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Archiv "Aktueller Stand der klinischen Mikrosystemtechnik" (23.05.1997)

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Academic year: 2022

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er Kongreß in Verbindung mit dem Statusseminar des Verbundforschungsprojektes

„Implantierbares telemetri- sches Endosystem“ am 27. und 28. Fe- bruar 1997 in Bochum gab einen aktu- ellen Überblick zur klinischen Mikro- systemtechnik.

Mikrosystemtechnik, die Kombi- nation von Mikroelektronik und Mikromechanik, wird für die Zukunft auch als Schlüsseltechnologie in der Medizintechnik und für die klinische Medizin angesehen. So wie sich die Mikroelektronik von der klassischen Elektronik nicht nur durch extreme Miniaturisierung der diskreten Bau- elemente, sondern – wesentlich wich- tiger – grundsätzlich durch die Inte- gration der Bauelemente auf einem Siliziumsubstrat unterscheidet, stellt die Mikrosystemtechnik nicht nur ei- ne Verkleinerung mechanischer Bau- elemente dar, sondern bedeutet die Integration von mechanischen Mikro- strukturen und Mikroelektronik.

Ein vollständiges Mikrosystem besteht aus einer integrierten Kombi- nation von Sensoren, Prozessoren und Aktoren, wozu noch Zusatzkom- ponenten wie Speicher, Multiplexer, Schnittstellen- und Verbindungsele- mente kommen.

Sensoren liefern die – im allge- meinen analogen – Signale für physi- kalische und chemische Parameter.

Sie bestehen aus dem eigentlichen Sensorelement, das die physikalische oder chemische Größe in ein analoges elektrisches Signal umsetzt, dem ana- logen Vorverstärker, der als Span- nungs- oder Ladungsverstärker arbei- tet, und dem Analog-Digital-Wand- ler, der das analoge Signal in einen di- gitalen Wert umsetzt und diesen Wert dem Prozessor zuführt.

Prozessoren übernehmen die Da- tenverarbeitung, indem sie die Meßda- ten aufbereiten, statistisch bewerten, Driften kompensieren, mit Daten an- derer Sensoren vergleichen und kom- binieren und die für die Ansteuerung der Stellglieder erforderlichen Größen bereitstellen. Hierfür werden zum Bei-

spiel bei Sensorarrays und komplexen Aufgaben der Datenverarbeitung, wie bei Mustererkennungsverfahren, zu- nehmend neuronale Netze verwandt, die die technische Nachbildung der durch die biologische Evolution ent- wickelten Elemente und Verfahren zur Informationsverarbeitung im Nerven- system von Lebewesen darstellen.

Aktoren sind Bauelemente, die auf die von dem Prozessor kommen- den elektrischen Signale mit Änderung physikalisch-mechanischer Größen wie Ausdehnung, Kraft und Drehmo- ment antworten. Sie stützen sich auf Ei- genschaften wie die thermische Volu- menexpansion, elektromagnetische und elektrostatische, piezoelektrische und magnetostriktive Kräfte. Damit können dann Werkzeuge, Stellglieder, Manipulatoren, Bewegungssysteme, Turbinen und Motoren im Mikromaß- stab aufgebaut werden.

Entwicklung und Herstellung von Mikrosystemen erfordern ebenso wie der Übergang vom klassischen Aufbau einer Gesamtelektronik aus diskreten Bauelementen zur Herstel- lung einer Schaltung der Mikroelek- tronik vollkommen neue, gänzlich an- dere Herstellungs- und Fertigungs- technologien. Statt durch mechani- sche Arbeitsgänge wie Fräsen und Bohren werden Mikrostrukturen durch physikalisch-chemische Bear- beitungen wie Beschichten, Ätzen und Auflösen erzeugt. Zur Struktu- rierung des Grundsubstrates werden keine mechanischen Werkzeuge, son- dern Photonen- und Elektronenstrah- len eingesetzt.

