Deutsches Ärzteblatt
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Jg. 109|
Heft 14|
6. April 2012 A 677M
anches lernt man erst zu schätzen, wenn es nicht mehr da ist. Diese Erfahrung machen derzeit viele Klinikdirektoren. Die Zeiten sind vorbei, in denen junge Ärzte ihren Vorgesetzten auf Knien dankten, wenn sie für sie arbeiten durften. Stapelweise qualifi- zierte Bewerbungen – davon können die meisten Chef- ärzte heute nur träumen. In früheren Männerdomänen rollt man plötzlich für die Frauen den roten Teppich aus. Ärzte aus Osteuropa sind herzlich willkommen.Die Jagd auf den Ärztenachwuchs beginnt außerdem immer früher. Einige Kliniken – besonders auf dem Land – bieten „Famulaturpakte“ an, zum Beispiel mit freier Unterkunft im Schwesternwohnheim, kostenlosem Essen in der Kantine und einer bestimmten Zahl zuge- sicherter Sonographien. Das alles passiert in der Hoff- nung, die Studenten so früh wie möglich an sich zu bin- den. Äußerst interessant sind dabei die Studierenden im praktischen Jahr (PJ). Noch vor wenigen Jahren eher als billige Hilfskräfte angesehen, haben viele Kranken- häuser erkannt: Mit dem Motto „Blut abnehmen, Ha- ken halten, Mund halten“ lassen sich junge Menschen nicht begeistern. Gilt in erster Linie der Spruch „Lehr- jahre sind keine Herrenjahre“, dann wird es am Ende in der Frühbesprechung ziemlich leer.
Seinen vorläufigen Höhepunkt hat der Kampf um die Nachwuchsmediziner mit dem Streit um die Appro- bationsordnung für Ärzte (ÄAppO) erreicht. Das Bun- deskabinett hatte die Verordnung im Dezember verab- schiedet und bei Studierenden für Jubel gesorgt: Nicht nur das ungeliebte Hammerexamen – also die Kombi- nation des früheren ersten, zweiten und dritten Staats- examens – sollte abgeschafft werden. Endlich sollte es möglich sein, dass PJler ihr Krankenhaus bundesweit frei wählen. Aus Sicht der Studenten wäre das nur lo- gisch. Derzeit ist es für einen Mediziner aus München einfacher ein PJ-Tertial in Afrika zu machen als in Hamburg. Auch die Auswahl am Unistandort selbst ist nicht frei. Die Pläne stießen allerdings auf Kritik – be- sonders beim Medizinischen Fakultätentag. Die Unikli- niken sahen ihre quasi automatische Nachwuchszufuhr
gefährdet. In offiziellen Erklärungen hieß es selbstver- ständlich, die Qualität der Ausbildung sei gefährdet.
Der Protest der Hochschulmediziner hatte zunächst Erfolg: Im Bundesrat verzögerte sich die Abstimmung über die ÄAppO. Doch damit nicht genug. Mitte Febru- ar fasste der Gesundheitsausschuss des Bundesrates ei- nen Beschluss: Danach soll die Allgemeinmedizin zum PJ-Pflichtfach werden – neben der Inneren Medizin und Chirurgie. Ein Wahltertial wird es nach Vorstellung der Politiker nicht mehr geben. Wieder war der Protest groß: 18 medizinische Fachgesellschaften verfassten eine Resolution. Sie befürchten, die Studierenden hät- ten keine Chance mehr, andere Fächer kennenzulernen.
Auch die Bundesvertretung der Medizinstudierenden in Deutschland hat sich dem Aufruf angeschlossen und fordert den Erhalt der Wahlfreiheit. Einen Kompromiss schlägt hingegen die Deutsche Gesellschaft für Allge- meinmedizin vor. Das PJ soll demnach in Quartale auf- geteilt sein: Innere, Chirurgie, Allgemeinmedizin und ein Wahl-Quartal.
Die Studenten stehen mitten im Gezerre und könnten sich zu Recht fragen: Geht es hier wirklich um uns? Für sie ist die Situation inakzeptabel – nicht zuletzt, weil sich die überfällige Abschaffung des Hammerexamens weiter verzögert. Frühestens am 11. Mai wird es nun ei- ne Entscheidung im Bundesrat geben.
PRAKTISCHES JAHR
Jagd auf den Nachwuchs
Dr. med. Birgit Hibbeler
Dr. med. Birgit Hibbeler Redakteurin für Gesundheits- und Sozialpolitik