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Archiv "Hospize – Fürsorge, Geborgenheit und menschenwürdiges Sterben" (09.01.1989)

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DEUTSCHES

ÄRZTEBLATT

TAGUNGSBERICHT

D

aß es Alternativen zum Ster- ben im Krankenhaus gibt, wo meist wenig Raum für die Be- dürfnisse Sterbender und ihrer An- gehörigen bleibt, verdeutlichen seit Ende der 60er Jahre die Hospize und Hospizprogramme in England und Nordamerika, deren Ideen in- zwischen auch in der Bundesrepu- blik Deutschland Verbreitung ge- funden haben. Bisher arbeiten vier Hospize, etwa 200 Initiativgruppen sind entstanden. Wie groß das Inter- esse ist, zeigte eine Tagung zum Thema „Sterbebegleitung — Hospiz- bewegung` zu der die Akademie für Sozialmedizin und die Evangeli- sche Fachhochschule Hannover Mit- te Oktober 1988 nach Hannover ein- geladen hatten: Statt der erwarteten 80 Teilnehmer füllten etwa 200 den Hörsaal, weitere 240 Interessierte erhielten Absagen.

Im 20. Jahrhundert sind die Menschen von der Jahrtausende ge- übten Tradition abgerückt, dort zu sterben, so sie gelebt haben: zu Hau- se. Die ars moriendi ist verkümmert.

In der Bundesrepublik ist für 80 Pro- zent der Menschen eine Klinik die letzte Station des Lebens. Daß Krankenhäuser von ihrer derzeiti- gen Anlage und Zielsetzung her ei- gentlich keine Orte für Sterbende sind, war in allen Referaten unbe- stritten. Tod im Krankenhaus, wo

„institutionalisierter Optimismus"

herrscht und gefordert ist, wird als Versagen der Diagnostik und der kurativen Medizin, als Störung der auf Heilung von Krankheiten und auf Wiederherstellung der Arbeits- fähigkeit gerichteten Bemühungen empfunden. (Daß sich selbst tod- kranke Patienten entsprechend den Erwartungen und wider ihr eigenes Gefühl gegenüber ihren Ärzten zu- versichtlich geben, schilderte Klinik- pfarrer Professor Dr. theol. Hans- Christoph Piper, Hannover.) Die Nähe des Todes ist verbunden mit ärztlichen Enttäuschungen, Ängsten und Unsicherheiten, mit dem Ge- fühl, nichts mehr tun zu können.

Daraus resultieren in vielen Fällen — sowohl bei Ärzten als auch bei Pfle- gekräften — Vermeidungstendenzen:

Die Kontakte zu den sterbenden Pa- tienten werden immer kürzer und immer seltener.

Hospize sind anders. Die Ärztin Cecily Saunders nannte ihre erste Gründung 1967 bewußt „Hospiz" , womit sie auf die mittelalterliche Be- deutung und Funktion — Herberge für durchreisende Pilger — zurück- griff. Hospize sind keine „Sterbekli- niken` Sie definieren ihre Aufga- ben als umfassendes Bemühen um Verbesserung des noch verbleiben- den Lebens. Dazu gehören eine gute Grundpflege, eine effektive palliati- ve Therapie, die liebevolle Zuwen- dung und Fürsorge für Sterbende und Angehörige durch ein jederzeit erreichbares Team aus Arzt, Geistli-

Hospize

Fürsorge, Geborgenheit

und

menschenwürdiges Sterben

chem, Krankenschwester/-pfleger und Sozialarbeiter sowie durch frei- willige Helfer. Angehörige werden auch nach dem Tod des Patienten weiter betreut, Gesprächskreise Be- troffener und Selbsthilfegruppen werden angeboten.

Ein Hauptziel der Hospizbewe- gung ist es, daß Patienten, wenn möglich, ihre letzte Lebenszeit zu Hause, in der vertrauten Umgebung und bei den vertrauten Menschen verbringen. Die ambulanten Hospiz- dienste unterstützen Angehörige und Freunde dabei. Das schließt nicht aus, daß viele Hospizpro- gramme über Betteneinheiten unter- schiedlicher Größe verfügen, die in Anspruch genommen werden kön- nen, wenn eine Hauspflege nicht möglich ist. Vielfältige Formen be- ziehungsweise Mischformen haben sich bei den Hospizprogrammen in England (etwa 150) und in den USA (knapp 1700) herausgebildet.

