

In seiner Entscheidung hielt der OGH zunächst fest, dass Belastungen der Eltern, die mit einer besonders schweren Beeinträchtigung des Kindes einhergingen, das Leben bedeutend verändern und nicht mit der Situation der Geburt eines zwar unerwünschten, aber gesunden Kindes verglichen werden können. Es sei allgemein anerkannt, dass Belastungen mit Verbindlichkeiten als positiver Schaden zu qualifizieren seien. Dies habe auch für Unterhaltsverbindlichkeiten zu gelten. Bedenken, wonach die Zuerkennung von Schadenersatzansprüchen dem Kind seine Unerwünschtheit demonstriere, seinen nicht berechtigt. Es sei vielmehr der umgekehrte Fall, nämlich dass dem Kind seine mangelnde Akzeptanz viel eher deutlich werde, wenn die Eltern die finanziellen Nachteile gänzlich selbst zu tragen hätten, zu befürchten. § 97 Abs 1 Z 2 StGB sei als Rechtfertigungsgrund zu verstehen. Zur Wahrung der Rechtseinheit sei es erforderlich, die Norm straf- und zivilrechtlich einheitlich zu beurteilen. Normzweck des § 97 StGB sei es die Interessen der Eltern hinsichtlich physischer, psychischer und sozialer Problemstellungen im Zusammenhang mit dem Leben mit einem schwerstbehinderten Kind zu wahren. Bei behinderten Kindern seien die Elternpflichten durch finanzielle Komponenten besonders stark mitbestimmt und dementsprechend zu berücksichtigen, Sozialleistungen könnten die Angst vor finanzieller Überforderung nicht vollständig beseitigen. Führt ein Arzt eine Ultraschalluntersuchung durch, so müsse er davon

75

Vgl OGH 12.07.1990, 7 Ob 593/90; Wagner in Schwimann/Kodek VI4 § 1293 Rz 34. 76

(26)

ausgehen, dass das Ergebnis der Untersuchung auch eine Entscheidungshilfe für oder gegen die Weiterführung der Schwangerschaft darstellen könne. Folglich treffe den Arzt aus dem Behandlungsvertrag auch die Pflicht das Vermögen der Eltern vor Belastungen mit Verpflichtungen, wie etwa Unterhaltsverpflichtungen, zu schützen. Zwar sei nur die Mutter unmittelbare Partei des Behandlungsvertrags, doch sei auch der Vater von dessen Schutzbereich umfasst, da die gesetzlichen Unterhaltsregelungen zu einer Schadensverlagerung führen. Hinsichtlich des unterhaltsbezogenen Begehrens gab der OGH der Klage statt und sprach den Eltern den eingeklagten behinderungsbedingten Mehrbedarf zu. Das Begehren auf Ersatz des Schockschadens war aufgrund eines Verfahrensmangels im Berufungsverfahren noch nicht spruchreif. Das Klagebegehren des behinderten Kindes (wrongful life) wies der OGH ab.77

Mit der Entscheidung 6 Ob 303/02 f wies der OGH die Klage der Eltern auf Schadenersatz mangels fehlerhafter Beratung ab. Die Mutter habe die behandelnden Ärzte weder darüber, dass sie und der Kindsvater 2. Grades verwandt waren, noch, dass es väterlicherseits mehrere von der Erbkrankheit „Morbus Niemann-Pick Typ A-B“ betroffene Personen gab, noch darüber, dass sie im Falle einer Erkrankung eine Abtreibung wünsche, informiert. Zudem gab es in Österreich während des gesamten Zeitraums der Schwangerschaft keine Möglichkeit Gewebe- oder Fruchtwasserproben auf diese Krankheit zu untersuchen. Der Senat betonte, dass dem mit dem Urteil 1 Ob 91/99 k vom 25.05.1999 entschiedenen Fall ein besonders krasses ärztliches Fehlerverhalten zu Grunde gelegen sei und es zu keiner ausufernden Haftung kommen dürfe.78

Die Entscheidung 5 Ob 165/05 h behandelte den Fall eines mit Trisomie 21, einem schweren Herzfehler sowie einem Darmverschluss geborenen Kindes. Der betreuende Gynäkologe erkannte bei einer Ultraschalluntersuchung in der 23. Schwangerschaftswoche eine auffällige Menge an Fruchtwasser sowie ein auffallendes Größenmissverhältnis. Der Schwangeren übergab er daraufhin eine Überweisung an eine spezielle Risikoambulanz und sagte zu dieser „Sie gehen mir jetzt in die

Risikoambulanz“. Eine Aufklärung dahingehend, dass die Auffälligkeiten auf eine

mögliche chromosomale Abnormalität hindeute bzw dahingehend, dass durch die zusätzlichen Spezialuntersuchungen abgeklärt werden sollte, ob die Gefahr einer Geburt eines behinderten Kindes besteht, erfolgte nicht. Die Frau kam der Aufforderung die Risikoambulanz aufzusuchen nicht nach. Erst etwa zweieinhalb

77

Vgl OGH 25.05.1999, 1 Ob 91/99 k. 78

(27)

Monate nach den ersten auffälligen Untersuchungsergebnissen sowie erneuter Aufforderung durch den betreuenden Gynäkologen begab sich die Schwangere in die Risikoambulanz, in der das Krankheitsbild des Ungeborenen sogleich festgestellt wurde.79

