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Archiv "Nierentransplantation: Aktueller Stand, Fortschritte und Probleme" (18.11.1976)

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Diese Nieren - einem nach Ver- kehrsunfall verstorbeneb 19 Mo- nate alten Kind entnommen - wurden in der Heidelberger Uni- versitäts-Klinik einem 13jährigen Jungen „en bloc" transplantiert.

Nierentransplantation:

Aktueller Stand,

Fortschritte und Probleme

Kurt Dreikorn, Eberhard Ritz, Lars Röhl, Volker Lenhard und Hans J. Gurland

Aus der Urologischen Abteilung (Vorstand: Prof. Dr. Lars Röhl) des Chirurgischen Zentrums der Medizinischen, Universitätsklinik (Di- rektor: Professor Dr. Gotthard Schettler), dem Institut für Immuno- logie und Serologie (Direktor: Professor Dr. Klaus 0. Rother) der Universität Heidelberg und der Ludwig-Maximilians-Universität München, Klinikum Großhadern, Medizinische Klinik I (Direktor:

Professor Dr. Gerhard Riecker).

Die Nierentransplantation stellt neben der chronischen Hä- modialyse ein bewährtes Behandlungsverfahren der termi- nalen Niereninsuffizienz dar. Kontroverse Ansichten bestehen über die Lebendspendernierentransplantation und die Transplantation bei Kindern. Die immunsuppressive Therapie hat sich in den letz- ten Jahren nicht wesentlich geändert. Eine Erhöhung der im Ver- gleich zu anderen Ländern rückständigen Transplantationsfrequenz in der Bundesrepublik Deutschland ist nur durch bessere sachliche und personelle Ausstattung der Transplantationszentren und Inten- sivierung der Kooperation zur Gewinnung von Spendernieren mög- lich.

Bis zum 1. Januar 1976 wurden auf der Welt 23 919 Nierentransplanta- tionen durchgeführt. Im Vergleich hierzu wurden insgesamt nur 296 Herz-, 254 Leber-, 37 Lungen- und 47 Pankreastransplantationen vor- genommen. Die längste Überle- benszeit eines Patienten mit funk- tionierendem Transplantat nach Nierentransplantation beträgt 19 Jahre. Gegenwärtig leben etwa 10 850 Patienten mit funktionieren- dem Nierentransplantat. Die kumu-

lativen Patientenüberlebenszeiten bei den verschiedenen Behand- lungsformen der chronischen Nie- reninsuffizienz sowie die Trans- plantatüberlebenszeiten nach Le- bendspender- und Leichennieren- transplantation zeigt Abbildung 1.

Diese Zahlen beweisen, daß die Nierentransplantation, im Gegen- satz zu anderen Organverpflanzun- gen, heute ein bewährtes klini- sches Behandlungsverfahren dar- stellt.

3007

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Tabelle 1: Diagnostik der akuten Abstoßungskrise

Klinische Befunde Fieber

Oligurie

Gewichtszunahme Oedeme

Hypertonie

Schmerzhafte Vergrößerung des Transplantats

lpsilaterale Bein- und Skrotal- schwellung

Urinbefunde

Veränderung der Urin-Na-Aus- scheidung und Osmolarität Lymphozyturie

Fibrinspaltprodukte Tubuläre Azidose Proteinurie

Urin-Protein-Elektrophorese

Q Blutbefunde Harnstoffanstieg Kreatininanstieg

Leukozytose-Leukopenie (Imuran!)

LDH-Erhöhung Fibrinogen-Erhöhung Komplementabfall

Spontane Lymphozytentransfor- mation

Funktionsuntersuchungen Abfall der Kreatinin-Clearance Nuklearmedizinische Funktions- diagnostik

Weitere Untersuchungen Angiographie

Nierenbiopsie Zur Fortbildung

Aktuelle Medizin Nierentransplantation

In der Bundesrepublik Deutschland wurden Nierentransplantationen an folgenden 21 Zentren durchgeführt:

Aachen, Berlin-Steglitz, Berlin- Westend, Bonn-Venusberg, Düssel- dorf, Erlangen-Nürnberg, Essen, Frankfurt/Main, Freiburg, Gießen, Göttingen, Hamburg, Hannover, Heidelberg, Köln-Lindenthal, Mann- heim, Marburg, München, Prien/

Chiemsee, Tübingen, Ulm. Die Ge- samtzahl der bis zum 31. Dezember 1975 in der Bundesrepublik Deutschland transplantierten Nie- ren beträgt 1004. Im Jahre 1975 al- lein wurden 228 Nierentransplan- tationen durchgeführt, entspre- chend 3,8 Transplantationen pro Million Einwohner/Jahr.

Als interessanter Vergleich sei an- geführt, daß 1975 in der Bundesre- publik Deutschland 1655 Patienten in ein chronisches Hämodialyse- programm aufgenommen wurden und am 31. Dezember 1975 insge- samt 5056 Patienten hämodialysiert wurden, entsprechend 81,8 pro Million/Einwohner.

Im folgenden sollen einige trans- plantationsbezogene Probleme ab-

gehandelt werden, die auch für den mit der Betreuung niereninsuffi- zienter Patienten befaßten Nicht- Spezialisten von Interesse sind.