Das in der Mikroelektronik weit verbreitetes Lithographie-Verfahren hat auch für die Fertigungstechnologie der Mikromechanik zentrale Bedeu- tung. Mit dieser Technik können Struk- turen im Mikrometer- und Submikro- meterbereich erzeugt und – außeror- dentlich wichtig – auch eine kostengün- stige Massenfertigung erreicht werden.

Grundmaterial für die Mikro- elektronik ist das Silizium mit seinen Halbleitereigenschaften, Grundmate- rial für die Mikrostrukturtechnik ist

auch das Silizium, vorzugsweise aber wegen spezieller mechanischer Ei- genschaften in der Modifikation des Einkristalles.

Mikrosystemtechnik für die Medizin

Die technischen Möglichkeiten zur Miniaturisierung und Integration könnten und sollen durch Entwicklung von Mikrokomponenten und -syste- men für die Lösung von Aufgaben auf folgenden Gebieten der Medizin ein- gesetzt werden und Vorteile bringen:

¿In-vivo-Messung klinisch rele- vanter Parameter wie Blutzucker und Hirndruck durch miniaturisierte Sen- soren;

À Telemetrische Datenübertra- gung und kontrollierte Wirkstoffab- gabe durch Mikrosysteme als Multi- funktionsimplantate;

ÁAnwendung von miniaturisier- ten Instrumenten in der minimalinva- siven Therapie, zum Beispiel in der Neuroendoskopie und der intra- luminalen Tubenchirurgie.

Implantierbares telemetri- sches Endosystem

Entwicklungen der Mikrosystem- technik für Anwendungen in der Me- dizin werden vom Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie seit 1990 in einem speziellen Programm gefördert. Mehr als 20 Verbundprojekte zwischen Un- ternehmen der Medizintechnik, For- schungs- und Technologie-Instituten und klinischen Einrichtungen wurden initiiert und inzwischen bearbeitet. Zu diesen Verbundforschungsprojekten gehört das Projekt des implantierba- ren telemetrischen Endosystems (ITES), das die Miniaturisierung eines telemetrisch arbeitenden Drucksensor- systems zum Ziel hat. Auf dem Status- seminar am 27. und 28. Februar 1997 in den Berufsgenossenschaftlichen Klini- ken „Bergmannsheil“ der Ruhruniver-

Aktueller Stand der

klinischen Mikrosystemtechnik

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sität Bochum wurde über den aktuel- len Stand des Projektes berichtet.

Das zu entwickelnde, passiv arbei- tende System soll intrakorporale Drücke kabellos nach extrakorporal übertragen und als besonderen klini- schen Vorzug die sichere Vermeidung von katheterassoziierten Infektionen garantieren. Das biokompatibel be- schichtete Mikrosystem soll implan- tiert werden und im Körper verbleiben.

Potentielle Anwendungen sind die 1 minimalinvasive Blutdruck- messung,

1 minimalinvasive Hirndruck- messung nach Schädelhirntrauma oder Blutung,

1 quantitative Blutflußmessung mit der Sensorplazierung neben dem Gefäß,

1 intrauterine Druckmessung während der Schwangerschaft ein- schließlich Ableitung des fetalen Herzschlags,

1 Augendruckmessung beim Glaukom,

1 Anwendung in Regulationssy- stemen bei künstlichen Harnblasen oder zur Miktionskontrolle gelähmter Harnblasen bei Querschnittslähmung sowie künstlichen Darmverschlußsy- stemen,

1 Messung des Bandscheiben- drucks nach Wirbeloperation,

1 Druckmessung in Schuheinla- gen zur Verbesserung der Rehabilita- tion von Diabetikern,

1 Qualitätssicherung nach Hüft- gelenksoperationen durch Messung der Prothesenlockerung.

Das technische System kann in drei Teile gegliedert werden: in den ei- gentlichen Drucksensor, die notwendi- ge Verarbeitung und Auswertung der primär gewonnenen Signale und die Übertragung der Daten auf einen PC.

