DEUTSCHES
ÄRZTEBLATT
KONGRESSBERICHT
LDL und seine Rezeptoren
D
er Herzinfarkt infolge Athero- sklerose ist die häufigste Todes- ursache in den westlichen Industrie- ländern. Vor diesem Hintergrund und mit der wissenschaftlichen Po- tenz der Referenten war das große Interesse an einem wissenschaft- lichen Symposium in Münster zum Thema „Hyperlipidemia and Athe- rosclerosis" zu erklären, das von G.Assmann, Münster, geleitet wurde.
D. S. Fredrickson, Bethesda (USA), gab einen Abriß über die Entwick- lung der Lipoproteinforschung von 1965 bis 1987; W. Stoffel, Köln, sprach über die Beziehung von Struktur und Funktion des Myelins, das im Wechsel mit Proteinlamellen die Markscheide der Nervenfaser aufbaut.
R. W. Mahley, San Francisco (USA) , nahm zu den neuesten Unter- suchungsergebnissen über das Apoli-
Nobelpreisträger referierten in Münster über Cholesterin
poprotein E Stellung, das mit seiner hohen Affinität zum LDL-Rezeptor von wesentlicher Bedeutung für die schnelle Aufnahme von zirkulieren- den Lipoproteinen in die Zelle ist.
Im therapeutischen Teil des Sym- posiums referierten D. W. Bilheimer, Dallas (USA), und H. Greten, Ham- burg, über die Behandlung der famili- ären Hypercholesterinämie und über die neuen Empfehlungen der Euro- pean Consensus Conference zur Be- handlung der Hyperlipidämie (siehe auch die Ubersicht „Diagnostik und Therapie der Hyperlipidämien" von G. Assmann und G. Schettler in die- sem Heft).
G. Schettler, Heidelberg, wid- mete schließlich seinen Vortrag der Bedeutung der Endothelzellen bei der Entstehung der Atherosklerose.
Höhepunkte der Veranstaltung wa- ren die Vorträge von J. L. Goldstein
und M. S. Brown, beide Dallas (USA), über die molekularen Zu- sammenhänge von LDL-Rezeptor und Hyperlipidämie bzw. Athero- sklerose. Für ihre Arbeit auf diesem Gebiet waren beide Referenten 1985 mit dem Nobelpreis ausgezeichnet worden.
Der LDL-Rezeptor .. .
Dem LDL-Rezeptor fällt eine Schlüsselrolle bei der Regulation des Cholesterins zu, das Dr. J. L. Gold- stein als „Dr. Jekyll und Mr. Hyde- Molekül" bezeichnete, da es zum ei- nen wichtige Funktionen im Meta- bolismus des menschlichen Körpers erfüllt, zum anderen aber über Ak- kumulation in Blut und Arterien- wänden zur Arteriosklerose führt.
Die LDL-Rezeptoren sind in den so- genannten Stachelsaumgrübchen („coated pits") an der Außenseite der Zellen lokalisiert und vermitteln die Aufnahme von LDL und ande- ren Lipoproteinen aus dem Blut so- wie deren Transport durch die Zelle.
Nach Synthese der LDL-Rezep- toren im endoplasmatischen Retiku- lum und Golgi-Apparat erfolgt der Transport zu der Zellmembran, wo sie sich in den Stachelsaum-Grüb- chen konzentrieren. Diese schnüren sich zu Vesikeln zusammen und schleusen damit die LDL-Rezepto- ren sowie die an diese gebundenen LDL-Moleküle in die Zelle ein. An- schließend verschmelzen mehrere Vesikel zu einem sogenannten En- dosom, in dessen saurem Milieu die Lipoproteine von den Rezeptoren abgespalten werden. Die LDL-Re- zeptoren kehren zur Zellmembran zurück, während die LDL-Moleküle in den Lysosomen zu Aminosäuren und Cholesterin abgebaut werden.
