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Archiv "Die Krankheit Robert Schumanns: Eine anrüchige Diagnose?" (08.10.1999)

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um Zusammen- bruch bei Robert Schumann kam es Anfang 1854 in Düsseldorf. Schumann war damals 44 Jahre alt. Am 10.

Februar traten akustische Hal- luzinationen auf. Schumann stand nachts auf und notierte ein Thema, „welches ihm die Engel vorsangen“. Am Mor- gen verwandelten sich die Stimmen in ein gräßliches Ge- kreisch von Dämonen, die sich auf den Kranken zu stürzen drohten. Der hochgradig er- regte Patient war kaum zu bändigen. Dieser Zustand hielt über mehrere Tage an.

Schumann drängte auf seine Einlieferung in eine Heilan- stalt. Am Rosenmontag, dem 27. Februar 1854, unternahm er einen Selbstmordversuch.

Am 4. März wurde er, begleitet von zwei kräftigen Wärtern, in die Irrenanstalt des Dr. Ri- charz in Endenich bei Bonn gebracht. Dort starb er zwei Jahre später, am 29. Juli 1856.

Auch die Heirat mit Clara Wieck brachte keine Beruhi- gung des mit heftigen inneren Konflikten ringenden Künst- lers. Die Heirat war 1840 ge- gen den Willen des alten Wieck per Gerichtsbeschluß durchgesetzt worden. Im Jahr 1842 notiert er „Schwindelan- fälle“ und „große Nerven- schwäche“. Auf einer Kon- zertreise nach Rußland im Jahr 1844 litt er unter „trübster Melancholie“ und mußte we-

gen wiederholter Schwin- delanfälle tagelang das Bett hüten.

Berufliche Mißerfolge ka- men hinzu: Nicht er, sondern Niels W. Gade, der dänische Komponist, wurde zum Leiter der Gewandhauskonzerte in Leipzig berufen. Clara schrieb, es seien nun schreckliche Tage gefolgt, Robert habe keine Nacht geschlafen, er habe sich gänzlich aufgegeben. Ein Jahr später, 1845, kamen beängsti- gende Hörstörungen hinzu, er vernahm ein beständiges Sin- gen und Brausen im Ohr.

E ntfremdung

Für Clara Schumann dürf- ten dieses ewige Kränkeln und die beunruhigenden Gesund- heitsstörungen ihres schwieri- gen und in den praktischen

Dingen des Lebens ungeübten Mannes eine große Belastung gewesen sein. Denn sie hinder- ten sie an der Realisierung ih- res Lebenskonzepts, und das basierte eindeutig auf ihrer Tätigkeit als Konzertpianistin.

Vielleicht stärker noch als die Krankheiten ihres Mannes be- hinderten sie die rasch aufein- ander folgenden Schwanger- schaften mit Wochenbett und Stillzeit. Die Entfremdung zwischen den Ehegatten nahm ihren Lauf.

Im Jahr 1850 siedelte die Familie von Leipzig nach Düsseldorf um; Schumann war zum Städtischen Musik- direktor berufen worden.

Jetzt sah die Zukunft wieder rosiger aus, aber schon bald wurde deutlich, daß Schu- mann die ihm übertragene Funktion nicht ausüben

konnte. Er war nicht belast- bar, mußte während der Pro- ben aus Erschöpfung häufig pausieren und ließ jede Auto- rität und Durchsetzungsver- mögen vermissen. Erschwe- rend kamen Artikulations- störungen hinzu. All dies, außerdem das Fehlen von Or- ganisationstalent und physi- scher Ausdauer, machten sei- ne Stellung unhaltbar.

1853, im Jahr vor der Katastrophe, hatte sich die Lage dramatisch zugespitzt:

Als Städtischer Musikdirektor stand er vor dem Aus, seine kompositorische Inspiration lag darnieder, seine Ehe war zerrüttet, die Gesundheit zer- stört. Tagaus, tagein quälten ihn Schwindelanfälle, Gehör- täuschungen, Schlaflosigkeit und schwere Depressionen.

Im Juni 1853 befiel Schumann ein „Nervenschlag“.

Erstaunlich ist, daß sich Schumann schon wenige Wo- chen nach der Einlieferung in die Heilanstalt in Endenich gut erholt hatte. Clara Schumann besuchte ihren unglücklichen Mann allerdings nicht.