Drucksensor

Die Ermittlung des Drucks übernimmt ein extrem miniaturisier- ter Drucksensor, der, auf einem Sili- ziumchip erzeugt, in den Körper im- plantiert wird. Der Chip hat eine Fläche von etwa 4 mm mal 0,8 mm und eine Dicke von weniger als 0,5 mm. Auf diesem Chip sind nicht nur der eigentliche Drucksensor, son- dern auch die Auswerteschaltung

monolithisch integriert. Meßprinzip zur Erfassung des Drucks ist die Bestimmung der druckabhängigen Kapazität eines Kondensators. Der Kondensator wird gebildet durch das Siliziumsubstrat als feste Elek- trode und eine in einem geringen Abstand als Gegenelektrode aus Polysilizium aufgebauten bewegli- chen Membran. Die Kapazität dieses Kondensators hängt vom Abstand der beiden Elektroden ab, der wie- derum durch den einwirkenden Druck bestimmt wird.

Typische Strukturabmessungen der Drucksensorzelle sind eine Kan- tenlänge zwischen 50 und 200 µm, ein Abstand der Kondensatorelektroden von 800 nm und eine Membrandicke von 1 µm.

Die Kapazitätsänderungen lie- gen dann in der Größenordnung von 10-15F = 1 fF. Bei 1 V Ladespannung entspricht das der Ladungsmenge von nur etwa 6240 Elektronen. Mehrere Kondensatoren dieser Art bilden auf dem Chip ein Array, das bei 100 mbar eine Gesamtkapazität von zirka 2 pF hat. Das Sensorsystem arbeitet zwi- schen 0,7 und 1,3 bar bei einer Auflö- sung von 2 mbar nahezu linear.

Die Herstellung dieses mikrome- chanischen Drucksensors erfolgt voll- ständig nach dem Herstellungsprozeß der Mikroelektronik und basiert auf dem Standard-VLSI-(very large scale integration)-Prozeß, nach dem inte- grierte Halbleiterschaltungen auf Sili- zium gefertigt werden. Die Struktu- rierung geschieht mit Hilfe der Ober- flächenmikromechanik, bei der die Prozessierung des Sensors wie die Herstellung von integrierten Schal- tungen auf der Oberfläche eines Sili- ziumwafers erfolgt. Mit dieser Tech- nik können Membranen aus polykri- stallinem Silizium mit einer Dicke bis zu 400 nm erzeugt werden. Das Mate- rial unter der Membran, Feldoxyd, wird durch die sogenannte Opfer- schichtätzung in einer Dicke von zirka 600 nm chemisch entfernt.

Auswerteschaltung

Die Auswerteschaltung muß Ka- pazitätsänderungen von 0,1 fF erfas- sen. Deshalb muß sie dicht an den Sensor positioniert werden. Sie befin-

det sich auf dem gleichen Chip und ist eine auch in CMOS-Technik monoli- thisch integrierte Schaltung, die die druckabhängige Kapazität des Druck- sensors mit einer Meßrate von 10 bis 100 Hz abfragt und als Ausgangssignal Pulsdichte-modulierte Signale an die Telemetrieeinheit liefert. Der gesamte Sensorchip nimmt bei 5 V Versor- gungsspannung und einer Taktfre- quenz von 200 kHz einen Strom von 1,8 mA auf. Die Abmessungen des Sensor- und Auswertechips mit den Sensorzellen, der Auswerteschaltung und Kontaktelementen zur Verbin- dung betragen 0,8 mm mal 3,8 mm.

Telemetriesystem

Die Forderung nach dauerhaf- tem Verbleib des Mikrosystems im Körper des Patienten bedingt neben der Kleinheit der Abmessungen den Verzicht auf konventionelle Energie- speicher wie Batterien auf dem Sen- sorchip. Das heißt, neben der Über- tragung der Meßdaten vom Sensor nach außerhalb des Körpers muß auch die elektrische Energie von außerhalb des Körpers zum Sen- sorchip drahtlos übertragen werden.

Dies geschieht durch ein Telemetrie- system.

Das Telemetriesystem besteht aus zwei Komponenten, der extrakor- poralen und der implantierten Ein- heit. Die extrakorporale Einheit be- steht aus einem Sende-/Empfangs- kopf mit Interface. Sie erzeugt ein hochfrequentes magnetisches Wech- selfeld und empfängt die aus dem Körper übermittelten Daten.