Der erkennende Senat schloss sich in seiner rechtlichen Beurteilung der in der Entscheidung 1 Ob 91/99 k vom 25.05.1999 vertretenen Rechtsansicht zur Gänze an. Erkenne ein Arzt das Erfordernis weitergehender Untersuchungen, habe er den Patienten auf die Notwendigkeit sowie die Risiken einer allfälligen Unterlassung hinzuweisen. Die Aufklärung habe umso umfangreicher und eindringlicher zu erfolgen, je dringlicher die Behandlung und je deutlicher nachteilige Folgen bei Unterlassen seien. Die bloße Aufforderung „Sie gehen mir jetzt in die Risikoambulanz“ genüge diesen Kriterien nicht. Mangels Feststellungen zu den Fragen, ob die Frau bei korrekter Aufklärung eine Abtreibung vornehmen hätte lasen und ob diese auch noch nach erfolgter Diagnose in der 32./33. Schwangerschaftswoche in Österreich möglich gewesen wäre sowie zur Mitverantwortlichkeit der Frau an der unterlassenen rechtzeitigen diagnostischen Abklärung, hob das Höchstgericht die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Sache zur Ergänzung des Verfahrens sowie zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht zurück. Abschließend hielt es für den Fall einer zumindest teilweisen Stattgabe der Klage fest, dass nicht bloß der behinderungsbedingte Mehrbedarf, sondern die gesamte Unterhaltsverbindlichkeit der Eltern gegenüber dem Kind als vermögensrechtlicher Nachteil zu qualifizieren wäre.80

In der Entscheidung 5 Ob 148/07 m bestätigte der OGH die Zuerkennung des gesamten Unterhalts. Im Hinblick auf den Umfang der Ersatzpflicht könne nur die Situation mit und ohne Kind verglichen werden, wenn feststehe, dass es bei pflichtgemäßer Diagnose und Beratung nicht zur Geburt des Kindes und folglich auch zu keiner Unterhaltsbelastung gekommen wäre. Schaden sei folglich der gesamte Unterhaltsaufwand für das behinderte Kind, eine Reduktion des Ersatzanspruchs auf den behinderungsbedingten Unterhaltsmehraufwand sei nicht zu rechtfertigen.81

Mit der Entscheidung 7 Ob 214/11 p wies der OGH eine außerordentliche Revision der beklagten Partei in einem Fall von wrongful birth mangels Vorliegen einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung zurück. Das Gericht bestätigte in der Begründung seine bisherige Rsp, wonach auch vermögensrechtliche Interessen der unterhaltspflichtigen Person vom Schutzzweck des Vertrags über die Durchführung pränataldiagnostischer 79 Vgl OGH 07.03.2006, 5 Ob 165/05 h. 80 Vgl OGH 07.03.2006, 5 Ob 165/05 h. 81 Vgl OGH 11.12.2007, 5 Ob 148/07 m.

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Untersuchungen erfasst sein können. Der Anspruch der Klägerin könne auch nicht aufgrund von § 1304 bzw §§ 1301, 1304 analog gekürzt werden, da ungeachtet der schicksalshaften Entstehung im Bereich der Klägerin ausschließlich die beklagte Partei kausal für die Geburt des Kindes mit Trisomie 21 gewesen sei.82

2. Zu wrongful conception

Bereits in der Entscheidung 1 Ob 91/99 k vom 25.05.1999 sprach der OGH in einem obiter dictum Bedenken hinsichtlich der Ersatzfähigkeit von Unterhaltsverbindlichkeiten gegenüber einem bloß aufgrund fehlgeschlagener Familienplanung gesund geborenen Kindes aus. Das Gericht stütze seinen Vorbehalt darauf, dass die aufgrund einer Behinderung des Kindes mit besonders schweren Belastungen verbundene und lebensverändernde Situation nicht mit jener einer bloß fehlgeschlagenen Familienplanung vergleichbar sei.83

In der Entscheidung 6 Ob 101/06 f befasste sich der OGH erstmals inhaltlich mit einem Fall von wrongful conception. Der Erstkläger und bereits dreifache Vater ließ bei einem Urologen eine Vasektomie durchführen. Es erfolgte keine Aufklärung des Klägers über die Möglichkeit einer Wiederverbindung der durchtrennten Samenleiter und von der Empfehlung von ungeschütztem Geschlechtsverkehr bis zum Nachweis zweier negativer Spermiogramkontrollen Abstand zu nehmen. Die Zweitklägerin wurde etwa ein Jahr nach der Operation des Erstklägers erneut schwanger, eine erneute Kontrolle des Spermiograms brachte ein positives Ergebnis. Die Kläger begehrten Ersatz des Unterhalts, die Zweitklägerin zudem Schmerzengeld für die im Zusammenhang mit der Geburt des Kindes erlittenen Schmerzen.84

Nach Darstellung der bis dahin vorliegenden Jud des OGH zu Fällen von wrongful birth sowie fremder Rsp, etwa der Deutschen und Schilderung der österreichischen Lit schloss sich der 6. Senat ausdrücklich der Auffassung des 1. Senats, wonach „die

Geburt eines gesunden, wenn auch unerwünschten Kindes keinen Schaden im Rechtssinne“85 bedeute, an. Die Verwirklichung einer Haftung setze einen

ersatzfähigen Schaden iSd § 1293 voraus und habe nicht bloß um seiner selbst Willen zu erfolgen. Ein derartiger Schaden liege in Fällen wie dem vorliegenden idR nicht vor. Gegen die Verneinung einer Ersatzpflicht spreche auch nicht, dass durch eine derartige Auffassung weite Teile der Fortpflanzungs- und Pränatalmedizin von Haftungsfolgen befreit würden. Die Bejahung eines Anspruchs auf Ersatz der 82 Vgl OGH 27.02.2012, 7 Ob 214/11 p. 83 Vgl OGH 25.05.1999, 1 Ob 91/99 k. 84 Vgl OGH 14.09.2006, 6 Ob 101/06 f. 85 OGH 25.05.1999, 1 Ob 91/99 k.

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