Die Bedeutung des LDL-Re- zeptors wurde erkannt, als es ge- lang, als Ursache der familiären Hy- percholesterinämie das Fehlen die- ses Rezeptors aufgrund eines geneti- schen Defekts nachzuweisen. Bei
dieser Krankheit handelt es sich um eine Stoffwechselstörung, die auto- somal dominant vererbt wird. Hete- rozygote Patienten mit familiärer Hypercholesterinämie besitzen ein normales und ein mutiertes LDL- Rezeptor-Gen und daher im Ver- gleich zu gesunden Personen nur die Hälfte an funktionsfähigen LDL- Rezeptoren sowie um das Doppelte erhöhte Plasma-LDL-Spiegel. Als Folge ist bei diesen Patienten bereits ab einem Alter von 35 Jahren mit Herzanfällen zu rechnen, Patienten mit homozygoter familiärer Hyper- cholesterinämie, die zwei mutierte LDL-Rezeptor-Gene haben, sind noch schwerer betroffen, denn sie verfügen über keine oder nur sehr wenige LDL-Rezeptoren, ihre LDL- Plasmaspiegel sind um das Sechsfa- che erhöht, und es kommt bereits in der Kindheit zu Herzanfällen.
. . . und seine Steuerung durch Cholesterin
Entzieht man einer Gewebekul- tur aus Fibroblasten stoffwechselge- sunder Menschen Cholesterin, so reagieren die Zellen mit einer Neu- synthese von LDL-Rezeptoren. Die Zugabe von Cholesterin zum Kul- turmedium supprimiert hingegen die Produktion von LDL-Rezeptoren.
Die Bedeutung der Beobachtung, so Dr. M. S. Brown, daß die Produk- tion von LDL-Rezeptoren durch die Cholesterin-Konzentration in der Zelle reguliert wird, wurde klar, als man das gleiche Experiment mit Fi- broblasten von Patienten mit hetero- zygoter familiärer Hypercholesterin- ämie wiederholte, die nur über die Hälfte der LDL-Rezeptoren gesun- der Personen verfügen. Entzieht man diesen Zellen das Cholesterin, so reagieren diese nicht nur mit der Produktion von LDL-Rezeptoren, man kann sie sogar so weit stimulie- ren, daß die Konzentration an LDL- Rezeptoren jener normaler Zellen entspricht.
Dt. Ärztebi. 85, Heft 31/32, 8. August 1988 (37) A-2213
Die Synthese der LDL-Rezep- toren wird auf der Ebene des LDL- Rezeptor-Gens reguliert, da die Fi- broblasten in Abwesenheit von Cho- lesterin mRNA produzieren, bei Zu- gabe von Cholesterin zum Kultur- medium wird die Synthese von mRNA supprimiert.
Die Promoter-Region des für den LDL-Rezeptor codierenden Operons besitzt zum einen eine Bin- dungsstelle für die RNA-Polymera- se , an eine andere haftet sich ein Transkriptionsfaktor, das Protein Sp1, an, der die RNA-Polymerase aktiviert und die Transkriptionslei- stung in die LDL-Rezeptor-mRNA um das Zehn- bis Fünfzigfache zu steigern vermag. Es existieren Hin- weise auf ein zelluläres Cholesterin- Rezeptorprotein, welches im unbe- setzten Zustand, das heißt bei einer geringen zellulären Cholesterin- Konzentration, nicht mit der DNA interagiert. Mit der Besetzung des Rezeptors durch Cholesterin erhält dieser jedoch die Fähigkeit, sich an die DNA zu binden, als Folge wird die Bindung des Transkriptionsfak- tors Sp1 blockiert und damit die Transkription inhibiert.
Ein sich aus diesem molekula- ren Modell ableitender therapeuti- scher Ansatz bei familiärer Hyper- cholesterinämie, so Dr. Brown, wä- re es, die zelluläre Cholesterin-Kon- zentration so weit zu senken, daß die Transkription des einen normalen Gens ungestört erfolgen kann, bis eine ausreichende Zahl an LDL-Re- zeptoren synthetisiert ist. Insbeson- dere kommt es darauf an, die Chole- sterin-Konzentration in den Leber- zellen zu senken, die über die LDL- Rezeptor-Expression für die Extrak- tion des größten Teils der LDL-Mo- leküle aus dem Blut zuständig ist.