Der Sende-/Empfangskopf wird über der Stelle des Körpers plaziert, an der sich der implantierte Teleme- triechip befindet. Er enthält im we- sentlichen eine Hochfrequenzstufe, einen Schwingkreis und einen Demo- dulator. Ein Interface bildet die Schnittstelle zum Auswerte-PC und übernimmt die Steuerung und Über- wachung des Sende-/Empfangskop- fes.

Die implantierte Einheit hat die Sensorik und Elektronik mit elektri- scher Energie zu versorgen, die ge- messenen Sensordaten aufzubereiten und an die extrakorporale Einheit zu übertragen. Sie besteht aus dem Tele-

M E D I Z I N KONGRESSBERICHT

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metriechip und einer Mikrospule als Antenne. Sie wird unter der Haut im- plantiert und ist mit dem tiefer liegen- den eigentlichen Sensorchip über ein Miniaturkabel verbunden.

Die elektrische Energie zur Ver- sorgung von Sensorik und Elektronik wird induktiv von dem Hochfrequenz- sender der extrakorporalen Ein- heit über das das Körpergewebe durch- dringende hochfrequente Magnetfeld auf eine Mikrospule des implantierten Mikrosystems übertragen. Auch diese Mikrospule wird als Planarspule galva- nisch auf das Siliziumsubstrat aufge- baut. Die Abmessungen der Spule lie- gen bei zirka 4,5 mm Kantenlänge, ihre Strukturdetails bei 8 bis 12 µm, ihre In- duktivität beträgt zirka 10 µH. Reso- nanzkreis, Gleichrichter- und Stabili- sierungselektronik sind auf dem Chip untergebracht und liefern die benötigte Versorgungsspannung. Die Abmes- sungen des Telemetriechips betragen 4,5 mm mal 2 mm.

Mit der Oberflächenmikrome- chanik hofft man eine so kostengün- stige Massenfertigung der Bauteile si- chern zu können, daß der Einsatz des Mikrosystems in der Medizin nicht durch finanzielle Gesichtspunkte li- mitiert wird. Dies ist von großer Be- deutung, da die industrielle Umset- zung der prinzipiell funktionsfähigen Mikrosysteme ansteht und wirtschaft- liche Gesichtspunkte und Erfolg über den breiten Einsatz in der klinischen Praxis entscheiden werden.

Maßnahmen zur Sicherstellung der Biokompatibilität, die wegen der speziellen Aufbautechnik und der Kleinheit nicht mehr durch dicke Sili- konschutzschichten wie im allgemei- nen bei implantierten Makrosyste- men geschehen kann, sondern durch sehr dünne Beschichtung mit Dicken zwischen 100 nm und 1 µm oder alter- nativ durch Passivierungsschichten der Halbleitertechnologie erfolgen muß, die nachgewiesene Genauigkeit und spezielle, auch aus der Halblei- tertechnik stammende Verbindungs- techniken gewährleisten die von der Medizin für die Medizintechnik ge- forderten Eigenschaften.

Klinische Anwendungen

Neben und nach der technischen Entwicklung des Systems sollen im ITES-Projekt drei Anwendungsbe- reiche im Vordergrund der Erpro- bung stehen:

1Blutdruckmessung

Das System soll in eine Unter- armarterie mikroimplantiert werden und die Blutdruckkurve kontinuierlich darstellen. Katheterinfektionen und meßtechnische Fehler, die sonst auf- grund der Druckweiterleitung über ein Schlauchsystem entstehen können, entfallen.

1Hirndruckmessung

Das System soll die heute allein zur Verfügung stehenden invasiven

Methoden der Hirndruckmessung nach Schädelhirntrauma, Hirnblu- tung oder neurochirurgischen Ein- griffen ablösen und die frühzeitige Aufdeckung einer Druckerhöhung mit rechtzeitiger Therapie ermögli- chen.

1 Muskellogendruckmessung Auch hier stehen heute nur inva- sive Meßsonden zur Verfügung, die wegen der Infektionsgefahr nicht dauernd eingesetzt werden können.

