Die Amtliche Gebührenord- nung für Ärzte (GOÄ) schreibt in vielen Abschnitten die Terminologie ihrer Vor- läufer fort, ohne die seinerzeit in sich stringente Systematik oder das ursprünglich aus- gewogene Bewertungsgefüge beibehalten zu haben. So wird zum Beispiel in der Preußi- schen Gebührenordnung für approbierte Ärzte und Zahn- ärzte aus dem Jahr 1924 zwi- schen den Gebührenpositio- nen Nr. 65 a „Beistand bei ei- ner Geburt ohne Kunsthilfe“
(20 bis 200 Reichsmark), Nr.
65 b „Bei einer Gesichtslage, Beckenendlage oder engem Becken“ (30 bis 300 Reichs- mark) und Nr. 65 c „Bei einer Zwillingsgeburt die Hälfte von a) oder b)“ unterschie- den. In der heutigen GOÄ finden sich die verschiedenen Formen des Spontanpartus in einer Gebührenposition kom- primiert wieder (Nr. 1 022 GOÄ „Beistand bei einer Geburt, ausschließlich Kunst- hilfe“, 75,77 bis 265,21 Euro).
Die in der Legende von Nr.
1 022 genannten Erschwer- nisse (Risikogeburt, regelwid- rige Kindslage, Mehrlings- geburt), die vormals verschie- denen aufwands- und risiko- äquivalenten Bewertungsstu- fen zugeordnet waren, können nun nicht mehr als Begrün- dung für die Ausschöpfung des Gebührenrahmens heran- gezogen werden, weil sie Bestandteil der Leistungsbe- schreibung geworden sind.
Abschnitt H (Gynäkologie und Geburtshilfe) der GOÄ ist ein besonders trauriges Beispiel für die vom Verord- nungsgeber zu verantworten- de Fehlentwicklung der Pri- vatärztlichen Gebührentaxe.
Dabei ist weniger gravierend, dass eine Vielzahl von Weiter- entwicklungen, unter ande- rem in der Pränataldiagnostik und intrauterinen Therapie, in der Reproduktionsmedizin
oder in der modernen ope- rativen Gynäkologie bislang nicht im privatärztlichen Ge- bührenverzeichnis berück- sichtigt wurde. Dieses Pro- blem kann GOÄ-konform auf dem Weg der Analogbe- wertung gelöst werden. Pro- blematischer ist es, wenn mo- derne Methoden auf veraltete Gebührenpositionen zurück- geführt werden müssen, weil die Bildung von Analogbe- wertungen nur dann zulässig ist, wenn das Gebührenver- zeichnis keine – oder nur eine krass unterbewertete – Ge- bührenposition für die ärztli- che Leistung bereitstellt (§ 6 Abs. 2 GOÄ). So bleibt bei- spielsweise das Legen einer gestagendepothaltigen Spira- le, auch Intrauterinsystem ge- nannt, das Einlegen einer Spirale nach Nr. 1 091 GOÄ.
Daneben kann die Zervixdi- latation nach Nr. 1 096, die als selbstständige Leistung mit 148 Punkten höher bewertet ist als der komplexere Ein- griff der IUP-Einlage nach Nr. 1 091 (106 Punkte), wegen der erforderlichen Beachtung des § 4 Abs. 2 a GOÄ nicht berechnet werden. Die ge- bührenrechtlichen Rahmen- bedingungen müssen immer beachtet werden, auch wenn es sich um Leistungen auf Ver- langen beziehungsweise indi- viduelle Gesundheitsleistun- gen handelt.
Bei aller Skepsis gegen- über der im Rahmen des be- absichtigten Vorschlagsmo- dells erwogenen Einrichtung eines privatärztlichen Bewer- tungsausschusses: Die schwer- wiegenden Ungereimtheiten in Abschnitt H GOÄ werden nur mit einer gründlicheren Überarbeitung des Kapitels, die nicht nur punktuell Wei- terentwicklungen berücksich- tigt, sondern auch Schiefstän- de und Altlasten beseitigt, zu bereinigen sein.
Dr. med. Regina Klakow-Franck
A
A1294 Deutsches ÄrzteblattJg. 100Heft 199. Mai 2003
Anachronistisch
Gynäkologie und
Geburtshilfe in der GOÄ
GOÄ-Ratgeber
V A R I A