Als Schumann dies reali- sierte, versank er zunehmend in Lethargie und Apathie. Mo- nate vor seinem Tod traten wieder Geruchs- und Ge- schmackshalluzinationen auf.

Sprechen konnte er nicht mehr. Anfang Juli mußte er wegen Tobsuchtsanfällen in die sogenannte Tobezelle der Anstalt. Von Dr. Richarz über das bevorstehende Ende infor- miert, raffte sich Clara Schu- mann zu einem Besuch in En- denich zusammen mit Johan- nes Brahms auf. Robert Schu- mann starb am 29. Juli 1856.

V erfall der Organisation

Im Stile seiner Zeit erkann- te Richarz als Ursache ein „un- angemessenes geistiges, zumal künstlerisches Produzieren“, was jene „durch Überanstren- gung herbeigeführte Krank- heit“ auslöste. In einem Arti- kel, der am 15. April 1873 in der „Kölnischen Zeitung“ er- schien, wird derselbe Dr. Ri- charz etwas deutlicher, das A-2521 Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 40, 8. Oktober 1999 (61)

V A R I A GESCHICHTE DER MEDIZIN

Die Krankheit Robert Schumanns

Eine anrüchige

Diagnose?

Das Leben des Komponisten

ist das bekannteste Beispiel für das Klischee von der Gefährdung des Genies durch den Wahnsinn.

Foto: Archiv des Robert-Schumann-Hauses

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heißt, man hat den Eindruck, daß er mehr einen physischen, organischen Prozeß im Auge hat, wenn er schreibt: „Schu- manns letzte verderbliche Krankheit war nicht eine primär-spezifische Geistes- krankheit. Sie bestand viel- mehr in einem langsamen, aber unaufhaltsam sich vollzie- henden Verfall der Organisati- on und der Kräfte des Gesamt- nervensystems in Form der un- vollständigen Paralyse.“

P rogressive

Paralyse

Daß Dr. Richarz mit Para- lyse die Spätkomplikation ei- ner syphilitischen Infektion meinte, ist eher unwahr- scheinlich – die Zusammen- hänge wurden erst nach der Jahrhundertwende klar.

Immerhin hatte er nach Schumanns Tod eine Ob- duktion veranlaßt oder selbst durchgeführt und darüber ein Protokoll ver- faßt, in dem von einer Hy- perämie im Bereich der Hirnbasis die Rede ist, von Knochenwucherungen an der Basis, von Verdickungen und Verwachsungen der bei- den inneren Hirnhäute mit der Rindensubstanz sowie von ei- ner Hirnatrophie. Dieser pa- thologisch-anatomische Be- fund spricht für einen chroni- schen Entzündungsprozeß des Gehirns und für einen daraus resultierenden Schwund des Gehirns, wie er typisch ist für das Endstadium der progressi- ven Paralyse. Dieser Entzün- dungsprozeß stört und zer- stört mannigfaltige Funktio- nen des Gehirns. Alle Sympto- me des an progressiver Paraly- se Erkrankten sind der Störung oder Zerstörung bestimmter, genau definierbarer anatomi- scher Strukturen zuzuordnen.

Schwindelanfälle können er- klärt werden als Störungen der Koordination infolge destruk- tiver Prozesse an bestimmten, für die unbewußte Motorik be- deutsamen Strukturen. Bei Schumann traten sie schon früh auf und verließen ihn bis zum Ende seines Lebens nicht mehr. Die Symptome am Au-

ge: Typisch für die syphilitisch bedingte progressive Paralyse ist die einseitige weite und lichtstarre Pupille, das vom schottischen Augenarzt Argyll- Robertson 1869 beschriebene und nach ihm benannte Phäno- men. Dieses Augensymptom ist häufig, aber nicht obligat, in rund 20 Prozent der Fälle kann es fehlen. Bei Schumann fehlte es, aber was den Zeitgenossen auffiel, waren seine abnorm weiten Pupillen. Auch die Störungen der Sprache, ins- besondere der Artikulation, sind ohne Schwierigkeiten ei-

nem pathologisch-anatomi- schen Korrelat zuzuordnen.

Von Schumann ist schon früh ein sogenanntes Silbenstolpern und seine leise, verwaschene und schwer verständliche, die Kommunikation beeinträchti- gende Sprechweise bekannt.