Die Implantation eines Mikrodruck- sensors und eine rechtzeitige Thera- pie könnten die Häufigkeit chirurgi- scher Eingriffe und die Entstehung des Muskellogensyndroms mit den möglichen schweren Folgen wie Funktionsverlust von Extremitäten vermeiden helfen.

Ein Teil der Referate, im wesentli- chen die zu dem Projekt ITES, ist in dem Tagungsband erschienen, der vom Arbeitskreis Klinische Mikrosy- stemtechnik, Berufsgenossenschaftli- che Kliniken „Bergmannsheil“, Bür- kle-de-la-Camp-Platz 1, 44784 Bo- chum, bezogen werden kann. Grund- lagen der Mikrosystemtechnik vermit- telt W. Menz, P. Bley: „Mikro- systemtechnik für Ingenieure“, VCH Verlag, Weinheim.

Prof. Dr. rer. nat. Adolf Habermehl Radiologie-Zentrum der

Philipps-Universität Bahnhofstraße 7 35033 Marburg/Lahn

N

eue Erkenntnisse und Emp- fehlungen zum Thema Mam- mographie-Screening für Frauen zwischen 40 und 49 brachte eine Konsensus-Konferenz in Bethesda, USA, vom 21. bis 23. Janu- ar 1997.

In westlichen Ländern erkrankt heute jede achte bis zehnte Frau an ei- nem Mammakarzinom. Nur früh er- kannte und behandelte Karzinome sind heilbar. Die Mammographie ist nach wie vor die einzig anerkannte

Früherkennungsmethode. Ein Mam- mographie-Screening wird vor allem in Deutschland trotz guter techni- scher und personeller Voraussetzun- gen nach wie vor kontrovers disku- tiert.

Anhand mehrerer randomisierter klinischer Studien konnte gezeigt wer- den, daß die Früherkennung bei Frau- en zwischen 50 und 69 Jahren zu einer Reduktion von Brustkrebserkrankun- gen führen kann. Die Durchführung einer Mammographie mit oder ohne

klinische Brustuntersuchung in regel- mäßigen Abständen (zwischen 12 und 33 Monaten) führt zu einer Reduktion der Mortalität um zirka ein Drittel (2).

Der Effekt eines Mammographie- Screenings bei jüngeren Frauen ist je- doch noch unklar. Die Brustkrebser- krankung weist in dieser Altersgruppe Besonderheiten auf, welche die Effek- tivität von Screening-Untersuchungen beeinflussen können.

Die Inzidenz liegt in der Alters- gruppe der 40 bis 49jährigen deutlich

Mammographie-Screening

für Frauen zwischen 40 und 49

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niedriger (nur zirka ein Fünftel aller Mammakarzinome werden vor dem 50. Lebensjahr entdeckt); dennoch stellt die Brustkrebserkrankung die häufigste Todesursache in diesem Le- bensabschnitt dar. Eine höhere proli- ferative Aktivität und ein größe- rer Anteil an In-situ-Veränderungen könnten ebenfalls die Zuverlässigkeit turnusmäßiger Mammographien ne- gativ beeinflussen. Zudem ist bei einem frühen Screening-Beginn mit einer höheren Gesamtstrahlenbela- stung zu rechnen.

Mittlerweile liegen Daten von acht prospektiven randomisierten klinischen Untersuchungen (fünf schwedische, eine amerikanische, ei- ne kanadische und eine schottische) mit einem Nachbeobachtungszeit- raum von teilweise über zehn Jahren und Erfahrungen von mehreren re- gionalen Screening-Programmen vor, die als Grundlage für Standardemp- fehlungen dienen können. Bereits 1993 ließ die amerikanische Gesund- heitsbehörde ein Konsensuspapier zu dieser gesundheitspolitisch wichtigen Fragestellung erarbeiten. In dieser Stellungnahme wurde ein generelles Mammographie-Screening bei jun- gen Frauen abgelehnt. Dieser Kon- sens wurde jedoch seit langem von vielen Experten kritisiert, so daß jetzt, basierend auf den neuesten ver- fügbaren Daten, ein revidiertes Kon- sensus-Papier formuliert werden soll- te. Anläßlich der diesjährigen NIH- Konsensus-Konferenz wurden fünf Fragen formuliert, zu denen ein Ex- pertengremium Antworten finden sollte, nachdem sie von 32 Wissen- schaftlern über den aktuellen Kennt- nisstand informiert worden waren.

