A2860 Deutsches Ärzteblatt⏐⏐Jg. 103⏐⏐Heft 43⏐⏐27. Oktober 2006
B R I E F E
macht, wenn es meint, die nötige Konkretisierungsleistung bereits erbracht zu haben mit dem Hinweis, dass hiermit dasjenige Stadium ge- meint sei, das „durch ein fortschrei- tendes Versagen lebenswichtiger Funktionen gekennzeichnet ist“
(Verrel, Gutachten zum 66. Deut- schen Juristentag, 2006, C 100).
Nach meinem Eindruck und Lektüre einschlägiger Beiträge aus medizini- scher Feder scheint auch die dahin- gehende Idee einer (rein) „physiolo- gischen futility“ eher theoretisches Konstrukt denn praktisch handhab- bare Leitlinie zu sein. Möglicherwei- se ist es aber auch nur ein Problem der Transparenz und Vermittlung:
Vom rechtlichen Standpunkt betrach- tet, bedarf es jedenfalls dringend sichtbarer allgemeingültiger Kriteri- en, was physiologisch als (nach menschlichem Ermessen unumstöß- lich) „aussichtslos“ angesehen wer- den soll. Die Patienten selbst, ihre Angehörigen, aber letztlich die Ge- samtbevölkerung haben ein funda- mentales Recht, darauf vertrauen zu können, dass stets derselbe Maßstab angelegt wird – ob die Entscheidung nun in München, Luckenwalde oder Husum getroffen wird. Eine Ent- scheidung „im Team“ (Konsil o. Ä.) ist dabei gewiss eine sehr hilfreiche und notwendige, aber noch keine hinreichende Bedingung zur Herstel- lung der unverzichtbaren „Objekti- vität“. Dies zeigt die geschilderte Entscheidungsbegründung im Fall
„Frau B.“: Eine etwaig zu befürch- tende oder bereits bestehende „Be- hinderung“ (im Übrigen ebenso der persistent vegetative state [str., aber bisher vorherrschende juristische Auffassung]) ist eindeutig ein un- zulässiges Differenzierungskriterium – und dies nicht nur „beim ersten Mal“, wie der Autor mit spürbar schlechtem Gewissen meint. Recht- lich anerkannt ist demgegenüber, dass den Patientenverfügungen, so- fern sie hinreichend konkret formu- liert und auf die vorfindliche Situati- on unbezweifelbar anwendbar sind, eine nicht nur indizielle (im Rahmen einer diffusen „Abwägung“), son- dern strikt bindende Wirkung zu- kommt im Sinne eines von ärztlicher Seite nicht mehr anfechtbaren Vetos gegen die Weiterbehandlung (BGHZ
154, 205 ff.). Hierin liegt die beson- dere Gefährlichkeit dieser „juristi- schen Flasche“ (H.-L. Schreiber), was manche dazu neigen lässt, de le- ge ferenda für eine obligatorische medizinische Beratung zu werben, damit die „ärztliche Vernunft“ nicht völlig verloren geht . . .
Prof. Dr. Gunnar Duttge,Zentrum für Medizinrecht, Juristische Fakultät, Georg-August-Universität Göttingen, Platz der Göttinger Sieben 6, 37073 Göttingen
KARRIERE
Ärztinnen sollten ihr Marketing in eigener Sache verbessern (DÄ 31–32/2006:
„Frauen in Füh- rungspositionen:
Karriere als Ärztin?!“ von Prof. Dr. med.
Gabriele Kaczmarczyk).
Umdenken propagieren
Frau Prof. Kaczmarczyk fordert in ihrem Beitrag zu Recht, dass der An- teil von Frauen in medizinischen Führungspositionen erhöht werden muss. Aber die Methoden, die sie zur Verbesserung der Situation vor- schlägt, erschrecken mich: In letzter Konsequenz fordert sie, dass Frauen all die Maßnahmen ergreifen (Kun- gelei, Protektionismus etc.), die sie einen Absatz vorher bei den Män- nern kritisiert hat. Ihr Aufruf liest sich wie ein Manifest zum Ge- schlechterkampf. Frauen sollen ge- gen Männer zusammenhalten, um Karriere machen zu können . . . Me- dizin ist immer noch ein sozialer Be- ruf, und entsprechend sollten sich die Protagonisten (egal ob Männlein oder Weiblein) auch verhalten. Fron- ten zu verhärten führt da nicht zum Ziel. Stattdessen muss ein Umden- ken propagiert werden, das eine ge- nerelle Familienfreundlichkeit för- dert . . . Nicht nur Frauen muss der Wiedereinstieg in das Berufsleben nach einer Elternzeit erleichtert wer- den – auch Männern. Flexible Ar- beitszeitmodelle, Teilzeitstellen so- wie die von ihr zu Recht geforderte bessere Kinderbetreuung sind weite- re Bausteine – und die müssen von allen mitgetragen werden. Das alles beinhaltet vor allem einen Wandel in
den Köpfen. Allerdings keinen, der weitere Mauern aufbaut.
Mattias Schäfer,Lörenstraße 32, CH-9230 Flawil
Ausbildung in Russland
Dass noch immer nur vier Prozent der Chefarztpositionen in Deutsch- land durch Ärztinnen besetzt sind, obwohl 40 Prozent der knapp 400 000 Ärzte weiblich sind, hat noch weiterführende Gründe als im oben genannten Artikel aufgeführt:
die mangelnden und weitaus unter- entwickelten Aus- und Fortbildungs- möglichkeiten insbesondere für Ärz- tinnen an den deutschen Kliniken . . . Es ist keine Seltenheit, dass gerade im operativen Bereich, sogar in ei- nem „weiblichen“ Fachgebiet wie der Geburtshilfe und Gynäkologie, die männlichen Kollegen in der Facharztausbildung, aber auch unter der erfahrenen Ärzteschaft den mit- unter gleich hoch qualifizierten Ärz- tinnen vorgezogen werden. Aufgrund dieser prekären Ausbildungssituation in deutschen Kliniken müssen alter- native Ausbildungsprogramme exi- stieren, um gerade den Ärztinnen die Möglichkeit der fundierten fachli- chen Aus- und Fortbildung und der Erlernung der geforderten prakti- schen Fähigkeiten zu geben. Ich ha- be erfahren, dass es in St. Petersburg, Russland, die Möglichkeit gibt, an einem dort angebotenen Ausbil- dungsprogramm im Fachgebiet der Geburtshilfe und Gynäkologie teil- zunehmen und in operativen, onko- logischen und pränatalen Zentren die in der Geburtshilfe und Gynäkologie während der Ausbildung zum Fach- arzt bzw. in der Schwerpunktweiter- bildung geforderten Operationen und Aufgaben zu absolvieren . . . Es be- steht die Möglichkeit, für einen der- artigen Aufenthalt finanzielle Unter- stützung über Fonds der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und über Stipendien des Deutschen Aka- demischen Austauschdienstes (DAAD) zu bekommen. Für die genaueren Informationen steht die Homepage der Deutsch-Russischen Akademie für Geburtshilfe und Gynäkologie www.dragg.de zur Verfügung.
Miriam Strohner,Fredener Straße 11, 38228 Salzgitter