Wer kommt als Empfänger eines Transplantats in Frage?

a) Alter der Empfänger

Während früher bei der Empfänger- auswahl zur Transplantation recht strenge Kriterien angelegt wurden, ist die Indikationsstellung in den letzten Jahren zunehmend großzü- giger geworden. Eine obere Alters- grenze des Empfängers von 50 Jahren wird nicht mehr streng ein- gehalten. Allerdings steigen die postoperativen Komplikationen mit zunehmendem Lebensalter der Transplantatempfänger an. Jedoch sollte bei der Empfängerauswahl mehr das biologische Alter als das chronologische Alter berücksich- tigt werden.

Die Nierentransplantation bei Kin- dern bietet besondere Probleme.

Von den im Jahre 1975 in der Bun- desrepublik Deutschland durchge- führten 228 Transplantationen

wurden nur sieben bei Kindern un- ter 15 Jahren vorgenommen. Ob- wohl die Transplantatfunktionsra- ten bei Kindern im Alter von 5 bis 16 Jahren teilweise sogar besser als bei Erwachsenen sind, ist die Rehabilitation durch Nierentrans- plantation bei Kindern in der Regel problematischer als im Erwachse- nenalter (Wachstumsstörungen durch Steroid-Medikation, psycho- logische Probleme infolge Steroid- Cushing, aseptische Knochenne- krosen).

Die Indikation zur Transplantation bei Kindern kann somit nur indivi- duell unter Abwägung aller Fakto- ren gestellt werden.

b) Grundkrankheit

Grundsätzlich bestehen für die Nierentransplantation die gleichen Indikationen wie für die chronische Hämodialyse. In der Regel handelt es sich um Patienten mit Glomeru- lonephritis, Pyelonephritis, Zysten- nieren etc. Selbstverständlich müs- sen vor der Transplantation bakte- rielle Infekte der Nieren und ablei- tenden Harnwege saniert werden (eventuell durch Nephrektomie).

Auch bei selteneren Nierenerkran- kungen (Morbus Goodpasture, Morbus Fabry, familiäres Mittel- meerfieber, Amyloidose, Alport- Syndrom, hämolytisch-urämisches Syndrom) wurden erfolgreich Nie- rentransplantationen vorgenom- men. Während ein Diabetes mellitus noch vor einigen Jahren als relati- ve Kontraindikation für eine Trans- plantation angesehen wurde, konn- te Najarian nachweisen, daß die Überlebensraten bei Diabetikern nach Nierentransplantation wesent- lich höher sind als bei Behandlung mit Hämodialyse. Demnach stellt

— bei aller Problematik der Be- handlung der Niereninsuffizienz beim Diabetiker — die Nierentrans- plantation die Behandlung der Wahl für den Diabetiker im Sta- dium der chronischen Niereninsuf- fizienz dar.

Auch bei Systemerkrankungen wie Lupus erythametatodes wurde wie- derholt erfolgreich transplantiert.

3008 Heft 47 vom 18. November 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Allein bei der Oxalose sind die Er- gebnisse der Transplantation als schlecht zu bezeichnen, da die Stoffwechselerkrankung bei post- operativer Oligurie zur Zerstörung des Transplantats führt.

Welche Voruntersuchungen müssen bei potentiellen Empfängern von Nierentransplantaten durchgeführt werden?

Vor der Transplantation sollte die Diagnose der Grundkrankheit ein- deutig gesichert sein, wenn nötig durch Nierenbiopsie. Ein Infekt der ableitenden Harnwege muß sorg- fältig ausgeschlossen und gegebe- nenfalls durch Entfernung der Ei- gennieren saniert werden. Die prin- zipielle Entfernung der Eigennieren (bilaterale Nephrektomie) vor der Transplantation wird im Gegensatz zu früher nicht mehr generell durchgeführt. Indikationen für die Entfernung der Eigennieren sind nachweisbare Harnwegsinfekte, ve- sikoureteraler Reflux mit Infekten, Zystennieren und therapieresisten- te renale Hypertonie.

Subvesikale Abflußhindernisse oder Blasenentleerungsstörungen (zum Beispiel neurogene Blase, diabetische Neuropathie etc.) müs- sen durch entsprechende urelogi- sche Untersuchungsverfahren aus- geschlossen oder korrigiert wer- den. (eventuell Anlage eines Ileum- oder Colon conduits).

Verka/kungen der Beckengefäße, welche die Gefäßanastomosen bei der Transplantation erschweren, sind durch vorherige Röntgenun- tersuchungen abzuklären.

Eine Ulkusdiathese (Ulkus-Ana- mnese, röntgenologischer Nachweis eines Narbenbulbus, Hypersekre- tion von Magensäure bei der Ma- gensaftsekretionsstudie unter Pen- tagastrin) ist sorgfältig auszu- schließen, da Magenblutungen in der postoperativen Phase unter Stereid-Medikation eine der ge- fährlichsten Komplikationen dar- stellen und früher die häufigste To- desursache in der postoperativen

Phase waren. Bei bestehender Ul- cus-Anamnese, röntgenologisch nachweisbarem Narbenbulbus oder nachweisbarer Hypersekretion ist eine Vagetornie mit Pyloroplastik indiziert. Eventuell werden in Zu- kunft Histamin-Antaogonisten (H2- Biocker) die Vagetornie bei dieser

Indikation ablösen.

Kardiavaskuläre Komplikationen beim prospektiven Empfänger sind sorgfältig auszuschließen, da das Risiko kardiavaskulärer Zwischen- fälle unter Stereid-Therapie wegen der häufigen Hypertonien und Hy- perlipidämien stark erhöht ist.

Soweit korrigierbar, sollten chroni- sche Infekte (Sinusitis, Zahngranu- lome, Tonsillitis, Cholezystitis, Ap- pendizitis etc.) vor der Transplan- tation rechtzeitig saniert werden.