Die Empfehlungen lauten zusam- mengefaßt wie folgt:

¿ Kann die Mortalität durch ein Mammographie-Screening bei Frau- en zwischen 40 und 49 gesenkt wer- den? Wie groß ist der Nutzen? Gibt es hierbei Altersunterschiede?

In dieser Altersgruppe weisen randomisierte Studien nach einer Be- obachtungszeit von sieben Jahren keinen Unterschied zwischen Mam- mographie- und Kontrollgruppen be- züglich der Häufigkeit von Todesfäl- len aufgrund eines Mammakarzi- noms auf. Es findet sich jedoch mit längeren Nachkontrollen ein zuneh-

mender Trend zugunsten der Mam- mographie. Die Senkung der Morta- lität beträgt in einigen Studien bis zu 30 Prozent, was eine Lebensverlänge- rung bei zwei von 1 000 gescreenten Frauen bedeuten würde. Nach ande- ren Studien würde jedoch bei keiner Frau eine Lebensverlängerung er- reicht werden.

Entsprechend den Ergebnissen von unkontrollierten Studien werden durch ein Screening Mammakarzino- me in früheren Stadien diagnostiziert.

Die Ergebnisse sind jedoch mit Vor- sicht zu interpretieren, weil

! viele Studien nicht speziell für diese Altersgruppe gestaltet wurden,

! die Inzidenz an Mammakarzi- nomen sich zwischen 40 und 49 ver- doppelt, so daß der Vorteil vor allem aus den Ergebnissen der älteren Frau- en resultiert,

! viele Frauen auch nach dem 49. Lebensjahr weiter gescreent wur- den,! einige Frauen in der Scree- ning-Gruppe die Mammographie ab- lehnten,

! einige Frauen in der Kontroll- Gruppe mammographiert wurden,

! das Untersuchungsintervall von zwei Jahren in einigen Studien heute als zu lang angesehen wird,

! die Technologie und die Qua- litätssicherung sich seit 1963 deutlich verbessert haben.

À Welche Risiken sind mit ei- nem Screening in dieser Altersstufe verbunden?

! Falsch-negative Mammogra- phien: Bei den jüngeren Frauen wer- den zirka ein Viertel aller Mamma- karzinome bei einem Screening über- sehen (bei Frauen über 50 nur jedes zehnte).

! Falsch-positive Mammogra- phien: Zirka zehn Prozent aller Mam- mographien sind auffällig und bedin- gen durchschnittlich zwei weitere Un- tersuchungen (US, Feinnadelpunkti- on, Biopsie und andere). Nur bei je- der achten Biopsie findet sich ein Kar- zinom.

! Psychosoziale Konsequen- zen: Falsch-negative Befunde führen zu einer falschen Sicherheit, falsch- und richtig-positive Befunde bedeu- ten eine starke Belastung.

! Duktale In-situ- und „low risk“-Karzinome: Wie weit eine vor-

zeitige Diagnose einen Einfluß auf die Prognose der Erkrankung hat, ist un- geklärt, sie bedeutet jedoch zusätzliche Monate der Krankheitsbewältigung.

! Strahlenexposition: Schät- zungen errechnen ein zusätzliches Mammakarzinom auf 10 000 Frauen bei jährlichen Mammographien ab dem 40. Lebensjahr. Da sich die Strahlenexposition bei moderner Technik deutlich reduziert hat, kann das Risiko weiter minimiert werden.

Á Gibt es andere Vorteile durch ein Mammographie-Screening?

Screening kann häufiger zur Dia- gnose von Frühstadien (DCIS; Sta- dium I) führen. Die Therapie eines DCIS kann eventuell die Entstehung eines invasiven Karzinoms verhin- dern. Kleine Mammakarzinome kön- nen weniger aggressiv therapiert wer- den. Es besteht die Möglichkeit, daß durch einen frühen Screeningbeginn die Compliance in späteren Jahren er- höht werden kann.