Erregungszustände, die sich bis zu Tobsuchtsanfällen steigern können, treten oft kurz vor dem Tod auf. Robert Schumann mußte kurz vor sei- nem Ende in der „Tobezelle“

gefesselt werden. Die ersten Symptome einer progressiven Paralyse, das Prodromalstadi- um, kann uncharakteristisch sein. Die Patienten klagen über Schwäche, nachlassende Belastbarkeit, zunehmende

Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Kopfschmerzen und Jucken in den Fingern. Retrospektiv, das heißt wenn die Diagnose gestellt ist, kann sich dieses neurasthenische Prodromal- stadium wie ein zusätzlicher Mosaikstein in das Gesamt- bild einfügen, so auch bei Schumann. Die Symptome wurden von seiner Frau und auch von seiner Umgebung mit seinem künstlerischen Schaffensprozeß und der dar- aus resultierenden geistigen Überanstrengung in Verbin- dung gebracht.

Auch das Intervall, die vorübergehende Normalisie- rung vor dem endgültigen gei- stigen Verlöschen, wie sie bei Robert Schumann einige Wo- chen nach seiner Einliefe- rung nach Endenich eintrat und die etwa ein Jahr an- hielt, ist typisch für die progressive Paralyse.

Ein häufiges, für die progressive Paralyse typi- sches Phänomen fehlt bei Robert Schumann:

Größenwahn. Aber alle anderen Symptome fügen sich wie Einzelstücke ei- nes Puzzles zum Gesamt- bild einer progressiven Para- lyse zusammen.

Die Syphilis war im 19. Jahrhundert eine häufige Erkrankung. Als Schumann starb, kannte die Medizin we- der den Erreger der Syphilis – das Treponema pallidum –, noch wußte man von dem Zu- sammenhang der Infektion und ihrer Spätmanifestation progressive Paralyse. Deshalb konnte es damals auch noch keine Statistiken geben. 40 Jahre später – um die Jahrhun- dertwende – war es anders.

Daß die Syphilis eine echte Volksseuche war, geht aus Sta- tistiken hervor, die um die Jahrhundertwende erhoben wurden.

Es ist erstaunlich, daß die Diagnose progressive Paralyse bei Robert Schumann bisher nie ernsthaft erwogen worden ist. Spielt da die unbewußte Hemmung eine Rolle, bei dem genialen Schöpfer der „Dich- terliebe“ und der „Kindersze- nen“ die Diagnose einer an- rüchigen Krankheit zu stellen?

In der 1918 selbständig gewor- denen Tschechoslowakei ent- brannte um die Krankheit Friedrich Smetanas ein hefti- ger Streit zwischen Dr. Hlava, der bei Smetana aufgrund des Autopsie-Befundes die Dia- gnose progressive Paralyse durch Syphilis eindeutig ge- stellt hatte, und den tschechi- schen Patrioten, die nach dem Motto „Nicht sein kann, was nicht sein darf“ diese Diagnose nicht wahrhaben wollten und statt dessen dem National- heros und Schöpfer des Zyklus

„Mein Vaterland“ eine unver- fängliche Cerebralsklerose un- terschoben.

F eines Makels ernhalten

Sollte sich bei Robert Schumann etwa ähnliches ab- gespielt haben? Könnte es sein, daß man die auf eine pro- gressive Paralyse hindeuten- den Zeichen der Krankheit ignorierte oder jedenfalls nicht realisierte, um von seinem Bild einen Makel fernzuhalten, der seinem Rang abträglich gewe- sen wäre? Falls solche Überle- gungen jemals bedeutsam ge- wesen sein sollten, wäre es an der Zeit, sie als abwegig ad acta zu legen.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers Dr. med. Ulrich Skubella Galbaecher Warte 6 34560 Fritzlar

A-2522 (62) Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 40, 8. Oktober 1999

V A R I A GESCHICHTE DER MEDIZIN

Kürzlich ist von Peter Härtling das Buch „Schu- manns Schatten“ (dtv, München, 1998, 17,90 DM) erschienen. Peter Härtling hat die Gelegen- heit gehabt, die Aufzeich- nungen des behandelnden Arztes von Robert Schu- mann, Dr. med. Richarz, einzubeziehen. Die Ar- beit von Dr. med. Skubel- la war aber vorher schon fertiggestellt. Interessant ist, daß das Tagebuch des behandelnden Arztes sei- ne Recherchen bestätigt.

Dr. Richarz: „Schumanns letzte verderbliche Krankheit war nicht eine

primär-spezifische Geisteskrankheit.“

Foto: Robert-Schumann-Gesellschaft e.V.

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