Ein positiver Austra/ia-Antigen- Nachweis stellt keine Kontraindika- tion gegen eine Nierentransplanta- tion dar. Möglicherweise sind die Transplantationsergebnisse bei Au- SH-positiven Patienten sogar bes- ser als bei Au-SH-negativen Patien- ten. Die Persistenz des Australia- Antigens ist eventuell ein Hinweis für einen lmmundefekt, der für die Transplantatfunktion vorteilhaft ist.

Hingegen stellt eine chronisch ag- gressive Hepatitis wegen der mög- lichen zusätzlichen Schädigung durch Azathrioprin, das nach einer Nierentransplantation verabreicht wird, eine Kontraindikation dar. Bei Patienten mit erhöhten Transami- nasen ist daher eine vorherige Le- berbiopsie indiziert.

Wer kommt als Nierenspender in Frage?

Als Nierenspender kommen im Prinzip

..,.. 1. verwandte und

Lebendspender

..,.. 2. Frischverstorbene (soge- nannte Leichennierenspender)

in Frage. [>

..,.. HLA-System: Human Leu- cocyte Antigens - System menschlicher Leukozyten- Antigene (Transplantations- antigene); Antigene, die auf sämtlichen Organen nach- weisbar sind.

..,.. Zytotoxische Antikörper:

Komplement-aktivierende präformierte Antikörper des Empfängers, z. B. häufig nach Bluttransfusionen auf- tretend, die eine hyperakute Abstoßungsreaktion des Transplantats auslösen kön- nen.

..,.. Crossmatch: "Kreuzpro- be" im HLA-System; Serum des Empfängers wird gegen Lymphozyten des Spenders auf das Vorhandensein von zytotoxischen

getestet.

Antikörpern

..,. Mismatch: Histoinkompati- bilität; fehlende Übereinstim- mung im HLA-System zwi- schen Spender und Empfän- ger.

..,.. MLC: Mixed Lymphocyte Culture - gemischte Lym- phozytenkultur. Inkubation von Spender- und Empfän- gerlymphozyten. Der Grad der Stimulation der Empfän- gerlymphozyten durch Lym- phozyten des Spenders wird anhand der H3-Thymidin- Einbaurate gemessen und ist abhängig von der Dif- ferenz der MLC-Determinan-

ten. Wegen der Zeitdauer der

Untersuchung (4-5 Tage) bis jetzt nur bei Lebendspen- dertransplantationen anwend- bar.

..,.. Match Grad: Grad der Übereinstimmung im HLA-Sy- stem zwischen Spender und Empfänger

..,.. LD-Antigene: Lymphozytär definierte Antigene

..,.. SO-Antigene: Serologisch definierte Antigene

DEUTSCHES ARZTEBLA'IT Heft 47 vom 18. November 1976 3009

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Nierentransplantation

1. Verwandte Lebendspender

Da die Transplantation von Nieren nicht verwandter Lebendspender immunologisch im Vergleich zu Leichennierenspendern keine we- sentlichen Vorteile bietet, wird heute die Transplantation von Nie- ren Nichtverwandter {Ehegatten und andere nicht verwandte freiwil- lige Lebendspender) prinzipiell ab- gelehnt.

Der Transplantationserfolg wird nach dem derzeitigen Stand der Kenntnis vorwiegend durch Antige- ne bestimmt, welche auf dem Cro- mosom Nr. 6 vererbt werden.

Auf diesem Chromosom befinden sich sowohl die Genorte für die se- rologisch erfaßbaren HLA-Antigene {SD) als auch die Genorte für die derzeit nur in der gemischten Lym- phozytenkultur erfaßbaren HLA-An- tigene {LD). Es ist wahrscheinlich, daß - in Analogie zu den Verhält- nissen bei Mäusen - noch weitere

für die Immunantwort verantwortli- che sogenannte "immune respon- se" Gene auf diesem Chromosom mitvererbt werden. Die Bestim- mung der serologisch erfaßbaren HLA-Antigene sowie die Ergebnis- se der gemischten Lymphozyten- kultur von Spender und Empfänger ermöglichen es, die Prognose der Transplantation abzuschätzen.

Während die Ergebnisse bei der Transplantation von Nieren ver- wandter Lebendspender in direkter Beziehung stehen zum Grad der Übereinstimmung der HLA-Antige- ne zwischen Spender und Empfän- ger, sind die Verhältnisse bei der Transplantation von Leichennieren weit weniger klar. Während einige Transplantationszentren die An- sicht vertreten, der Transplanta- tionserfolg gehe mit dem sogenann- ten Match-Grad parallel, konnte von anderen Transplantationszen- tren kein Zusammenhang zwischen der Übereinstimmung der Antigene des HLA-Systems und dem Trans-

plantationserfolg - mit Ausnahme der vollen Identität - nachgewie- sen werden.

Bei Verwandtenspendern bestehen prinzipiell folgende Spender-Emp- fängerkombinationsmöglichkeiten:

..". 1. Eineiige Zwillinge {

=

geneti-

sche Identität). Eine Transplantat- abstoßung bei dieser Kombination tritt nicht auf.

..". 2. Geschwisterkombinationen.

Hier ist in 25 Prozent der Fälle mit einer Identität, in 50 Prozent mit ei- ner Halbidentität und in 25 Prozent mit einer Nichtidentität zu rechnen.

..". 3. Eltern-Kind-Kombinationen. Hierbei ist stets mit einer Halbiden- tität zu rechnen.