Ein neues
therapeutisches Prinzip:
Hemmung der
HMG-CoA-Reduktase
Prinzipiell besitzt jede Zelle ne- ben der Aufnahme von LDL über die LDL-Rezeptoren mit der endo- genen Cholesterin-Synthese eine zweite Möglichkeit, sich mit Chole-
sterin zu versorgen. Würde man die Cholesterin-Biosynthese inhibieren, so käme es zu einem Abfall der Cho- lesterin-Konzentration in der Zelle und zu einer Stimulation der Synthe- se von LDL-Rezeptoren. Nach jahr- zehntelanger Suche ist es in jüngerer Zeit gelungen, aus einem Schimmel- pilz eine Substanz, Compactin, zu isolieren, die die HMG-CoA-Re- duktase, ein essentielles Enzym der Cholesterin-Biosynthese, kompeti- tiv hemmt. Heute steht mit Lovasta- tin* eine Weiterentwickung des Compactins zur Verfügung, die sich von diesem durch eine zusätzliche Methylgruppe unterscheidet.
Im Tierversuch führt Lovastatin zu einem Anstieg der für LDL-Re- zeptoren codierenden mRNA in der Leber, gleichzeitig wird die Extrak- tion von LDL aus dem Blut stark be- schleunigt, und es kommt zu einer deutlichen Abnahme des Plasma- Cholesterin-Spiegels. Die gleichen Effekte zeigten sich auch am Men- schen, so bei Patienten mit fami- liärer Hypercholesterinämie.
LDL-Rezeptor
und Atherosklerose
Der LDL-Rezeptor besitzt je- doch nicht nur Bedeutung für Pa- tienten mit familiärer Hyperchole- sterinämie, sondern generell für das Problem der Atherosklerose. Über 95 Prozent der Personen, die vor dem 60. Lebensjahr Herzattacken erleiden, besitzen zwei normale LDL-Rezeptor-Gene, und das Pro- blem bei diesen Menschen ist ein zu hoher LDL-Blutspiegel infolge einer Nahrung, die zu reich ist an Chole- sterin und gesättigten Fetten.
Das mit der Nahrung aufgenom- mene Cholesterin gelangt mit Chylo- mikronen in die Leber und wird dort in VLDL (Very Low Density Li- poproteins) eingebaut, das über den Kreislauf u. a. zu Fettgewebe und Muskeln transportiert wird. Dort wird dem VLDL der Triglyzeridan- teil entzogen, und es entsteht IDL (Intermediate Density Lipopro-
* vorgesehenes Warenzeichen in der Bundesrepublik Deutschland: Mevinacor®, in den USA als Mevacor seit 1987 im Handel
teins), das bei ausreichender Zahl an LDL-Rezeptoren in der Leber rasch dem Blutkreislauf entzogen wird.
Unter normalen Bedingungen bleibt nur ein geringer Anteil des IDL im Blut, wo es nach Abspaltung des Apolipoproteins E als LDL so lange verbleibt, bis auch dieses von LDL- Rezeptoren gebunden oder auf an- derem Wege abgebaut wird.
Wenn aber die zelluläre Chole- sterin-Konzentration in der Leber infolge einer cholesterinreichen Nahrung ansteigt, dann kommt es zur Suppression der LDL-Rezepto- ren, es kommt zu einem Anstieg des LDL im Blut, die dann aufgrund der mangelnden LDL-Rezeptorenzahl mit einer längeren Verweilzeit im Kreislauf zirkulieren.
Der LDL-Spiegel, schloß Dr.
Brown seinen Vortrag, hängt damit in einer einzigartigen Weise vom LDL-Rezeptor ab, denn dieser be- stimmt sowohl das Ausmaß der Bil- dung vom LDL im Blut als auch des- sen Extraktionsrate. Eine Erhöhung des Plasmaspiegels der LDL ist ein kausaler Faktor für das Enstehen und die Progredienz der Atheroskle- rose.
Prof. Dr. med. Gerd Assmann Institut für Klinische Chemie und Laboratoriumsmedizin Universitätskliniken Münster Albert-Schweitzer-Straße 33 4400 Münster
BEHICHTIGUNG
Daten zur Intensiv- medizin in
Akutkrankenhäusern
In dem Beitrag von K.-D.
Scheppokat und M. Scheppokat, Heft 27/1988, ist ein Übertragungs- fehler unbemerkt geblieben, den wir wie folgt berichtigen: Unter dem Kapitel „Statistische Ergebnisse"
muß es im ersten Satz richtig heißen
„Es handelt sich um 120 Intensivsta- tionen" (statt, wie gedruckt, 1230 Intensivstationen). MWR A-2214 (38) Dt. Ärztebl. 85, Heft 31/32, 8. August 1988