Anstöße, über die Art des Sterbens in den letzten Jahren neu nachzudenken, waren nach Ansicht von Professor Dr. med. Fritz Hart- mann, Hannover, die Beobachtung, daß immer weniger Menschen zu Hause sterben, das zunehmende Ge- wicht von Intensiv- und Transplanta- tionsmedizin, eine Enttabuisierung aller Bereiche sowie das Ende der Verdrängung von Tod und Sterben bei der vom Zweiten Weltkrieg be- troffenen Generation. Man versu- che, das Erfahrungsdefizit im Um- gang mit dem Sterben einerseits über einen wissenschaftlichen Zu- gang, die Thanatologie, andererseits über eine professionalisierte Sterbe- begleitung zu bewältigen. Indem er zu Behutsamkeit mahnte, warnte er vor der „Enteignung des Sterbens"

als letzter Lebensleistung.

Für eine „revolutionäre Bewe- gung" hält Tagungsleiter Professor Dr. med. Johann-Christoph Stu- dent, Evangelische Fachhochschule Hannover, die Hospizbewegung: Sie mache abhandengekommene Be- wältigungsstrategien der Lebenskri- sen Sterben und Trauer neu bewußt.

Nach Jahrzehnten der Ausgrenzung gebe es für Sterbende und deren An- gehörige wieder einen „sichtbaren Ort" in der Gesellschaft. Im Mittel- punkt stünden nicht mehr die Krankheiten, sondern die Bedürf- nisse des Kranken/Sterbenden. Ster- ben werde nicht länger als Krank- heit, sondern vielmehr als Lebens- phase betrachtet.

Die Bekämpfung von Schmer- zen und die Behandlung von Krank- heitssymptomen bei Sterbenden zählten zu den wichtigsten ärztlichen Aufgaben, wenn kurative Möglich- keiten ausgeschöpft seien, betonte Professor Dr. med. Markus von Lut- terotti, Freiburg. Schmerzfreiheit durch regelmäßige Medikation er- laube es den Patienten, ihre Kräfte auf ihnen wichtige Dinge und die emotionale Bewältigung ihrer Situa- tion zu richten. Befürchtungen hin- sichtlich einer Opiatabhängigkeit sei- en bei terminal Kranken „absurd" .

Für Sterbende außerordentlich

wichtig sei auch die ärztliche Zuwen- dung,

die vielerorts zu kurz komme.

Zuwendung sei eine Frage der Ein- stellung, keine Frage der Zeit. Ärzte Dt. Ärztebl. 86, Heft 1/2, 9. Januar 1989 (25) A-25

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dürften den Patienten als Menschen gegenüber nicht resignieren, son- dern sollten sie ernst nehmen und nicht auf Befunde ablenken: „Ster- bende dürfen nicht routinierter Sprachlosigkeit ausgeliefert wer- den." Es gelte, auch indirekte Fra- gen zu erkennen und zu beantwor- ten. Oberstes Gebot müsse sein, so Lutterotti, den Patienten niemals die Unwahrheit über ihren Zustand zu sagen, auch wenn manchmal die ganze Wahrheit auszusprechen nicht möglich sei. Sterbende verfügten meist über eine sehr gute Einschät- zung der eigenen Situation, ebenso über ein hochentwickeltes Gespür für die Echtheit eines Kontaktes.

Hellhörig sein und sensibel rea- gieren sollten Arzte besonders dann, wenn Patienten Pläne entwickelten, die auf Grund der Krankheit abwe- gig erschienen. Oft tauchten Bilder und Symbole auf (Reisepläne stehen zum Beispiel für Veränderungen jeglicher Art). Der Kontakt breche ab, wenn es dem Arzt nicht gelinge, sich auf diese Bildebene einzulassen.

Bessere Personalschlüssel!

Überfordert und alleingelassen mit ihren Ängsten fühlten sich die jungen Ärzte und die meist noch jüngeren Pflegekräfte, die häufig mit sterbenden Patienten konfron- tiert seien. Auch Klinikseelsorger leisteten ihnen kaum Hilfestellung, konstatierte Anne Karl, Katholische Akademie für Krankenpflege, Re- gensburg. Um die Situation der Pfle- genden und der sterbenden Patien- ten zu verbessern, gelte es in Zu- kunft, bessere Personalschlüssel und mehr Stellen zu erreichen, Gesprä- che mit Patienten auch für Pflege- kräfte dokumentierbar zu machen, Angehörige und freiwillige Helfer in den Kliniken stärker zu integrieren, mehr im Team, zum Beispiel auch mit dem Krankenhaussozialdienst, zu arbeiten und eine regelmäßige Supervision sicherzustellen, um den Umgang mit den eigenen Ängsten zu bewältigen. Christlich geführte Krankenhäuser könnten ihrer An- sicht nach beispielhaft wirken, wenn sie beginnen würden, dem Sterben bewußt einen würdigen Platz in der

Institution Krankenhaus einzuräu- men.