Die Erfolgsraten nach Transplan- tation identischer Geschwisterkom- binationen sind unbestreitbar bes- ser als nach Leichennierentrans- plantation. Unklar ist gegenwärtig,

.----...,---+----~---~=---:~---±----~ Jahre i+.:-.:L-....w...-....Jfo~----"~---~---~..__----'"'t"----....t..r Monate

Patienterüberlebensrate ---.;;:~ ... Heindialyse

>t--__]~--t----t---""'""'=~t';;;;;;;;;~t::=:::=::~l---~

I Patientenüberlebensrate Lebendnierentransplantati9n

;::::~f:~:::::::~J RrtiertenJberlebensrate - - -~ Klinikdialyse t::.

Transpla1tatflrlktionsrate Lebendnierentransplantation

~ientenüberlebensrate Leichemierentransplantation •

Transplantatflllktionsrute Leichemierentransplantation 0

Abbildung 1: Kumulative Patientenüberlebens raten bei Dialyse und Transplantation sowie Transplantatfunktionsrate bei Lebendspender- beziehungsweise Leichennierentransplantation (nach EDTA, Report V, 1974)

3010 Heft47vom 18.November1976 DEUTSCHES ARZTEBLATT

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ob auch bei Teilidentität (wie zum Beispiel bei Eltern-Kind-Kombina- tionen) eine Verbesserung der Transplantationsergebnisse gegen- über der Leichennierentransplan- tation zu erreichen ist.

Das Risiko für einen Lebendnieren- spender ist gering, muß jedoch in jedem Falle berücksichtigt werden. Bei bisher etwa 5000 durchge- führten Lebendtransplantationen wurden vier Todesfälle bei Spen- dern beobachtet. Die Reduk- tion der Lebenserwartung, die nach Entnahme einer Niere zur Transplantation entsteht, ist ver- gleichbar mit der Reduktion der Lebenserwartung bei traumatisch Einnierigen (Risiko der Verletzung der Restniere beziehungsweise Ri- siko des Auftretens eines malignen Tumors in der Restniere).

Nach Lebensversicherungsstatisti- ken beträgt die Reduktion der Le- benserwartuig bei Einnierigen sechs Monate bei einer Lebenser- wartung von 65 Jahren.

2. Leichennierenspender

Als Leichennierenspender kommen in erster Linie Patienten mit aku- tem Hirntod infolge Hirntrauma oder Hirntumor sowie Hirnblutun- gen (ausgenommen Patienten mit hypertoner Massenblutung) in Fra- ge. Bei fehlender Kontraindikation (Hypertonus, Gefäßsklerose, allge- meine Infektionen, maligne Erkran- kungen, Hepatitis) können durch- aus auch ältere Spender herange- zogen werden. Die Nieren können in der Bundesrepublik Deutschland nach Eintreten des Hirntodes bei schlagendem Herzen, das heißt bei intaktem Kreislauf, entnommen wer- den. Nach den Richtlinien der Deutschen Gesellschaft für Chirur- gie stützt sich die Diagnose des Hirntodes auf die klinische Unter- suchung (Areflexie, fehlende Spon- tanatmung, lichtstarre weite Pupil- len, Hypothermie) auf das soge- nannte "Nullinien-EEG" und auf den angiographischen Nachweis einer durch ein Hirnödem verur- sachten fehlenden Hirnzirkulation

(im Angiogramm keine intrazere- brale Durchblutung). Die Feststel- lung des Hirntodes erfolgt durch eine vom Transplantationsteam un- abhängige Ärztegruppe. Falls der Verstorbene zu seinen Lebzeiten keine ausdrückliche Einverständnis- erklärung (zum Beispiel Organ- spenderausweis) zur Organentnah- me abgegeben hat, sollte von den Angehörigen die Erlaubnis zur Or- ganentnahme eingeholt werden.

Wie ist die Technik

der Nierentransplantation?

Die Technik der Nierentransplan- tation ist standardisiert. Die Nieren werden nach der Entnahme durch hypotherme Schwerkraftperfusion, seltener durch maschinelle Dauer- perfusion, konserviert, wobei heute Konservierungszeiten bis zu 72 Stunden erreichbar sind. Es ist je- doch wünschenswert, die Konser- vierungsdauer möglichst kurz zu halten. Die Transplantation erfolgt retroperitoneal, meist in die kon-

rechte Fossa iliaca trans- plantiert. Die Nierenarterie ist End zu End mit der Arteria iliaca Interna, die Vena renalis End zu Seit mit der Vena lliaca externa ana- stomosiert. Die Harnleiter- implantation erfolgt durch Uretero- neozystostomie im Bereich des Blasendaches.

(aus Dreikorn, K.: Chirurgie der Nieren- transplantation, Nieren- und Hochdruck- krankheiten 1, 1975, 7-16)

tralaterale Fossa iliaca (Abb. 2). Die Spenderarterie wird mit der Arteria iliaca interna, externa, oder com- munis, die Spendervene mit der Vena iliaca externa anatomosiert.

Die Wiederherstellung der ableiten- den Harnwege erfolgt durch Harn- leitereinpflanzung in die Blase (Ure- tero-Neozystomie). Die Operations- dauer beträgt etwa zwei Stunden.

Wie lassen sich Abstoßungsreak·

tionen erkennen und behandeln?