 Wird der Stellenwert der Mammographie durch Risikofakto- ren beeinflußt?

In randomisierten Studien wur- den Frauen mit hohem Mammakarzi- nom-Risiko nicht gesondert unter- sucht. In unkontrollierten Studien fin- den sich für einige ethnische Gruppen sowie bei familiärem Mammakarzi- nom höhere Detektionsraten und we- niger falsch-positive Befunde.

ÃWelche Fragestellungen soll- ten in Zukunft bearbeitet werden?

!Welches ist das optimale Un- tersuchungs-Intervall?

! Ist der Nutzen der Mammo- graphien abhängig vom Alter bei Be- ginn eines Screenings?

! Ist der Nutzen der Mammo- graphien abhängig vom Menopausen- status?

! Wird die Sensitivität der Mammographie durch eine Hormon- substitution beeinflußt?

!Kann bei familiärem Mamma- karzinom eine Erkrankung durch die Strahlenbelastung induziert werden?

!Gibt es neue Methoden zum Mammakarzinom-Screening?

! Welchen Stellenwert hat die Selbst- und Fremduntersuchung der Brust?

!Verhalten sich Karzinome, die nicht durch ein Screening entdeckt wurden, anders?

M E D I Z I N KONGRESSBERICHT

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!Kann eine Datenbank mit al- len verfügbaren Rohdaten der ran- domisierten Studien etabliert wer- den?

Zum Abschluß der Konferenz wurde ein Statement der Experten vorgetragen, die nach wie vor ein Mammographie-Screening in dieser Altersgrupe ablehnten. Die Risiken einer Mammographie bei Frauen zwi- schen 40 und 49 Jahren wurden deut- lich hervorgehoben und die neuesten Daten, vor allem der schwedischen Studien, wenig berücksichtigt. Der- zeit ist jedoch über das Internet (Draft – National Institutes of Health Consensus Development Statement.

Breast Cancer Screening for wo- men aged 40–49. Internet-Adresse:

http://odp.od.nih.gov/consensus/sta- tements/cdc/103/103_stmt.html) ein korrigierter Entwurf erhältlich, wel- cher die vielen Kritikpunkte der ab- schließenden Podiumsdiskussion

berücksichtigt. Da bei dieser sehr komplexen Fragestellung sicherlich keine einheitliche Antwort möglich ist, wird jeder Frau eine sorgfältige Abwägung ihrer individuellen Vor- und Nachteile eines frühen Scree- ning-Beginns angeraten.

Hierfür sind ihr alle notwendigen und verfügbaren Informationen zu- gänglich zu machen. Entscheidet sie sich für ein Screening, sollte ihr der Zugang zu dieser Untersuchung orga- nisatorisch und finanziell ermöglicht werden.

Aufgrund der derzeitigen Da- tenlage sind die Empfehlungen für Deutschland ebenfalls neu zu über- denken. Wir schlagen aufgrund der verfügbaren Ergebnisse vor, auf die sogenannte Basismammographie im 35. Lebensjahr zu verzichten. Statt dessen sollte bei Frauen, die ein Mammographie-Screening wün- schen, ab dem vollendeten 40. Le-

bensjahr jährlich eine Mammogra- phie durchgeführt werden. Ab dem 50. Lebensjahr können bei nicht hormonell substituierten Frauen bei einem zu postulierenden langsame- ren Tumorwachstum auch Intervalle von zwei Jahren als ausreichend an- gesehen werden.

Insbesondere fehlen aber natio- nale Untersuchungen zu diesem ge- sundheitspolitisch sehr wichtigen Problem. Die Durchführung von prospektiven, kontrollierten Studi- en, welche die unter Punkt fünf auf- geführten Fragestellungen bearbei- ten, muß endlich auch in der Bun- desrepublik Deutschland angestrebt werden.