Über ihre Arbeit in einem Hos- pizprogramm für AIDS-Kranke be- richtete Annemarie Madison, San Francisco. 172 000 Menschen wur- den 1987 in den USA in rund 1680 Hospizprogrammen betreut, 90 Pro- zent davon Krebspatienten und eine wachsende Zahl von AIDS-Kran- ken. Nach der Entlassung aus dem Krankenhaus kümmere sich das Team um die Patienten, die Sozial- arbeiter knüpften oft Kontakt zu den Familien an, klärten Versiche- rungs-, Testaments- und Beerdi- gungsfragen. Oberstes Gebot sei es, nicht alles zu übernehmen, sondern nur die Situation zu erleichtern, dem Patienten aber seine Selbständigkeit und Würde zu belassen. Grundle- gende Voraussetzungen für die Ar-

Anschriften der drei großen bundesweit arbeitenden Hos- piz-Initiativen:

Deutsche Hospizhilfe e. V., Reit 25, 2110 Buchholz (Info- Material und Schmerztherapie- Broschüre gegen 3 DM in Briefmarken); Internationale Gesellschaft für Sterbe- begleitung und Lebensbei- stand e. V., Diezer Straße

17-19, 6250 Limburg/Lahn;

Omega, Mit dem Sterben le- ben e. V., Kasseler Schlagd 19, 3510 Hann. Münden 1

In der Bundesrepublik Deutschland arbeiten vier Hospize (Stand: Herbst 1988).

Sie folgen unterschiedlichen Konzepten und erfüllen zum Teil noch nicht alle Kriterien eines Hospiz-Programmes:

Station für palliative Thera- pie, Chirurgische Universitäts- klinik, Joseph-Stelzmann-Stra- ße 20, 5000 Köln 41; Hospiz

„Haus Hörn", Johann-von-den- Drisch-Weg 4, 5100 Aachen;

Hospiz zum Hl. Franziskus, Röntgenstraße 39, 4350 Reck- linghausen; Christopherus Haus Krankenhaus GmbH, Roßmarkt 23, 6000 Frankfurt

am Main 1.

beit aller Teammitglieder sei das vorurteilsfreie Annehmen der Pa- tienten und vor allem das Zuhören, um herauszufinden, was die Patien- ten beschäftige und welche Dinge bewältigt werden sollten, um ihnen das „Loslassen" zu erleichtern.

Auf Grund eigener Erfahrungen beschrieb Dr. med. Ute Student, Hannover, die Situation und die Be- dürfnisse Angehöriger. Die Hilflo- sigkeit gegenüber dem Sterben führe bei Ärzten und Pflegern oft zu Be- triebsamkeit oder zu ausweichen- dem Verhalten, bei den Angehöri- gen zu Forderungen nach noch mehr Diagnostik und weiteren Therapie- versuchen. Beide Gruppen seien meist nicht in der Lage, ihre Gefühle

— Unsicherheit, Scham, Schuldge- fühle, Zorn, Ängste — zu zeigen. Of- fenheit sei aber die Voraussetzung, um sie zu bewältigen. Eine gewisse Sicherheit gebe den Angehörigen die Beteiligung an Entscheidungen im Krankheitsgeschehen, die Klar- heit über den nahenden Tod, damit sie die verbleibende Zeit nutzen und bis zuletzt physisch wie emotional Nähe bewußt leben könnten. Beson- ders für die psychosoziale Gesund- heit von Eltern verstorbener Kinder sei die Bestätigung wichtig, daß sie alles ihnen Mögliche für ihr Kind ge- tan hätten.

Eine Arbeitsgruppe, die sich mit dem wichtigen Thema der Finanzie- rung von Hospizen beschäftigte, kam zu dem Ergebnis, daß es in der Bundesrepublik Deutschland bis- lang kein replizierbares Finanzie- rungsmodell für Hospize gibt. Die vier bislang bestehenden Hospize fi- nanzieren sich ganz unterschiedlich, kommen jedoch ohne einen erheb- lichen Spendenanteil nicht aus. Am günstigsten scheinen im Augenblick die Möglichkeiten zu sein, ambulan- te Hospize zu finanzieren. Hierbei ist es jedoch wichtig, daß die dort tä- tigen Arzte stärker berücksichtigen, daß ein sterbender Patient keines- wegs immer als „Pflegefall" einzu- stufen ist. Vielmehr gilt es, wachsam zu prüfen, wann eine Behandlungs- situation im Sinne der RVO eintritt.

Neue Impulse bei der Finanzierung ambulanter Hospizprogramme wer- den vom „Gesundheits-Reformge- setz" erhofft. Gabriele Endrich A-26 (26) Dt. Ärztebl. 86, Heft 1/2, 9. Januar 1989

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