Als Abstoßung bezeichnet man die immunologisch bedingte Entzün- dung im Transplantat. Wir unter- scheiden heute drei Formen der Abstoßungsreaktion:

..,.. 1. Abstoßungsreaktionen vom hyperakuten Typ

..,.. 2. Abstoßungsreaktionen vom akuten Typ

..,.. 3. Abstoßungsreaktionen vom chronischen Typ [>

DEUTSCHES ARZTEBLA'IT Heft 47 vom 18. November 1976 3011

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Onkogenese 4 Zur Fortbildung

Aktuelle Medizin.

N ierentransplantation

Die Abstoßungsreaktion vom hyper- akuten Typ wird durch präformier- te zytotoxische Antikörper gegen HLA-Antigene verursacht. Diese Antikörper des Empfängers können durch einen sogenannten Cross- Match (Kreuzprobe zwischen Emp- fängerserum und Lymphozyten des Spenders) erfaßt werden.

Auch eine ABO-Inkompatibilität zwi- schen Spender und Empfänger führt zum Verlust des Transplan- tats durch hyperakute Abstoßungs- reaktion. Bei dieser Form der Ab- stoßungsreaktion kommt es unmit- telbar nach der Transplantation zur intrarenalen Gerinnung mit nach- folgender Zerstörung des Trans- plantats. Die hyperakute Absto- ßung ist therapieresistent und er- fordert in jedem Falle die sofortige Entfernung des Transplantats. Sie sollte daher durch sorgfältige Aus- testung weitgehend vermieden werden.

Der Abstoßungsreaktion vom aku- ten Typ liegt eine interstitielle Ne- phritis und Endarteriitis des Trans- plantats zu Grund. Diese wird vor-

wiegend durch die Zytotoxizität sensibilisierter Lymphozyten aus- gelöst.

Der rechtzeitigen Diagnostik der Abstoßungskrise kommt eine ent- scheidende Bedeutung zu, da Abstoßungsreaktionen vom aku- ten Typ in 80 Prozent bei rechtzei- tig einsetzender Behandlung we- nigstens teilweise beherrscht wer- den können. An klinischen Befun- den finden sich häufig Fieber, Oli- gurie, Gewichtszunahme durch Flüssigkeitsablagerung, Hyperto- nie, schmerzhafte Vergrößerung des Transplantats und ipsilaterale Bein- und Skrotalschwellung.

Im Urin findet sich häufig eine Lym- phozyturie und Proteinurie. Oft kommt es im Rahmen von Absto- ßungskrisen zu einer tubulären Azi- dose und Veränderung der Urin- Natrium-Ausscheidung. Die Absto- ßungskrise führt zum Anstieg der harnpflichtigen Substanzen (Tabel- le 1).

Der Abstoßungsreaktion vom chro- nischen Typ liegt eine zunehmende

Fibrosierung des Nierenintersti- tiums und Obliteration der Nieren- gefäße zu Grunde. Klinisch findet sich eine langsam zunehmende, kontinuierliche, weitgehend thera- pieresistente Verschlechterung der Transplantatfunktion, häufig beglei- tet von einer Hypertonie.

Zur Verhinderung der Abstoßungs- reaktionen muß bei allen Trans- plantatempfängern (Ausnahme:

eineiige Zwillinge) lebenslänglich eine immunsuppressive Behand- lung durchgeführt werden. Bezüg- lich der Immunsuppression haben sich in den letzten Jahren keiner- lei wesentliche Neuerungen erge- ben.

Eckpfeiler der immunsuppressiven Therapie sind nach wie vor Stero- ide und Azathioprin. Während Aza- thioprin kontinuierlich in einer Do- sierung von ca. 2,0-3,5 mg/kg/Kg (je nach Leukozyten- und Throm- bozytenwerten) verabreicht wird, kann die Dosis der Steroide mit zu- nehmendem Zeitabstand nach der Transplantation verringert werden (ca. 0,1-0,2 mg Prednison/kg/Kg

Anaphylaxie Leber

Cholestase Transaminasen I' Hepatitis

Spermiogenese

Azoospermie Teratospermie

AZATHIOPRIN

Leukopenie Thrombozytopenie

Hämatopoese

Thrombozytopenie Leukopenie

1

Infekte (Sepsis)

a.Bakterielle Infektion b.Pilz•Infektion c.Virus-Infektion

a.akute postop. Phase

gestörte Wundheilung gastrointestinale Blutung gastrointestinale Ulzeration Pankreatitis

Psychose Thromboembolien

b.bei Langzeittherapie

Osteoporose Osteonekrose Linsenkatarakt Cushingoid Hyperlipidärnie Diabetes Herzinfarkt Hautveränderungen

Abbildung 3: Komplikationen der immunsuppressiven Therapie

3012 Heft 47 vom 18. November 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Abbildung 4: Herpes zoster nach Nierentransplantation nach einem Jahr). Vereinzelt wer-

den geringere Steroiddosen sogar alternierend verabreicht (jeden zweiten Tag).

Bei der Behandlung der akuten Ab- stoßungskrise haben sich die soge- nannten „Gramm-Stöße" mit 6-Me- thyl-Prednisolon (zum Beispiel 1000 mg/die für die Dauer von drei Ta- gen, 500 mg/die für die Dauer von drei Tagen) ohne Erhöhung der oralen Steroiddosis bewährt. Durch diese Verabreichungsart der Ste- roide konnte die Häufigkeit der Steroidkomplikationen wesentlich reduziert werden (kürzere Halb- wertzeit)

Andere Verfahren der Immunsup- pression, wie die Verabreichung von ALG (heterologes Antilympho- zytenglobulin) oder prophylakti- sche Transplantatbestrahlung, wer- den heute angesichts der nicht spektakulären Wirksamkeit und wegen der möglichen Nebenwir- kungen nicht mehr routinemäßig durchgeführt.