Dr. med. Gunter von Mincwitz Prof. Dr. med. Manfred Kaufmann Universitäts-Frauenklinik Frankfurt Theodor-Stern-Kai 7

60590 Frankfurt

Die Bypasschirurgie wurde 1968 entwickelt und ermöglicht eine länge- re Überlebensrate und eine bessere Lebensqualität des Patienten. Seit Einführung der perkutanen trans- luminaren koronaren Angioplasie (PTCA) im Jahr 1977 steht eine weni- ger invasive Methode zur koronaren Revaskularisation zur Verfügung. In ausgesuchten Fällen ist die invasive revaskularisierende Behandlung bei ischämischer Herzerkrankung unter Beteiligung mehrerer Koronargefäße alternativ durch die Bypasschirurgie oder die perkutane transluminare koronare Angioplasie (PTCA) mög- lich. Eine amerikanische Arbeits- gruppe untersuchte in einer randomi- sierten Studie die Hypothese, nach der in diesen Fällen eine primäre Be- handlung durch die PTCA gegenüber der initialen koronaren Bypassopera- tion keine ungünstigeren klinischen Ergebnisse aufweist.

Hierzu wurden im Zeitraum von 1988 bis 1991 an 18 Herzzentren in den USA und Kanada insgesamt 1 829 Pa- tienten mit koronarangiographisch ge- sicherter Mehrgefäßerkrankung ran- domisiert. Es wurden 914 Patienten operiert und 915 Patienten mittels der

PTCA behandelt. Die Personen bei- der Studienarme wiesen unter demo- graphischen, anamnestischen sowie symptomatischen Gesichtspunkten keine wesentlichen Unterschiede auf.

Die Nachbeobachtungszeit betrug durchschnittlich 5,4 Jahre.

Während der Phase der klini- schen Behandlung starben 1,3 Pro- zent der operierten Patienten. 4,6 Prozent der Patienten erlitten einen transmuralen Herzinfarkt, und in 0,8 Prozent der Fälle trat ein apoplekti- scher Insult auf. In der mittels PTCA behandelten Gruppe starben zehn Patienten (1,1 Prozent) noch im Krankenhaus. Ein transmuraler Herzinfarkt ereignete sich während dieser Zeit in 19 Fällen (2,1 Prozent), und zwei Patienten (0,2 Prozent) er- litten einen Schlaganfall.

Die Fünfjahresüberlebensrate betrug nach der Bypassoperation 89,3 Prozent und nach der PTCA 86,3 Prozent. Innerhalb dieses Zeit- raumes erlitten in der Gruppe der operierten Patienten 80,4 Prozent und in der PTCA-Gruppe 78,7 Pro- zent keinen transmuralen Herzin- farkt. Einen deutlichen Unterschied zeigte jedoch die Anzahl zusätzlich

notwendiger Revaskularisationen.

Während diese Eingriffe nur bei acht Prozent der operierten Patienten durchgeführt wurden, waren sie in der PTCA-Gruppe in 54 Prozent der Fälle notwendig.

Signifikante Differenzen bezüg- lich der Fünfjahresüberlebensrate wurden auch für medikamentös ein- gestellte oder insulinpflichtige Dia- betiker ermittelt. Die Überlebensra- te innerhalb der ersten fünf Jahre be- trug bei operierten Diabetikern 80,6 Prozent gegenüber 65,5 Prozent in der PTCA-Gruppe.

Im Vergleich zur Operation, so folgern die Autoren der vorliegen- den Studie, gefährdet die PTCA als primäre Behandlungsmethode bei Patienten mit koronarer Mehrge- fäßerkrankung nicht signifikant die Fünfjahresüberlebensrate. Diabeti- ker profitieren eindeutig von der By-

passoperation. mll

Alderman EL et al.: Comparison of coro- nary bypass surgery with angioplasty in patients with multivessel disease. N Engl J Med 1996; 335: 217–225.

Dr Frye, c/o BARI Coordinating Center, University of Pittsburgh, Rm. 127, Par- ran Hall, 130 DeSoto St., Pittsburgh, PAS 15261, USA.

Koronare Bypassoperation versus transluminare koronare Angioplasie

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