Im Vergleich zu früher ist man heu- te eher geneigt, bei schweren und rezidivierenden Abstoßungskrisen das Transplantat aufzugeben und den Patienten gegebenenfalls auf eine Zweittransplantation vorzube- reiten, als die Risiken hoher Im- munsuppression über längere Zeit in Kauf zu nehmen.

Welche klinischen Komplikationen werden nach Nierentransplantation beobachtet?

Die akut postoperativ auftretenden Komplikationen, die für den Nicht- spezialisten nur bedingt von Inter- esse sind, seien hier nur kurz an- gedeutet: Vaskuläre Komplikatio- nen (Nierenarterienthrombose, Nie- renvenenthrombose), akute Harn- leiterobstruktionen, steroidbeding- te gastrointestinale Blutungen mit oder ohne Ulkus, spontane Trans- plantatruptur, Lymphozelen, Urinfi- steln usw.

Jenseits der akuten postoperativen Phase sind die beobachteten Kom- plikationen zurückzuführen auf:

• 1. die immunsuppressive Thera- pie (Abb. 3)

a Steroidmedikation b Azathioprinmedikation

• 2. die Verschlechterung der Nierenfunktion durch akute und chronische Abstoßung beziehungs- weise das Auftreten einer rekurrie- renden Glomerulonephritis.

Der Steroidtherapie ist die Häufung von Infektionen anzulasten, auf welche nach statistischen Erhe- bungen der EDTA (European Dialy- sis and Transplant Association) 39,3 Prozent der Todesfälle nach Transplantationen zurückzuführen sind.

Es handelt sich vor allem um pulmonale Infektionen, gramnegati- ve Sepsis und Wundinfektionen.

Neben den üblichen bakteriellen Erregern werden auch seltenere Erreger als Ursache von Infektio- nen gefunden: zum Beispiel nicht- bakterielle Pneumonien durch Pil- ze, Pneumocystis carinii, Zytome- galievirus, Meningitis durch Liste- riose. Häufig sind auch Erkrankun- gen durch Viren der Herpes-Grup-

pe: Herpes zoster (Abbildung 4), ausgedehnter Herpes simplex, Zy- tomegalie (mit Status febrilis, He- patitis, gegebenenfalls auch inter- stitieller Pneumonie).

Eine weitere Nebenwirkung der Steroide stellen die ossären Kom- plikationen dar: steroidbedingte Osteoporose sowie aseptische Knochennekrosen. Letztere werden vorzugsweise im Hüftkopf und in den Femurkondylen beobachtet und können zu einer totalen Endo- prothesenoperation zwingen (Ab- bildung 5).

Weitere steroidbedingte Komplika- tionen sind Hautveränderungen (Striae, vaskulär bedingte Blutun- gen, Hypertrichosis, chronisch ve- getierende Pyodermien, Epidermo- phytien), Steroiddiabetes, Steroid- psychose, Steroidkatarakt, Pankrea- titis, steroidbedingte Hyperlipämie und dadurch erhöhtes Myokardin- farktrisiko, Hypertonie durch Mine-

ralo karti koid-Wi rkung.

Nebenwirkungen des Azathioprins sind vergleichsweise seltener. In erster Linie ist hier die Knochen- marksdepression anzuführen, die DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 47 vom 18. November 1976 3013

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Zur Fortbildung Aktuelle Medizin Nierentransplantation

durch adäquate Kontrollen (minde- stens wöchentliche Leukozyten- kontrolle und regelmäßige Throm- bozytenkontrollen) weitgehend ver- meidbar ist. Eine weitere Neben- wirkung stellen Leberfunktionsstö- rungen dar. Leberfunktionsstörun- gen können nach der Transplanta- tion als Folge der Azathioprinmedi- kation oder im Rahmen einer neu auftretenden Hepatitis entstehen.

Erhöhte Transaminasen nach der Transplantation normalisieren sich bei 20-30 Prozent der Patienten, wenn anstelle des Azathioprins Zy- clophosphamid verabreicht wird.

Die Knochenmarkstoxizität von Azathioprin steigt bei einge- schränkter Nierenfunktion, so daß die Dosis gewöhnlich reduziert werden muß. Azathioprin wird teil- weise über die Xanthin-Hypoxan- thin-Oxydase abgebaut. Die Gabe von Xanthin-Oxydase-Hemmern (Allopurinol), die wegen der bei Transplantatempfängern häufig be- obachteten Hypourikämie verab- reicht werden, kann daher die Aza- thioprin-Toxizität erheblich stei- gern.

Als allgemeines Risiko der Immun- suppression ist ferner das gehäufte Auftreten von Malignomen anzufüh- ren. Nach Nierentransplantation ist das Auftreten bestimmter Tumoren, insbesondere von Malignomen des lymphorektikulären Systems (Reti- kulosarkome, insbesondere im ZNS), Haut- und Zervixkarzinomen sowie (vorwiegend bei Phena- zetin-Abusus) Blasenkarzinomen, erhöht.

Erfolgreich ausgetragene Schwan- gerschaften bei nierentransplan- tierten Frauen und Vaterschaften

nierentransplantierter Männer wur- den wiederholt beobachtet. Nach Angaben des Human Renal Trans- plant Registry wurden bisher 55 Graviditäten von transplantierten Frauen ausgetragen, von einer Pa- tientin allein drei Graviditäten. Im Gegensatz zu tierexperimentellen Befunden scheint Azathioprin beim Menschen wenig teratogen zu sein.

Mißbildungen wurden bisher nur bei einem Kind beobachtet.

Nach unserer Ansicht sollte trans- plantierten Patientinnen von einer

Gravidität grundsätzlich abgeraten werden, da die Gravidität die Transplantatfunktion beeinträchti- gen kann und die Langzeitprogno- se des Transplantats unsicher ist.

Bei eingetretener Gravidität ist die Indikation zur Interruptio jedoch nicht generell gegeben.

Welche Kontrolluntersuchungen sollten bei nierentransplantierten Patienten regelmäßig durchgeführt werden?

Die Kontrolle nierentransplantierter Patienten sollte in den Ambulatori- en der Transplantationszentren er- folgen. Bei Transplantierten mit stabiler Langzeitfunktion kann je- doch ein Großteil der Kontrollen durch den Hausarzt erfolgen. Die in unserer Ambulanz durchgeführ- ten Routinekontrollen sind in Ta- belle 2 zusammengefaßt.

Wesentlich erscheint der Hinweis, daß der Hausarzt bei folgenden Zu- ständen das zugehörige Transplan- tationszentrum unbedingt benach- richtigen sollte:

Tab. 2: Routinekontrollen die nach Nierentransplantation durchgeführt werden sollten:

täglich wöchentlich monatlich halbjährlich

(vom Patienten) Blutdruck Temperatur Körpergewicht

Allgemein:

Transplantatgröße Auskultation:

(z. B. Stenosegeräusch) BKS

Leukozyten Thrombozyten Hb, HK

Serum-Kreatinin Serum-Harnstoff Urin

(Albumin) Sediment Kultur

Diff. Blutbild Elektrolyte Blutgase Transaminasen Serum-Bilirubin Au-Antigen Harnsäure Blutzucker Zytomegalie Serum-Phosphor Serum-Calcium alk. Phosphatase bei Kindern:

Körpergröße

EKG Rö Thorax

(Herzgröße, z. B. Tbc) Skelettstatus (Knochen- nekrosen, insbesondere Hüftkopfnekrose) Ausscheidungsuro- gramm

(Clearance)

Tierversuche Sputum, Urin

rektale Untersuchung Augenuntersuchung (Steroid-Katarakt) Hautstatus

Magen-Darm-Passage Sonogramm

bei Frauen: gynäkologi- sche Untersuchung

3014 Heft 47 vom 18. November 1976 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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Abbildung 5 (oben): Bilaterale 1-lüftkopfnekrosen nach Nierentransplantation — unten: Zustand nach bilateraler Endo- prothesenoperation. Die Operation wurde in der Orthopädischen Universitätsklinik Balgrist (Direktor: Prof. Dr. A.

Schreiber), Zürich, durchgeführt

• 1. Unklare Fieberanstiege („exo- tische" Infekte bei immunsuppri- mierten Patienten, möglicher Hin- weis auf eine Abstoßungsreaktion)

• 2. Anstieg harnpflichtiger Sub- stanzen (möglicher Hinweis auf Ab- stoßungsreaktion beziehungsweise Harnabflußstörung).

• 3. Akutes Auftreten eines patho- logischen Urinbefundes (möglicher Hinweis auf eine Abstoßungskrise beziehungsweise Harnwegsinfek- tion).

• 4. Plötzlicher Blutdruckanstieg (möglicher Hinweis auf Absto- ßungskrise; Differentialdiagnose:

Arterienstenose, Steroidtherapie, lschämie der Eigennieren).

In mehreren eigenen Fällen wurde durch zu späte Überweisung des Patienten bei Anstieg harnpflichti- ger Substanzen der günstigste Zeitpunkt zur Behandlung einer akuten Abstoßungskrise verpaßt.

Wie wird die Zukunft

der Transplantation aussehen?

Ein prinzipieller Durchbruch auf immunologischem Gebiet, wie er zum Beispiel durch Auslösen von Immuntoleranz oder Enhancement im Tierexperiment bereits durchge- führt werden kann (und prinzipiell auch beim Menschen denkbar ist), ist bisher nicht in Sicht. Jedoch sind die Transplantationserfolgsra- ten als so gut zu bezeichnen, daß

auch bei den gegenwärtigen Er- gebnissen dieses Verfahren eine echte Ergänzung zur Hämodialyse darstellt.

Ist die derzeitige Transplantations- frequenz in der Bundesrepublik Deutschland ausreichend?

Während die Transplantaterfolgs- raten in Deutschland denen anderer Länder entsprechen, muß im Ver- gleiche zu anderen Ländern die gegenwärtige Transplantationsfre- quenz der Bundesrepublik Deutsch- land als völlig unzureichend be- zeichnet werden: Während in der

BRD nur ca. 5 Prozent aller termi- nal Nierenkranker transplantiert werden, sind es z. B. in Norwegen

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 47 vom 18. November 1976 3015

(10)

Zur Fortbildung Aktuelle Medizin N ierentransplantation

73 Prozent, Finnland 69,8 Prozent, Dänemark 58 Prozent, Schweden 51,7 Prozent, Schweiz 37,2 Prozent und Großbritannien 33,9 Prozent.

Der europäische Durchschnitt liegt bei 20 Prozent.

Welches sind die Hauptursachen für die zu geringe Transplantations- frequenz in Deutschland?

a) Organisatorische Probleme Die Hauptursachen, die einer Stei- gerung der Transplantationsfre- quenz in Deutschland entgegenste- hen, sind organisatorischer Art.

Insbesondere die Beschaffung ei- ner ausreichenden Anzahl geeigne- ter Spendernieren stellt den ent- scheidenden Engpaß dar. Bei ent- sprechender Verbesserung der Or- ganisation könnten theoretisch ge- nügend Spendernieren zur Verfü- gung stehen, da schon 3-5 Prozent der jährlich anfallenden Unfalltoten den Bedarf von ca. 1000 Spender- nieren pro Jahr decken würden. Es ist deshalb unerläßlich, daß auch in Kliniken, in denen keine Transplan- tationen durchgeführt werden, bei potentiellen Nierenspendern die Entnahme der Spendernieren in Zu- sammenarbeit mit den jeweiligen Transplantationszentren durchge- führt wird. Die dabei den Kranken- häusern entstehenden Kosten soll- ten von den Versicherungsträgern der Transplantatempfänger über- nommen werden. Im Jahre 1975 wurde in der Bundesrepublik Deutschland nur bei 0,9 Prozent der Unfalltoten eine Organentnahme durchführt, in Holland dagegen bei 6,8 Prozent.

b) Finanzielle Probleme

Die personelle und räumliche Aus- stattung der Transplantationszen- tren sind derzeit unzureichend. Nur durch eine intensivere Förderung mit Ausbau der Zentren könnten die Voraussetzungen geschaffen werden, die angestrebte Anzahl von 1000 Transplantationen pro Jahr durchzuführen.

c) Juristische und psychologische Probleme

Die unsichere Rechtslage und Furcht vor juristischen Komplika- tionen bei der Organentnahme wir- ken sich gegenwärtig ebenfalls un- günstig hinsichtlich einer Steige- rung der Transplantationsfrequenz aus. Von dem geplanten Transplan- tationsgesetz muß eine eindeutige Regelung verlangt werden, die der Notwendigkeit zur Durchführung von Organtransplantationen ge- recht wird. Die bisherige Regelung, daß die Organentnahme unmittel- bar nach Feststellung des Todes in der Regel von der Einwilligung der Angehörigen abhängt, erscheint uns besonders aus psychologi- schen Überlegungen nicht sinnvoll.

Die Angehörigen sind in dieser akuten Situation meist überfordert und stehen der Organentnahme nicht selten ablehnend gegenüber.

Aus diesem Grunde sollte eine Er- klärung über die Bereitwilligkeit zur Organspende bereits zu Lebzeiten angestrebt und evtl. dokumentiert werden (Organspendeausweis, ent- sprechende Erklärung im Personal- ausweis bzw. Führeschein). Obwohl erfreulicherweise eine zunehmende positive Einstellung der Bevölke- rung zur Organspende zu ver- zeichnen ist, sind weitere Bemü- hungen um das Verständnis und die Förderung der Bereitschaft zur Organspende in der Bevölkerung erforderlich. Entsprechende finan- zielle Mittel für eine Aufklärung müßten bereitgestellt werden.

Neben der Tatsache, daß durch ei- ne Steigerung der Transplanta- tionsfrequenz mehr nierenkranken Patienten die Chance einer Trans- plantation, und somit die Aussich- ten auf eine bessere Rehabilitation, ermöglicht werden könnten, zwin- gen auch ökonomische Überlegun- gen zu ernsthaften Bemühungen um eine Steigerung der Transplan- tationsfrequenz:

Bei den derzeitigen Dialysekosten kann kein Land der Welt die finan- ziellen Mittel aufbringen, alle termi- nal niereninsuffizienten Patienten zu dialysieren. Während z. B. die Kosten für eine 5jährige Klinik- dialyse mit bis zu DM 500 000 zu

veranschlagen sind, die Kosten für eine entsprechende Heimdialyse mit ca. 250 000, betragen die Ko- sten für einen Patienten mit 5 Jahre funktionierendem Transplantat le- diglich 35 000 bis DM 40 000. So konnten allein in Heidelberg durch 190 Nierentransplantationen insge- samt ca. DM 14 Millionen an Dialy- sekosten eingespart werden.

Es ist die Verantwortung der poli- tischen Instanzen — ggfls. in Zu- sammenarbeit mit den Versiche- rungsträgern — den Transplantati- onszentren die Förderung angedei- hen zu lassen, die ihnen aufgrund der bisher erreichten unbestreitba- ren Erfolge zukommen sollte.

Literatur beim Verfasser

Anschrift des Verfassers:

Privatdozent

Dr. med. Kurt Dreikorn Oberarzt der

Urologischen Abteilung der Chirurgischen Universitätsklinik 6900 Heidelberg

Diagnostik in Kürze

An Mukoviszidose sollte beim Säugling die Symptomentrias Ge- deihstörung, Durchfall und Husten denken lassen. Ohne sofort einge- leitete Therapie nehmen die Sym- ptome in fast allen Fällen ständig an Schwere zu. Im Bereich der Lun- gen kommt es zu Bronchitis, Peri- bronchitis und Bronchopneumonie.

Im weiteren Verlauf stellen sich Atelektasen und Bronchiektasen ein. Die Funktionsstörungen im Be- reich des Darms führen zu einer Malassimilationssyndrom mit pri- märer Maldigestion und sekundär auftretender Malabsorption. Im späteren Säuglingsalter oder beim Kleinkind kommt es in etwa 30 Pro- zent aller Erkrankungsfälle zum Auftreten eines rezidivierenden lzW(tumprolaps, der in diesem Alter fast immer durch Mukoviszidose bedingt ist. he

(Stephan, U.: Internist 17 [1976] 336-341)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT 3016 Heft 47 vom 18. November 1976

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